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Wem gehört die Stadt?
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Die Gestaltung des öffentlichen Raums darf nicht jenen überlassen werden, deren Verschönerungsvorschläge einzig auf die Steigerung des Konsums und auf Maximierung des Profits zielen. Anmerkungen am Beispiel Graz.

6. Mai 2006 - Karin Tschavgova
Die Attraktivität der Stadt - ge meint ist die europäische Kern stadt - wird durch ihre öffentli chen Räume und das dort pulsierende Leben charakterisiert. Natürlich haben sich die Touristiker diese Erkenntnis längst zunutze gemacht und weisen im vermarktbaren Bild von der historisch gewachsenen Stadt dem baukulturellen Erbe die Rolle des attraktiven Hintergrunds städtischen Lebensgefühls zu. Historische Bauten allein vermögen jene Atmosphäre nicht herzustellen, die den Reiz einer Stadt ausmacht - es ist die städtische Öffentlichkeit, die stadterhaltend wirkt.

Wie die Stadt hat sich der Öffentlichkeitsbegriff sozialgeschichtlich gewandelt, und man kann heute nicht mehr von der einen bürgerlichen Öffentlichkeit sprechen, die sich des zentralen Marktplatzes als Bühne ihrer Selbstdarstellung bediente, sondern genaugenommen von mehreren Öffentlichkeiten, die in einer Stadt parallel nebeneinander existieren.

Allen den Raumbegriff angeblich revolutionierenden virtuellen Realitäten, den Datenhighways und Cyberspaces zum Trotz ist der öffentliche Raum bis heute Bühne kultureller Repräsentation. Stadtbildend ist nicht nur die Konzentration vieler Funktionen auf engem Raum, auch die intensive Nutzung der „Stadtlandschaft“ - der Plätze, Straßen, Parks und zentrumsnahen Naturräume - durch ihre Bewohner macht Urbanität aus. Daraus lässt sich schließen, dass die europäische Kernstadt ihren Bewohnern öffentliche Räume als „soziale Orte“ in möglichst großer Diversität anbieten muss, will sie als vitaler Organismus überleben.

Glücklich die Städte, deren gewachsene Strukturen so starke Attraktoren darstellen, dass sie der drohenden Entleerung der Zentren entgegenwirken können.

Graz ist (noch) so eine Stadt. Auch vor ihr hat die europaweite Suburbanisierung, die Abwanderung innerstädtischer Bewohner in Randbezirke und Umlandgemeinden, nicht Halt gemacht. Dennoch: Obwohl die Zahl der Bewohner des Zentrums kontinuierlich sinkt, ist die Innenstadt belebt. Mögliche ausschlaggebende Faktoren sind historisch und kulturell begründet, stehen in Zusammenhang mit der Stadtgröße und der zentrumsnahen Lage ihrer Gründerzeitviertel. Faktum ist: Graz besitzt mit seiner baukulturell bedeutenden Altstadt eine touristische Attraktion. Mit Burg und Landhaus als Schaltstellen der politischen Macht der Steiermark und dem Rathaus sind die drei wichtigsten Verwaltungs- und Dienstleistungseinrichtungen im Zentrum vereint.

Graz ist eine Studentenstadt. Mehr als 35.000 junge Menschen verteilen sich auf drei Universitäten, deren Hauptstandorte trotz Expansion zentrumsnah erhalten geblieben sind. Die Stadt hat ihre innerstädtischen Plätze nach dem in den 1980er-Jahren vom damaligen Vizebürgermeister Edegger initiierten Gestaltungsprogramm „Platz für Menschen“ in verkehrsberuhigte Außenräume umgewandelt, die nicht nur attraktiv sind, weil historische Fassaden ihre Rahmung bilden, sondern auch weil das beinahe mediterrane Klima des Grazer Sommers ermöglicht, aus Straßen- und Platzräumen öffentliche „Living Rooms“ zu machen.

Graz gilt vor allem aufgrund seines vielfältigen Angebots an Frei- und Grünräumen, die fußläufig erreichbar sind, als Stadt mit hoher Lebensqualität. Wer genau schaut, bemerkt jedoch, dass auch hier der öffentliche Raum einer Transformation unterliegt, die seine Nutzungsoffenheit einschränkt. Einkaufen und Spaß haben sind gängige Leitbilder der Erlebnisgesellschaft. Auch in Graz glaubt man, die Stadträume durch temporäre Ereignisse in Szene setzen zu müssen, um sich gegen die Konkurrenz der bequem zu erreichenden, allwettertauglichen Erlebnisräume der Shoppingcenter behaupten zu können. Im Jahreskreis sind Stadtmarathon und Beachvolleyball, Hamburger Fischmarkt und die Präsenz steirischer Biobauern, „Aufsteirern“ und Adventmarkt kommerzialisierte Veranstaltungen, die den Kaufkraftabfluss aus dem Zentrum stoppen sollen. Zu einer erstarkten Identität verhelfen sie der Stadt sicher nicht. Für den Innenstadtbewohner wie für den Stadtliebhaber sind diese lärmigen Events mit all ihren lästigen, den Bewegungsradius einschränkenden Begleiterscheinungen nichts als ein Ärgernis. Die totale Verkommerzialisierung der Stadt führt dem Citoyen ohnehin der tägliche Hindernislauf in der Fußgängerzone vor Augen, wo Verkaufsmöbel aller Art neben Werbetafeln Gehsteige und Wege verstellen.

Kein Wunder, dass der passionierte Grazer sich skeptisch gegenüber dem Ansinnen einiger Gastronomen am Freiheitsplatz zeigte, die Platzausschmückung selbst in die Hand zu nehmen, nachdem der vorangegangene Umbau des Platzes durch die Stadtbaudirektion keinerlei Gestaltungsambition erkennen ließ. Auch wenn ein Platz nicht alle Partikularinteressen vereinen kann, so darf die Gestaltung des öffentlichen Raums nicht jenen überlassen werden, deren Verschönerungsvorschläge ausschließlich auf die Steigerung des Konsums und auf Profitmaximierung zielen. Straßen, Plätze und Parks müssen frei zugänglich bleiben und freigehalten werden von Konsumzwang, denn sie sind traditionell fast die einzigen Orte, die jedem zur Verfügung stehen, um sich zu inszenieren, zu sehen und gesehen zu werden.

Dass die Unterordnung öffentlicher Belange, Interessen und Räume unter die Verwertungslogik einer Stadt weitreichende Folgen für die gewachsenen Strukturen haben kann, zeigt als aktuelles Beispiel die „Wiederbelebung“ des Hilmteichs, eines von Spaziergängern und Läufern stark frequentierten Grazer Naherholungsgebiets. Das Restaurationsgebäude wurde vom Besitzer, den Grazer Stadtwerken, nach Jahren mit glücklos agierenden Pächtern an einen namhaften Blumen- und Gartenbetrieb abgegeben, der das Gebäude für seine Zwecke adaptierte und sich dabei den großzügigen Vorplatz zum Teich als Präsentationsraum im Freien einverleiben durfte. Dieser Vorplatz, im Sommer traditioneller Wartebereich für die Bootsfahrt und im Winter als Schuhwechselplatz und Einstieg für Eisläufer genutzt, wurde damit als öffentlicher Raum eliminiert. Der verbleibende Durchgang ist eng und pfercht den Strom von Spaziergängern mit Kinderwagen, Rad fahrenden Kleinkindern und Hunden in einen käfigartigen Korridor zwischen Zaun und Geländer.

„Die Reformulierung der Stadt europäischen Typs beginnt mit der Wertschätzung des Raumes als Medium der Kommunikation, der sozialen Interaktion und der Identifikation. In diesem Sinne brauchen Handel und Stadt einen dritten Partner - und dies ist der Typ des ,Städters', der als gesellschaftliches Wesen agiert, kultivierte Orte und Räume braucht, um sich selbst darin zu finden, Schönheit genießt und Kreativität anderer sucht, auch weil dies, alles zusammengenommen, zu den Produktivitätsfaktoren der Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts zählt“, schreibt Wolfgang Christ, Architekt und Städtebauprofessor in Weimar. Der Bewohner des Stadtzentrums muss Akteur bleiben können. Will die Stadt ihn halten, so muss sie ihm freien Bewegungs- und Handlungsraum bieten. Wird er an den Rand gedrängt, so geht er - an den Stadtrand.

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