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Von griffig zu handgreiflich
Von griffig zu handgreiflich, Foto: Torsten Kern
Spectrum

Ernsthaft über Architektur zu reden oder zu schreiben erfordert vom Autor, das Erkennen von architektonischen Sachverhalten in eine andere Kategorie, in die der Sprache, zu übertragen. Dabei behindern falsche oder populistische Metaphern mehr, als sie nützen.

22. Februar 2003 - Walter Zschokke
Ein illustrierendes Wort, dessen Bedeutungsfeld einen komplexen Sachverhalt zu vermitteln vermag, spart manche Zeile langatmiger Erläuterung. Die Suche nach einer griffigen Metapher ist daher die halbe Arbeit, und die Freude des Autors, wenn eine vermeintlich oder gar wirklich gelungene Formulierung gefunden ist, drängt zuweilen zum Überschäumen. Doch gerade dann sind Bedenken berechtigt.

Uralt ist beispielsweise die Geschichte, daß die Wiener angeblich der durchbrochenen Scheinkuppel über dem Secessionsgebäude „Krauthappl“ sagen würden. Damit nicht genug, wird der Zusatz kolportiert, sie würden das „liebevoll“ tun. Abgesehen davon, daß höchste Vorsicht geboten ist, wenn in Wien wer etwas „liebevoll“ sagt, habe ich die vergangenen drei Jahrzehnte nie einen Wiener oder eine Wienerin vom „Krauthappl“ reden hören, sondern immer von „der Secession“. Mag aber sein, daß der Gegenstand dieser Geschichte, die den Touristen, die nicht die Zeit zum Verifizieren haben, von Fremdenführern immer wieder erzählt wird, daß also diese Bezeichnung kurz nach Fertigstellung des Gebäudes in einigen Presseerzeugnissen auftauchte und kurzzeitig Verbreitung fand.

Es braucht allerdings nicht viel Geschichtskenntnis, um zu wissen, daß das Secessionsgebäude, ein demonstratives Monument für künstlerische Erneuerung, damals ungewohnt war und deswegen in diffuser Weise abgelehnt wurde. Es ist daher zu vermuten, daß, wenn überhaupt, die Bezeichnung „Krauthappl“ abschätzig gemeint war und als Totschlag-„Argument“ gegen das Bauwerk und die künstlerischen und geistigen Ideen seiner Entstehungszeit gerichtet war. Daß die Tourismusindustrie heute am meisten davon profitiert, gehört zur Ironie der Geschichte.

Für eine architekturkritische Betrachtung ist die Metapher „Krauthappl“ jedoch untauglich, weil das kugelförmige Gebilde aus übergroßen, sparvergoldeten Lorbeerblättern durchbrochen und ersichtlich leer ist, was dem strukturellen Wesen eines Kautkopfs widerspricht. Von seiner architektonischen Wirkung her leicht, gewinnt die Blätterkuppel im Geviert der kurzen Pylone scheinbaren Auftrieb und symbolisiert eine Aura - eben jene eines Kunsttempels im damaligen Verständnis.

Ein anderes Beispiel steht in Dresden, an der berühmten Brühlschen Terrasse über dem Elbbogen in unmittelbarer Nähe zur Frauenkirche. (So etwas sollte man heute einmal versuchen wollen. Wir verzichten darauf, uns auszumalen, mit welchen Metaphern der Sturm der Entrüstung zuschlagen würde.) Es handelt sich um die Hochschule für bildende Künste, entworfen von Constantin Lipsius und 1894 fertiggestellt. Das vielgestaltige Bauwerk, soeben vorbildlich restauriert, wird überragt von einer gefalteten Glaskuppel, deren Struktur diagonal verstrebter Stahlrippen durch das leicht mattierte Glas durchscheint. Die elegante Kuppel nennt man in Dresden offenbar „Zitronenpresse“, wie der jüngst erschienenen Monographie mit zwei Politikervorworten entnommen werden muß.

Wenn der Volksmund in Sachsen so redet - soll sein. Zur Architekturbeschreibung taugt die Metapher nicht. „Sprich mit dem bauern in deiner sprache. Der wiener advokat, der im steinklopferhansdialekt mit dem bauern spricht, hat vertilgt zu werden.“ Rät uns dringend Adolf Loos. Darüber hinaus geht es um Größenverhältnisse: Eine Zitronenpresse ist ein handliches Küchengerät. Zur architektonischen Wirkung und zum Verständnis der gefalteten Glaskuppel sagt die Metapher nichts aus. Sie führt auf eine falsche Fährte. Was hat eine naive und oberflächliche Formanalogie mit Architektur zu tun, wo Material- und Lichtwirkung, starke Großform und Transparenz den Ausdruck bestimmen.

Nun könnte man einwenden, das sei alles lange her und es seien alte Geschichten. Leider nicht. Seit die haarsträubendsten Metaphern bei Politikern und Journalisten beliebt sind, glauben offenbar manche Architekturjournalisten, die unteren Metaphern-Schubladen seien zum Gebrauch freigegeben: „Neue Zürcher Zeitung“, 9. September 2002, es geht um das Siegerprojekt im Wettbewerb zur Erweiterung des „Landesmuseums“, das in Zürich neben dem Hauptbahnhof steht. Die Architekten Emanuel Christ und Christoph Gantenbein, beide wenig über 30 Jahre, haben ihn gewonnen. Schon zum Einstieg müssen sie sich vom Kulturredaktor als „Nachwuchsarchitekten“ abqualifizieren lassen. Im weiteren wird ihr Projekt mit den Metaphern „barocke Halskrause“ und „Keuschheitsgürtel“ belegt, weil der Autor mit dem Projekt, das dem späthistoristischen Bestand im Burgstil in äußerst spannungsvoller Weise nahetritt, sowie mit der Jury, die es anderen Projekten vorzog, nicht einverstanden ist.

Die Kritik, die er aus seiner Warte übt, ist sein gutes Recht. Der tendenziöse Versuch, unqualifizierte Begriffe zum allgemeinen Gebrauch in die Diskussion werfen, ist unverzeihlich. Es schadet der Architektur als Disziplin und der sachlichen, an das interessierte Publikum herangetragenen Diskussion, wenn derart beziehungslose Totschlag-„Argumente“ gezielt zum Weitergebrauch freigesetzt werden. Der Kritiker hat den billigsten Weg gewählt, die populistische Anbiederung an die Masse potentieller Neinsager, um von der geachteten Plattform seines Mediums aus eine Ablehnungsfront zu provozieren.

Deftige und süffige Metaphern kennzeichnen generell den Populismus. In diesem Fall sind sie so abwegig und in keiner Weise mit dem Wesen des Projekts in Beziehung zu bringen, daß sie auf den Autor zurückschlagen. Wohl mag er sich beim Schreiben die Hände gerieben und „Denen habe ich es aber gesagt!“ gedacht haben, aber um welchen Preis bezüglich seiner Glaubwürdigkeit gegenüber Fachleuten?

Es muß nicht immer eine öffentliche Streitfrage sein, die Anlaß für schwache Metaphern ist. In der „Neuen Zürcher Zeitung“ vom 10. Februar 2003 versucht ein anderer Autor über eine ganze Seite das Stadthaus Scharnhauser Park bei Stuttgart von Architekt Jürgen Mayer H., ein gewiß schwer greifbares Gebäude, diskursiv zu erklären. Irgendwo unterwegs wird die Fassade mit dem Bedienungsfeld eines DVD-Players verglichen. Wieder der proportionale Mißgriff, aber vor allem die Frage: Welcher DVD-Player, welche Marke, welches Jahr? Weiter unten wird ein Streifenmuster durch einen „Siebziger-Jahre-Stretchpullover“ illustriert. Hat jemand davon gesicherte Bilder im Kopf? Was sollen Sprachbilder, wenn davon keine gesicherten Vorstellungen erwartet werden dürfen?

Natürlich kommt es oft vor, daß unter Architekten beim Entwerfen und Erarbeiten eines Projekts im Atelier sich gruppenspezifische Codes und Übernamen für Teile oder das Ganze herausbilden, die für dieses oder jenes Element am Entwurf oder im Verlauf der Diskussionen im verschworenen Team eine Vorstellungshilfe oder einfach einen temporären Projektnamen liefern. Wenn sie aber zusätzlicher Erläuterung bedürfen, um von interessierten Laien verstanden zu werden, sind sie nicht öffentlichkeitstauglich und sollten die Büroräume nicht verlassen. Wenn Sprache der Verständigung zwischen Fachleuten und interessierten Nichtfachleuten sowie der Aufklärung letzterer im Interesse der Betroffenen dienen soll, dann sind Binnencodes und alle nebulösen Metaphern zu meiden. Jede Kultursprache ist reichhaltig genug, um Sachverhalte, die verstanden wurden, auch klar auszudrücken. Bleiben die Formulierungen verschwommen und sind die Begriffe unscharf, liegt der Verdacht nahe, daß die Schreibenden selbst nicht begriffen haben - wie sollen dann Lesende verstehen können?

Trotz Vorbehalten ist eine Metapher, die den anvisierten Sachverhalt oder auch eine Stimmung gut trifft, eine Bereicherung eines kritischen Textes. Dabei bilden nicht formale Ähnlichkeit, sondern strukturelle Vergleichbarkeit ein wesentliches Qualitätsmerkmal. Gerade bei Architektur verbieten sich Begriffe, die von der Größenordnung her nicht stimmen, weil Bauwerke immer in Relation zur menschlichen Gestalt zu sehen und zu verstehen sind. Ein Gerät ist etwas anderes als ein Möbel, und ein Möbel ist etwas anderes als ein Gebäude, und die Stadt ist die Stadt, auch wenn sich in den Grenzbereichen der Größenordnungen Überschneidungen ergeben, die zahlreiche Möglichkeiten bieten, gestalterische Spannungen zwischen ebendiesen Größenordnungen zu erzeugen und zu nützen. Aber das ist das Entwerfen und Gestalten selbst, nicht der schreibende Versuch, sich im Nachvollzug des Entwurfs mit den Mitteln der Sprache damit auseinanderzusetzen.

Unpassende Sprachbilder verstärken die Verwirrung in den Köpfen, besonders wenn ihre Entstehung und Existenz auf formalistische Eitelkeiten der Schreibenden zurückzuführen sind. Meist sind es der Dingwelt entlehnte Bedeutungen, die Bauwerken übergestülpt werden. Aber hier liegt die Hauptgefahr, denn Bedeutungen haften bloß zeitlich begrenzt an Bauwerken und Bauelementen.

Sie ändern und verlieren sich im Zeitenlauf, und durch Nutzung und gesellschaftlichen Kontext entstehen andere, neue. Im Interesse der Architektur tun wir gut daran, die Sprache der Beschreibung und Charakterisierung so zu wählen, daß diese nicht schon nach wenigen Jahren unverständlich geworden sind, weil Schlüsselformulierungen aus zeitgeistigen Metaphern bestehen.

Sprache im Umgang mit Architektur sollte sich daher unmittelbar an den Bauwerken und an deren Lebensdauer orientieren. Sie muß auf längere Sicht verständlich bleiben. Dann vermögen jene, die sich für das Thema interessieren, auch ohne Fachleute zu sein, mit etwas Übung immer besser den Ausführungen zu folgen und tiefer in den Gegenstand einzudringen. In einem zweiten Schritt läßt sich auch Neuartiges erklären und verstehen, weil die Wörter vertraut und ihre Bedeutungen bekannt sind.

Wenn Kritiker, die sich ja neuerdings „Architekturvermittler“ nennen, das allgemeine Architekturverständnis fördern wollen, müssen sie zuerst darauf achten, daß ihre Sprache in negativen wie in positiven Formulierungen von den Adressaten verstanden wird. Populistische Anbiederungen sind in diesem Zusammenhang kurzsichtig und wenig zielführend und daher verantwortungslos.

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