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Aufbruchsstimmung am Guadalquivir
Neue Zürcher Zeitung

Ein Entwurf von Koolhaas und einige feiner abgestimmte Projekte

Lange Zeit schien Córdoba, verglichen mit andern spanischen Provinzstädten, in einen Dornröschenschlaf versunken. Nun aber setzt auch es, vor allem an den Ufern des Guadalquivir, auf Erneuerung.

20. Februar 2007 - Markus Jakob
Ginge es nach dem Oberhaupt von Spaniens Muslimen, so würden in der einstigen Moschee von Córdoba schon morgen Gebete in Richtung Mekka gesprochen. Doch der katholische Bischof der Stadt hat dieses Ansinnen zurückgewiesen mit der Begründung, schon vor dem um 780 aufgenommenen Bau des islamischen Heiligtums habe sich hier ein christliches Gotteshaus befunden. Nach der «Reconquista» 1236 zur Kathedrale umfunktioniert, ist die Mezquita - auch wenn dem schier endlosen Geflecht ihrer Doppelbögen später ein christliches Herz eingepflanzt wurde - neben der Alhambra das grossartigste Bauzeugnis aus der Zeit von Al-Andalus. Vor ihr liegt der Puente Romano, Zeugnis von der Bedeutung der Stadt zu römischen Zeiten. Den Reichtum ihrer Geschichte trug sie lange mit Gleichmut. Die «Marke» Córdoba schlummerte vor sich hin, auch als 1992 der Anschluss an Spaniens erste, Madrid mit Sevilla verbindende Hochgeschwindigkeitsbahn (AVE) die Stadt in die Gegenwart zu katapultieren schien.

Glasbalken am Guadalquivir

Über den Puente Romano ratterte bis vor kurzem der Autoverkehr. Zurzeit wird die Brücke renoviert; sie soll künftig den Fussgängern vorbehalten bleiben, wobei der vorgesehene rosa Granitbelag für Diskussionen sorgt: kein Wunder in einer Stadt, die ihre schwarzweiss gemusterten Strassenpflästerungen wie Kunstwerke hegt. Könnten wir am Brückenkopf vor der Moschee in die Zukunft blicken, so erblickten wir links am gegenüberliegenden Ufer ein schmales, etwa zehngeschossiges Glasrechteck: die Stirnseite des «Palacio del Sur», der allerdings aus diesem Blickwinkel seine wahren Dimensionen verbirgt. Den Wettbewerb für dieses Kongresszentrum konnte Rem Koolhaas 2002 gegen Rafael Moneo, Cruz & Ortiz, Toyo Ito und Zaha Hadid für sich entscheiden. Es war ein Sieg der Cleverness über die Klugheit (die etwa Moneos Beitrag kennzeichnete). Der Holländer hatte sich über die Wettbewerbsbedingungen hinweggesetzt - und die Jury durch diese forsche Attitüde überzeugt. Das vorgesehene Grundstück ignorierend, sieht sein Entwurf einen die Miraflores genannte Halbinsel in ihrer ganzen Breite überspannenden, auf Pilotis ruhenden Glasbalken vor, der eine 360 Meter lange Promenade unter sich freilässt. Erinnerungen an Le Corbusier kommen auf, aber auch an Berlins von Koolhaas vermutlich nicht sehr geschätzte Spreebogenplanung.

Wohl ist der Kontext hier ein anderer. Gerade aber diesen degradiert Koolhaas «in Kolonialherrenmanier zum pittoresken Kontrast» - so der Designer Jakob Timpe, dem denn auch nicht Berlin, sondern Nordkorea einfällt, um die hinter dem «Palast des Südens» steckende Gesinnung zu definieren. Gewiss, Koolhaas' Intelligenz fand hier eine urbanistische Strategie und eine einprägsame Form; deren Proportionen aber werden in Córdoba wohl immer als Fremdkörper wirken. Das Projekt liegt seit 2002 auf Eis. Doch soll nun die Finanzierung gesichert sein und das endgültige Programm noch diesen Frühling abgesegnet werden. Dann wird sich weisen, inwieweit Koolhaas die von William J. Curtis bemäkelte «plumpe Detaillierung» seines schwebenden Balkens zu verfeinern vermochte und ob der Balken wirklich schweben wird. In Córdoba jedenfalls glaubt kaum mehr jemand, das Erdgeschoss werde von kommerziellen Nutzungen frei bleiben.

Balkon über den Auen

Vor fünfzehn Jahren löste der AVE-Anschluss in Córdoba einen ersten urbanistischen Erneuerungsschub aus. Architektonisch interessanter als der Bahnhof ist das angrenzende Busterminal von César Portela. Die breite, von hier ausgehende Promenade - eine Gleisüberdachung - hat Zentrumsfunktion erlangt. Bemerkenswerte Bauten fehlen indessen, abgesehen von zwei Wohnhäusern von Rafael de la Hoz, dem Sohn des gleichnamigen Architekten, der Córdoba von 1951 bis in sein Todesjahr 2000 mit teilweise exquisiten Interpretationen der Moderne nachgerade übersäte. Erst in diesem Jahrhundert rückten die lange vernachlässigten Ufer des Guadalquivir ins Blickfeld der Planer. Als die Stadt ein Projekt von Santiago Calatrava für eine neue Brücke verwarf, den Puente de Miraflores, werteten dies manche als Symptom dafür, dass Córdoba sich architektonisch der Gegenwart verschliesst. Doch das stattdessen über den Fluss gespannte minimalistische Cortenstahlband von Herrero Suárez Casado ist zugleich zeitnaher und zeitloser, und zweifellos fügt es sich unaufdringlicher ins Stadtbild als eine skulpturale Konstruktion. Nur bedingt zu bedauern ist auch das Scheitern von Carlos Ferraters Entwurf eines 75 Meter hohen Hotelturms, der im Entwurfsstadium als Symbol für den Aufbruch der Stadt gefeiert worden war.

Ablesbar wird dieser Aufbruch mittlerweile eher an kleineren Interventionen, die an Delikatesse nichts zu wünschen übriglassen. So trifft man - vom Puente de Miraflores nur einige Schritte flussaufwärts - auf eine alte, für die Ufer des Guadalquivir typische Getreidemühle, die Juan Navarro Baldeweg mit einem stimmigen Aufbau zum «Museo Hidraúlico» umgestaltet hat. Dieses steht inmitten der Auen, die sich in der Flussbiegung erhalten haben und die in die gestaffelten Geometrien des «Balcón del Guadalquivir» übergehen: kanalartige Wasserbecken und Grünbänder, die sich bis zum Feria-Gelände ziehen und gleichfalls die Handschrift Navarro Baldewegs tragen. Ein weiterer neuer Park befindet sich am gegenüberliegenden Ufer. Sein Entwerfer, der ursprünglich als Maler bekannte Juan Cuenca, scheint trotz eher mittelprächtigen Ergebnissen in der besonderen Gunst der zuständigen Obrigkeit zu stehen, vertraute ihm diese doch auch die Erneuerung der imposanten Plaza Corredera und neuerdings die des Puente Romano an. An seinen Parque de Miraflores wird dereinst Koolhaas' «Palacio del Sur» grenzen.

Archäologie und Geometrie

Die Miraflores-Halbinsel, von spärlichen Zufallsbebauungen gekennzeichnet, lässt trotz ihrer privilegierten Lage gegenüber der Altstadt jegliche Urbanität vermissen. Dem war nicht immer so, wie die Ruinenfelder der arabischen Stadt zeigen, auf deren Überreste Archäologen auch fern vom Zentrum immer wieder stossen. Im Jahr 936 war der Hof des Kalifen acht Kilometer westlich der Stadt verlegt worden. Die Palaststadt Medina Azahara gilt als grösste einheitlich geplante Stadtanlage ihrer Zeit und nimmt im islamischen Städtebau durch ihre orthogonale Ordnung eine Sonderstellung ein. Doch schon im Jahr 1010 wurde die Anlage in einem Bürgerkrieg zerstört und danach als Steinbruch genutzt. Heute werden ihre erst zu etwa zehn Prozent freigelegten Ruinen und Gebäudereste durch mehrere illegal errichtete Wohnsiedlungen bedrängt.

Umso behutsamer gingen die Madrider Architekten Nieto und Sobejano bei der Planung des Besucherzentrums für die archäologische Stätte vor. Das Gebäude, das ihnen vorschwebte, sollte so aussehen, als wären sie im Boden selbst darauf gestossen. Tatsächlich basiert der Grundriss des introvertierten Gevierts, dessen weisse Betonmauern mehrere Patios umschliessen, auf den Mauerresten dreier Bauten der Stadt Abd al Rahmans III. Der puristische Bau, der ein Museum, Werkstätten und ein Auditorium aufnehmen wird, soll in etwa einem Jahr eröffnet werden.

Kurz vor Baubeginn steht ein anderes Projekt derselben Architekten. Gegen Kontrahenten wie Coop Himmelb(l)au und Zaha Hadid gewannen Nieto Sobejano auch den Wettbewerb für den «Espacio de creación artística contemporánea» (ECAC): ein Ausstellungszentrum mit Atelierräumen auf dem ursprünglich für das Kongresszentrum vorgesehenen, dank Koolhaas' Entwurf frei gebliebenen Ufergelände. Der Entwurf des Madrider Architektenpaars ist das Ergebnis einer langwierigen Suche nach einer isotropen, aus einem Hexagon entwickelten Raumordnung, deren Komplexität - wie die der Mezquita - auf einfachen, jedoch verborgenen geometrischen Gesetzen beruht. Ein verkrampfter, folkloristischer Pastiche demnach? Keineswegs. Die wabenartige Anlage verspricht einer der bemerkenswertesten Bauten der spanischen Gegenwartsarchitektur zu werden, wobei die von den Architekten als «Maske» bezeichnete, von LED-beleuchteten Öffnungen durchlöcherte Medienfassade eher nebensächlich ist. Der kleine feine Bau scheint das herrische Gehabe des kolossalen Containers von Koolhaas - und mit ihm die Fragwürdigkeit der zunehmend zum Machtspiel verkommenden Stararchitektur - zu konterkarieren.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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