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Design mit einem Augenzwinkern
Neue Zürcher Zeitung

Der Zürcher Gestalter Alfredo Häberli

Der Zürcher Alfredo Häberli zählt zu den bekanntesten Designern der Schweiz. Im Oktober wird er als Ehrengast der Interior-Designmesse im belgischen Kortrijk sein Schaffen präsentieren.

1. September 2006 - Andrea Eschbach
Nach Grössen wie Gio Ponti und Verner Panton, Philippe Starck und Dieter Rams schafft es im kommenden Herbst erstmals ein Schweizer Designer in die «Hall of Fame» der belgischen Biennale «Interieur». Alfredo Häberli wurde von der Interior-Designmesse in Kortrijk für ihre 20. Ausgabe zum Ehrengast ernannt. «Das ist, wie den Grand Slam zu gewinnen», meint Häberli dazu. Der 42-jährige Zürcher kann mit Recht stolz sein, in dieser Reihe von illustren Architekten und Designern zu stehen. Als international erfolgreichster Produktgestalter der Schweiz entwirft Häberli Möbel und Leuchten für grosse Marken wie Moroso, Alias, Luceplan, Thonet und Classicon. Ausserdem gestaltet er Shops für Label wie Joop, kuratiert und inszeniert Designausstellungen und steht mitunter selbst Modell für eine Anzeigenkampagne.

Faszination der Zwischenräume

In Kortrijk wird Häberli im Oktober die Rambla, ein weitläufiges Areal in der Haupthalle der Messe, bespielen. In seinem Atelier stehen die Kartonmodelle der Installation. In drei bis zu 26 Meter langen Raumskulpturen aus Sperrholz will er seine Arbeit dem Messepublikum präsentieren. Schaufensterartige, weiss gestrichene Öffnungen und poolartige Wannen dienen als Präsentationsraum für die Exponate. «Ich will auf eine nicht ganz ernsthafte Art meine Objekte zeigen, immer mit einem Augenzwinkern.» So spannt er seinen federleichten Stuhl «Nais», ein 2004 kreiertes Sitzmöbel aus schwingendem Draht, in ein Geflecht von Wäscheleinen. Hinter dem Ohrensessel «Take a line for a walk» von 2003 stapeln sich Autopneus, die Tassen des Geschirrs «Origo» (2000) balancieren auf Drahtstengeln. Die Ausstellung trägt den programmatischen Titel «The In-Betweens». Denn es sind die Zwischenräume, die den Gestalter faszinieren. «Wenn die Architektur, die Kunst, das Design oder die Typographie Formen schafft, so schafft sie gleichzeitig etwas, was zwischen den Formen liegt», sagt Häberli. «Für mich sind die Buchstaben als Gestalt ebenso spannend wie der angebliche Leerraum zwischen ihnen.»

Neben der spielerischen Inszenierung wird Häberli eine persönliche Auswahl von Schweizer Design präsentieren. Drei Chalets aus Holz sollen Exponate der Designsammlung des Zürcher Museums für Gestaltung beherbergen, eine Entdeckungsreise durch das helvetische Designschaffen. «Dieser Teil der Ausstellung zeigt meine Inspirationen und meinen Respekt gegenüber der Geschichte und der Gegenwart», betont Häberli. In Buenos Aires geboren und im argentinischen Córdoba aufgewachsen, kam Häberli als 13-Jähriger mit seiner Familie aus Südamerika in die Schweiz. Dem Nachbarland Italien fühlte er sich schon früh verbunden: Bald entdeckte er, dass «alle Autos, die ihm gefielen, die Handschrift von Giorgio Giugiaro trugen», die Leuchten von Achille Castiglioni und Bruno Munari faszinierten ihn. Nach einer Ausbildung als Architekturzeichner studierte er Industriedesign an der Zürcher Schule für Gestaltung, schloss 1991 mit Auszeichnung ab und gründete zunächst mit Christophe Marchand ein Studio. Seit 2000 führt er sein eigenes Atelier, in dem er heute fünf Mitarbeiter beschäftigt. Das hinter dem Bahnhof Tiefenbrunnen im Zürcher Seefeld gelegene Studio mit Blick über den See ist eine 200 Quadratmeter grosse Flucht von hellen Räumen. Sie verrät Häberlis Sammelleidenschaft: In den Regalen sind getrocknete Früchte und Zapfen, Spielzeugautos, Prototypen und Castiglionis Spiralaschenbecher zu farbigen Stillleben zusammengestellt, an den Wänden hängen Lineale, Voodoo-Püppchen und Fliegenklatschen.

Die blosse Rückschau ist Häberlis Sache nicht. Bei allem Respekt vor der Designgeschichte will er einen Schritt weiter gehen. Dafür begibt er sich auf die Suche nach dem Typologischen - wie beim Entwurf «Segesta» (2002) für Alias, einen seiner ersten grossen Kunden. Für die Technologie des stapelbaren Armlehnstuhls mit der flexiblen Rückenlehne beschritt er neue Wege: Das Sitzmöbel ist aus einem mehrschichtigen Komposit-Technopolymer gefertigt. Auch für das Sofa «TT» für Alias (2005) setzt er auf die Neuerfindung bereits bestehender Objekte. Das schlanke Möbel ist bequem wie eine Couch, jedoch leicht und reduziert wie ein Stuhl - dank der Kombination eines Metallgestells mit einer Sitzschale aus acht Millimeter starkem Polyurethanschaum. Häberli sucht die Balance von Ästhetik, Formensprache, Langlebigkeit und Bequemlichkeit. «Ich würde nie einen unbequemen Stuhl machen», erklärt er.

Technologische Innovationen

Mehrwert bei aller Reduktion lautet sein Gestaltungsprinzip. Formschöne Funktionalität paart der vielfach ausgezeichnete Designer mit Sinnlichkeit, Charme und einem besonderen Sinn für das Detail. «Meine Ideen sieht man oft erst auf den zweiten Blick», meint er und nennt den kleinen eingeritzten Vogel auf dem Boden der Trinkgläser des Kinder-Sets «Kids' Stuff», entworfen im Auftrag des finnischen Herstellers Iittala. Wichtiger ist jedoch, dass das zylindrische Glas in der Mitte tailliert ist, damit es Kinderhände besser halten können. Denn, so beobachtete der Vater von zwei Kindern, die Kleinen wollen ernst genommen werden.

«Beobachten ist die schönste Form des Denkens», lautet sein Credo. Deshalb beginnt bei ihm jeder Designprozess mit dem Beobachten. Er hält seine Überlegungen gerne in einem Notizbuch fest, macht lockere Skizzen, die an Cartoons erinnern: «Ich habe schnell viele Bilder im Kopf, lasse anfangs alles zu.» Dann geht es ihm jedoch darum, die Designidee auf ihre Essenz zu verdichten. «Wenn ich nicht in drei Sätzen sagen kann, was die Idee ist, dann muss ich sie weiter herauskristallisieren.» Sein Freund und Kollege Konstantin Grcic nennt diese Herangehensweise «aus vielem wenig machen». Auch sein Geschirr «Origo» für Iittala folgt diesem Designprinzip und ist sehr erfolgreich. «Zwischen den Mahlzeiten» lautete das Motto für das Service, das den veränderten Essensgewohnheiten Rechnung trägt: Das farbenfrohe Set ist vielseitig kombinierbar, die Teller dienen zugleich als Deckel für Schalen.

Neue Projekte

Häberli ist ein gefragter Mann. Derzeit arbeitet er unter anderem für den schwedischen Autohersteller Volvo. «Es war immer mein Traum, für die Automobilindustrie zu arbeiten.» Nun wird sein Traum Wirklichkeit. Im nächsten Frühjahr soll das Projekt - «ein Vehikel mit vier Rädern und einem Lenkrad» - auf dem Autosalon in Genf nach zweijähriger Arbeit präsentiert werden. Daneben bereitet er eine Monographie vor, die im Herbst erscheinen soll. Und er tüftelt für Camper an Schuhwerk: Die Hostessen in Kortrijk sollen im Oktober Schuhe des mallorquinischen Fabrikanten tragen. Die Besonderheit dieser Lederschuhe ist es, dass es dank elastischem Gummi- Einsatz kein linkes und kein rechtes Stück gibt. Im nächsten Frühjahr soll bei Camper zudem seine Schuhkollektion für Männer lanciert werden. Für die neue Pariser Boutique von Camper erarbeitet Häberli ein Konzept, welches die Schuhe auf flachen, mit Drahtgestell fixierten Steininseln präsentieren wird. Darüber sollen als Wolke weisse Stoff-Leuchten, Jupes, Hemden und Bermudas schweben. Gutes Design muss beim Betrachter etwas auslösen: «Das kann eine Irritation sein, aber lieber ist mir ein Lächeln.»

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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