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Zu Fuß, per Bus, im Floß
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Der Mega-Event, flächendeckend, das ganze Land zwei Tage lang im Zeichen der Architektur: Architekturtage 2006. Wer braucht sie? Was bringen sie?

3. Juni 2006 - Franziska Leeb
Performances und Filme, Touren zu Fuß, per Bus oder mit dem Floß, Workshops und Diskussio nen, offene Ateliers und Besuche an „geheimen Orten“ locken am 9. und 10. Juni das Architektur-affine Publikum. Bereits zum dritten Mal findet die größte Architekturveranstaltung Österreichs statt, die man getrost einen „Mega-Event“ nennen kann. Zwei Tage lang steht das ganze Land im Zeichen der Architektur. Alle regionalen Architekturhäuser tragen die von der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten und der Architekturstiftung Österreich gestartete Initiative mit und zeichnen für die Programme in den Bundesländern verantwortlich.

Wer braucht die Architekturtage? Architektur ist in den Medien schließlich präsent wie nie zuvor. Kaum eine Tageszeitung oder Wochenpostille, die nicht regelmäßige Sonderstrecken über bemerkenswerte Werke der Baukunst und ihre Schöpfer und Schöpferinnen zeigt. Für TV-Werbespots scheuen sich selbst konservative Firmen nicht mehr davor, zeitgemäße Baukunst als Handlungsort zu wählen. Banken loben Architekturpreise aus, Flachdächer sind nicht mehr automatisch Grund zur Erregung. Die Medienwelt suggeriert, gute Gestaltung sei Teil des gesellschaftlichen Konsens und modernes Bauen eine Selbstverständlichkeit. Im richtigen Leben schaut es anders aus. Egal, ob man sich durch Fußgängerzonen oder krebsgeschwürartig wuchernde Gewerbegebiete bewegt, schon auf lärmschutzwandbegrenzten Autobahnen oder erst in den Raststationen Magenkrämpfe bekommt: Die Scheußlichkeiten sind in der Mehrzahl.

Um qualitätsbewusste Bauherren heranzuziehen, braucht es mehr als bunte Berichterstattung. Zwar stünde die Architektur auf dem Lehrplan für bildnerische Erziehung, wie sie diese aber an ihre Schüler vermitteln sollen, überfordert die meisten Lehrer. Es sind vor allem die Architekturhäuser, die als einzige unabhängige Institutionen auf hohem, aber verständlichem Niveau jene Bildungslücken zu stopfen versuchen, wo die Schulen versagen und sogenannte Bauberatungen diverser Behörden unzulänglich sind. Es geht nicht darum, aus Kindern kleine Architekten zu machen, und ein Haus wird nicht besser, wenn aus einem fünfeckigen Erker ein viereckiger wird. Es geht darum, die Menschen als kritische und mündige Nutzer des öffentlichen und privaten Raumes zu sensibilisieren.

„Bei den Architekturtagen kann man ohne Zugangsschwellen am eigenen Leib erfahren, wie qualitätsvolle Architektur auch im Alltag das Leben bereichern kann“, so Barbara Feller, Geschäftsführerin der Architekturstiftung. Genau diese Alltagsbauten stehen im Fokus des Programms, das vom Haus der Architektur Graz zusammengestellt wurde: Fünf Ausflüge führen zum „Außergewöhnlichen im Gewöhnlichen“. Luxusvillen und Repräsentationsbauten kommen dabei nicht vor. Workshops und Exkursionen für Kinder und Jugendliche sollen das Bewusstsein für architektonische Themen schärfen.

Weiter südlich konzentriert man sich auf die Präsentation des Kärntner Architekturführers. Der Autor Otto Kapfinger führt persönlich durch Klagenfurt und Oberkärnten. Ein Workshop zur Tourismusarchitektur in Velden, eine Architekturfahrt mit Preisrätsel in und um Völkermarkt und eine Entdeckungsreise für Schüler in Wolfsberg laden zur Auseinandersetzung mit der eigenen Region ein.

An „Infopoints für Architektur“ können in Innsbruck und Lienz potenzielle Bauherren Kontakte zu Architekten und Architektinnen knüpfen. Eine Floßfahrt auf dem Inn eröffnet ebenso neue Stadtperspektiven wie ein Spaziergang zu vergessenen Bauten in der Innsbrucker Innenstadt. Im Tiroler Architekturhaus aut dürfen Kinder Raumexperimente anstellen, und das Leokino gibt mit Jacques Tatis „Playtime“ - einer wundervolle Satire auf die moderne Stadt - Anlass zum Lachen und Nachdenken.

In Vorarlberg, wo die Pflege der Baukultur Tradition hat, wird das Architekturerlebnis mit Performances gesteigert: Alphörner auf dem Dach des Grenzüberganges Tisis/ Schan (aix architects) oder Theater bei der Frödischbrücke (Architekten Marte.Marte) sind nur zwei der Stationen auf einer Reise durch Raum und Sinne. Das zukünftige Haus des Vorarlberger Architekturinstituts, die Alte Naturschau in Dornbirn, wird zu den Architekturtagen bereits vorab von Architekten und Künstlern bespielt.

Auch in Salzburg sucht die Architektur den Dialog mit anderen Künsten. Die „Liturgie vom Bauen“, die der Künstler Otto Beck und Architekt Max Rieder gemeinsam mit Schülern und Schülerinnen des Akademischen Gymnasiums erarbeitet haben, leitet die Architekturtage ein. Mehrere Führungen wenden sich an das an historischen und urbanistischen Zusammenhängen interessierte Publikum und beim „Interaktiven Familienprogramm“ dürfen auch die Jüngsten mitmachen. Und wer die Hauptstadt schon kennt, fährt nach Hallein und Saalfelden.

Mit Touren und Veranstaltungen im ganzen Bundesland sowie einem Architekturhappening in Steyr und dem Architekturfrühling in Haslach an der Mühl wartet das vielfältige Programm in Oberösterreich auf. Zum Ausspannen lädt das Architekturforum in seine Räumlichkeiten, wo sich „ArchitektInnen zum Anfassen“ auf ein interessiertes Publikum freuen.

Topografisch breit gestreut ist auch das Programm, das Niederösterreichs Architekturnetzwerk ORTE zusammengestellt hat: Das Waldviertel, St. Pölten und Schwechat werden bereist, in Krems wird gefeiert. Ein besonderes Schmankerl ist die Architekturfilmnacht im Autokino Großenzersdorf, das heute das einzige seiner Art in Österreich ist. In Waidhofen/Ybbs leitet Architekt Ernst Beneder einen Rundgang zu eigenen und anderen Projekten. Das junge Publikum erlebt die Stadt bei einer speziell konzipierten Führung und schafft mit einem Architekturbaukasten selbst Räume.

Der Architekturraum Burgenland lädt Kinder ein, selbst Architekt zu spielen und führt eine Exkursion zu aktuellen Bauten und geheimen Orten im Mittelburgenland und Ungarn.

Die Österreichische Gesellschaft für Architektur und das Architekturzentrum Wien (AzW) steuern gemeinsam mit dem Slowakischen Architektenverein das dickste Programmheft bei. Grätzelweise werden Touren zu neuen Bauten und Architekturateliers angeboten. In der Partnerstadt Pressburg gibt es Gelegenheit, das aktuelle Bauschaffen der Nachbarn in Augenschein zu nehmen. Das AzW hält die Türen bei freiem Eintritt offen. Zugleich beherbergt es ein Treffen des Europäische Forums für Architekturpolitik, Fachleuten aus 28 Ländern, deren Ziel bessere Rahmenbedingungen für Baukultur ist. Der Auftakt für die Architekturtage wird daher mit dem Architektur.Fest.Europa am 8. Juni ab 19 Uhr ein internationaler sein.

Die hiesige Szene zeigt sich stark wie nie zuvor. Dennoch mangelt es an Wertschätzung und adäquater Förderung durch die öffentliche Hand. Vor der Nationalratswahl 2002 schlossen sich daher die wesentlichen Architekturorganisationen, Standesvertretungen und Architekturhochschulen zur „Plattform für Architektur und Baukultur“ zusammen, um den Dialog mit den politischen Entscheidungsträgern zu beleben. Auch Letztere hätten zu den Architekturtagen Gelegenheit, sich unters baukulturell bewegte Volk zu mischen und bei einem der Feste locker darüber zu sinnieren, ob sich die Forderung der Plattform nach einem Staatssekretariat für Baukultur nicht ins kommende Wahlprogramm übernehmen ließe.

Die Architekturtage finden am 9. und 10. Juni statt. Nähere Informationen unter www.architekturtage.at

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