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Transformationen in Stadt und Hafen
Neue Zürcher Zeitung

Grosse Neubauten international bekannter Architekten verändern das Gesicht von Rotterdam

Innenstadt und Hafenareale stehen im Brennpunkt der urbanistischen Entwicklung Rotterdams. Nun hat sich die boomende Hafenmetropole selbstbewusst zur Architekturstadt 2007 ausgerufen.

2. März 2007 - Hubertus Adam
Von der verheerenden Zerstörung durch das Bombardement der deutschen Luftwaffe am 14. Mai 1940 hat sich Rotterdam bis heute nicht vollständig erholt. Mehrere Generationen von Stadtplanern haben die Stadt im Geist der Moderne wiederaufzubauen versucht. Van den Broek & Bakema und Hugh Maaskant begannen 1951 mit dem innerstädtischen Lijnbaan-Viertel, das mit seinen eine Fussgängerzone flankierenden Geschäftspavillons und den dahinter aufragenden Wohnscheiben als urbanistische Inkunabel der fünfziger Jahre weltweit Nachahmung fand. Auch wenn später kleinteiligere Strukturen das urbane Gefüge ergänzten: Der Innenstadt von Rotterdam mangelt es an Aufenthaltsqualität. So ist es seit Jahren ein Ziel, durch Nachverdichtung mehr Leben in das Zentrum zu bringen. Das wichtigste Projekt ist eine grosse Markthalle, die nahe der U-Bahn-Station Blaak bis 2009 entstehen soll.

Die Markthalle als Kathedrale

Die Umgebung der zukünftigen Markthalle wird bestimmt von der gotischen Sint-Laurens-Kerk, die als einziges historisches Relikt davon zeugt, dass sich hier einst die Keimzelle der städtischen Entwicklung befand, und den bizarren, auf die Spitze gestellten Kubushäusern (1978-84) des Strukturalisten Piet Blom. Die lange Freifläche der Binnenrotte, die sich dazwischen aufspannt, dient traditionell als offener Marktplatz. Nicht zuletzt neue Hygienevorschriften, denen zufolge beispielsweise der Verkauf von Fleisch im Freien untersagt ist, haben nun zu der Idee einer überdeckten Markthalle geführt - ein Bautypus, der in den Niederlanden anders als in anderen europäischen Staaten in der Vergangenheit keine Vorbilder hat. Gewiss bleibt abzuwarten, ob am Ende tatsächlich eine lebendige Markthalle oder ein Luxus-Food-Court entsteht, doch die Intentionen, die der Projektentwickler Provast bisher bekanntgegeben hat, stimmen zuversichtlich. In der 100 Meter langen Halle sollen etwa 70 Marktstände eingerichtet werden, wobei man kleine lokale Anbieter bevorzugen und ein Augenmerk auf biologische Produkte legen will.

Das Vorgehen bei der Planung der Markthalle ist typisch für die neue rechtsorientierte Stadtregierung, die eigene Investitionen in den öffentlichen Sektor verweigert und dessen Gestaltung dem freien Spiel wirtschaftlicher Kräfte überlässt. Das Grundstück wurde dem Projektentwickler verkauft, der darauf das Bauprojekt für 120 Millionen Euro realisiert; mit 35 Millionen investiert die Stadt allein in die Infrastruktur der Tiefgarage mit ihren 1100 Plätzen. Dass unter diesen Voraussetzungen doch ein bemerkenswertes Projekt entstehen kann, ist dem Unternehmen Provast zu verdanken, das den Ende 2004 prämierten Wettbewerbsentwurf von MVRDV realisiert.

Finanziert wird das Konzept der Markthalle durch Zusatznutzungen, und so entwarfen die Architekten eine zwölfgeschossige Mantelbebauung, welche sich auf beiden Längsseiten über den Freiraum der an den Stirnen und im Zenitalbereich verglasten Halle mit den Marktständen wölbt. Im Sockel sollen Lebensmittelgeschäfte und Gastronomiebetriebe einziehen, darüber sind knapp 250 Eigentums- und Mietwohnungen geplant. Ohne Zweifel besitzt das spektakuläre, 40 Meter hohe Gebäude das Potenzial, als neuer Attraktor das bisher trotz innerstädtischer Lage eher im Schatten des jetzigen Zentrums gelegene Laurenskwartier zu beleben - die Projektentwickler sprechen von einem Zeichen für die Stadt und einer Kathedrale für Rotterdam. Im Februar 2006 hat die Stadt dem Verkauf der Liegenschaft zugestimmt, so dass einer Realisierung nichts mehr im Wege steht.

Revitalisierung der Maasufer

Neben den innerstädtischen Interventionen konzentriert sich die Stadtplanung in Rotterdam auf die Transformation und Revitalisierung der nicht mehr benötigten Hafenareale am Nord- und Südufer der Maas. Die Umnutzung begann schon in den siebziger Jahren, doch erst das Grossprojekt der Neubebauung von Kop van Zuid, der der Innenstadt gegenüberliegenden, durch die zum Wahrzeichen avancierte Erasmus-Brücke verbundenen Hafenareale, liess eine neue Wasserfront entstehen, in die sich auch seit 2005 eine Wohnbebauung des zum Traditionalisten konvertierten, in den Niederlanden erfolgreichen Hans Kollhoff einfügt. Umgenutzte Lagerhäuser und Terminals verbinden sich auf der Landzunge des Wilhelminapiers mit Hochhäusern von Renzo Piano, Norman Foster und dem 156 Meter hohen Turm «Montevideo» von Mecanoo. Diesem «Maashattan» antworten im südöstlich jenseits des Rijnhaven gelegenen Stadtteil Katendrecht zwei Wohntürme von DKV.

Auf das bedeutendste Projekt der Hafenrevitalisierung stösst man derzeit am Nordufer der Maas. Müller- und Lloydpier heissen die beiden Landzungen zwischen dem Stadtteil Delfshaven und der Innenstadt, die nach städtebaulichen Masterplänen von Kees Christiaanse Architects and Planners (KCAP) bebaut werden. Die Ausgangsidee der Architekten bestand darin, die übliche Nutzungstrennung zu vermeiden und eine weitgehende funktionale Durchmischung zu ermöglichen. Der Müllerpier wird schon seit den siebziger Jahren nicht mehr für den Hafenbetrieb genutzt. Da die Fläche über lange Jahre als Standort einer Kirmes diente, war sie weitgehend planiert, als KCAP mit den Planungen begannen.

Es ist die Grundüberzeugung von Kees Christiaanse, dass nur ein auf sozialer und funktionaler Diversifikation beruhendes Stadtquartier lebenswert, urban und letztlich erfolgreich ist. «The City as Loft» nennt Christiaanse sein Konzept, möglichst undeterminierte Räume zu schaffen, die informell genutzt werden können und eine urbane Klientel anziehen, die nicht unbedingt finanzstark ist, aber durch eigene Aktivität als urbaner Generator wirkt. Das ist insbesondere im Bereich des Lloydpiers gelungen, wo die bestehenden Altbauten für Filmstudios, Ateliers oder Lofts umgenutzt wurden; an der Nordkante des Quartiers findet sich das alternative Theaterhaus «Onafhankelijk Toneel» und jenseits vom Westzeedijk das Rotterdamer Konservatorium. Zur eigentlichen Landmarke aber ist das weithin sichtbare Scheepvaart en Transport College an der Maasfront des Lloydpiers geworden. Das Büro Neutelings Riedijk hat die Ausbildungsstätte für Seefahrt und Hafenlogistik als 70 Meter hohe Skulptur konzipiert, die aus einem Sockelbereich, dem wuchtigen Turm und einem im Querschnitt trapezoiden, 20 Meter auskragenden Auditoriumsvolumen in der Höhe besteht; verkleidet ist das im Inneren durch Rolltreppen erschlossene Gebäude mit silbergrauen und blauen, gewellten Stahlblechplatten in Schachbrettanordnung. Während sich die Seitenfront des unteren Hörsaals zur Maas hin öffnet, wirkt die gerahmte Verglasung des oberen Auditoriums wie ein Periskop Richtung Nordsee.

Von Willem Jan Neutelings stammen auch Entwürfe für die Bebauung des Müllerpiers, an der ausserdem EGM, de Architekten Cie. und KCAP beteiligt sind. Die der Industrialisierung des Bauwesens geschuldete niederländische «Tunnelbauweise» aus raumbildenden Betonelementen überführte Neutelings in ungewohnt plastische, mit Backstein verkleidete Volumina. Der abgetreppte Baukörper des Gebäudes «Aert van Nes» entstand für die Stiftung Humanitas, die ungewohnte Wege im Bereich Alterswohnungen beschreitet. Das Restaurant «De Zingende Zeeleeuw» im Erdgeschoss und das wie eine Schublade aus der Front auskragende Hallenbad im Geschoss darüber stehen auch externen Besuchern offen.

Es sei erstaunlich, in welchem Masse die Angebote der Stiftung Humanitas zur Belebung des Quartiers beitrügen, erklärt Christiaanse im Gespräch. Er konnte bereits zwei Bauten auf dem Müllerpier realisieren. Experimente seien allerdings nach dem politischen Wechsel in Rotterdam auch im Wohnungsbau kaum gefragt. So favorisieren die privatisierten Wohnungsbaugesellschaften und Projektentwickler die konventionelle Familienwohnung - während der Masterplan «Townhouses» eine Mischung aus Wohnen und Arbeiten vorsah.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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