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Brücke mit nautischen Assoziationen
Neue Zürcher Zeitung

Ein neues Wahrzeichen für Boston

7. März 2003 - Roland D. Gerste
Während die Welt gespannt auf die Entwicklungen in Lower Manhattan schaut, wo vor gut einer Woche Daniel Libeskinds Projekt für Ground Zero gekürt wurde (1."3."03), geht in Boston fast unbemerkt eines der gigantischsten Stadterneuerungsprojekte der USA seiner Vollendung entgegen: Dieses „grösste zivile Bauprojekt in der Geschichte der USA“, wie es die Bostoner nennen, wird mit 14,6 Milliarden Dollar teurer werden als einst der Panamakanal. Sie vergleichen denn auch gerne den „Big Dig“ - offiziell: Central Artery / Tunnel Project - mit der Neugestaltung von Paris durch Baron Haussmann. In diesem Jahr nun geht es auf die sprichwörtliche Zielgerade: Das Projekt ist zu 85 Prozent fertiggestellt, und an der Vollendung im Jahr 2004 wird kaum gezweifelt. Trotz der viel gerügten Kostenexplosion ist die seit Jahren hämmernde, vibrierende, dröhnende Baustelle in letzter Konsequenz ein Segen für die geschichtsträchtigste Innenstadt des Landes.

In seiner Grösse ist das Projekt aber auch ein Menetekel, welches aufzeigt, wie schwer die Beseitigung von Bausünden der Vergangenheit wiegen kann. In den fünfziger Jahren, als die Begeisterung für chromblitzende Strassenkreuzer ebenso grenzenlos war wie die Vergötterung des Automobils als Verkörperung des amerikanischen Freiheitsideals, schnitt sich Boston sein Herz entzwei und legte einen Highway auf Stahlträgern mitten durch jenes Areal kopfsteingepflasterter Gassen, das als die Wiege der amerikanischen Unabhängigkeit gilt. Das wegen seiner Farbe bald als „grünes Monster“ bezeichnete Ungetüm führte an Stätten vorbei, an denen Samuel und John Adams, der später als zweiter US-Präsident amtieren sollte, zur Revolte gegen die englische Kolonialmacht aufriefen und die Patrioten bei der Boston Tea Party den zollpflichtigen britischen Tee ins brackige Hafenwasser kippten und damit König George"III den Fehdehandschuh hinwarfen. Hier, an einem der zentralen Orte des amerikanischen Mythos, wurde die Luft zunehmend bleihaltig: Aus den 75"000 Autos pro Tag, von denen die Väter der Central Artery 1959 ausgingen, wurden rund 250"000. An sechs bis acht Stunden pro Tag gleicht Bostons Hochstrasse heute einem in die Länge gezogenen Parkplatz.

Der Ehrgeiz, dreizehn Kilometer Highway zu bauen (die Hälfte davon unterirdisch) und das grüne Monstrum aus Bostons urbanem Antlitz zu tilgen, wird durch das Bestreben gekrönt, dies alles zu bewerkstelligen, ohne dass Downtown Boston auch nur für einen einzigen Tag geschlossen bleibt. Das Leben soll so unbeeinträchtigt wie möglich weitergehen, während mit modernsten Techniken die in beiden Richtungen meist vierspurige Stadtautobahn inklusive einer Anbindung des auf einer künstlichen Insel gelegenen Flughafens Logan entsteht. Das Wahrzeichen allerdings ist schon jetzt die Leonhard P. Zakim Bunker Hill Memorial Bridge, ein Meisterwerk der Ingenieurbaukunst: Entworfen wurde es vom Schweizer Architekten Christian Menn als eine aus zwei Dreiecken bestehende Konfiguration, die an einen Clipper aus Bostons grosser Zeit als Metropole maritimen Handels erinnert.

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