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Poetisches Plastic
Neue Zürcher Zeitung

Eine Publikation über die Anfänge der Kunststoffarchitektur

7. April 2006
Die gebaute Umwelt hat immer zwei Seiten, eine konstruktive und eine ästhetische. Und weil beide nicht voneinander zu trennen sind, haben Elke Genzel und Pamela Voigt ein Doppelbuch über die Pioniere der Kunststoffbauten geschrieben: Die linke Buchseite ist jeweils für den Ingenieur, die rechte für den Architekten gedacht. So erhält man Auskunft über das Bauen mit einem Werkstoff, dem man in den fünfziger und vor allem in den sechziger Jahren zutraute, das Baugeschehen zu revolutionieren. Doch es blieb bei Träumen, denn über Prototypen oder eine geringe Serienfertigung kamen «Bulle Six Coque», «fg 2000» oder «Futuro» nie hinaus. Spätestens nach dem Ölpreisschock in den frühen siebziger Jahren waren die Produktionskosten für Häuser aus glasfaserverstärktem Kunststoff zu hoch.

Damals existierte das 1957 in Disney World errichtete «House of the Future» bereits nicht mehr. Das amerikanische Zukunftshaus zählt zu jenen zehn Beispielen, an denen die Autorinnen von der «Forschungsgruppe materialgerechtes Entwerfen» an der Bauhausuniversität Weimar Glanz und Elend der Kunststoffhäuser erläutern. Dazu gehören neben den Pionierentwürfen des Amerikaners Buckminster Fuller sowohl das wundervoll poetische Dach des Pavillons «Les échanges» von Heinz Hossdorf auf der Expo 64 in Lausanne, dessen schirmartige Struktur einem Blumenfeld glich, als auch die Überdachung der Tankstelle in Thun von Heinz Isler und der «Futuro», den der Finne Matti Suuronen 1968 entwickelte. Dank den an eine fliegende Untertasse erinnernden Formen genoss Suuronens Projekt viel mediale Beachtung, und es schaffte es laut den Autorinnen auf weltweit 35 Exemplare - nicht genug, um auch wirtschaftlich interessant zu werden. Abgerundet wird das lesenswerte Buch durch einen farbigen Fototeil, der den poppig- peppigen Zukunftscharme der Plasticbauten von Gestern noch einmal lebendig werden lässt.

[ Elke Genzel und Pamela Voigt: Kunststoffbauten. Die Pioniere. Verlag Bauhaus Universität, Weimar 2005. 288 S., Euro 69.-. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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