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Architekturblähungen aller Art
Der Standard

Der Grazer Architekt Bernhard Hafner hat ein Buch über seine Zunft geschrieben. Schade: Es ist zu verbittert, um wirklich böse und damit gut zu sein.

8. Februar 2003 - Ute Woltron
Irgendjemand hätte Bernhard Hafner freundlich, aber bestimmt beiseite nehmen und ihm einige grundsätzliche inhaltliche wie formale Regeln vermitteln sollen, bevor er sich an den Schreibtisch setzte, um sein Buch zu verfassen. Zum Beispiel hätte ihm jemand sagen müssen, dass das „Ich“ stets das unwesentlichste Element aller guten theoretischen Abhandlungen ist. Wenn dieses „Ich“, so wie hier, zum omnipräsenten Maß aller Dinge wird, bedarf es - das wäre der zweite dringlich anzuratende Tipp gewesen - allzu vieler Frage- und Ausrufezeichen, also gemeinhin Massen verbotener Hilfsmittel, um den solchermaßen geschwächten Text doch noch irgendwie anzuschärfen und in die gewollten Richtungen zu drehen.

Bernhard Hafner hat in seinem Buch Architektur und Sozialer Raum letztlich nichts anderes getan, als gehörig Dampf abzulassen - oder vielmehr Blähungen, wie er sie seinen Zeitgenossen seitenweise vorzuwerfen pflegt - und das ist, selbst in der Welt der verschrobensten Architekturabhandlungen, ein wenig zu dünn, um ernst genommen zu werden.

Die Architektenschaft ist traditionell ein Haufen raufesfreudiger Brachialpersönlichkeiten, das bringt sowohl der hochkompetitive Berufsstand mit sich als auch die schwierige, letztlich großartige lebenslange Herausforderung, seinen persönlichen und, wie man in Architektenkreisen gern sagt, „ehrlichen“ Weg zu gehen und wirklich gute, in ihrer Theorie durchanalysierte und doch mit einer gewissen Prise des Unanalysierbaren veredelte Architektur zu machen. Selbstverständlich sind die Wege dorthin mannigfaltig, sie führen in die verschiedensten Richtungen, und von den diversen auseinander liegenden Gipfeln ertönen dann die herausfordernden Schlachtrufe derjenigen, die sie erklommen haben. Mit anderen Worten: Jeder hält sein Credo für das einzig wahre, die Verächtlichkeit anderen gegenüber kennt kaum Grenzen, der Diskurs dazwischen kann ein fruchtbares Beet für alle Nachkommenden sein, die eigene Wege gehen wollen.

Doch engagierte neue Architekten, so Hafner, gibt es mittlerweile ohnehin so gut wie nicht mehr. Lauter dümmliche bis aalglatte Epigonen würden die Szene bevölkern, deren Helden offenbar schriftlich bespöttelt und verächtlich gemacht werden müssen. Ob das allein der Sinn einer Publikation sein kann, ist eine Frage, die sich von Kapitel zu Kapitel immer stärker aufdrängt.

Frank O. Gehry zum Beispiel, dessen Häuser man nun mögen kann oder nicht, ist sicher eine penetrante, doch nicht die uninteressanteste Erscheinung der Weltarchitektenschaft. Für Hafner, dessen eigene architektonische Produkte kaum je Aufsehen erregten, bleibt Gehry „Designer“ und der Produzent eines „Blechhaufens in Bilbao“ und der im Buch häufig beschworene Beelzebub einer grässlichen neuen Zeit: „So du ein ,zeitgenössischer' Architekt bist, einer, der wie ein Kork auf der Welle des Zeitgeschmacks schwimmt, mit den Lippen immer am Arsch der Mode, kannst du auch mit dem Architekten aus Venice, Kalifornien, sprechen.“ Wenn anderen, offenbar Gebenedeiteren, wie dem Autor, dieser Dialog verwehrt bleibt, bleibt auch offen, was Hafner eigentlich so abstoßend findet am Geist der Zeit. Die wenigen Helden, die er gelten lässt, heldenhafte Oldtimer wie Le Corbusier oder Louis Kahn (in dem er „einen verwandten Geist der Bemühung um die architektonische Form“ erkannte - immerhin), waren schließlich auch einmal eigenwillige Produkte des Geistes ihrer Zeit. So bleibt es Hafner, die „Mitgliedschaft im Mitläufertum der Avantgarde des Zeitgeistigen“ zu geißeln, sich über „läufige Architekten“ die „mit läufiger Hand entwerfen“ zu echauffieren und Leute wie Peter Cook zu bespucken, „der überall dort, wo es eine Blähung als Wohlgeruch eines Parfums zu verkaufen gilt, mit Methode und Engagement dabei ist“.

Zitate wie diese ziehen sich durch das gesamte Buch, kaum ein Absatz, der nicht dazu genutzt würde, andere verächtlich zu machen. Alle kommen dran, oft verschlüsselt und nicht einmal namentlich, wie etwa Helmut Richter, Hans Hollein, das Duo Domenig, Eisenköck, dann wieder deklariert und hingeschrieben wie in den Fällen Peter Eisenman, „Ms. Hadid“ oder „Hr. Prix“. Welcher Teufel Herrn Hafner hier geritten hat, bleibt unklar. Irgendwie liest sich dieses Buch wie das Wirtshaustischgranteln eines nicht mehr jungen Architekten bei ganz saurer Traube.

Nicht nur die Kollegenschaft wird abgelehnt, sondern auch der derzeit betriebene Städtebau, der Dekonstruktivismus, Architektur und Algorithmus, sprich der Computer als Entwerfer und Leute, die nicht die Gnade der späten Geburt haben und sich dennoch erlauben, ihn zu hinterfragen und zu benutzen. Hafner: „Es ist auch eine Frage des Alters - fünf bis zehn Jahre machen da schon einen Unterschied. Jemand, der sich 1968 einen Trichter vor's Maul hielt, weil er meinte, er müsse sich durch Lautstärke Gehör verschaffen, sollte heute nicht von Computern, Datenströmen und einer prozessualen Sicht reden.“ Warum er oder sie das nicht sollte, lässt die selbsternannte Instanz Hafner offen. Doch genau hier würde ein interessantes Buch eigentlich erst beginnen.


[Bernhard Hafner, Architektur und Sozialer Raum,
€ 30,20/350 Seiten, Löcker Verlag, Wien 2002.]

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