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Tanz die Architektur
Der Standard

Wie Städte und Bauten sich in Filmen machen: In Tirol kann man's jetzt konzentriert sehen.

1. Februar 2003 - Franziska Leeb
Wie eine Sonnenblume dem Lauf der Sonne folgt, dreht sich das Ferienhaus, das der italienische Ingenieur Angelo Invernizzi 1935 in der Nähe von Verona für sich und seine Familie schuf. Mittels Motors bewegt sich die gemeinsam mit dem Architekten Ettore Fagiuoli entworfene silbrige Wohnmaschine um ihre eigene Achse. Alle wesentlichen Wohnräume können so beliebig nach dem Sonnenstand oder auch dem Ausblick in die Landschaft in Position gebracht werden. Samt den eigens für das Haus entworfenen Apparaturen und Möbelstücken ist dieses weitgehend unbekannte gebaute Manifest des italienischen Futurismo bis heute im ursprünglichen Zustand erhalten. Der Schweizer Architekturfilmer Christoph Schaub und der Architekt Marcel Meili erkundeten die „Casa Girasole“, das Sonnenblumenhaus, mit der Filmkamera. Zu sehen gibt es die Dokumentation des bemerkenswerten Hauses nebst 199 anderen Schlüsselbeispielen zur Architektur im Film im Rahmen der Ausstellung „screen[ing] architecture“ im Architekturforum Tirol.

Die Innsbrucker Architekturinstitution beauftragte den Filmhistoriker Helmut Weihsmann mit dieser umfassenden Zusammenstellung. Auf vier nach Themenbereichen sortierten Terminals können die Ausstellungsbesucher aus einer benutzerfreundlichen Image-Bank Baudokumentationen, Architektenmonografien, Stadtessays, filmische Zukunftsszenarien und cineastische Gustostückerln, die in irrealen Cyber-Spaces spielen, abrufen. Um nicht blind durch das riesige Filmangebot surfen zu müssen, bereitete Kurator Weihsmann eine Sammlung von Texten und Inhaltsbeschreibungen zu den Filmen vor. Die jetzt für die Ausstellung zur Verfügung stehende Mediathek auf DVD und Video wurde auch mit dem Hintergedanken angeschafft, darauf ein Archiv für eine fundierte Aufarbeitung und Vermittlung des Themas „Architektur im Film“ aufzubauen.

Beeindruckende Stadtszenarien und Architekturikonen - man denke nur an die grandiose Villa Malaparte auf Capri in Godards „Le mépris“ - dienten im Lauf der Filmgeschichte immer wieder als Drehorte. Das Kino nimmt damit auch eine dokumentarische Rolle wahr. Und umgekehrt zählen visionäre Stadtmodelle wie in Ridley Scotts „Blade Runner“ und Fritz Langs „Metropolis“ oder die Satiren von Jacques Tati zu jenen Architekten-Kultfilmen, die Rezeption und Produktion von Architektur direkt beeinflussen.

Das Gedicht „Un coup de dés“ von Stéphane Mallarmé diente als Basis für einen Film in einem architektonischen Würfelwurf. Er spielt in der von Robert Mallet-Stevens geplanten Landvilla des Vicomte de Noailles in Hyères an der Côte d'Azur. Der exzentrische Graf bat Man Ray um eine Dokumentation seines Würfelschlosses. Der anfangs von der Idee nicht sehr begeisterte Künstler entwickelte schließlich - angeblich nachdem der Graf auch mit einem Honorar lockte - eine Filmchoreografie aus dokumentarischen Szenen, gemischt mit spielerischen Kameratricks und dadaistischen Tanzszenen. Er widerlegt mit seiner surrealen Inszenierung das Bonmot „Reden über die Liebe ist wie Tanzen über Architektur“ aus Willard Carrolls Film „Leben und Lieben in L.A.“.


[screen[ing] architecture - Film. Architektur. Stadt
Architekturforum Tirol, Erlerstraße 1, Innsbruck bis
28. März 2003, Mo-Fr 14-19 Uhr, Do bis 21 Uhr

„Alphaville“ von Jean-Luc Godard, ein weiterer Pflichtfilm für Cineasten und Stadtutopisten, wird ergänzend zur Ausstellung im Architekturforum am 6. Februar im Innsbrucker Leokino gezeigt.]

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