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„Die Werte des Lebens, der Freude zeigen“
Der Standard

Architekt Daniel Libeskind will auf Ground Zero in New York keinen nostalgischen Rückblick

7. März 2003 - Alexandra Föderl-Schmid
Als Daniel Libeskind 1960 an Bord der „SS Constitution“ um fünf Uhr früh zum ersten Mal New York sieht, prägt sich dem damals 14-jährigen Burschen aus dem polnischen Lodz das Bild ein: die Freiheitsstatue und die Skyline von New York mit dem World Trade Center. Er empfindet es „so wie alle New Yorker als Wunde“, dass seit dem 11. September eine Lücke in der Stadtsilhouette klafft. „Es fehlt ein Orientierungspunkt“, meint der Architekt und beschriebt, dass er „wie alle New Yorker“ das Gefühl habe, „es fehlt irgendetwas, man kann es nicht beschreiben, man fühlt es nur: Es fehlt etwas.“ Dieses Gefühl habe nicht nur New York, sondern die ganze Welt verändert.

Diese Lücke will Libeskind nun schließen: Sein Plan, den mit 541 Metern höchsten Wolkenkratzer der Welt entstehen zu lassen und die Fußabdrücke der zerstörten Türme als begehbares Denkmal zu erhalten, hat sich gegen Konkurrenten durchgesetzt. Der Architekt sprudelt nur so, wenn er von seinem „wichtigs- ten, spannendsten Projekt“ spricht, das rund 330 Millionen Dollar kosten und spätestens zum zehnten Jahrestag der Terroranschläge realisiert sein soll.

Einwände hinsichtlich der Realisierbarkeit seines Entwurfs wischt Libeskind im Gespräch mit Auslandskorrespondenten in Berlin einfach vom Tisch. Natürlich werde es Kompromisse geben: „Architektur ist immer Verhandlungssache.“ Aber die wesentlichen Elemente seines Entwurfs, die Anordnung der einzelnen Teile, der Platz des Denkmals, sein Turm werden erhalten bleiben. Der Turm werde „wie Phönix als Symbol emporragen in den Himmel von New York“. Sein Bauwerk werde „für Freiheit und Demokratie stehen, für die Kraft von New York“.

Ob er nicht als „Architekt von Denk- und Mahnmalen“ in die Geschichte eingehe? Libeskind lacht kurz auf: „Ich hoffe es sogar.“ Aber dass das Kriegsmuseum in Manchester und das Jüdische Museum in Berlin nur eine Traurigkeit verbreiteten, wolle und könne er nicht wirklich sehen. „Auch in New York geht es um die Werte des Lebens, der Freude statt einer nostalgischen Rückschau. Es geht um den Sieg des Lebens.“ Ground Zero solle wieder „ein Platz der Freude“ werden, wo Menschen arbeiten, wohnen und sich aufhalten.

Wie das Mahnmal genau ausschaut, dazu soll es noch einen weiteren Wettbewerb geben, an dem sich Libeskind nicht beteiligen will: „Mir war es sehr wichtig, eine große freie Fläche zu schaffen, einen Ort, der ruhig ist, an dem man sich sammeln kann.“ Er selbst sei immer wieder mit Freunden zu Ground Zero gegangen. Als Überlebender des Holocaust wisse er, wie wichtig Erinnerung und Gedenken sei. Und mit diesem Gefühl habe er sich an seinen Schreibtisch gesetzt und mit dem Entwurf begonnen, an dem in der Endphase 35 Mitarbeiter vor allem in Berlin beschäftigt waren.

Er selbst wird ruhig, wenn man ihn nach seinen Erfahrungen in Berlin fragt. „Ich habe hier einfach nicht den Geist vorgefunden wie in New York“, meint er knapp und fügt hinzu: Berlin habe eine großartige Chance verpasst, die Stadt architektonisch interessant zu gestalten. „Es sind nicht einzelne Gebäude, die das Ganze ausmachen.“ Libeskind konnte in Berlin zwar das Jüdische Museum durchsetzen, aber nicht die Wolkenkratzer für den Alexanderplatz.

Wenn die Schulferien in Berlin anbrechen, wird Libeskind mit seiner Frau und Tochter ganz nach New York übersiedeln. Aber Projekte in Europa verfolgt er weiterhin. So ist in Bern ein Shoppingcenter nach seinen Plänen in Bau, kleinere Projekte wie ein Anbau zum Jüdischen Museum in Kopenhagen. In Denver wird gerade ein Kunstmuseum realisiert.

Er könne sich auch vorstellen, im Irak etwas zu bauen, wenn der Krieg vorbei ist, antwortet er auf die Frage einer Journalistin aus dieser Region. Aber zu einem möglichen Krieg will er lieber nichts sagen, nur so viel: „Architektur ist immer etwas Positives, etwas in die Zukunft Gerichtetes. Immer.“

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