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Wie Kronen im Stadtgebiß
Wie Kronen im Stadtgebiß © Uniqa
Wie Kronen im Stadtgebiß © Uniqa
Spectrum

Die Dynamik der Stadtentwicklung kehrt in das Wiener Zentrum zurück. Erstarrte Kernzonen entfalten nun ihr Wachstumspotential. Nach dem Langmut zur Lücke besteht der Wille zur extravaganten Füllung. Ein Operationsbericht aus der Urbanimplantologie.

18. März 2000 - Walter Chramosta
Wien liegt an der Donau, sagt ein hartnäckiges Gerücht, das sich nicht bestätigen läßt. Verifizierbar ist: Wien hat eine innige Beziehung zum Donaukanal. Er tangiert das Stadtzentrum, umfaßt es gemeinsam mit dem Ring in einer durchgehend wahrnehmbaren Figur. Das eingefaßte Territorium ist für den Wiener schlicht „die Stadt“ und gemeinhin für Neubaumaßnahmen tabu: Seit Jahrzehnten geht Bildschutz vor Strukturverbesserung. Obwohl der optische Befund nahelegen könnte, die Stadtentwicklung sei hier in jeder Hinsicht defensiv gewesen, haben subkutan massive Veränderungen stattgefunden. Die U-Bahn hat die Innere Stadt völlig neu positioniert, das Zentrum ist egalisiert, popularisiert, entmischt. Die radikal verbesserte Erreichbarkeit der Stadtmitte ist das Maß der unterirdisch längst vollzogenen Stadtveränderung, die an der oberirdischen Gestalt kaum festzumachen ist. Nun zeigt sich am Kai ein überraschend starker Zug von Dynamik, der fragen läßt, wie weit Kontinuität ein städtebauliches Kriterium der Verbesserung sein kann.

Am äußeren Ufer des Donaukanals, gegenüber dem ersten Bezirk, sind mehrere Vorhaben in Arbeit: Mit dem neuen Diana-Bad wird ein beklemmend schlichtes Bürohochhaus errichtet, das benachbarte IBM-Haus erhält einen architektonischen Feinschliff, für die EA Generali wächst ein irritierend aus der Vertikalen kippendes Turmbündel aus dem Boden, vis-à-vis steht der vergleichsweise klassisch anmutende Bundesländer-Bau vor einer Renovierung; ebenso an der Praterstraße gelegen, sieht das Galaxie-Hochhaus einem längst fälligen Redesign entgegen. Nicht zuletzt ergreift der Versicherungskonzern Uniqa, sprich [u:nika], die höchst stadtwirksame Initiative, um an der Unteren Donaustraße, gegenüber der Urania, das einen ganzen Häuserblock umfassende Projekt für ein Hauptquartier zu entwickeln. Für Wien einzigartig ist dieser zentrumsnahe Abschnitt des Donaukanals deshalb, weil das durch seinen harten Uferausbau unerreichbare, oft nicht einmal einsehbare Gewässer eine große Distanz zur Häuserzeile gegenüber bedingt. Am Kanal weitet sich Wien ein seltenes Mal zu metropolitanem Charakter: Dichte und Distanz sind gleichzeitig spürbar. Auch wenn stadtinnere und -äußere Bebauung voneinander abrücken, sie sind durch den stark gekrümmten Verlauf des Kanals als Positiv und Negativ in eine Formbeziehung gestellt.

Gleichsam wie ein Gebiß greifen die beiden als Wirkungseinheit ineinander: der tiefliegende „Mund“ des Kanals, flankiert von zwei „Zahnreihen“. Der „Oberkiefer“, an der Seite des ersten Bezirks, ist bis heute kompakt besetzt; die „Zähne“ sind die „eigenen“ und großteils noch gesund. Am „Unterkiefer“ gegenüber mußte schon längst Ersatz geleistet werden: Das al-te Bundesländer-Haus markiert den Beginn einer Ära, in der die „Zähne“ nicht mehr zum Beißen im Grätzl, sondern zum Goldblinken in der Republik angesagt waren.

M ehrere von „Großambulatorien“ schwach gearbeitete „Repräsentationskronen“ entwerteten zuletzt den „Unterkiefer“.
Die Fachwelt war immer für eine „Zahnregulierung“ engagiert. Jetzt ist man offenbar auch bei den Bauherren so weit, zu erkennen: Das „Stadtgebiß“ hat grundsätzlich Qualität, der die Architekturzähne genügen müssen. Die Uniqa hat die entwerferische Herausforderung angenommen. Sie ist in der Überlagerung zweier Maßstäbe am Bauplatz zu sehen: einerseits die Weiträumigkeit mit Blickbezügen, andererseits die Eigenart des traditionell jüdisch geprägten Viertels dahinter - Grobstruktur versus Feinmaschigkeit. Gesucht ist daher ein architektonisches Unikat von Verwaltungsbau mit 30.000 Quadratmeter Nutzfläche, das als städtebauliches Zeichen in die Ferne wirkt, gleichzeitig den sensiblen Ort bewußt macht und öffnet.

Um den Ansprüchen zu genügen, wird ein prominent besetztes Gutachterverfahren gestartet, dessen erstes Ergebnis nun vorliegt. Der in Paris lebende Österreicher Dietmar Feichtinger wurde mit geringem Bewertungsunterschied vor dem Wiener Büro Neumann & Partner gereiht; beide sind in einer ursprünglich nicht vorgesehenen zweiten Stufe aufgefordert, ihre Projekte für die endgültige Entscheidung zu überarbeiten. Gustav Peichl und Wilhelm Holzbauer sind deutlich drittgereiht. D er essentielle Beitrag von Helmut Richter wurde hinter dem Totschlagetikett „High Tech“ nicht erkannt.

Die Knappheit der Reihung zwischen Feichtinger und Neumann kann nicht über die grundsätzliche Unvereinbarkeit ihrer Ansätze im Städtebaulichen hinwegtäuschen. Im Innenfunktional-Wirtschaftlichen können beide Projekte oh-
ne Konzeptversagen verbessert werden; also steht letztlich eine interessante Grundsatzentscheidung der „Urbanimplantologie“ an: Wie müssen „Stadtkronen“ beschaffen sein?

Feichtinger bezieht gleich das ganze Projektgebiet in seinen Entwurf ein, Neumann konzentriert dagegen am westlichsten Bauplatz alle Nutzflächen zu einer deshalb mächtigen und zudem in Anlehnung an den Kreisknoten des Uniqa-Logos expressiv aufgelösten Baumasse. Auch Feichtinger akzentuiert naturgemäß das Eck - nach Fachbeiratsempfehlung in der Stubenring-Achse gelegen und maximal 75 Meter hoch -, aber er entwickelt es schlüssig, durch leichte Faltungen der Fassade durchaus differenziert aus dem Blockrand am Kai. Sein Entwurf versteht sich daher als das Stadtgefüge steigernd, den eingeübten Stadtgebrauch vertiefend. Neumann setzt dagegen auf einen solitären Kontrapunkt zur alten Stadt, sowohl in der deftigen Fern- wie auch irritierenden Nahwirkung der Schrägen. Neumanns Engagement liegt im alles versammelnden, Eigenart beschwörenden Kraftakt zeitgeistiger Form, Feichtinger spekuliert mit feineren architektonischen Mitteln auf den gezielteren zweiten Blick.

Die Wunde ist geöffnet, der Patient hoch gespannt.

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