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Holzhäuser und Supermärkte
Neue Zürcher Zeitung

Die Ausstellung «Neues Bauen in den Alpen» in Flims

Obwohl zeitgenössische Architektur derzeit viel Aufmerksamkeit geniesst, bleiben gute Bauten rar. Doch gerade in den Bergen sind klare architektonische Aussagen wichtig, wie eine Schau in Flims zeigt.

30. August 2007 - Roman Hollenstein
Anders als das flache Land, wo schlechte Bauten kaum auffallen, verzeihen Bergregionen aufgrund ihrer Topografie baukünstlerische Fehler nicht. Ein Haus am falschen Ort kann das Erscheinungsbild eines am Hang komponierten Dorfes ebenso stören wie ein Hotel im Pseudo-Tiroler-Stil. Nun sollen aber die Gebirgsgegenden weder zu kulturgeschichtlichen Museen noch zu Refugien für Nostalgiker werden, sondern weiterwachsen können, um die Mär von den «alpinen Brachen» zu widerlegen. Damit dies in einem verträglichen Rahmen geschehen kann, müssen die Bauwilligen aber wissen, was gute Architektur ist. Hier weist – wie nirgends sonst im ganzen Alpenbogen – der Kanton Graubünden mit einer Vielzahl vorbildlicher Schulen, Gemeindebauten und Infrastrukturanlagen den Weg.

Gebaute Vorbilder

Vermehrt begeistern sich aber auch private Auftraggeber für architektonische Qualität, wie Ben van Berkels Erweiterung des Hotels «Castell» in Zuoz, Pablo Horváths Wohnblocks in St. Moritz oder der geplante Turm von Herzog & de Meuron auf der Schatzalp in Davos beweisen. Und selbst bei den vielgeschmähten Einfamilienhäusern kündigt sich Besserung an. So findet man in dem für sein harmonisches Aussehen bekannten Weinbauerndorf Fläsch in der Bündner Herrschaft mit dem Haus Meuli von Bearth & Deplazes einen kantigen Betonbau, der sich auf den ersten Blick ebenso rigoros wie extravagant gibt, sich aber bei genauerer Analyse als perfekt in den Ort integriert erweist. Solche Werke müssten eigentlich vermehrt als Vorbilder hervorgehoben werden. Doch in der nunmehr vierten Ausgabe des 1992 vom Südtiroler Ferienort Sexten initiierten Preises für «Neues Bauen in den Alpen» sucht man nach diesem Haus vergeblich.

Vielleicht war die hochkarätige, aber schon etwas angegraute Jury diesmal allzu sehr auf Holz fixiert, was auch erklären mag, warum der kubische Gäste-Turm der Villa Garbald in Castasegna von Miller & Maranta oder die Erweiterung eines Behindertenwohnheims in Scharans von Corinna Menn keine Gnade fanden, obwohl sie die von Bruno Reichlin geforderte Auseinandersetzung mit der «landschaftlichen Lage, der Topografie und der Aussicht» perfekt erfüllen. Von den Steinbauten stiess nur Gion A. Caminadas 2004 vollendetes Mädcheninternat des Klosters Disentis auf Begeisterung und sicherte sich gar den ersten Preis, den es allerdings mit dem 2001 eröffneten «MPreis»-Supermarkt von Rainer Köberl und Astrid Tschapeller in Wenns im Tiroler Pitztal teilen muss. Beide Bauten geniessen einen Ehrenplatz in der kargen, sich ganz auf Fotos und Publikationspläne abstützenden, auf jeden Kommentar verzichtenden Ausstellung im Gelben Haus in Flims. Unter dem Titel «Neues Bauen in den Alpen» stellt die Schau neben den erstprämierten Arbeiten und einem Hotel des für sein Lebenswerk geehrten Südtirolers Othmar Barth auch die übrigen 29 ausgezeichneten Gebäude vor, die aus 419 Eingaben ausgewählt wurden.

Etwas dubios erscheint die Präsenz von vier «MPreis»-Filialen, zumal sie baukünstlerisch von mässiger Qualität sind. Gewiss sind Supermärkte für Bergtäler ein Segen, doch müssen sie deswegen noch lange nicht zu wegweisenden Architekturen erklärt werden. Die «MPreis»-Euphorie lässt sich damit erklären, dass die Jury diesmal einen Akzent auf infrastrukturell wichtige Bauwerke setzen wollte. Das gelingt ihr mit der Auszeichnung des Dorfplatzes in Domat/Ems von Gioni Signorell, des Fernheizkraftwerks Sexten von Siegfried Delueg sowie mehrerer Brücken von Walter Bieler, von Conzett, Bronzini, Gartmann, von Geninasca Delefortrie und von Marte Marte. Weit weniger überzeugen die Entscheide zugunsten der Betriebsanlage des Strassenbauamts Klagenfurt, des Biomasse-Heizwerks Lech, des Gemeindezentrums Inzing oder des Altersheims Steinfeld. Umso erstaunlicher ist dann aber die Tatsache, dass das Preisgericht den erwähnten Bau von Corinna Menn ebenso ignorierte wie Horváths volumetrisch und ästhetisch perfekt ins Dorfbild von Riom-Parsonz eingepasste Schulhauserweiterung. Als einziger Kulturbau wurde das von Valerio Olgiati zum weissen Würfel umgeformte spätklassizistische Gelbe Haus in Flims berücksichtigt. Vorbildliche Fremdenverkehrs-Gebäude, die für die alpine Zone besonders wichtig wären, sucht man dagegen – abgesehen von der pompösen Parkhotel-Erweiterung in Hall – vergebens. Dabei hätten sich das Hotel Pergola von Matteo Thun in Algund bei Meran oder die beiden Erweiterungsbauten der Jugendherberge Zermatt von Bauart Architekten angeboten, die all den falschen Chalets mutig die Stirn bieten.

Wichtige Diskussionen

Vor allem Ein- und Mehrfamilienhäuser sollten künftig von Jury und Ausstellung aufmerksamer gewürdigt werden, machen sie doch auch in den Bergregionen den Hauptteil der Neubauten und damit der potenziellen baukünstlerischen und urbanistischen Fehlentwicklungen aus. Dabei käme Objekten von der Qualität des Hauses Meuli oder des immer noch polarisierenden Wohn- und Geschäftshauses von Höller & Klotzner in Schenna bei Meran die Funktion von Katalysatoren zu, an denen sich die für das Architekturverständnis nötigen Diskussionen entzünden könnten. In der jetzigen Auswahl gelingt das nur dem höchst eigenwilligen Holzhaus von Loeliger Strub in Bürglen im Kanton Uri, während sich Peter Zumthors Haus Luzi im bündnerischen Jenaz wohl doch etwas allzu selbstverliebt in Szene setzt, um wirklich wegweisend zu sein.

Schliesslich kann die Ausstellung noch mit einer Trouvaille aufwarten: dem Seebad von Mauro Castelletti am Lago del Segrino in den Hügeln der lombardischen Brianza. Dafür ist das Preisgericht erneut weder in Bayern noch in Slowenien fündig geworden; und auch Frankreich ging diesmal leer aus. Die durchaus begründete Dominanz der Schweiz manifestiert sich in schnörkellosen Häusern, waghalsigen Konstruktionen und einem subtilen Dialog mit dem Kontext. In Südtirol hingegen wurden für einmal Architekturen geehrt, die von einer weltgewandten Auseinandersetzung mit der Land-Art zeugen, wie das Fernheizkraftwerk Sexten oder Walter Angoneses meisterhaft erweitertes Weingut Manicor bei Kaltern, das weit eher als der Supermarkt in Wenns einen Ehrenplatz verdient hätte. Demgegenüber drohen die Bauten in den österreichischen Bergregionen durch formale Exzesse und eine unmotivierte Materialvielfalt immer mehr ins Manierierte abzugleiten.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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