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Gesamtkunstwerk Ausstellung
Neue Zürcher Zeitung

Eine Pariser Schau über Architekten als Szenographen

Immer mehr Architekten beschäftigen sich mit Ausstellungs-Szenographien. Eine anregende Schau im Pariser Pavillon de l'Arsenal zeigt 115 für verschiedene Institute entworfene Inszenierungen.

19. August 2006 - Marc Zitzmann
Der Pavillon de l'Arsenal in Paris ist ein wunderbarer Ort. Es sind dort - gratis - die anregendsten und lehrreichsten Architektur- und Urbanismus- Ausstellungen der Kapitale zu sehen. Ein Markenzeichen der städtischen Institution ist es, die Szenographien ihrer Schauen Architekturbüros anzuvertrauen. Fünfzig solche «Scénographies d'architectes», die das Zentrum seit seiner Eröffnung 1988 in Auftrag gegeben hat, werden derzeit in einer Retrospektive gezeigt. Darunter finden sich so originelle Inszenierungen wie der ironisch- pompöse Repräsentationsraum im Stil des Second Empire, in welchen Pierre Schall den Pavillon 1991 für die Ausstellung «Paris-Haussmann» verwandelte, die Lagerhalle voller Holzkisten und -möbel, die Patrick Berger und Frédéric Bonnet 1994 für «Le bois: essences et sens» schufen, oder Shigeru Bans Labyrinth aus Schlumpfmützen-Zelten, Papprollen-Paravents und einem Papiertunnel für «L'Archipel métropolitain» (2003).

Variationen über ein klassisches Thema

Doch statt sich selbst auf die Schulter zu klopfen, zeigt das Zentrum diese fünfzig hauseigenen Architekten-Szenographien auf zwanzig Bildschirmen am Rand der Schau. Den Mittelpunkt der Ausstellung bilden 65 Arbeiten, die für andere Institutionen in Frankreich und im übrigen Europa geschaffen wurden. Aus diesen seien einige Beispiele herausgegriffen, die die drei am prominentesten vertretenen Typen von Architekten-Szenographien illustrieren.

Den ersten Typus könnte man als «klassisch» bezeichnen, bietet er doch Variationen über das typische Ausstellungsmöbel, den Tisch. Er ist vor allem bei grossen Architekten beliebt. So bestand die Retrospektive von Herzog & de Meuron im Basler Schaulager (2004) hauptsächlich aus unregelmässig im Raum verteilten Tischen von unterschiedlicher Grösse, auf denen Modelle auslagen. Renzo Piano liess bei seiner Werkschau im Centre Pompidou (2000) insgesamt 22 verglaste Holzrahmen wie Riesentablette an feinen Seilen von der Decke hängen. Die originellste Variation bot jedoch am selben Ort Thom Maynes diesjährige Werkschau (NZZ 5. 5. 06): ein begehbares, leicht ansteigendes Podest aus 170 von einer Aluminiumstruktur gefassten Glasplatten, unter denen Modelle, Pläne und Videomonitore ausgebreitet waren.

Erstaunlicherweise bezog - zumindest den gelieferten Informationen nach zu urteilen - keine der Szenographien den Kontext wirklich mit ein. Das ist umso erstaunlicher, als viele der Schauen nicht in einem White Cube stattfanden, sondern in Räumlichkeiten mit einer markanten Innenarchitektur: in Kirchen, Industriegebäuden, Museen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Etliche Architekten versuchten, diesen (irritierenden?) Kontext geradezu auszublenden, indem sie für die Exponate einen «Raum im Raum» schufen - oder gleich deren mehrere.

In seiner Werkschau im Nederlands Architectuur Instituut in Rotterdam liess Daniel Libeskind 1997 den Besucher durch ein Labyrinth aus stahlblechbeplankten Wänden irren, die gleichsam bei der Explosion im Raum festgefroren waren. Peter Eisenman hingegen zog 2004 in die grosse Ausstellungshalle des Wiener Museums für Angewandte Kunst (MAK) eine niedrige Zwischendecke ein und stellte dreissig quaderförmige Pfeiler auf, deren Inneres die Exponate seiner Retrospektive barg. Und für die Kunstausstellung «Vision machine» legte Lars Spuybroek im Jahre 2000 einen weissen Riesenraupen-Tunnel durch das imposante Atrium des Musée des beaux-arts von Nantes. Das begehbare, mit einer leicht transparenten Wollhaut bezogene Sperrholz-Gerippe des Tunnels war mit Gemälden und Fotos behangen.

Solche Arbeiten nähern sich dem dritten Typus an, der die Szenographie als Installation, als eigenständiges Kunstwerk versteht. Bei der von Peter Cook, Dennis Crompton und David Greene gestalteten Archigram-Rückschau im Londoner Design Museum (2004) ist es kaum mehr möglich, Exponate und Szenographie zu unterscheiden. Die im Herbst 2000 von Coop Himmelb(l)au in der Neuen Galerie Graz realisierte Ausgestaltung der Rudi-Gernreich-Ausstellung «Fashion will go out of fashion» wirkte mit ihren aus dem Boden wachsenden enigmatischen Videomöbeln, den von der Decke hängenden überdimensionierten Metallhauben und den flimmernden Raumhüllen, welche mit Artikeln und Fotos aus Modemagazinen tapeziert waren, mindestens ebenso aufregend wie die Kreationen des Couturiers.

Kurvenreiche Raumskulptur

Unendlich poetisch mutet Toyo Itos Eingebung an, für seine Werkschau in Vicenza (2001) durch die abgedunkelte Basilica Palladiana zweiundzwanzig hohe Säulen aus einem von oben bestrahlten halbtransparenten Stoff schweben zu lassen - wie leuchtende Tornados, in deren Auge je ein Projekt ruht. Geradezu futuristisch wirkt dagegen die von Zaha Hadid für ihre Retrospektive im MAK (2003) geschaffene Installation «Ice Storm», eine zugleich kanten- und kurvenreiche Raumskulptur, die man am ehesten als einen durch Magmaglut zum Schmelzen gebrachten Gletscher umschreiben könnte.

«Scénographies d'architectes» ist nicht die gelungenste Ausstellung des Pavillon de l'Arsenal. Christine Desmoulins' Auswahl fehlt es an Stringenz: Warum etwa wurde der ephemere «Pavilion 2005» von Alvaro Siza und Eduardo Souto Moura für die Londoner Serpentine Gallery mit aufgenommen, in dem nichts ausgestellt war? Die grosse Zahl der gezeigten Arbeiten verunmöglichte es, jede einzelne hinreichend zu dokumentieren. Ihre alphabetische Reihung nach Architektennamen wirkt eher denkfaul. Und die für die Ausstellung gewählte Szenographie von Dominique Perrault - rund drei Dutzend identische Leuchttafeln, die auf jeder Seite ein Projekt vorstellen - hält dem Vergleich mit den meisten präsentierten Arbeiten nicht stand. Dennoch: Das Thema ist fesselnd und seine Behandlung zumindest befriedigend. Reiseunlustigen sei der Katalog empfohlen: Dieser übernimmt fast sklavisch genau die Texte und Bilder der Schau.

[ Bis 22. Oktober. Katalog: Scénographies d'architectes. Editions du Pavillon de l'Arsenal, Paris 2006. 488 S., 38 Euro. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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