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Konstruktion und Baukultur
Neue Zürcher Zeitung

Ein deutsches Jahrbuch gibt Einblick

3. November 2006 - Bruno Meyer
Faszinierend ist es, die Entwicklung und kulturelle Bedeutung der Baukonstruktion anhand der Technikgeschichte aufzuzeigen. Ebenso spannend ist ein Besuch in der Werkstatt der Gegenwart, doch wo ist dies möglich angesichts der Bandbreite der Ingenieurleistungen, zumal sie in einem globalen Ausmass erbracht werden? Bereits zum dritten Mal präsentiert deshalb die Bundesingenieurkammer Deutschlands unter Federführung von Karl H. Schwinn eine Auswahl von hervorragenden Bauwerken im In- und Ausland. Die Beiträge der Ingenieure sind allerdings oft nicht offensichtlich, denn sie variieren je nach ihrer Funktion in der Projektorganisation. So ging es beim Fussballstadion Allianz Arena in München, beim Museum MARTa in Herford oder bei der Messe Mailand für die Ingenieure darum, die konstruktiven Aufgaben im Gefolge von bekannten Architekten intelligent und effizient zu lösen. Der Qipco Office Tower in Dauha, der New Bangkok International Airport oder die Erweiterung der Jahrhunderthalle Bochum sind Beispiele für eine starke Interaktion zwischen allen Planern bereits ab Beginn des Entwurfs.

Wie zwei Porträts zeigen, braucht Baukultur ausser technischer Innovation auch wirtschaftlichen Erfolg und gesellschaftliche Akzeptanz. So ist Johann August Röbling (1806-1869) bekannt als Erbauer der Brooklyn Bridge in New York, doch auf seinem Weg zur Konstruktion von Hängebrücken war er in Vermessung, Strassen- und Kanalbau tätig. Dort kam er auf die Idee, Hanftaue durch Drahtseile zu ersetzen, und begann dann, Seile für verschiedenste Anwendungen zu fabrizieren. Der Architekt Frei Otto erkannte bei der Erforschung von hängenden Dächern, dass sich architektonische Form und Konstruktion wie «von selbst» optimal verbinden lassen. Ermuntert von Bauingenieuren wie Fritz Leonhardt (1909-1999), konnte er seine Ideen entwickeln und 1972 für das Olympiastadion in München realisieren. Wie die neusten Tendenzen der bautechnischen Forschung zeigen, liegen die Schwerpunkte gegenwärtig beim Lernen aus Katastrophen und beim ökologischen Einbinden von Haustechnik in den architektonischen Entwurf. Insgesamt macht das Jahrbuch nicht nur deutlich, dass Ingenieure mit den Bauwerken langfristig in die Landschaft eingreifen, sondern, dass sie auch gesellschaftliche Veränderungen mitgestalten.

[ Ingenieurbaukunst in Deutschland. Jahrbuch 2005/06. Hrsg. Bundesingenieurkammer. Junius-Verlag, Hamburg 2006. 208 S., Fr. 66.70. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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