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Radikal dicht
Spectrum

Schnickschnack und Romantik sucht man hier vergebens. Dazu Schlaf- und Badezimmer ohne Aussicht. Ernst Linsbergers Wohnbau in Krems: ein Werk mutiger Entscheidungen.

5. November 2006 - Franziska Leeb
Ausgerechnet ein Wohnbau mit Zimmern ohne Aussicht ist der Beleg dafür, dass auch in Niederösterreich im großvolumigen Wohnbau durchaus mehr möglich ist als die üblichen, völlig uninspirierten Wohnblöcke, die den Stadtbildern nichts Gutes tun und alle, die es sich leisten können ins Einfamilienhaus treiben, weil attraktive verdichtete Wohnanlagen rar sind. Warum sich in Niederösterreich keine bessere Wohnbaukultur entwickelt hat, ist eine eigene Geschichte. Aber immerhin leistet sich das Land seit Anfang des Jahres Beiräte, die dafür sorgen sollen, dass bestimmte Qualitätskriterien im geförderten Wohnungsbau eingehalten werden. Wie durchschlagskräftig diese Gremien sind - die jeweils einreichenden Bauträger dürfen ein Beiratsmitglied nominieren, und die Hand, die einen füttert, beißt man bekanntlich nicht -, wird die nähere Zukunft weisen, wenn gebaute Resultate da sind. Das Schlimmste verhindern und den Durchschnitt heben, mehr darf man sich ohnedies nicht erhoffen. Richtig gute Ergebnisse kommen anders zustande: Entweder durch ordentliche Wettbewerbe oder indem ein kompetenter Bauherr die besten verfügbaren Architektinnen und Architekten zu fairen Bedingungen engagiert.

Krems gilt als die Architektur-affinste Stadt in Niederösterreich. Etliche Gustostückerln zeitgemäßer Architektur sind im letzten Jahrzehnt entstanden - darunter viele Kleinbauten wie Aufstockungen, Adaptierungen, Einfamilienhäuser oder Lokale von ortsansässigen Architekten ebenso wie von überregional bekannten Persönlichkeiten. Aber es gibt auch starke Statements von städtebaulicher Relevanz, allen voran der Campus Krems von Dietmar Feichtinger. Einzig im verdichteten Wohnbau geschah aus architektonischer Sicht wenig Relevantes, und was an über die Grenzen der Wachau hinaus Erwähnenswertes realisiert wurde, stammt aus einer Architektenpratze.

Ernst Linsberger legt nach seiner Atrium-Reihenhaussiedlung in der Kremser Katastralgemeinde Gneixendorf (1998), der Siedlung am Hundssteig (2004) und einer eigenwillig bodenständig angehauchten Siedlung in Egelsee (2005) nun einen weiteren bemerkenswerten Wohnbau auf Kremser Boden vor. Diesmal auf einem felsigen Südhang an der Langenloiser Straße. Linsberger bevorzugt mittlerweile den Stein als Baugrund, „weil sich unter dem Löss in Krems immer Zeug aus dem Paläolithikum findet“, was zu enormen Bauverzögerungen führen kann. Sein architektonisches Vokabular hat der Rainer-Schüler wie bereits von der kleinen Gneixendorfer Anlage zur das Stadtbild prägenden Siedlung am Hundssteig wiederum weiterentwickelt. Bei seinem jüngsten Werk sind ebenfalls Atrien, hohe Verdichtung und der Dialog mit der Landschaft wichtige Themen. Aber sie werden radikaler, bar jeder Romantik, abgehandelt.

Insgesamt 67 Wohnungen ducken sich unter markant auskragenden Flachdächern aus Betonfertigteilen in den Hang. Von sympathischer Schroffheit - wie der Fels darunter und nicht patzweich wie Löss - auch der mit einem Streifenrelief und schmalen waagrechten Lichtschlitzen versehene Sockelbau, der die riesige Tiefgarage birgt.

Der dichte Teppich an Terrassenwohnungen ist streng organisiert. Schnickschnack wie unbrauchbare Vorgärten, Rasenrabatten und umständliche Wegführungen gibt es nicht. Dafür mit einem Glasband gedeckte, kerzengerade Gänge zwischen den Zeilen, die zu den einzelnen Wohnungen führen. Auch viele das Alltagsleben erleichternde Details, die selbstverständlich sein sollten, im Wohnungsaber aber längst nicht Usus sind, sind hier realisiert. So sind zum Beispiel die Terrassen mittels Betonfertigteilwänden voneinander sichtgeschützt abgetrennt. Jede Wohnung hat anstatt eines finsteren Kellerabteils einen nächst dem Eingang situierten, holzverschalten Abstellraum. Das sind Kleinigkeiten, die nicht viel kosten, aber die Nutzbarkeit und Bequemlichkeit einer Wohnung mit wenig Aufwand steigern.

Es gibt etliche Wohnungstypen und an den Rändern jeweils Sonderformen mit oft recht eigenwilligen, dreieckigen Grundrissen. Die typische Wohnung sieht so aus: Von der Eingangsebene, in dem sich die Garderobe und eine Toilette befinden, führt eine Treppe ins Wohngeschoß, das um ein mit Glas gedecktes Atrium organisiert ist. Die Schlaf- und Badezimmer beziehen das Tageslicht ausschließlich von diesem innen liegenden Raum. Sie haben daher, und das ist eine mutige Entscheidung, keine Sichtverbindung nach außen. Eine kontrollierte Wohnraumlüftung sorgt für gutes Klima. Ausblick nach außen und über die Stadt gibt es durch die verglasten Fronten der Wohn-Essräume und von den geräumigen gedeckten Terrassen aus. Das antike Hofhaus wird hier auf wenig Fläche in den geförderten Wohnbau transferiert. Erreicht werden damit höchste Privatheit durch die starke Orientierung nach innen und ein großzügigeres Flair durch den lichtdurchfluteten zentralen Raum.

Ernst Linsberger kümmert sich wenig um Architekturtheorien und Moden. Und obwohl er nicht von der Jagd nach Innovationen getrieben zu sein scheint, gelingen ihm immer wieder Bauten, die dank gescheiter Kombinationen aus erprobten und neuen Elementen sowie Sinn für zweck- und materialgerechte Details in der Wohnbau-Oberliga mitspielen. Denn es ist weniger wichtig, Neues zu erfinden, als bereits Erfundenes so anzuwenden, dass dabei Wohnungen herauskommen, die ihren Nutzern Freude machen, städtebaulich sorgsam konzipiert sind sowie ökonomisch und ökologisch auf aktuellem Stand sind. - Im geförderten Wohnbau trotz aller Jubelmeldungen über das hohe Niveau im österreichischen Wohnbau längst noch nicht überall selbstverständlich. [*]

[ Zum Lokalaugenschein lädt „Orte“ am 11. November um 14 Uhr ]

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