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Architekturblüten als Modetüten
Der Standard

Oder dreht sich der Shopping-Architektur-Trend doch gerade wieder in Richtung Understatement um?

15. September 2007 - Ute Woltron
Rechtzeitig bevor der vorweihnachtliche Einkaufswahnsinn jenen, die eigentlich gar nicht so gerne einkaufen, das städtische Leben für mehrere Monate zur Qual macht und die anderen wiederum in ihrer liebsten Freizeitbeschäftigung legitimiert, widmen wir uns den schönsten, teuersten, exklusivsten und hysterischsten Designs, die die Welt der Geschäftslokale heutzutage zu bieten hat: Den Shops für das Gewand, in Wien kurzerhand die „Panier“ genannt.

Die alte bundeshauptstädtische Bezeichnung für das Outfit ist freilich eine völlig unmodische und dadurch umso treffendere. Die Panier besteht stets aus allerlei Zutaten, sie geht am Körper ihres Trägers eine individualistische Einheit ein. Egal was getragen wird, ob kartoffelsackartiges Understatement, Second-Hand-Eleganz oder nach sündigen Investments riechendes Markenzeug - die Geschmacksrichtung der Panier verrät einiges über das darunter befindliche menschliche Trägermaterial.

Mit diesen persönlichen Gelüsten zu spielen ist natürlich eine der Künste, derer sich die Modeindustrie seit jeher auch in Sachen Shops und Architektur bereitwillig annimmt. In den vergangenen zehn Jahren erfuhr dieser Trend eine erstaunliche Intensivierung: Jede große, international agierende Marke leistete sich vor dem Hintergrund medialen Getöses so genannte Flagship-Stores oder gleich ganze Shop-Häuser, quasi um ihre Botschaft dreidimensional und mit großem Aufwand in den Stadträumen zu positionieren.

Prada, Chanel & Co investierten mächtig in Architektur, und sie verpflichteten die namhaftesten Architekten dieser Welt dafür: Rem Koolhaas und Herzog & de Meuron verpassten Prada mehrere aufregende Stadt-Outfits, Ron Arad nahm sich Yohji Yamamotos an, Toyo Ito arbeitete für Tod's, Renzo Piano für Hermès, Sanaa für Dior, um nur eine kleine Auswahl zu erwähnen.

Die Kunsthistorikerin Ruth Hanisch hat die schrillsten Architekturblüten dieser Epoche in ihrem schönen Buch mit dem Titel „Absolutely Fabulous!“ zu einem kräftigen Bouquet gebunden (Verlag Prestel, 2006, 29,95 Euro). Gezeigt werden darin die aufwändigen Bemühungen der Architekten, der kostbaren Einzigartigkeit ihres jeweiligen Auftraggebers mittels Exklusivität mal Originalität gerecht zu werden.

Pradas coole Weltläufigkeit demonstrieren zum Beispiel die wie auf Kleiderbügeln aufgehängten Flatscreens zwischen den wohlfeilen Fummeln, die mit Nachrichten und anderen Digitalmitteilungen die Kundschaft auch während des Shoppings in der Dependance in Los Angeles mit lebenswichtigen Informationen versorgen. Emporio Armanis Laufstegdominanz hingegen spiegelt sich im von Massimiliano Fuksas und Doriana O. Mandrelli konzipierten Shop in Hong Kong wider. Dort wurde der Catwalk in knallrotem Lack und in Spiralen und Rampen als gestaltender Star der Architektur quer durch die Räumlichkeiten geführt.

In Roberto Cavallis Mailand-Shop von Rota & Partner ringeln sich dafür an Kitschigkeit kaum überbietbare leuchtende Schlangen über die Schaufensterscheiben großformatiger Aquarien, hinter denen die bunten Farben von Korallenfischlein anmutige Mäander ins Türkisblau zeichnen dürfen.

Fad wird den Architekten dieser Welt also nicht, wenn sie solchermaßen aus dem Vollen schöpfen dürfen. Doch die ärgste Shop-Hausse dürfte derweilen vorüber sein. Denn erstens haben die meisten Marken mittlerweile ihre Shops und Häuser hinreichend aufgemotzt, sich gewissermaßen die eigene Panier verpasst, und zweitens scheint der ganz neue, heiße Trend bereits wieder in eine völlig andere, um nicht zu sagen in die Gegenrichtung zu gehen.

Guerilla-Shops nennt sich diese, und eine ihrer Erfinderinnen ist Rei Kawakubo, die legendäre Gründerin des Labels Comme des Garcons. Schon vor einigen Jahren begann sie, mit ihrer Mode in Hinterhoflokalen und aufgelassenen Fabriksarealen Billigquartiere zu beziehen. Vorhandenes wurde geputzt, gestrichen und als Präsentationsumfeld für Designerware genutzt. Ablaufdatum inklusive. Denn mit den neuen Kollektionen verabschiedete man sich gleich wieder und wanderte in neue Billig-Lokale aus. Die Geschwindigkeit der Architektur passt sich solchermaßen der Schnelllebigkeit der Mode an.

Auch andere Trendsetter, wie etwa die Schweizer Taschenmanufaktur Freitag, deren Arbeitsmaterial Lastwagenplanen ist, pfiffen auf polierte architektonische Exaltiertheit. Für ihren Shop in Zürich ließen sie von den Architekten Spillmann Echsle gebrauchte Schiffscontainer übereinanderstapeln. Und auch diverse Turnschuhfabrikanten werden dem flippigen Street-Life-Stil ihrer Kundschaft gerecht, indem sie ihre Geschäftslokale wie billige Garage-Sales inszenieren.

Den einen Kunden mag die kompliziertere Rezeptur munden, den anderen die vermeintlich simplere - am Ende verfolgen sie alle dasselbe Ziel: ihre Marke zu positionieren, mit Identität zu spicken und möglichst viel davon zu verscheppern. Mit den Architekturoutfits asiatischer Textilfabriken hingegen, also den Wurzeln, aus denen die Architekturblüten ihre Kraft saugen, hat sich bis dato kaum jemand eingehender beschäftigt, doch die sind wieder eine andere Geschichte.

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