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Charme des Normalen
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Ein Industriebau in Strebersdorf, unprätentiös, einfach in den Mitteln. Auch ein Werk des architektonischen Anstands: Beweis dafür, dass Bauten an der Peripherie nicht zwangsläufig schäbig sein müssen.

15. April 2006 - Liesbeth Waechter-Böhm
Wann wird Niederösterreich in stadtplanerischer und architektonischer Hinsicht etwas dazu lernen? Ein solcher Prozess ist nicht abzusehen. Und Argumente, die Sonderbauten ins Visier nehmen, greifen einfach nicht. Das gebaute Niveau in einer Region wird um nichts besser, wenn einzelne Sonderbauten einen gewissen Anspruch einlösen (was in Niederösterreich sowieso selten genug geschieht). Das strahlt auf die Alltagsarchitektur praktisch nicht ab. In Niederösterreich sieht man das an den hilflosen Gestaltungsversuchen in den Dörfern, an den neuen Wohngebieten, die rund um die alten Kerne entstehen, an den sogenannten Hauptplatzgestaltungen der Städte, und dramatisch sieht man es an den Gewerbezonen, an den Industrieansiedlungen, die sich an den Peripherien in uncharmantester Weise festsetzen.

Tatsächlich gibt es aber Peripherien, die durchaus etwas wie Charme - oder vielleicht zutreffender: Atmosphäre - haben. Das war auch das Thema für zahlreiche Theoretiker. Aber für die neuen, immer weiter wachsenden und für die jeweiligen Gemeinden offenbar ungemein lukrativen Gewerbe- oder Industrieparks gilt nichts davon. Sie sind einfach nur schäbig oder schlimmer noch: unappetitlich. Da lässt sich nichts mehr relativieren. Es steht einfach alles kreuz und quer, und die Rechtfertigung beschränkt sich eigentlich immer darauf, dass der ökonomische Druck so groß sei, dass er keinen architektonischen Spielraum im Kosten-Nutzen-Verhältnis erlaubt.

Der auch größenmäßig relativ bescheidene Industriebau von Hubert Hermann - Büro Hermann & Valentiny - in Strebersdorf, fast schon in Niederösterreich, gerade noch in Wien, ist in diesem Zusammenhang durchaus interessant. Eben weil er ein so normaler Industriebau ist. Errichtet auf einem dreieckigen Grundstück, das eher preisgünstig war, weil einfach kein Mensch wusste, was man mit einem solchen Bauplatzzuschnitt anfangen kann. Und dann, weil die - ökonomischen - Vorgaben auch so normal waren. Keine Sonderkonditionen, kein spezifischer Ehrgeiz des Bauherrn, über die Architektur Image zu lukrieren. Alles ganz im üblichen Rahmen. Aber halt nicht von irgendeinem No-Name-Architekten, sondern von einem, der sich bei seiner Arbeit etwas denkt.

Hubert Hermann hat ein mehr als anständiges Resultat erzielt. Er hat das etwa 70 Meter lange Gebäude nicht nur städtebaulich richtig auf dem unbequem zugeschnittenen Grundstück platziert und damit wenigstens einen bescheidenen Beitrag zur Beruhigung des chaotischen Umfeldes geleistet, er hat auch einen zwar einfachen, aber durchaus interessanten Baukörper entwickelt. Es geht um ein Unternehmen mit Namen „Englisch Dekor“, das mit Stoffen handelt und diese auch zuschneidet. Gefordert waren ein Lagerbereich mit angeschlossener Zuschneidewerkstatt und ein gar nicht so kleiner Bürobereich mit verschiedenen Besprechungszonen. Insgesamt arbeiten hier etwa 15 Menschen.

Hermann konnte schon durch den Grundstückszuschnitt nur einen langgestreckten Baukörper errichten, der sich an der einen Seite noch dazu verjüngt. Aber das ist ja nicht schlecht. Vor allem, weil es an der Straßenseite zwei deutliche Akzente gibt. Die markanteste Zäsur setzt der Ladehof, der etwa mittig im Gebäude eingeschnitten ist und abends durch ein großes Schiebeelement geschlossen wird. Für eine gewisse Dynamik an der Straßenseite sorgt aber vor allem die Entscheidung des Architekten, den Bürobereich ins Obergeschoß zu verlegen und darunter einen Vorplatz zu schaffen, der sowohl gedeckte Parkplätze für die Geschäftsleitung als auch einen - ebenfalls gedeckten - Vorbereich für den Eingang schafft. Das geschieht mit Hilfe einer Gebäudeauskragung von etwa 20 Meter Länge bei einer Tiefe von ungefähr sieben Metern. Eine einzelne Stütze, die noch als Werbeträger für das Unternehmen genutzt werden soll, war nicht zu vermeiden. Nicht aus technischen, sondern aus Kostengründen. Es ist eben wirklich ein ganz normaler Industriebau.

Hermann hat auf unprätentiöse Weise ablesbar gemacht, worum es in den Gebäudeteilen links und rechts vom Ladehof geht. Schlichte Fensterbänder ziehen sich rund um das Bürogeschoß, mit großen Fixverglasungen und öffenbaren Fensterelementen in einem regelmäßigen Takt. Die Beschattungslamellen sind vielleicht etwas schmal, aber es werden auch noch Innenjalousien installiert, damit die Lichtverhältnisse für die Computerarbeitsplätze wirklich so regulierbar sind, wie es die Mitarbeiter individuell wollen.

Ein reizvolles Detail: Hermann konnte das Mobiliar für den Bürobereich selbst entwerfen. Er hat zu den einfachsten Materialien gegriffen - im Wesentlichen Holzfaserplatten -, sie wirken aber keineswegs billig. Das hat eher etwas von edlem Purismus. Und er hat Schränke entwickelt, deren Schiebetüren mit (gemusterten) Stoffen des Unternehmens bespannt sind. Das ist ausgesprochen gut gelungen. Es verleiht den Büroräumen Charakter.

Etwas eigenartig berührt war ich beim Betreten des Bürotraktes. Heutzutage ist alles dermaßen von Sicherheitsmaßnahmen dominiert, dass es einem schon unglaublich vorkommt, wenn man in ein Haus hineingehen kann und nicht gleich abgefangen wird. Hier geht man unten hinein - nüchterner, anthrazit beschichteter Betonboden, tomatenrote Wand, weißer Stiegenlauf -, aber kein Mensch ist da, der einen kontrolliert. Und das ist gar nicht schlecht. Im Oberstock wird man dann sowieso „empfangen“.

Auch der Lagerbereich ist gut gelungen. Es ist ein Hochregallager voller Stoffrollen, die Breite der Gänge zwischen den Regalen war durch den Gabelstapler vorgegeben. Wichtig ist: Es ist keine dunkle Angelegenheit; es gibt Oberlicht. Und im Bereich der Zuschneidewerkstatt sitzen dann auch wieder Fensterbänder in der Fassade. Von außen erscheinen diese Öffnungen natürlich irgendwie willkürlich - sie sind es aber nicht, und sie sorgen bei aller Ruhe für eine dezente Dynamik.

Wie gesagt, Hubert Hermann musste mit den einfachsten Mitteln auskommen. Das Haus wurde daher aus Betonfertigteilen errichtet, die mit Aluwellblech verkleidet sind. Das ist eine gute, nachhaltige Fassadenlösung, aber wirklich nichts Besonderes. Nur, wir bewegen uns eben nicht im Bereich des Besonderen, seine Arbeit ist vielmehr der Beweis, dass es auch auf dem unteren finanziellen Level architektonischen Anstand, architektonische Qualität gibt.

Das Gebäude umfasst zirka 1.800 Quadratmeter Nutzfläche. Der Architekt hat mir sein Baubudget genannt, ich konnte den Quadratmeterpreis ganz einfach ausrechnen. Dann kam ein Anruf. Er möchte nicht, dass der tatsächliche Quadratmeterpreis veröffentlicht wird - er fürchtet sich, dass dann lauter Bauherren kommen, die ebenfalls um diesen extrem niedrigen Preis von einem Architekten bedient werden wollen. Das ist fast schon wieder lustig.

Ich möchte aber doch die Klammer zu meiner Einleitung schließen: Da war von den Zuständen in Niederösterreich die Rede. Es gibt sicher das Gegenbeispiel Vorarlberg. Dort errichtet man Gewerbeparks, die nicht nur städtebaulich überlegt sind - Beispiel: Millenniumspark Lustenau -, sondern auch bemerkenswerte Einzelobjekte aufweisen. Als Außenstehender hat man fast das Gefühl, die einzelnen Unternehmen ebenso wie die Architekten würden sich am liebsten übertreffen. Das ist immerhin ein Weg für eine Gesellschaft, die auch ihrer Wirtschaft einen kulturellen Stellenwert beimisst.

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