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Architektonische Gratwanderung
Neue Zürcher Zeitung

Christian de Portzamparc in der neuen Cité de l'architecture in Paris

Im Herbst soll in Paris das grösste Architekturzentrum Europas, die Cité de l'architecture, eingeweiht werden. Bereits eröffnet wurden die Säle für Wechselausstellungen im Palais de Chaillot, wo derzeit Christian de Portzamparc gefeiert wird.

4. Mai 2007 - Roman Hollenstein
Mit schönen Architekturmodellen bezirzt man Bauherren und Investoren. Aber auch Ausstellungsbesucher lassen sich gerne von ihnen verführen. Das wissen die Verantwortlichen der neuen, gegenüber dem Eiffelturm gelegenen Cité de l'architecture in Paris. Noch bevor das grösste Architekturzentrum Europas im September definitiv eingeweiht wird, sollen die architektonischen Träume von Christian de Portzamparc Besucher in die seit Ende März zugänglichen Wechselausstellungssäle locken. Im Werk von Portzamparc, der 1994 als bisher einziger Franzose mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet wurde, vereinen sich beispielhaft die beiden Hauptthemen, auf welche die Cité künftig ein Augenmerk richten will: Baukunst und Urbanismus. Seine skulpturalen Bauten eignen sich darüber hinaus bestens für eine effektvolle Zurschaustellung mittels Modellen. So lebt denn die in den Backsteingewölben des Palais de Chaillot von Portzamparc selbst als schillernde, auf die Besucher einstürzende Stadtlandschaft inszenierte Schau von Maquetten in allen Grössen - sowie von Filmen. Diese widmen sich neben dem LVMH-Hochhaus in New York, der Philharmonie von Luxemburg und dem Wohn- und Einkaufszentrum im niederländischen Almere durchwegs Grossprojekten der letzten Jahre, welche entweder erst im Bau oder in Planung sind oder gar nicht realisiert werden.

Schluchten und Türme

Diese Konzentration auf neue, auch dem Fachpublikum teilweise noch kaum bekannte Entwürfe verleiht der Eröffnungsausstellung der Cité zweifellos mehr visuelle Attraktivität als eine thematisch aufgearbeitete Retrospektive, wie sie vor zwei Jahren in Lille zu sehen war. Denn neben den jetzt vorgestellten grossformatigen Bauten und Projekten können sich nur wenige frühere Arbeiten von Portzamparc behaupten, etwa die Cité de la musique, die Portzamparc zwischen 1984 und 1995 in der Pariser Villette realisierte. Sie und der stiefelförmige Crédit-Lyonnais-Turm, der seit 1995 auf dem TGV-Bahnhof von Lille zu reiten scheint, veranschaulichen die beiden zentralen Themen im Schaffen des Pariser Architekten: die von schluchtartigen «Rues intérieures» durchfurchten oder von dynamischen Innenlandschaften belebten Sockelbauten sowie die aufgeständerten, skulpturalen Hochhäuser. Wie diese in jüngster Zeit zu tanzen beginnen, zeigt am Eingang zur Ausstellung der 2005 für Las Vegas entwickelte, in phantastisches Licht getauchte Wohn- und Geschäftskomplex «So Bella», der wie so viele megalomane Visionen des Meisters unrealisiert geblieben ist. Der Ausstellungstitel «Rêver la ville» will ganz offensichtlich nicht nur davon berichten, wie Portzamparc mit seinen baulichen Interventionen die Städte umzugestalten sucht, sondern darüber hinaus auch davon, wie der bald 63-jährige Architekt immer wieder sein Herzblut für Entwürfe vergiesst, die sich letztlich als Traumschlösser erwiesen.

Türme bilden den Hauptakzent der über weite Strecken dem Phalluskult geweihten Schau. Bald drehen sich kubisch abgewinkelte Stelen oder wulstige Hüllen in die Höhe, bald verdichten sie sich zu Clustern, um der Pariser Défense, der Innenstadt von Beirut oder der Gegend um das Uno-Hauptquartier am East River expressive oder auch kitschige Akzente zu verleihen. Dort, in New York, steht auch Portzamparcs bisher wohl elegantester Bau, der 1999 an der 57. Strasse vollendete LVMH-Tower, dessen heitere Ausstrahlung der Franzose jüngst selbst mit einer Erweiterung trüben wollte. Bringt die 100 Meter hohe LVMH-Fassade mit ihren geknickten, bald verglasten, bald verspiegelten Flächen Dynamik in die Strassenflucht, so wird die heitere Schar hoher Wohnbauten, die zwei offene Häuserblocks in Peking füllen soll, zum bunten, quasi-postmodernen Formenspiel und - als allzu geschwätzige Weiterführung seiner Wohnsiedlung in Fukuoka und seines kleinteiligen Metz-Projektes - leider zur architektonischen Patisserie. Einzig der urbanistische Ansatz eines halböffentlichen, parkartigen Innenhofes verspricht einen städtebaulichen Mehrwert. Einen solchen erzielte Portzamparc bereits in Almere, wo er eine kleine Shopping-Mall mittels zweier Strassenschluchten in vier Baukörper aufteilte, auf deren begrünter Dachlandschaft farbige Reihenhäuser wachsen.

Prägte die Idee der Auftrennung grosser Bauvolumen durch tiefe Einkerbungen noch das 2001 konzipierte Musée Hergé in Louvain-la-Neuve, so wird diese im unrealisiert gebliebenen Projekt für die New York City Opera in eine mehrgeschossige, zwischen blutrotem Uterus und Weltraumstation oszillierende Foyerlandschaft transformiert. Die hier erprobte räumliche Anordnung der Volumen steigert der Franzose dann in der Cidade da Musica von Rio de Janeiro zu einem dreidimensional durchgeformten Riesenbau, der im Modell an surrealistische Plastiken von Alberto Giacometti erinnert. Dass sich hier für Portzamparc, dessen Schaffen zwischen 1999 und 2005 mit der Botschaft Frankreichs in Berlin und der Luxemburger Philharmonie auf einem kreativen Tiefpunkt angelangt war, ein Weg aus der Krise anzukündigen scheint, beweist nun ein Film, der es einem schon vor der Fertigstellung des Baus im kommenden Jahr erlaubt, durch das von den Betonskulpturen der brasilianischen Nachkriegsmoderne inspirierte Konzerthaus zu spazieren.

Kunst der räumlichen Inszenierung

Es lag wohl nicht in der Macht des Architekten, den städtebaulich isolierten und fast nur mit dem Auto erreichbaren Musiktempel besser ins städtische Leben zu integrieren. Dennoch lässt sich die Cidade da Musica nur schlecht mit dem von Portzamparc immer wieder propagierten humanen und lebenswerten Urbanismus vereinen. Aber vielleicht erschöpft sich dieser ja in farbenfrohen Häusern und begrünten Dächern. Auch eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Ort lässt sich kaum ausmachen - ausser in einigen mit der städtischen Textur verwobenen Wohnanlagen und den Projekten für die Défense, wo Portzamparc die kantige Skyline der Pariser Bürostadt mit unterschiedlichen Entwürfen - darunter die 180 Meter hohe Tour Granite und der 300 Meter hohe, jugendstilartige Generali-Turm - rhythmisieren und harmonisieren möchte. Mehr noch als der Oberflächenzauber der Fassaden könnte Portzamparcs Kunst der räumlichen Inszenierung diesem Stadtviertel jene Spannung verleihen, von der bisher die Interieurs seiner besten Werke lebten und mit der er nun auch in der Ausstellung seine Architektur ganz direkt erfahrbar machen möchte.

[ Bis 16. September in der Cité de l'architecture in Paris. Katalog: Christian de Portzamparc. Rêver la ville. Hrsg. Sophie Trelcat. Editions du Moniteur, Paris 2007. 310 S., Euro 50.-. ]

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