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Gute Nacht Baukultur
Der Standard

Auch für diese Regierung ist die Kultur des Bauens kein Thema. Wenn die Architektur nur Kunst und das Bauen lediglich Wirtschaft ist, kann alles nur schief gehen. Aber noch könnte umgedacht und gemeinschaftlich agiert werden.

20. Januar 2007 - Ute Woltron
Um zu zeigen, wie umfassend das Thema Architektur und Bauen betrachtet werden sollte, ein aktuelles Beispiel aus Großbritannien: Dort werden, wie überall in den reichen Ländern, die Leute immer fetter. Das ist nicht nur ungesund, sondern volkswirtschaftlich betrachtet auch teuer. Ein Vorschlag, wie dem zumindest entgegengewirkt werden könnte, stammt nun von der „Commission for Architecture and the Built Environment“, kurz CABE, die als Gouvernment Advisory Board die britische Regierung umfassend in Sachen Planen und Bauen berät.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass Stadtteile und Gebäude, die fußgängerfreundlich sind, von den Menschen sehr wohl angenommen werden. Autos bleiben stehen, Leute gehen. Planer und Auftraggeber, so CABE, sollten also dringend dazu aufgefordert werden, attraktive Fuß- und Radwege in ihren Projekten zu berücksichtigen. In Bürogebäuden muss es künftig mehr Abstellplätze für Fahrräder geben, Stiegenhäuser sollten keine versteckten Feuertreppen, sondern benutzbare Vertikalverbindungen sein, adäquat gestaltete städtische Freiräume sollten zur Bewegung im Freien anregen. „Wir wollen das Verhalten der Menschen verändern“, so eine CABE-Sprecherin gegenüber der britischen Tageszeitung The Guardian, „doch das ist sehr schwierig, wenn die gebaute Umwelt sie dazu erst gar nicht ermutigt.“

Dieses Beispiel, das im Übrigen durch Statistiken und Case-Studies untermauert ist, soll veranschaulichen, dass es in der Architektur nicht um Kunst geht oder um gebaute Schönheit für viel Geld. Es geht vielmehr um das maß- und zielvolle Planen der Umwelt, in der wir alle zu Hause sind und die ein kompliziertes, vernetztes System darstellt, an dem beileibe nicht nur Architektinnen und Architekten mitplanen.

Schon allein aus diesem Grund ist es völlig unverständlich, dass eine Nation wie Österreich auf diesem wichtigen Gebiet nicht einmal andeutungsweise einen Plan aufzuweisen hat. Die Baukultur, für die in grauer Vergangenheit immerhin einmal ein eigenes Ministerium zuständig war, wurde im Regierungsprogramm in Form eines einzigen, kurzen, unverbindlichen Satzes dem Bildungs- und Kunst-Ressort zugeschoben und steht dort nun verloren als Randbemerkung neben den (zu Recht) verheißungsvoll wieder aufstrebenden Sparten Film, Theater, bildende Kunst etc.

Dabei handelt es sich um ein verhängnisvolles, hierzulande jedoch mittlerweile traditionsreiches Missverständnis: Architektur gilt als gebauter Luxus, sie wird betrachtet als Spielerei, als Liebhaberei und Angeberei für Leute und Unternehmen, die sich das leisten wollen. Kurzum: Der Begriff Architektur ist mittlerweile so pervertiert und auf Formspielerei reduziert, dass er nichts Geringeres als mit sofortiger Wirkung abgeschafft und durch Gehaltvolleres ersetzt gehört. Durch den Begriff Baukultur zum Beispiel.

Tatsächlich wäre die österreichische Bauwirtschaft mitsamt allen Fachbereichen als kulturträchtiges Gesamtes zu betrachten - und sofort stellt sie eine außerordentlich zugkräftige Maschine dar. Rund 30 Milliarden Euro werden jährlich in den Bau investiert, was einem Anteil von 11,7 Prozent der Gesamtwirtschaft entspricht. In der Bauwirtschaft arbeiten rund 8,2 Prozent aller Erwerbstätigen, und rechnet man alle vor- und nachgelagerten Wirtschaftsbereiche mit ein, ist dieser Sektor einer der wichtigsten Wirtschaftsbereiche und Arbeitgeber überhaupt.

In einer Studie des Wifo, die Teil eines bis dato unveröffentlichten nationalen „Baukulturreports“ ist, steht geschrieben: „Bauinvestitionen sind nicht nur bedeutend für Wachstum und Beschäftigung, sie sind auch ein entscheidender Faktor für den Wirtschaftsstandort und prägen die Lebensqualität und das kulturelle Umfeld eines Landes. Abgesehen vom hohen wirtschaftlichen Beitrag am Bruttoinlandsprodukt beeinflusst die Bauwirtschaft auch nachhaltig das Gesellschaftsleben.“ Und: „Im Gegensatz zu anderen produzierenden Wirtschaftsbereichen wirkt sich das Bauwesen langfristig auf die Umwelt und die sozialen und kulturellen Lebensbedingungen aus.“

Dazu kommt: „Die Bauwirtschaft ist wesentlich an der Vermögensbildung beteiligt. Rund 70 Prozent des gesamten Anlagevermögens Österreichs sind Bauten, die von der Baukultur und Bauarchitektur wesentlich geprägt sind.“

Im Regierungsprogramm steht nichts darüber zu lesen, wie mit diesem Anlagevermögen umgegangen werden soll, wie es verbessert, ausgebaut, optimiert werden könnte, und es ist geradezu eine Verhöhnung der gesamten Planerschaft und letztlich der sich täglich im gebauten Umfeld bewegenden Bevölkerung, wenn dafür im Bereich Wirtschaft zum Zwecke der touristischen Ankurbelung „die Schaffung eines Museums über die Geschichte der Habsburger im Schloss Schönbrunn“ sowie eine „Weiterführung des alpinen Schutzhüttenprogramms“ vorgesehen ist.

Der Architekt Georg Driendl, Häuptling der mächtigsten Architektenkammer Wien, Niederösterreich, Burgenland, nimmt das alles gelassen „zur Kenntnis“, meint aber: „Wenn jeder Bereich so dermaßen unkontrolliert und unkoordiniert abläuft wie das Bauwesen, na, dann Gute Nacht.“

Vor knapp zwei Jahren hatten die Planer und Planerinnen dieses Landes einen ersten Anlauf unternommen, im Rahmen einer parlamentarischen Enquete die Regierung ein wenig aufzurütteln und für die Thematik affin zu machen. Das Parlament beauftragte sodann immerhin das damals für Architekturbelange noch zuständige Bundeskanzleramt mit der Anfertigung einer breit angelegten Studie - des vorhin bereits erwähnten so genannten „Baukulturreports“. Das Bundeskanzleramt delegierte, eine ARGE Baukulturreport nahm die Arbeit auf, eine Vielzahl von Experten recherchierte, und vergangenen November wurde die rund 300 Seiten starke Expertise in säuberlich gelayouteter, bebilderter und mit Tabellen gespickter Form übergeben. Allerdings nicht dem Auftraggeber Bundeskanzleramt, sondern der im Wirtschaftsministerium für Tourismusbelange zuständigen Sektionschefin Elisabeth Udolf-Strobl - denn der für Kunst und auch Architektur im BKA verantwortliche Staatssekretär Franz Morak war bekanntlich mittlerweile wahlbedingt in statu abeundi.

„Der Baukulturreport ist sehr schön und gut geworden“, sagte Udolf-Strobl nun dem Standard gegenüber, wie allerdings damit weiterverfahren werden solle, könne sie noch nicht sagen. Sie erwarte jedoch, dass „derjenige Ressortchef, der zuständig sein wird“, das Thema bei Gelegenheit wieder aufgreifen werde.

Nur: Wann, wenn nicht jetzt bietet sich die Gelegenheit? Und: Wer ist zuständig? Derweil niemand. Doch das war nicht immer so. Dem in Nachkriegs- und Wiederaufbauzeiten erforderlichen Bautenministerium folgte nach dessen Abschaffung zumindest eine eigene Sektion im Wirtschaftsministerium (mit legendär persönlichkeitsstarken Sektionsleitern), die nach Auslagerung der bundeseigenen Gebäude in eigene Gesellschaften (BIG, Burghauptmannschaft) ersatzlos gestrichen wurde.

Im Baukulturreport wird denn auch die dringende Schaffung einer eigenen Stabstelle für planerische Belange aller Art gefordert. So könnte etwa ein Staatssekretariat Anlaufstelle für Standesvertretungen, Gebührenordungen etc. sein, denn zu tun gäbe es genug. Wer koordiniert etwa buchstäblich staatstragend die dringend erforderliche Vereinheitlichung der neun unterschiedlichen Bauordnungen, die die Nation wahrlich nicht notwendig hat?

Doch noch ist nicht aller Legislaturperioden Abend, und wenn die Bundesregierung, wie sie propagiert, im Dienste der Verbesserung der Lebensumstände der Menschen angetreten ist, werden sich alsbald klar denkende Politiker dieses fruchtbaren, wirtschaftskräftigen, zukunftsstrotzenden Gebietes lustvoll annehmen.

Der Baukulturreport liegt vor. Er ist kein Jammerpapier einer handverlesenen Gruppe frustrierter Architekten, sondern ein konstruktives Konvolut, das mit einer ganzen Reihe von Empfehlungen und Verbesserungsvorschlägen aufwartet. Er müsste nur erstens gedruckt, zweitens veröffentlicht, drittens gelesen, viertens verstanden und fünftens in kleinen, energischen Schritten gemeinsam umgesetzt werden.

Georg Driendl als Architektenvertreter steht nicht allein da, wenn es für ihn „unverständlich“ ist, „dass sich niemand in der Regierung um die Baukultur als Gesamtheitliches kümmert.“ Denn: „Wenn man in dieser Materie arbeitet, weiß man, dass alles zusammenhängt, vom Straßenbau, der Bahn, dem Wohn- und Industriebau bis hin zum Einfamilienhaus.“ Und sogar dem Gesundheitssystem, wie die britischen Kollegen eben vital vorhüpfen.

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