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Haus Melnikow: Ein Erbstreit geht zu Ende
Der Standard

Das weltberühmte Meisterwerk des russischen Konstruktivismus ist seit Jahren Gegenstand eines familiären Erbkrieges.

30. April 2006 - Eduard Steiner
Nach dem Tod des bisherigen Besitzers, Viktor Melnikow, Anfang Februar machte der Verdacht von Grundstücksspekulationen auf dem Gebiet des Weltkulturdenkmals Schlagzeilen. Sollten die neuen Eigentümer aber, wie zuletzt beteuert wurde, einen denkmalschutzgerechten Umgang mit dem Gebäude an den Tag legen, wäre das auch ein Musterbeispiel für den gesamten russischen Denkmalschutz.

„Wir sind alle zerstritten, die Familienbande zerstört“, beklagte Viktor Melnikow noch vor wenigen Monaten gegenüber dem STANDARD das familiäre Gerangel rund um das Erbe seines Vaters Konstantin. Dieser hatte 1927 das Symbol des russischen Konstruktivismus und gleichzeitig Meisterwerk der Weltarchitektur in Moskaus Zentrum, gleich neben der Flaniermeile Arbat, errichtet.

Das Atelier-Wohnhaus aus zwei einander überschneidenden Zylindern mit sechseckigen Wabenfenstern hatte sich vor den Villen des 20. Jahrhunderts wie ein kosmischer Flugapparat ausgenommen. Heute steht es versteckt zwischen den hohen Wohnblocks, hortet die gesamte Sammlung von Melnikows Werken und harrt seit Jahrzehnten der adäquaten Pflege und Restauration.

Nach dem Tod seines Vaters hütete Viktor das Melnikow-Haus. Immer mehr fürchtete er, dass eine seiner beiden Töchter, Jelena, zwecks Grundstücks- und Immobilienspekulationen das Haus um mehrere Dutzend Millionen Dollar verkaufen würde. Anfang März des Vorjahres ließ der 91-Jährige daher mit einer Sensation aufhorchen: Er vermachte die Hälfte des Wohnhauses mitsamt der Werk-Sammlung dem Staat.

„Das Haus darf nur Museum für meinen Vater und mich, der Zutritt nur Auserwählten erlaubt sein“, formulierte er auf Anfrage des STANDARD seine Forderung an den Staat. Die zweite Hälfte des architektonischen Meilensteins überschrieb er seinem Enkel Alexej Ilkanajew - wohlgemerkt ohne Wohnrecht.

Am 5. Februar dieses Jahres verstarb Viktor Melnikow. Und Mitte März wurde plötzlich bekannt, dass Ilkanajew seinen Anteil am Haus verkauft hat. Neuer Besitzer einer Haushälfte ist nun Sergej Gordejew, seines Zeichens Abgeordneter des burjatischen autonomen Kreises Ust-Ordynsk im Oberhaus des russischen Parlaments, Vizedirektor des nationalen Judoverbandes und Gründer der Firma Rosbuilding, deren Direktor er bis 2003 war.

Die Medien reagierten hellhörig, zumal Gordejew vom berühmten und in wirtschaftlichen Machenschaften berüchtigten russischen Sänger Josif Kobson ins Spiel gebracht wurde, und argwöhnten, dass Gordejew das gesamte Haus in sein Eigentum überführen und allein über dessen weiteres Schicksal verfügen werde.

Laut der Zeitung Kommersant hat sich gerade Rosbuilding in den vergangenen Jahren das berüchtigte Image einer Firma zugezogen, die aggressiv alte Unternehmen aufkauft, schließt und das Grundstück teuer verwertet. Außerdem ist es in Moskau durchaus nicht ungewöhnlich, dass irgendeine Privatstruktur Wohnungen oder Häuserteile aufkauft, das ganze Haus dann urplötzlich - wie die berühmte Manege vor dem Kreml - abbrennt, ein Rechtsstreit mit den Besitzern mit dem nötigen Kleingeld ausgefochten und dann eine lukrative Immobilie in Umgehung etwaiger Vorschriften des Denkmalschutzes hochgezogen wird.

Jedenfalls erwähnte Gordejew den Kauf des Hausanteils nicht, als er zwei Wochen zuvor in einem Interview plötzlich die Liebe zur „eigenständigen Linie der russischen Architektur“ erklärt hatte, und zwar konkret zum Konstruktivismus und noch konkreter zum Melnikow-Haus sowie zum ebenfalls verfallsgefährdeten Narkomfin-Haus des Moisej Ginsburg.

Beide Gebäude befinden sich auf der World Monuments Watch list der hundert am meisten gefährdeten Denkmäler. „Man könnte sagen, dass mich der Staat gebeten hat, den Teil am Melnikow-Haus zu kaufen“, erklärte Gordejew auf die Frage des Kommersant, wie es ihm gelungen sei, die Zustimmung des Staates zu erhalten. Er persönlich wolle „in der gegebenen Situation einfach helfen“ - konkret dem Direktor des Staatlichen Architekturmuseums David Sarkisjan, der einen Architektur-Fond der russischen Avantgarde gründen will. Auch wolle er helfen, Mittel für die Restauration des Melnikow-Hauses aufzustellen, das nach Vorgabe des Moskauer Architekturmuseums als Museum geführt werden solle.

Die Sache hatte jedoch einen Haken. Schon eine Woche nach dem Tod Viktor Melnikows ging Tochter Jelena vor Gericht und erhob Anspruch auf den Staatsanteil. Sie bezog sich auf eine Schenkungsurkunde, mit der ihr Vater ihr das Haus im Jahr 2003 überschrieben habe. Tatsächlich hatte er damals dieses Dokument unterzeichnet, gewann aber anschließend den Gerichtsprozess, da er glaubhaft machen konnte, dass seine Tochter ihn, der so gut wie blind sei, irregeführt hatte.

Am 16. März nun wurden Details bekannt, die einen Schlussstrich unter die langen Gerichtsgefechte setzen dürften: Jelena Melnikowa erklärte, den Wunsch ihres Vaters zu unterstützen, das Melnikow-Haus zu bewahren und in ihm ein Museum zu errichten. Jelenas Schwester Katja, die in dem ganzen Streit immer aufseiten ihres Vaters stand und nun nach seinem Tod im Melnikow-Haus wohnt, traut dem Frieden noch nicht ganz. Wie sie dem STANDARD gegenüber sagte, vermute sie, dass Jelena von vornherein mit Gordejew unter einer Decke gesteckt habe und ihm ihren Hausanteil verkaufen wollte, sodass Gordejew das Haus zu einem eigenen Museum hätte machen können. Dass sich Jelena derzeit beruhigt habe, sei nur auf die Tatsache zurückzuführen, dass sie keine Varianten für einen Spielraum für sich erkenne.

Gordejew selbst erklärte in einem Studiogespräch bei Radio Echo Moskvy, das Haus unter der Bedingung einer Museumsgründung gekauft zu haben. Auch behauptete er, nach Regelung aller rechtlichen Verhältnisse das Haus dem Staat zu übergeben und mit eigenen Mitteln gänzlich restaurieren zu wollen. Jedenfalls werde er nicht darin wohnen und es trotz des aufgrund seiner Lage äußerst wertvollen Grundstücks nicht weiterverkaufen.

Zur Untermauerung seiner nichtspekulativen Absichten kündigte er an, sich für die Verbesserung der schwachen Gesetzeslage im Denkmalschutz stark zu machen und erntete damit Sarkisjans Beifall. Bisher nämlich steht die Strafe für Verletzung des Denkmalschutzes in keinem Verhältnis zu möglichen Vorteilen aus diesbezüglichen Spekulationsgewinnen.

Ein sensibler Umgang mit dem Melnikow-Haus wäre ein musterhafter Präzedenzfall für den gesamten russischen Denkmalschutz. Gerade den Zustand der meisten Architekturen aus den Jahren von 1920 bis 1950 bewerten Experten seit Langem als katastrophal.

Bislang jedoch hat Gordejew seinen Anteil am Melnikow-Haus dem Staat nicht übergeben. Die Ankündigung sei nur ein Lippenbekenntnis, meint Katja. Überhaupt hänge derzeit alles vom Staat ab: „Die Sache hängt in der Luft.“ Noch sei die Frist zur Anmeldung von Erbansprüchen nicht abgelaufen. Ab dem Sommer wisse man mehr.

Soeben ist eine Internationale Konferenz zur Wahrung des russischen Kulturerbes aus dem 20. Jahrhundert in Moskau zu Ende gegangen. In einer Resolution wird gefordert, dass der Staat die zehn Melnikow-Gebäude aus dem Moskauer Denkmalschutz in den Bundesdenkmalschutz überführt und sie in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes aufgenommen werden.

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