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Fahr'n, fahr'n, fahr'n
Spectrum

Dass eine Autobahnraststätte nicht zwangsläufig wie „Wurstelprater-Architektur“ aussehen muss, beweisen zwei Prototypen in Niederösterreich.

3. September 2006 - Karin Tschavgova
Zur Steigerung der Verkehrssicherheit sind Europas Autobahnen begleitet von einer kalkulierten Abfolge von Rastplätzen und Raststätten, die dem Reisenden Pausen mit Entspannung ermöglichen sollen. Viele empfinden jedoch die Rast entlang der großen Reiserouten als unwirtlich, die Rastplätze als wenig einladend.

Dass der Erholungswert auch an Österreichs Straßenrändern zu wünschen übrig lässt, weiß man beim Autobahnbetreiber Asfinag nicht nur, weil Autobahnraststätten europaweit anonym getestet werden. Vor einigen Jahren wurde daher die Initiative ergriffen, die Hygiene- und Sicherheitsstandards der Rastplätze, deren Wartung der Asfinag obliegt, zu heben. Rund 100 der bestehenden 200 sollten, in regelmäßigen Abständen von 40 Kilometern, erhalten und ausgebaut werden. Eine Arbeitsgemeinschaft des Ingenieurbüros Rinderer & Partner mit Ernst Giselbrecht und Freilandplanern wurde beauftragt, ein Corporate Design Manual zu entwickeln, in dem Kriterien wie Sicherheit und Hygiene, Regenerationswert, Kommunikations- und Informationsmöglichkeit und die Entflechtung von Fahr- und Fußgängerverkehr berücksichtigt sind.

Giselbrecht schlug einheitliche, zeitgemäße Infrastrukturbauten vor, die einen hohen Wiedererkennungseffekt garantieren und ihre regionale Verankerung in der ortsspezifischen Abwandlung immer wiederkehrender Grundelemente finden. Entwickelt wurden drei unterschiedlich große, zeilenartige Standardtypen in modularer Bauweise, die unter einem Dach jeweils eine Sanitäreinheit mit Wickelraum und Duschen für LKW-Fahrer, einen Verkaufskiosk und einen witterungsgeschützten Freibereich als Zwischenraum enthalten. Für die tragenden Dachelemente und Raumzellen war eine industrielle Vorfertigung vorgesehen, um sie in kurzer Zeit montieren zu können. Die Infrastrukturzeile sollte immer an derselben Stelle, von der Autobahn gut einsehbar und in unmittelbarer Nähe zur Einfahrt und den PKW-Parkplätzen, situiert werden und eine Trennung und zugleich den Übergang zum Grünraum bilden.

Als Prototyp wurde das Konzept erstmals auf den beiden gegenüberliegenden niederösterreichischen Rastplätzen Leobersdorf und Triestingtal realisiert. Die vorgeschlagene Form wurde weitgehend beibehalten, von der Idee der Vorfertigung sah man ab. Geblieben ist die markante Dachform mit dem mehrfach geknickten Abschluss an der vorderen Längsseite - ein Flügel, aber auch eine Geste, die aufgrund der Länge des Daches Bewegung und Geschwindigkeit des Reisenden darstellen soll und letztlich auch die Dynamik des Unternehmens. Hinweise darauf, wo sich der Reisende gerade befindet, geben zwei Elemente: einerseits eine gläserne, mannshohe Vitrine, die die Vorzone der WC-Anlagen zum Rastplatz hin leicht abschirmt und mit für die Region charakteristischen Attributen gefüllt ist - in Leobersdorf mit Stroh, in Triestingtal mit Schotter, der auf nahe gelegene Abbauhalden verweist - und andererseits ein „regionales Fenster“ in Form einer mit Folie hinterlegten Glaswand, die nicht nur den überdachten Freibereich vor Wind und Zug schützen, sondern künftig auch Träger von Informationen über die jeweilige Region sein soll. In Leobersdorf präsentiert sich darauf der Autobahnerhalter, für die Gestaltung der Präsentationsflächen weiterer Rastplätze nach einheitlichen Vorgaben strebt man die Kooperation mit Tourismusverbänden an. Auch die Bewirtschaftung der Kioske scheint komplizierter als im Konzept angedacht, weil bestehende Verträge mit Raststättenbetreibern vielerorts Schutzrechte garantieren, die über eine bestimmte Distanz Konkurrenz verhindern sollen. In Leobersdorf wird der Kiosk von einem Bäcker geführt, dessen Angebot durch gewerbliche Beschränkungen limitiert ist.

„Typen sind Sache der Logik, der Analyse, des gewissenhaften Studiums; sie entstehen aufgrund eines richtig gestellten Problems“, beginnt einer der Leitsätze in Le Corbusiers berühmtem Werk „Vers une Architecture“ (deutsch: Ausblick auf eine Architektur). Vor Ort verstärkt sich der Eindruck, dass die Grundlagenforschung zum komplexen Thema noch nicht bis ins letzte Detail erfolgt ist, dass die Prototypen noch nicht ganz ausgereift und mit Feinschliff versehen sind. Durchaus einladend präsentieren sich die Sanitäranlagen - in formschönem Design, hell und sauber und auch vandalensicher, wenn die Wände künftig mit einem schleifbaren Acrylmaterial ausgestattet sein werden. Eine erste Schwäche zeigt sich darin, dass für Getränkeautomaten, die auch außerhalb der Öffnungszeiten des Kiosks benützt werden, im überdachten Bereich nicht eigens ein Platz ausgewiesen ist. Die Aufstellung von Mistkübeln, Abfallcontainern und der Notrufsäule scheint einem Zufallsprinzip unterworfen. Während im Konzeptpapier der Effekt der Erholung durch Bewegung, Spazierengehen, Spielen und Rasten betont wird, lassen sich der Realisierung weder besondere Ideen noch Bemühungen zum Zweck der Entspannung ablesen. Ein Kinderspielplatz, eine Wiese. Die Gestaltung des Grünraums beschränkt sich im Wesentlichen auf neu gepflanzte Bäume, Grillplätze und ästhetisch anspruchslose Bänke.

„Die Erfahrung legt den Typ dann endgültig fest“, heißt es abschließend in Le Corbusiers Leitsatz, und in diesem Sinne ist zu hoffen, dass den ersten Schritten zur qualitativen Aufwertung der österreichischen Rastplätze, die durch eine neue Ästhetik der architektonischen Gestaltung Zeichen setzen, künftig der Auftrag zur avancierten Gestaltung der grünen Erholungsflächen durch einen Landschaftsplaner folgen wird.

Rastplätze und Raststätten konfrontieren den Transitreisenden das erste und meist einzige Mal mit österreichischer Bauweise. Karl Schwarzenberg bezeichnete einmal Autobahnraststätten als Visitenkarten eines Landes und fragte sich, wieso diese hierzulande aussehen müssen wie „Mischungen aus Schönbrunner Stallgebäuden und Biedermeier-Landhäusern, das ist Wurstelprater-Architektur“. Zugleich bedauerte er, dass Chancen, über die eigene Kleinheit hinauszuwachsen, vergeben werden, wenn die großartige zeitgemäße Architektur, die es hierzulande gibt, nicht als Kulturträger gezeigt wird. Dem ist nichts hinzuzufügen, außer dass die Autobahnbetreiber im Auftrag des Bundes löbliche Vorreiter sein könnten, würde die Gestaltung der Autobahnraststätten auch verbindlichen architektonischen Standards unterliegen.

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