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„Dass er in gutem Ruf steht“
„Dass er in gutem Ruf steht“, Foto: Hans Bezard
Spectrum

Integrität, Engagement und das breite Wissen, das der Architektenberuf heutzutage erfordert: das zeichnete Reinhard Medek aus. Nachdenken anlässlich eines allzu frühen Todes.

19. April 2003 - Walter Zschokke
Vitruv schrieb vor bald 2000 Jahren in seinem Werk „Zehn Bücher über Architektur“ über „Die Ausbildung des Baumeisters“, dieser müsse „fleißig Philosophie gehört haben“, und begründet wie folgt: „Die Philosophie aber bringt den vollendeten Architekten mit hoher Gesinnung hervor und lässt ihn nicht anmaßend, sondern eher umgänglich, billig (im Sinne von angemessen) denkend und zuverlässig, und, was das Wichtigste ist, ohne Habgier sein. Kein Werk kann nämlich in der Tat ohne Zuverlässigkeit und Lauterkeit der Gesinnung geschaffen werden. Er soll nicht begehrlich und nicht dauernd darauf aus sein, Geschenke zu bekommen, sondern er soll mit charakterlichem Ernst dadurch seine Würde wahren, dass er in gutem Ruf steht.“

Diesen Vorgaben hat der 1944 geborene Reinhard Medek in selbstverständlicher Weise nachgelebt. Der plötzliche, allzu frühe Tod traf einen Architekten, der sich nicht als „Star“ in Szene setzte. Vielmehr war er ein Mensch, dessen kontinuierliches Arbeiten mehr zur Vertrauensbildung im Interesse der Architektur und der Architektenschaft beigetragen hat als so mancher hoch tönende Kollege. Mit ihm ist ein Architekt verstorben, der diesen Titel mehr als andere verdiente.

Als Mitglied einer Jury, die im Wettbewerb für eine Schulerweiterung zu urteilen hatte, erhielt ich die Gelegenheit, unter seiner Vorsitzführung zu arbeiten. Da gab es kein Vorprellen und voreiliges Sichfestlegen auf ein „Siegerprojekt“. Schritt für Schritt erarbeitete sich die gesamte Jury unter seiner Leitung eine genaue Vorstellung von jedem Entwurf, um sie dann gegeneinander abzuwägen. Die weniger geglückten Arbeiten wurden ebenso durchdiskutiert wie jene, die eine passendere Lösung versprachen. Ein Ausscheiden musste mehrfach begründet werden, und für Zynismen und Häme gab es keinen Platz. In einer abschließenden Diskussion wurde das bessere von zwei guten Projekten in der Folge klar erkannt, sodass der Juryentscheid einstimmig erfolgen konnte. Dabei forderte Reinhard Medek die Fachjuroren heraus, ihre Interpretation der Projekte klar zu formulieren, damit die wesentlichen Punkte offen zur Sprache kamen.

Ein nicht zu unterschätzender Ertrag dieses disziplinierten Vorgehens war, dass die Sachpreisrichter - Bürgermeister, Schuldirektor, Gemeinderäte - nicht überfahren wurden, sondern am Meinungsbildungsprozess teilnehmen und, wo fachlich nicht versiert, jedenfalls die Argumente nachvollziehen konnten. Obwohl der Entwurf in seiner Modernität keineswegs leichtgängig war, ist die Schule mittlerweile gebaut und sieht gut aus. Stärker als in beigeordneten Funktionen tritt beim Juryvorsitzenden der Charakter hervor, denn Macht macht transparent.

Mit seinem Büropartner, dem gleichaltrigen Manfred Nehrer, war Reinhard Medek seit Studienzeiten befreundet. Im Jahr 1970 begannen sie gemeinsam an Wettbewerben teilzunehmen, was ihnen einige Preise und mehrere Ankäufe eintrug. 1973 gelang der Durchbruch mit zwei ersten Preisen für das Bundesschulzentrum Deutschlandsberg und die HTBLA Klagenfurt. Seither besteht das gemeinsame Architekturatelier, das bei 107 Wettbewerben 18 erste Preise, ebenso viele zweite und dritte Preise sowie noch einmal so viele Ankäufe gewonnen hat. In drei Jahrzehnten Partnerschaft erhielten sie ihre Aufträge mehrheitlich über Wettbewerbe.

Sie belegen damit die wesentliche Rolle des korrekt abgewickelten offenen Architektenwettbewerbs für die Architekturkultur und für die Architekten selbst. Denn die Teilnahme dient vorerst dem Selbststudium und der Weiterbildung. Nach dem dritten durchgearbeiteten Schulbauprojekt beispielsweise hat man sich als junges Büro vielleicht so weit qualifiziert, dass beim vierten Mal ein erster Preis und ein Auftrag möglich werden und gerechtfertigt sind. Dieser wichtige Aspekt wird von engstirnigen Präqualifikationsverfahren vernachlässigt und verdrängt. Sie bedeuten daher nicht etwa Liberalisierung, sondern Erstarrung für den Berufsstand. Denn in einer weiteren Hinsicht geht es um konzeptionelle Innovation, die über das Mittel des Wettbewerbs sehr oft hilft, festgefahrene funktionstypologische Muster zu lockern und zu überwinden.

Die Projekte von Nehrer & Medek zeichnen sich aus durch konzeptionelle Stringenz, bauwirtschaftliche Ökonomie und die Integration neuer und neuester Erkenntnisse von Bauphysik und Ökologie, ohne jedoch diesbezüglich dogmatisch zu werden. Ein schönes Beispiel aus ihrer eindrücklichen Werkliste ist das Bundesgymnasium Lustenau. Die Stammklassen sind in Dreiergruppen zusammengefasst, denen Garderoben und eine kleine Halle als polyvalenter Gruppenraum, wie in der Fotografie ersichtlich, zugeordnet sind. Diese Einheiten bilden zusammen mit einem Netz von Gängen einen Cluster, in den ruhige Höfe eingeschnitten sind. Eine Dreifachturnhalle und die notwendige Schulinfrastruktur ergänzen die neuartige Anlage.

Es wird heute viel von einer völligen Neuordnung des Berufsbildes der Architekten geschrieben und geredet. Einerseits stimmt es: Immer mehr Aspekte kommen zu den bisherigen dazu, einzelne Aufgaben wurden ausgegliedert und ein eigener Beruf. Obwohl mittlerweile das Bauen stark industrialisiert ist, sind die Bauwerke technisch anspruchsvoller und komplexer als noch vor wenigen Jahrzehnten. Entsprechend aufwendig gestaltet sich der Entwurf von der ersten Skizze bis zur Ausführungsplanung. Andererseits haben sich städtebauliche Integration und architektonische Durcharbeitung vom Prinzip her nicht verändert.

Das bisher sehr breite Anforderungsprofil des Architekten ist noch breiter geworden. Zahlreiche Teilaspekte sind zumindest zu verstehen, damit sich die Konsequenzen für das Gesamtprojekt abschätzen lassen. In dieser nicht ganz neuen Situation schließen sich Architekten in Teams zusammen, deren Mitglieder verschiedene Segmente der Architektenleistung abdecken. Dies bedingt vor allem die Fähigkeit zur Zusammenarbeit.

Eine erfolgreiche Partnerschaft über mehrere Jahrzehnte, wie sie von Reinhard Medek und Manfred Nehrer mit ihren später dazugekommenen Partnern täglich gelebt und von Bau zu Bau erneuert wurde, hat daher Beispielcharakter. Wie die vielen Architektengruppen unter den jüngeren Fachleuten belegen, erblicken diese darin mehr Zukunftschancen als in der Rolle der genialen Künstlerarchitekten, denen leider nur mehr Fassadengestaltungen, kleinere Applikationen zu Großbauten oder etwa eine Inneneinrichtung übertragen werden. Oder sie gefallen sich darin, wunderschöne Modelle zu assemblieren, die dann von erfahrenen Architekturfirmen baubar gemacht und ausgeführt werden.

Allerdings vermögen die sogenannten Stars, die sich durch Eigenlob und selbstreferenzielle Medienpräsenz permanent in den Vordergrund drängen, einer Mehrheit der Architekturschaffenden schwerlich das richtige Vorbild zu bieten. Denn die meisten Bauaufgaben erfordern eine weniger präpotente Haltung und eine differenziertere Herangehensweise - wie von Vitruv gefordert und seither von vielen Architekten als Berufung ernst genommen. Von Reinhard Medek ließ sich in dieser Hinsicht einiges lernen.

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