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Offene und komplexe Geometrien
Neue Zürcher Zeitung

Zwei Schulbauten von Stump & Schibli Architekten - Junge Schweizer Architekten

Im Jahre 1995 gründeten Yves Stump und Hans Schibli in Basel ein eigenes Architekturbüro und durften gleich drei Wettbewerbserfolge verzeichnen. Vor kurzem konnten nun die von ihnen realisierte Schweizerische Schule für Blindenführhunde in Allschwil und der erste Teil eines Sonderschulheims in Riehen eingeweiht werden.

2. Mai 2003 - J. Christoph Bürkle
Eine ungewöhnlichere Bauaufgabe als der Neubau der Schweizerischen Schule für Blindenführhunde ist kaum vorstellbar. Typologische Vorgaben gibt es hierfür nicht, denn das gerade in Allschwil bei Basel fertig gestellte Schulgebäude ist wohl einzigartig in Europa. Während auszubildende Hunde sonst eher in Waldnähe in notdürftigen Verschlägen untergebracht sind, konnte hier dank den Mitteln der gleichnamigen Stiftung sowohl architektonisch als auch betriebstechnisch eine hochkomplexe Anlage geschaffen werden. Denn die Ausbildung von Blindenhunden ist eine anspruchsvolle Sache, die viel Ausdauer und Einfühlungsvermögen benötigt. Die Architekten Yves Stump und Hans Schibli entwickelten hierfür eine dynamische und aussagefähige Architektur, die der Anlage eine ganz eigene Identität verleiht. Parallel zum Hang der weiten Wiesen- und Waldlandschaft legten sie eine lange «Funktionsachse», von der die einzelnen Hundetrakte abzweigen. Jeweils zwölf Boxen umschliessen einen Hof für den Auslauf.
Häuser als Lebensräume

Der Eingangsbereich der Anlage ist durch das doppelgeschossige Kopfgebäude definiert, in welchem der Verwaltungs- und der Ausbildungsbereich zusammengelegt und räumlich klar vom Bereich der Hunde getrennt sind. Am Anfang der internen Funktionsachse liegen die Garagen; hierher kehren jeweils die Hunde von ihren «Lehrgängen» in der Stadt zurück. Am Ende der Achse - hinter den Bereichen zur Fütterung und zur Reinigung der Hunde sowie den Boxen - liegen die grösseren Kojen für die Welpen und der Welpengarten. Die Anlage erinnert zunächst an eine Pavillonschule oder an ein gediegenes Hundehotel. Alles ist blitzsauber. Freundliche Hunde begrüssen den Besucher, ausschliesslich Labradore, weil diese sich charakterlich für die Aufgabe am besten eignen. Alles ist auf eine hundegerechte Haltung ausgerichtet. So wurden etwa die Türen der Boxen mit Fenstern versehen, weil die Tiere viel ruhiger sind, wenn sie Besucher und Personal sehen können. Zu den beigefarbenen Betonwänden kontrastiert das Flachdach, das in der hügeligen Landschaft bewusst als fünfte Fassade eingesetzt wird, gezielt mit türkisfarbenem Glasbruch und grünlich reflektierenden Oberlichtern.

Mit dem Gebäude für die Blindenhunde veranschaulichten Stump & Schibli auf eindrückliche Weise ihren architektonischen Ansatz, der darauf beruht, komplexe Strukturen in eine einfache, alltagstaugliche, aber dennoch komplexe Sprache zu übersetzen. Im Jahre 1995, als sie ihr gemeinsames Büro in Basel gründeten, konnten sie gleich in drei Wettbewerben erste Preise erzielen. Es handelte sich dabei um die bereits erwähnte Schule für Blindenhunde, um die Wohnsiedlung an der Brohegasse und um das Sonderschulheim «Zur Hoffnung» in Riehen, das ebenfalls vor kurzem fertig gestellt werden konnte. «Uns gefallen Gebäude, die so aussehen, als wären sie schon immer da gewesen», resümiert Yves Stump die eigene Arbeit, und mit dem Sonderschulheim ist ihnen ein solches Gebäude beispielhaft gelungen. Wie selbstverständlich gliedern sich die drei neuen Bauvolumen in die grosszügige Parklandschaft ein und bilden mit den bestehenden Patrizierhäusern ein gediegenes Architekturensemble.

Das vom Grossvater C. G. Jungs gegründete Sonderschulheim hat seit 1914 seinen Sitz an der Mohrhalde in Riehen. 1995 wurde der Wettbewerb für die dringend gewordene räumliche Erweiterung ausgeschrieben, deren erste Etappe vor wenigen Monaten bezogen werden konnte und deren zweiter Teil in einem Jahr fertiggestellt werden soll. Bereits vollendet sind zwei Wohnhäuser für je vier Wohngruppen und ein Betriebsgebäude mit Aula, Cafeteria, Büros und Sitzungszimmern. Zurzeit im Bau ist ein Schulhaus mit Turnhalle, Therapiegebäude und Hallenbad. In enger Zusammenarbeit mit der Heimleitung sind Lebensräume für Behinderte entstanden, die mit der gängigen Vorstellung eines Heims kaum etwas gemeinsam haben. Von aussen sehen die Häuser eher wie gediegene Villen aus. Dunkler Klinker verleiht den Kubaturen eine schützende, beinahe textil anmutende Hülle.

Das Leben der Behinderten in einem Haus und nicht in einem Heim ist hier Programm. Die Bauten nutzen geschickt das abfallende, für Behinderte nicht gerade ideale Terrain, so dass jede Wohnung einen Zugang nach aussen hat. Diese weite Öffnung zum Aussenraum erinnert an Ferienhäuser und erlaubt den Behinderten den ständigen Kontakt mit der Natur, der ein wichtiger Teil der Therapie ist. Direkt um die zentralen Versorgungskerne sind die Zimmer mit Wohn- und Spielflächen angeordnet. Durch das Vermeiden langer Korridore konnte ein familienähnliches Ambiente geschaffen werden. Die bodenlangen, zweigeteilten Fenster bieten zusammen mit einer tiefen, innenliegenden Nische Raum zur individuellen Gestaltung, der auch von aussen identifizierbar ist und der den Kindern Orientierung und Zugehörigkeit vermittelt. Es sind solche Kleinigkeiten, die grosse Auswirkungen auf die Bewohner haben und deren Benachteiligungen kompensieren können.
Verdichten des Entwurfsprozesses

Mit dem Sonderschulheim ist es den Architekten gelungen, die soziale Integration der zum Teil schwerbehinderten Kinder in unser modernes Leben anschaulich umzusetzen. Darüber hinaus ist es ein gutes Beispiel für die diskursive Zusammenarbeit zwischen Heimleitung und Architekten. Der moderne, zeitgemässe Ausdruck der Architektur verweist zunächst auf die «Normalität» der Bewohner. Zugleich zeigen die durchdachten Details und Funktionszusammenhänge, dass das behindertengerechte Wohnen den Entwurf in jeder Phase bestimmte. Schon durch das architektonische Konzept der Trennung von Wohn-, Schul- und Tätigkeitsbereichen ergibt sich für die Behinderten ein intensiveres Erleben des Tagesablaufes. Dieses Verdichten des Entwurfsprozesses zeichnet die Arbeiten von Stump & Schibli aus. Auf ein heterogenes Umfeld mit angemessener Konfrontation und mit mehrfacher Lesbarkeit auf das Vorhandene zu reagieren, darin sehen sie eine grosse Herausforderung. Dabei ziehen sie die alltägliche Architektur anonymer Bauten den exakt definierten Leitbildern vor. Ihre bisherigen Projekte zeigen eindrücklich, dass auf diesem Wege klare und nachhaltige Architekturen entstehen, deren Kraft sich erst bei näherer Betrachtung vollständig erschliesst.


[ Yves Stump und Hans Schibli stellen im Rahmen eines Vortrags ihre Arbeiten am Mittwoch, 7. Mai, um 18.30 Uhr im Architekturforum Zürich am Neumarkt 17 vor. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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