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Genießer mit Haltung
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Für die Zukunft wünscht sich Gustav Peichl, „kleine interessante Dinge“ bauen zu können, die „Kultur und Architektur weiterbringen“.

19. März 2003 - Georg Leyrer
„Mit der Architektur gegen den Zeitgeist“ will der österreichische Stararchitekt Gustav Peichl arbeiten. Denn dieser hat sich für Peichl, der seinen 75. Geburtstag feiert, „sehr, sehr verschlechtert“. Immerhin liefere jedoch die „politische Oberflächlichkeit“ und die „Nivellierung“ in der heutigen „eigenartigen Wohlstandsgesellschaft“ Stoff für Peichls zweite Berufung:

Im kommenden Jahr feiert sein karikaturistisches Alter Ego „Ironimus“ sein 40-jähriges Jubiläum. Das Feiern lässt sich der „Homo ludens“ Peichl jedenfalls nicht nehmen: „Ich bin einer, der gern genießt“, so Peichl im APA-Gespräch. „Ich glaube, dass Alter nichts mit dem Geburtsschein zu tun hat“, meint der Star-Architekt. Im Gegensatz zu seinem groß gefeierten 70er werde er diesen Geburtstag in kleinem Kreise begehen.


„Ironimus“ hat keine Stoff-Probleme

Auch in fast 40 Jahren gehe ihm der Stoff für seine „Ironimus“-Karikaturen für „Die Presse“ und die „Süddeutsche“ nicht aus:

„Ich könnte am Tag drei, vier Karikaturen machen, so viel ist los“, so Peichl. „Ich hab's ja leicht als Karikaturist: Die Ideen haben die Politiker, ich brauche sie nur aufzuzeichnen. Umgekehrt habe ich es auch wieder schwer, weil die aktuellen Ereignisse und die Realität die Karikatur oft übertreffen“.


"Mehr Ruhe und mehr Zeit

„Natürlich schaue ich gerne zurück“, meint Peichl mit einem Erich-Kästner-Zitat („Wird's besser? Wird's schlimmer?' fragt man alljährlich. Seien wir ehrlich: Leben ist immer lebensgefährlich“) auf den Lippen. „Für mich ist das Leben besser geworden. Ich habe mehr Ruhe und Zeit, spazieren zu gehen, zu lesen und zu zeichnen, nachdem ich mein Büro übergeben habe und Seniorpartner geworden bin“, so der 1928 in Wien geborene Peichl, der
u. a. mit seinen ORF-Landesstudio-Bauten international bekannt wurde.


Aktuelle Projekte

Zu den derzeit laufenden Projekten Peichls zählen u. a. die Neugestaltung der Wiener Messe. Weiters hat er kürzlich, mit Coop Himmelb(l)au und Wilhelm Holzbauer, einen Wettbewerb zur Gestaltung der „TownTown“ in Wien Erdberg gewonnen. Es gebe viele Anfragen aus dem Ausland, Kulturbauten würden derzeit in Wien und Österreich nur wenige gebaut.

Und privat will Peichl sich in seiner „eigenen Umgebung“, die er sich mit schuf, weiter „an den positiven und sinnlichen Dingen des Lebens“ erfreuen. „Das ist mein Garten, die Weinberge, Freunde, mein kleines Büro. Denn wenn ich den Zeitgeist betrachte - das kann doch nicht das Wahre sein“.


Kampfansage gegen Dekonstruktivismus

Die Welt jedoch, der Zeitgeist - dem gegenüber ist Peichl mit dem Alter „distanzierter“ geworden. „Werbegesellschaften und Marketinginstitute, das sind die Leute, die heute das Sagen haben“, die Oberflächlichkeit trete in den Vordergrund - auch in der Kunst. „Ein nackter Mann auf der Bühne ist heute gar nichts mehr, der muss schon eine Erektion haben“, so Peichl, dessen „Kampf gegen die Mode in der Architektur“ immerhin einen Teil-„Sieg“ verzeichnete:

„Ich weiß noch, wie ich gegen das Dekorativ-Postmoderne gekämpft habe. Jetzt ist es weg. Da habe ich gewonnen“. Weiterkämpfen wolle Peichl gegen „das Überhandnehmen des Dekonstruktivismus, gegen das Ausschalten der Konstruktion und der Funktion. Es interessiert ja nur wenige Architekten, ob sich ein Mensch wohlfühlt in einem Haus, ob sich das Gebäude in Landschaft und Stadtbild einordnet“.


Trend zur Nivellierung

Dem Computer „verfallen“ seien die jungen Architekten der „Mausklickgeneration, die leider nicht mehr zeichnet“. Es gibt „sehr viele gute junge Architekten in Österreich“, betont der langjährige Architekturprofessor der Akademie der bildenden Künste in Wien, wo er von 1949 bis 1953 auch die Meisterschule Clemens Holzmeister absolvierte.

Umso wichtiger sei es, dass diese Generation wieder mehr auf das Kreative achte und „nicht nur technokratische Sachen umsetzt“, sinnlich, nutzbar sein und die Leute müssen sich darin wohlfühlen". Der Trend gehe jedoch „weg von der Qualität, hin zur Nivellierung. Und nivellieren kann man nur nach unten“.


„Technokratische Auswahlkriterien“

Die wirtschaftliche Situation der jungen Architekten heutzutage sieht Gustav Peichl gespalten. „Einerseits haben diese es leichter als meine Generation, weil viel mehr gebaut wird“ und immer mehr Geld im Spiel sei als früher, so der Stararchitekt in seinem Büro mit Blick auf die Staatsoper. „Wenn ich mir überlege, wie ich als junger Architekt gewohnt habe“, so Peichl, der die „Durststrecke“ bis 1955 vor den ersten eigenen Aufträgen in einem Untermietszimmer auf der Mariahilferstraße residierte.

Für die jungen Architekten jedoch seien andererseits die „technokratischen Auswahlkriterien“ und das derzeit herrschende Wettbewerbssystem „schlimm“. Dabei kämen „nur Architekten zum Zug, die ein derartiges Projekt schon einmal gebaut haben. Das ist schrecklich und unfair, denn wie sollen junge Leute so schon mal etwas gebaut haben?“. Er selber habe vor dem Wettbewerb zur Gestaltung von sechs ORF-Landesstudios „noch nie einen solchen Bau errichtet. Dann habe ich gewonnen, und ein paar Jahre später galt ich als Spezialist“.


Student der Meisterklasse Holzmeister

Gustav Peichl, am 18. März 1928 in Wien geboren, studierte an der Meisterklasse Clemens Holzmeister an der Akademie der bildenden Künste. Der junge Mitarbeiter im Atelier Roland Rainer eröffnete 1955 sein eigenes Architekturbüro in Wien. Aufmerksamkeit erregte er in den sechziger Jahren mit dem Rehabilitationszentrum in Wien-Meidling und der Atriumschule in der Krim in Wien-Döbling.

Den Durchbruch zur internationalen Anerkennung brachten ihm in den 70er Jahren die von der Fachkritik einhellig gefeierten Bauten der ORF-Landesstudios von Salzburg, Innsbruck, Linz und Dornbirn, denen dann Graz, Eisenstadt und später St. Pölten folgten. Dass Technik und Natur nicht in unüberwindbarem Gegensatz stehen müssen, belegte Peichl mit international weit beachteten Bauten wie der Erdefunkstelle Aflenz und der Phosphat-Eliminationsanlage Berlin-Tegel.


Im Vorjahr Gastprofessor in Boston

1986 gewann Peichl den Wettbewerb zur Gestaltung der Bonner Kunst- und Ausstellungshalle, 1987 jenen für den Erweiterungsbau des Frankfurter Städel-Museums. Schlichte, klar gegliederte Baukörper und hohe Flexibilität zeichnen Peichls Kulturbauten aus, die, wie ein Architekturkritiker es ausdrückte, puristische Funktionalität mit jenem poetischen Assoziationsreichtum vereinen, den postmoderne Bauten häufig vermissen lassen. Peichl gestalte auch den Neubau der Probebühne für das Burgtheater (1991-1993), 2002 hatte er eine Gastprofessur an der Havard University in Boston inne.


Zahlreiche Auszeichnungen

Peichl ist Träger u. a. der Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich und um das Land Wien, des Preises und der Ehrenmedaille der Stadt Wien, des Steirischen Architekturpreises, des Großen Österreichischen Staatspreises, des amerikanischen „Reynolds Memorial Award“, des Mies-van-der-Rohe-Preises, des Berliner Architekturpreises, Ehrenmitglied des Bundes Deutscher Architekten und Ehrenmitglied des „Royal Institute of British Architects“ und des „American Institute of Architects“, Mitglied des Österreichischen Kunstsenats und der Akademie der Künste.

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