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Sack aufbreiten, Knopf aufmachen...
Der Standard

. . . und Architektur lustvoll erleben. Die junge Grazer Szene präsentiert sich mit einer ungewöhnlichen Ausstellung im Architektur Zentrum Wien.

10. Mai 2003 - Franziska Leeb
Gleichzeitig mit der aufwändigen, von Zaha Hadid gestalteten Ausstellung „Latente Utopien“ fand während des Steirischen Herbstes 2002 eine zweite Architekturausstellung statt. „Frische Fische aus dem Architektenpool“ hieß sie, und im Gegensatz zur Bilderflut der medial präsenteren Schau gab es bei den „Frischen Fischen“, die für die jüngste Architektengeneration stehen, (vorerst) nur wenig zusehen.

Der Kunstverein ARGE Loft bat 22 in Gruppen organisierte ArchitektInnen um Statements zu ihrer Arbeitsweise, die es in möglichst handliche Verpackungen zu verstauen galt. Eine Anleitung zum Entpacken war beizufügen. Nur diese und eine Aneinanderreihung individuell gestalteter Transportverpackungen - Sperrholzkisten, Kunststoffcontainer oder kleine Aluminiumköfferchen - gab es in Graz zu sehen. So mancher Ausstellungsbesucher fühlte sich angesichts unerfüllter Erwartungen zum Narren gehalten. Denn erst an den nächsten Ausstellungsorten der Frische Fische-Tournee, so das Konzept, sollten die Objekte entfaltet und die Inhalte der Packungen preisgegeben werden.

Es ist soweit. Im Architekturzentrum Wien wurden die Kisten, Säcke und Koffer nun erstmals geöffnet. Wie bei den bekannten Schokoladeneiern sind die Inhalte höchst unterschiedlich: überraschend, witzig und animierend, manche aber auch banal und kompliziert zu verstehen.

Dennoch, über die einzelnen Herangehensweisen lässt sich mehr herauslesen als aus manchem Rendering oder fesch aufbereiteten Fotodokumentationen.

Der Gruppe get zum Beispiel ist der Kontext zwischen den Polen Architektur und Freiraum ein Anliegen. Ihre Kiste entfaltete sich zu einem plüschig grün tapezierten Durchgang, in dem Säckchen mit Blumensamen zur freien Entnahme bereitliegen.

Auch andere machen sich mit „Give-aways“ beliebt. Samen und Pflanzkästen stylish aufbereitet gibt es von LOVE. Hans Peter Machné und Marianne Durig haben bedruckte T-Shirts im Gepäck. Die Kleidung steht für die „schutzgebende Haut“ eines Gebäudes, aber auch für „Materialwechsel“-Themen, die auch bei ihrem jüngsten realisierten Projekt, dem Gemeindezentrum Hopfgarten eine Rolle spielen.

Nutzen und user-gerecht arrangieren, was da ist, so legt die Gruppe Innocad ihre Projekte an. Tausende Bierdeckel liegen bereit, können entweder als solche verwendet, als Designobjekt in die Vitrine gelegt oder zu Kartenhäusern gefaltet werden. Kartenhausbauer sind aufgerufen, Fotos ihrer Kreationen an Innocad zu mailen. Der Sieger wird nach Graz eingeladen.

Die Mechanismen der freien Marktwirtschaft und wie man sich marketingmäßig am besten darin positioniert, haben die meisten kapiert. Und wenn mancher Beitrag den Eindruck erweckt, dass es erstrangig gilt, Hülle und Image zu verkaufen, dürfte man damit schon ganz richtig liegen. Von den Architekten der Gruppe purpur gibt es auch jetzt nicht mehr zu sehen als einen Metallcontainer mit Firmenlogo. Auch ein Statement.

Gleich bei drei Teams war ein Mobiltelefon in der Kiste. Jenes der X-architekten und der Gruppe n-o-m-a-d hängt - wohl als dreiste Aufforderung zur Kontaktaufnahme - an der Wand.

Bei non:conform, die Projekte gern entspannt im Baumeln und baumeln lassen entwickeln, darf man sich's dazu zumindest auf einer schicken Designerliege bequem machen.

Auch wenn der Name zeitgeistig klingt, die Supernett Architects versuchen abseits aktueller Trends zu agieren und suchen nach den universellen Prinzipien der Architektur. In sorgfältig gerahmten gläsernen Schaukästen präsentieren sie zwei ihrer Arbeiten, die bei Klassikern wie Mies van der Rohe oder Schinkel anknüpfen.

Die Ansätze sind heterogen, eines macht die Ausstellung aber deutlich: Einzelkämpfer sind selten geworden. Ökonomische Zwänge und neue Herangehensweisen an das Planen haben das Auftreten von Gruppen zur gängigen Praxis gemacht. Wie sie zusammenfinden?

„Wir kennen uns aus dem Zeichensaal“ ist eine häufige Antwort, wenn man Grazer Architektenteams nach ihrer Entstehungsgeschichte befragt. Exzessive Feste, legendäre Begegnungen und interessante Projekte hätten die Zeichensäle hervorgebracht, hört man. Die von Zeichensaalmitgliedern herausgegebene Publikation „open:24h - workground/playground“ beleuchtet den Mythos Zeichensaal für Außenstehende. Seit den 60er-Jahren sind die Architekturzeichensäle das kommunikative und kreative Universum der Engagierten, die sich nach außen auch stets als Eliten zu positionieren verstanden.

Nicht jeder hat Zugang. Dass die Nachfrage weitaus größer ist als das Angebot und dass es mittlerweile auch acht private Zeichensäle in Graz gibt, macht den eklatanten Mangel an Arbeitsmöglichkeiten an der Architekturfakultät deutlich. Von den Professoren werden diese in Selbstverwaltung organisierten Think-Tanks in Universitätsräumlichkeiten oft bekämpft, aber auch gefördert.

Hochbau-Professor Roger Riewe stellt zum Beispiel eine präzise Forderung: Jede(r) Studierende soll einen Arbeitsplatz bekommen und auf jeden Fall sollen die Zeichensäle autonom sein, denn nur so bliebe ihr innovatives und intellektuelles Potenzial gewährt.

Er stößt damit in das gleiche Horn wie die Ressortleiterin des Karrieren-STANDARD, Johanna Zugmann, die im Vorwort den Zeichensaal als Trainingsraum für die Arbeitswelt bezeichnet. Eine Leistung, die der professorale Frontalunterricht nicht leisten könne, so Zugmann. Und für die im wirklichen Architektenleben keine Zeit mehr ist.


[Architekturzentrum Wien Ausstellung „Frische Fische aus dem Architektenpool - Graz 03“ bis 26. 5.
Diskussion über aktuelle Tendenzen der Architekturpraxis und Konsequenzen für die Ausbildung sowie Präsentation der Publikation „open:24h - workground/ playground“ (Hrsg. Alois Gstöttner, Claudia Kappl,
Fabian Wallmüller, Claudia Zipperle; € 18,60/200 Seiten, Paperback, edition selene, Wien 2003.) am 21. 5., 19 Uhr im AzW]

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