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Moderne hinter Styropor
Spectrum

Jede Bauepoche blickt in der Regel verächtlich auf ihre Vorgängerin. Oft legt sie auch Hand an, meist zum Schaden der Gebäude. Jetzt geht es Roland Rainers ORF-Bauten auf dem Küniglberg an die Außenhaut. Zeit, die Spirale zu durchbrechen!

28. Mai 2006 - Walter Zschokke
Würde man heute den Strebepfeilern und dem Chormauerwerk einer regional bedeutenden go tischen Kirche eine Außendämmung verpassen? Wohl kaum. Dennoch sei daran erinnert, dass die Bezeichnung „stile gotico“ im Italien der aufkommenden Renaissance abschätzig gemeint war, dass die heute selbstverständlich und positiv besetzte Benennung der Baukunst einer hochmittelalterlichen Epoche zuerst ein Schimpfwort war. Dasselbe gilt für die Begriffe „Barock“ oder auch „Zopf“, die den frühen Neoklassizisten dazu dienten, die Formenvielfalt und Schwelgerei der vorangegangenen eineinhalb Jahrhunderte zu diffamieren.

Wer sich aber heute weder von der geschmäcklerischen noch von der Partei nehmenden Seite den Phasen der Architektur- und Baugeschichte nähert, wird in jedem Abschnitt herausragende, geglückte und weniger geglückte Bauwerke finden, und je tiefer man in das Wissen über das Bauen und die Architektur eindringt, desto mehr wird man die Bauwerke und die gewonnene Erkenntnis genießen können. Ob dies nun Gotik, Barock, Historismus oder die noch billig zu schmähende Nachkriegsmoderne sei. Denn es ist nicht der vordergründige Effekt, der das Wesen von Architektur ausmacht.

Wäre es da nicht an der Zeit, diesen Mechanismus zu durchschauen, der Auftraggeber und Architekten die jeweiligen Vorgänger schlecht machen lässt und für die Qualitäten im Schaffen der Vätergeneration blind ist. Interessanterweise sind es dann die Enkel, die den Arbeiten ihrer „Großväter“ - neuerdings auch von „Großmüttern“ - Sentiment entgegenbringen - und nebenbei die Bauten von „Vätern“ und „Müttern“ scheußlich finden, ihrerseits wieder „das Kind mit dem Bad ausschütten“ und dieses beliebteste Muster der Moderne weiterführen.

Müssen wir diese wertevernichtende, alles andere als nachhaltige Spiralbewegung als „anthropologische Konstante“ hinnehmen? Vielleicht ja, wenn Architekturgeschichte nur als oberflächliche Stillehre unterrichtet wird, um hernach wie Rechnen geprüft zu werden. Jedoch nein, wenn Architekturgeschichte, falls sie denn überhaupt noch gelehrt wird, zum Wesen der Baukunst einer Epoche hinführt, wenn dabei die Eigenheiten und Qualitäten erläutert werden und mit den darauf folgenden Epochen genau so verfahren wird. Jedenfalls könnte dann öfter der verbreiteten Maxime von Luigi Snozzi: „Jeder Eingriff bedingt eine Zerstörung, zerstöre mit Verstand“ nachgelebt werden. Dabei liegt das Gewicht auf dem Wort „Verstand“. Wir sollen also zuerst verstehen lernen, um eingreifen zu können.

Seit einigen Monaten soll es den Bauten für den ORF von Roland Rainer auf dem Küniglberg an die Außenhaut gehen. Man erprobt eine Außendämmung des Stahlbetonskeletts, wie das Bild zeigt. Wie wenn es sich um einen beliebigen massiven Wohnbau aus den 1960er-Jahren handeln würde, wird Styropor außen draufgepappt. Doch versuchen wir zu verstehen, bevor wir loslegen: Roland Rainer hat ein rationales System mit vorgefertigten Betonelementen entwickelt, bei dem die nackte Konstruktion architekturwirksam sein sollte und auch ist. Er zelebriert das Fügen der Teile, die jedoch nicht plump pragmatisch geformt sind, sondern eine technisch begründbare Plastizität aufweisen, die sich im Spiel von Licht und Schatten zeigt. Tragwerk und Konstruktion sind nicht bloß dienend und hinter irgendwelchen Überzügen und Oberflächen verborgen, sondern sind integraler Teil der Architektur. Das gilt nicht immer und überall, aber am Küniglberg schon. Rainers rationale Haltung zeigt sich jenen, die verstehen wollen, auch am später an der Südseite hinzugefügten Stahlbau, wo die Konstruktion ebenso architekturrelevant ist - aber für Beton wäre die begrenzte Zahl zu fertigender Elemente nicht wirtschaftlich gewesen.

Ein Skelettbau ist bauphysikalisch nicht dasselbe wie ein Massivbau. Bevor daher die Bauabteilung des ORF Styroporplatten und Klebemörtel aufbringen lässt, wäre beispielsweise vorgängig ein Konzeptwettbewerb unter Bauphysikern nicht ganz abwegig gewesen, denn die großen Volumen mit einem günstigen Volumen-Oberflächen-Verhältnis, der hohe Anteil an Metallfensterflächen, die Probleme des Dampfdurchgangs und so weiter hätten ganz andere und gewiss auch hinsichtlich Kosten für Ausführung und Betrieb optimale Resultate erbringen können. Denn die Bastelei mit dem Styropor ist jedenfalls arbeitsaufwendig. Zudem werden Karbonatisierung und Schäden an der Armierung - bei Bauten aus dieser Zeit üblich, aber behebbar - überdeckt und einer Kontrolle entzogen.

Ohne professionellen Bauphysikern vorgreifen zu wollen, sei darauf hingewiesen, dass im Rahmen eines ingenieurwissenschaftlichen Gesamtkonzepts zur wärmetechnischen Sanierung auch eine Innendämmung mit Kalzium-Silikatplatten möglich wäre, die den feinsinnigen architektonischen Ausdruck nicht verplumpt und damit verständnislos zerstören würde. Bei der Sanierung des „Hauserhofes“ in Linz werden Kalzium-Silikatplatten als Innendämmung verwendet, eine innen liegende Dampfsperre kann entfallen, da etwa entstehendes Kondenswasser kontrolliert wieder an den Raum abgegeben würde.

Aber lassen wir die technischen Details den Spezialisten und konzentrieren wir uns auf die Architektur, die bei Roland Rainer eine wichtige technische Komponente enthält, die im Tragwerk, in dessen Plastizität und in der Rationalität der Gedankenführung ausgedrückt ist. Soll das nun unter Styropor und Stuck verschwinden? Denn im Umgang mit bestehender Architektur gilt eine weitere Maxime, die sich aus jener von Luigi Snozzi ableiten lässt: Wer Hand an ein historisches Bauwerk legt, sollte seinem vorangegangenen Architekten zumindest das Wasser reichen können.

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