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Monument für ephemere Medien
Neue Zürcher Zeitung

Das Institut für Bild und Ton von Neutelings Riedijk in Hilversum

Hilversum gilt als die Radio- und Fernsehstadt der Niederlande. Hier nun konnte kürzlich ein nach den Entwürfen des Architekturbüros Neutelings Riedijk realisierter Bildspeicher für die audiovisuelle Kultur des Landes eröffnet werden.

19. Januar 2007 - Hubertus Adam
Als Radios noch mit Frequenzskalen und Ortsnamen versehen waren, galt Hilversum - wie seinerzeit auch Beromünster - im Ausland als ein Sehnsuchtsort. In der Tat verdankt die Stadt auf halbem Weg zwischen Utrecht und Amsterdam ihre Bekanntheit dem Rundfunk und den Medien. Dank der idyllischen Lage in Wald und Heide des Gooilands hatte Hilversum mitsamt den Nachbarorten Bussum, Laren, Naarden oder Blaricum schon um 1900 einen Aufschwung als Gartenvorstadt von Amsterdam erlebt - Villenquartiere mit ausgedehnten Grünanlagen zeugen auch heute noch von dieser Zeit der Prosperität. Doch zu einer eigentlichen Blüte gelangte die Stadt erst, nachdem das 1916 gegründete Radio Holland sich entschlossen hatte, Produktion und Sendebetrieb nicht in Amsterdam, sondern in Hilversum anzusiedeln.

Unter der Ägide des Architekten Willem Marinus Dudok erhielt die expandierende Stadt ein eigenes Gesicht. Im Stadterweiterungsgebiet jenseits der Bahnlinie nach Amsterdam und Utrecht entstand nach 1918 das ausgedehnte Produktionsgelände der Nederlandse Seintoestellen Fabriek NSF, die später von Philips übernommen wurde. Die Rundfunkanstalten selbst entsprangen gesellschaftlichen, politischen oder religiösen Initiativen: die unabhängige Algemene Vereniging Radio Omroep (AVRO), das Arbeiterradio VARA, der christliche Rundfunk NCRV sowie die Radioanstalten der Protestanten (VPRO) und Katholiken (KRO). Die grossen Studiokomplexe aus den dreissiger Jahren liegen nördlich der Innenstadt verstreut im Siedlungsgebiet und zeugen mit ihrer eleganten und grosszügigen Architektur in hellem Klinker vom Anspruch, der sich mit dem neuen Medium verband.

Von der Radio-City zum Mediapark

Als die Rundfunkgesellschaften nach dem Zweiten Weltkrieg sich auch mit Fernsehproduktionen befassten und deshalb erhöhten Raumbedarf verzeichneten, kam es zu Erweiterungen der bestehenden Baulichkeiten. Zudem wurde die Radio-City als gemeinschaftlich nutzbares Produktionsgelände nördlich des Bahnhofs angelegt. Hier steht auch das Betriebsgebäude des Auslandradios Wereldomroep (Weltrundfunk), das van den Broek en Bakema 1961 als elegante Kreuzstruktur errichteten.

Neue private Produktionsgesellschaften haben sich inzwischen ebenfalls auf dem Areal niedergelassen, so jene von John de Mol, welche den Talk- und Quizboom der vergangenen Fernsehjahre mit prägenden Formaten gefördert hat. Mit der Neuordnung der Senderlandschaft in den neunziger Jahren sind auch die klassischen Sender in die nunmehr zum «Mediapark» erhobene Radio-City übersiedelt. Als Inkunabel der zeitgenössischen niederländischen Architektur gilt der neue Sitz von VPRO, das Erstlingswerk des erfolgreichen Architekturbüros MVRDV aus dem Jahr 1997. Höfe, Terrassen sowie wellenartig bewegte Böden und Decken bilden eine dem eher unkonventionellen Charakter des Senders entsprechende Arbeitslandschaft. Hinter dem VPRO-Gebäude wurden seither zwei weitere Neubauten realisiert: das als aufgeständerte Box in den Hang eingelassene Sendegebäude RVU, ebenfalls von MVRDV entworfen, sowie der nach Plänen von Koen van Velsen in den Wald integrierte Sitz des Rundfunkkommissariats.

Neues Wahrzeichen des Mediaparks aber ist das vor vier Wochen eröffnete Nederlands Instituut voor Beeld en Geluid (Niederländisches Institut für Bild und Ton), ein bunt schimmerndes Volumen über quadratischem Grundriss. Es liegt exponiert an der stadtseitigen Zufahrt zum Mediapark, gegenüber der Multatulischool von Dudok. Den Wettbewerb des Jahres 1999 hatte das Büro Neutelings Riedijk gewonnen, das zu den wichtigsten Exponenten der niederländischen Architekturszene der Generation nach Rem Koolhaas zählt. Willem Jan Neutelings und Michiel Riedijk sind bekannt für eine in starkem Masse bildhafte Architektur mit kraftvollen Formen, einer komplexen inneren Organisation sowie grafischen Oberflächentexturen. Zu ihren wichtigen Werken zählen ein Wohnturm im östlichen Hafengebiet von Amsterdam (1998), in dessen kubisches Volumen 16 unterschiedliche Wohnungstypen eingeschachtelt sind, sowie fünf sphinxartig in das Wasser des Gooimeers vorstossende Wohnbauten in Huizen, einer Vorortgemeinde von Hilversum (2003). Ein neuer öffentlicher Bau ist das Schifffahrtskolleg in Rotterdam (2005); das turmartige «Museum aan de Stroom» in Antwerpen soll in den kommenden Jahren realisiert werden.

Die private Stiftung Beeld en Geluid wurde 1997 als Zusammenschluss verschiedener audiovisueller Archive und des Rundfunkmuseums gegründet. Das Institut mit seinen 200 Mitarbeitern sammelt und konserviert die nationalen Ton- und Bildbestände, wobei in der digitalen Ära gerade die Frage des Erhalts historischer Medien die grösste Herausforderung darstellt.

Canyon, Foyer, Blackbox

Das Raumprogramm, mit dem Neutelings Riedijk sich konfrontiert sahen, vereint drei Nutzungen: ausgedehnte Magazine, Büros für die Mitarbeiter und Publikumsbereiche. Zunächst dachten die Architekten an einen Turm, wie sie ihn auch in Antwerpen errichteten, doch liess die für das Areal geltende Baugesetzgebung nur eine Höhe von maximal 26 Metern zu. Daher entschied man sich, den Turm zur Hälfte versinken zu lassen und grosse Teile des Raumprogramms im Untergrund anzusiedeln. Betritt man das Gebäude durch den Haupteingang, so quert man zunächst auf einer Brücke eine Art Canyon. Atemberaubend ist der Blick hinunter in die Tiefe auf fünf terrassiert gestaffelte Geschosse für das Archiv. Die Idee der Abtreppung kehrt im grossen Foyer wieder, das sich quer durch das Gebäude erstreckt und dessen gesamte Höhe einnimmt: Der vertikalen Raumschicht mit den Büros im Westen steht die geschlossene, mit Metallelementen verkleidete Front der Ausstellungsbereiche gegenüber, die von Geschoss zu Geschoss weiter auskragt. Das zur Südfront mit dem Wasserbecken orientierte Selbstbedienungsrestaurant besteht ebenfalls aus einem abgetreppten Katarakt aus Sitzbereichen.

Über der Ebene mit zwei Film- und Vortragsräumen sowie einem grossen Saal für Wechselausstellungen erreicht man die «Media Experience», die als Blackbox in einem nachtblau gestrichenen Raum von 52 Metern Länge, 28 Metern Breite und 12 Metern Höhe eingerichtet ist und durch diverse Emporen und Einbauten gegliedert wird. Nach der Art eines Science-Museums finden sich hier 15 Themenpavillons, die Wissen vermitteln und zugleich unterhalten sollen. Die Besucher können hier den Betrieb eines Fernsehstudios erleben, sollen aber auch zu kritischer Reflexion animiert werden. Ob das funktioniert, bleibt fraglich: Manches wirkt allzu seicht, und die historischen Exponate gehen in der Masse von Hands- on-Displays unter, welche um die Aufmerksamkeit des Publikums buhlen.

Höchst eindrucksvoll indes sind die Fassaden des Baus. Der Videokünstler Jaap Drupsteen hat aus der niederländischen Fernsehgeschichte Hunderte von Bildern ausgewählt, diese durch digitale Modifikation horizontal verwischt und mit Farbpulver auf die Glasscheiben aufgedruckt. In einem durch Matrizen vorbereiteten Sandbett wurden die Scheiben anschliessend erneut gebrannt. Während die Fassade aus der Ferne wie ein unscharfes Testbild erscheint, lassen sich aus der Nähe einzelne Details erkennen. Eine Ausstellung im Museum Hilversum informiert über das Werk von Jaap Drupsteen und den aufwendigen Herstellungsprozess der Fassadenhaut. Ergänzend sind auch beleuchtete Modelle der wichtigsten Projekte von Neutelings Riedijk zu sehen.

[ Die Ausstellung «Over Beeld en Geluid» ist im Museum Hilversum bis zum 6. Mai zu sehen; kein Katalog. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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