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Sinn für Material und Selbstdarstellung
Neue Zürcher Zeitung

Junge Architekten in Deutschland

Ihre kreativen Anregungen holen sich deutsche Nachwuchsarchitekten vorzugsweise aus den Niederlanden, aus Japan oder aus der Schweiz - was auch daran abzulesen ist, dass Materialien wie Sichtbeton und Glas in ihren Arbeiten omnipräsent sind. Die Dominanz internationaler Grossbüros erschwert ihnen allerdings oft den Durchbruch.

4. April 2003 - Frank Peter Jäger
Tobias Buschbeck versendet die Einladungen zu seinem Jour fixe per E-Mail. Seit zwei Jahren veranstaltet der 34-jährige Architekt in seiner spartanisch möblierten Kleinwohnung Vorträge - als geistigen Ausgleich zu dem Krankenhausprojekt, das er beruflich seit drei Jahren leitet. Fast alle Gäste sind Architekten, die sich für ein, zwei Stunden mit Aspekten der Ästhetik und der Theorie befassen möchten, wofür sie im Alltag kaum Zeit haben. Dabei kommen städtebauliche und architektonische Themen zur Sprache. Es wird aber auch über die Vorzüge der verschiedenen Werkstoffe diskutiert. So erfuhr gerade der Beton bei der jungen und mittleren Generation deutscher Architekten eine erstaunliche Renaissance. Dass er in den siebziger Jahren, im Zusammenspiel mit einem brutalistischen Duktus, beinahe die gesamte Architektenzunft in Verruf gebracht hatte, scheint vergessen.


Einfamilienhaus und Stadtdebatte

Die Frankfurter Architekten Michael Schumacher und Till Schneider setzen beispielsweise den Beton bei dem von ihnen entworfenen «Museum Speziallager» auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen bei Berlin ein. Dies ist ein untypisches Projekt für ein Büro, das vor allem mit nonkonformistischen Industriebauten und Geschäftshäusern auf sich aufmerksam machte. Das Museum soll - ergänzend zur vorhandenen Gedenkstätte - an die 10 000 Menschen erinnern, die nach 1945 im Lager umkamen, als es dem sowjetischen Geheimdienst NKWD als Gulag diente. Von aussen nimmt man das Gebäude als einen länglichen, gedrungenen Quader wahr. Die Aussenwand aus Beton ist so beschichtet, dass sie leicht glänzt und die umgebende Heidelandschaft mit den alten Baracken reflektiert. Im Inneren umfängt den Besucher ein weiter, fast fensterloser Raum. Er ist von fein gestreutem Licht erfüllt, das durch die Decke einfällt. Diese besteht aus einem dicht gereihten Gebälk aus Stahlträgern, auf dem eine Dachhülle aus getöntem Glas ruht. «Der gestalterische Schwerpunkt lag eindeutig im Innenraum», sagt die 28-jährige Nadja Hellenthal, die den Bau leitete: «Indem wir das Gebäude in den Boden einsenkten, mit einer geschlossenen Betonschale umgaben und eine meditative Lichtstimmung entwickelten, haben wir versucht, den Charakter einer Gedenkstätte mit der Aufgabe musealer Dokumentation in Einklang zu bringen.» Beispielhaft ist das Projekt auch für den kreativen Umgang mit allen Arten von Glas - mattiertem, getöntem und bedrucktem Glas sowie Glasbausteinen. Das mit demokratischen Idealen verbundene Transparenzverständnis eines Günter Behnisch ist passé, der Nachwuchs sucht nach subtileren Arten der Durchlässigkeit.

Angesichts leerer öffentlicher Kassen brach die jahrelang durch Fördergelder in Milliardenhöhe angekurbelte Baukonjunktur Ostdeutschlands Ende der neunziger Jahre wie ein Kartenhaus zusammen. Ausweichmöglichkeiten gab es für die Architekten keine, denn eine private Bauherrenkultur existiert in Ostdeutschland nicht. Wer baut, baut mit Fertighausherstellern. Vor diesem Hintergrund ist der Mut der beiden Leipziger Tom Hobusch und Wolf-Heiko Kuppardt bemerkenswert, die 2001, als öffentliche Aufträge nur noch spärlich tröpfelten, den Schritt in die Selbständigkeit wagten. Der Mut wurde belohnt: Nach einigen Kleinaufträgen konnte das Duo am Leipziger Stadtrand ein Privathaus realisieren, für das es den Architekturpreis der Stadt Leipzig erhielt. Das Haus für eine Apothekersfamilie zeigt zur Strasse hin mit seiner farbigen Fassade und den liegenden Fenstern formale Anklänge an die Neue Sachlichkeit. An der Gartenseite bestimmen die schmalen und breiten Sequenzen eines Achsenrasters die Front. In seiner stilistischen Unbefangenheit ist der janusgesichtige Entwurf typisch für die Herangehensweise der jungen Generation: Formale Fragen werden bezogen auf das Gebäude entschieden, anstatt sie grundsätzlich zu diskutieren.

«Es war gar nicht so verkehrt, dass wir in einer Phase des Abschwungs angefangen haben», sagt Kuppardt: «Man lernt sich zu behaupten.» Trotz neuen Aufträgen bleibt noch Zeit für ein Spielbein, die Initiative «L 21» (Leipzig 21) - eine 2001 von insgesamt fünf Architekturbüros ins Leben gerufene Plattform, die mit Diskussionen und Kunstaktionen die produktive Auseinandersetzung mit der Problematik leer stehender Häuser in der Messestadt sucht. Entgegen den Abrissplänen der Verwaltung engagierten sie sich für stadtverträgliche Wege der Schrumpfung. Inzwischen werden sie von der Kommune mit Planungsaufträgen in den Stadtumbau einbezogen.


Professionelle Öffentlichkeitsarbeit

Für die Kölner Architekten Frank Hausmann und Michael Viktor Müller bildeten Wettbewerbssiege bisher die entscheidenden Karrierebausteine. Jährlich nimmt das Büro an mehreren grösseren Ausschreibungen teil. Den Durchbruch brachte 1998 der Auftrag für das Verwaltungsgebäude des Nürnberger Energieversorgers EWAG. Er war das Ergebnis eines Wettbewerbs, auf den - wie sonst in Deutschland oft üblich - keine bittere Ernüchterung folgte: Der Baubeginn verschleppte sich nicht um Jahre, und die Ausführung ging nicht an den Hausarchitekten des Bauherrn. Auch Hausmann & Müller neigen zum Purismus. Zu diesem ästhetischen Kalkül gehört nicht zuletzt, dass sie an ihren von einfachen Grossformen geprägten Bauten «kalte» Materialien wie Aluminiumpaneele oder mattiertes Glas mit honigfarben leuchtenden Hölzern kombinieren, was zu einer kraftvollen Präsenz der Gebäude führt: etwa beim Betriebshof eines Gartenbauunternehmens im Eifelstädtchen Kall. Aus der mit gewellten Blechplatten verkleideten Fahrzeughalle kragt ein gestrecktes, holzgerahmtes Fensterband aus, hinter dem die Büros liegen.

Hausmann & Müller zählen zu den Mitinitiatoren des «club a», eines Vereins, der sich als Sprachrohr der jungen Kölner Architekturszene versteht. Mit einer Ideenkampagne zur Schliessung von Baulücken oder der Aktion «Ein Haus für dich», bei der Eigenheimentwürfe der Jungarchitekten verlost wurden, versuchten sie in den letzten Jahren Öffentlichkeit für ihre Arbeit herzustellen. Das versucht auch der in Berlin arbeitende Steffen Lehmann. Sein jüngstes und wohl bisher grösstes Projekt dieser Art war die mit zwei Kolleginnen initiierte Ausstellungsreihe «Space - Time - Architecture». Parallel zum Weltarchitektenkongress UIA wurden in 90 Berliner Galerien Gemeinschaftsprojekte von Architekten und Künstlern gezeigt, die im Grenzland der künstlerischen Gattungen angesiedelt waren.

«Internationales Networking» nennt Lehmann sein Erfolgsrezept. Nach dem Diplom an der renommierten Londoner Architektenschmiede AA arbeitete er mehrere Jahre in den Büros internationaler Stars wie James Stirling und Arata Isozaki. Die Lehrjahre in der Ferne und die dabei geknüpften Arbeitsbeziehungen ebneten dem heute 39-Jährigen den Weg nach oben - seine prominentesten Bauten konnte er als Berliner Partner von Christian de Portzamparc (französische Botschaft) und seines einstigen Mentors Isozaki verwirklichen. Doch der Architekt betrachtet Weltgewandtheit nicht als Qualität an sich. «Was man an Auslandserfahrungen mitbringt, muss man nach der Rückkehr mit den regionalen Bauströmungen zusammenführen.» Es sei heute wichtiger denn je, einen modernen Regionalismus zu definieren.

Einen vielversprechenden Ansatz zur «Vermarktung» von Architektur sieht Lehmann darin, sie mit Kunst zusammenzuführen. «So etwas kommt in der Wirtschaft sehr gut an», sagt Lehmann, der den Bund Deutscher Architekten in Sachen «Kunst am Bau» berät. Eine überzeugende Integration von Kunst und Bauen gebe es aber nur, wenn der Künstler schon in die Planung eingebunden werde. «Das Berliner Ausstellungsprojekt war eine grosse Ideenwerkstatt für Teamworks dieser Art.» Lehmann, aber auch seine jüngeren Kollegen aus Leipzig, Frankfurt und Köln haben sich in ihrem Selbstverständnis notgedrungen längst eingestellt auf ein gewandeltes Berufsprofil des Architekten: Sie suchen offensiv die öffentliche Präsenz und sind universelle Gestaltungsberater, Baumanager und Koordinierungsprofis in einer Person.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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