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Peripherie gegen Zentrum
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Das Stadtmuseum von Hradec Králové gilt als Höhepunkt im Werk von Jan Kotera. In seiner Zeit sucht man vergeblich nach öffentlichen Bauten in einer ähnlich strengen und klaren Architektursprache.

24. April 2003
Hradec Králové, nordöstlich von Prag gelegen, gilt seit den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts als der „Salon der Republik“. Diesen Ruf verdankt die Stadt, die Jahrhunderte lang nach Prag die zweitgrößte und auch zweitreichste Stadt Böhmens war, nicht zuletzt der Blüte der modernen Architektur. Zuvor war die Mitgiftstadt der böhmischen Königinnen vor allem als Festung bekannt. Für mehr als 100 Jahre haben die militärischen Anlagen jede vernünftige Stadtentwicklung unterbunden. Erst 1884 wurde die Festung geschliffen und gab den Weg frei für neue urbane Ausrichtungen.


Fruchtbarer Boden

Die Entwicklung von Hradec Králové, ist verbunden mit der Person des Bürgermeisters Frantisek Ulrich (1859 -1939). Ulrich, seit 1895 im Amt, war ein gewandter Politiker und ein der Kultur aufgeschlossener Mensch. Sein Engagement galt insbesondere der Baukultur in Hradec Králové: Er war verantwortlich für die Koordination der städtebaulichen Planung, holte führende Architekten, deren Werke er gut kannte, in die Stadt und bemühte sich um attraktive Rahmenbedingungen. Zudem beschleunigte Ulrich das Wachstum der Stadt mit legistischen Maßnahmen zur Steuerbefreiung der Besitzer von Neubauten. So konnte Hradec Králové hinsichtlich der Qualität seiner neuen Architektur und der städtebaulichen Veränderungen schon bald mit Prag und anderen zentraleuropäischen Städten in Konkurrenz treten.

Ulrich lernte Kotera scheinbar schon während dessen Studienzeit bei Otto Wagner in Wien kennen.1901 beauftragte er ihn mit dem Projekt für das Bezirksgebäude in Hradec Králové. Einige Jahre später folgte das Projekt für das neue Stadtmuseum.

Die Bauten für die Stadt, an denen sich die schöpferische Entwicklung Koteras gut ablesen lässt, werden von Arbeiten für eine private Auftraggeberschaft in Hradec Králové ergänzt: Die Umgestaltung und Erweiterung des Grandhotel Urban (1910 -1911) und der nicht ausgeführte Wettbewerbsentwurf für die Kreditanstalt (1911).

Kotera beeinflusste das Stadtbild nicht nur als Architekt, sondern auch als Berater von Bürgermeister Ulrich und als Lehrer der Architekten, die später für Hradec Králové weiterarbeiteten. Sein direkter Nachfolger in Hradec Králové wurde Josef Gocár, Schüler Koteras an der Prager Kunstgewerbeschule.


Zweite Wahl

Koteras langjähriger Wunsch, zumindest einen bedeutenden Monumentalbau in Prag ausführen zu können, sollte nie in Erfüllung gehen. So wurde ein anderer Bau zum verfrühten Höhepunkt in seinem Werk: das Stadtmuseum für Geschichte und Kunstgewerbe in Hradec Králové von 1909 -1913.

In seiner anspruchsvollen Gestaltung reflektiert das Museum die kulturelle Aufbruchstimmung in der tschechischen Provinz. Man trat dabei kulturell und künstlerisch in Konkurrenz zum kosmopolitischen Prag. Dass dieses Unterfangen gar nicht so unrealistisch war, zeigt der Umstand, dass man in der Provinz auf innovative, moderne Architektur setzte, während die Metropole bei einem überbordenden Jugendstil blieb.


Unprätentiöser Zweckbau

Die Stadt stellte für das Museum eine Parzelle direkt an der Elbe zur Verfügung. Koteras erste Skizzen stammen wahrscheinlich von 1905. Trotz zahlreicher Veränderungen basieren alle Projektvarianten immer auf den gleichen Charakteristiken: Grundlegend sind die räumliche Disposition mit Ausstellungssaal, Vortragssaal, Bibliothek und Kuratorenbüros, ein dynamischer, asymmetrischer Grundriss, sowie die typischen Attribute eines „Tempels der Künste“, wie die monumentale Kuppel oder die Skulpturen von Stanislav Sucharda.

Die architektonische Gestaltung des Museums erfuhr über die Dauer des Projekts eine stetige Vereinfachung und Reduktion, bis Kotera zum strengen Ausdruck seiner eigenen Villa und des Hauses Laichter gelangte - hier freilich in einem völlig anderen, monumentalen Maßstab. In der damaligen Architekturlandschaft Zentraleuropas sucht man vergeblich nach öffentlichen Bauten in einer ähnlich strengen und klaren Architektursprache. Einzig Joze Plecniks Heiligen-Geist-Kirche in Wien-Ottakring von
1910-1913 entspräche dieser Tendenz.

Koteras Museum in Hradec Králové bricht bewusst mit dem Paradigma des pompösen Repräsentationsbaus. Es stellt sich gegen die übersteigerte Pracht von Museumsbauten nach dem Muster des National- oder des Kunstgewerbemuseums in Prag. Das Stadtmuseum will in erster Linie ein Gebäude sein,in dem gearbeitet wird. Dies findet seinen adäquaten architektonischen Ausdruck in der Mischung von monumentalen Tempelmotiven mit Formen der zeitgenössischen Industriearchitektur.

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