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Ein Palast für die Baukunst
Neue Zürcher Zeitung

Eröffnung der Pariser Cité de l'architecture & du patrimoine im Palais de Chaillot

Im Pariser Palais de Chaillot wurde vorgestern die Cité de l'architecture & du patrimoine eröffnet. Bei aller Kritik im Einzelnen besitzt die Institution grosses Potenzial.

21. September 2007 - Marc Zitzmann
Auch nach mehreren Besuchen auf der Baustelle ist der Eindruck überwältigend: Unter einem 15 Meter hohen Glasdach mit dekorativ gestanzten Metallträgern zieht sich eine 170 Meter lange, gekurvte Galerie dahin, deren pompejanisch rote Wände Gipsabgüsse von Kirchenportalen, Säulen und Statuen in Originalgrösse säumen. Da ist es also, das Musée des monuments français, dessen Einweihung vorgestern den Schlussstein der etappenweisen Eröffnung der Pariser Cité de l'architecture & du patrimoine setzte (NZZ vom 4. 05. 07). Dieser ersten Galerie läuft im Süden eine zweite entlang, deren hohe Fenster auf die Jardins du Trocadéro und auf den nahen Eiffelturm blicken – und über dieser liegt noch eine dritte. Doch damit nicht genug, kommen zu den 8000 Quadratmetern der Galerien für die Dauerausstellung noch 2500 Quadratmeter für Wechselausstellungen und 1700 Quadratmeter für die lichtdurchflutete Bibliothek hinzu. Mit 21 700 Quadratmetern Nutzfläche und einem Jahresbudget von 19,5 Millionen Euro nennt sich die 80 Millionen Euro teure Cité das grösste Architekturmuseum der Welt.

Ein altes Projekt

Das Musée des monuments français blickt auf eine lange, wechselreiche Geschichte zurück, die hier überflogen sei. Eine gleichnamige, ephemere Institution war bereits in den 1790er Jahren von Alexandre Lenoir in Paris aus beschlagnahmter Kirchenkunst zusammengestellt worden; David, Ingres und Hubert Robert zählten zu den regelmässigen Besuchern. Sechzig Jahre nach der Schliessung des Hauses 1816 lebte Lenoirs Projekt eines Panoramas der Monumentalkunst vom Mittelalter bis zur Renaissance wieder auf. In dem anlässlich der Weltausstellung von 1878 erbauten Palais du Trocadéro wurde post festum ein massgeblich von Eugène Viollet-le-Duc konzipiertes Musée de sculpture comparée eröffnet, das neben Repliken in- und ausländischer Skulpturen auch Architekturmodelle zeigte.

Mit dem Umbau des Palais du Trocadéro in das Palais de Chaillot anlässlich der Weltausstellung von 1937 ging die Verwandlung des Musée de sculpture comparée in das heutige Musée des monuments français einher. Paul Deschamps, während fast eines Vierteljahrhunderts Direktor der Institution, gab 1958 der Hoffnung Ausdruck, dass es dereinst möglich sein werde, neben den Gipsabdrücken und Modellen auch Pläne, Skizzen, Karten und Fotografien zu zeigen. Mit der Übernahme des Kompetenzbereichs Architektur durch das Kulturministerium und der Schaffung einer gemeinsamen Direction de l'architecture et du patrimoine 1995 bzw. 1998 wurde die Versöhnung der hierzulande seit Jahrzehnten verfeindeten Brüder vordringlich.

Jean-Louis Cohen entwarf ein Projekt für die Fusion des kaum mehr publikumsattraktiven Monumentenmuseums mit dem 1981 gegründeten Institut français d'architecture (IFA) und der Ecole de Chaillot, welche die mit der Pflege des Bauerbes betrauten Architekten ausbildet. Aus politischen Gründen musste Cohen 2003 den Hut nehmen. Sein 2001 in dem Band «Une cité à Chaillot» vorgestelltes Projekt wurde stark überarbeitet – nicht unbedingt zum Guten. Die Eröffnung der Cité de l'architecture & du patrimoine verzögerte sich um Jahre.

Der historische Exkurs vergegenwärtigt die Sachzwänge, die auf der Gründung der Cité lasteten. Da ist zum einen der zugleich monumentale und labyrinthische Palastbau, dem sich der Architekt Jean-François Bodin trotz der Schaffung zweier spektakulärer Treppen in Rot und Rosa sowie der Einrichtung der – heikel zu bespielenden – Säle für Wechselausstellungen im Untergeschoss eher unterwarf, als dass er ihn bändigte. Und da sind zum andern die heterogenen Sammlungen, bestehend aus den Gipsabgüssen des alten Monumentenmuseums und den Modellen und Papierdokumenten des IFA.

Spagat zwischen gestern und heute

Der Spagat zwischen «patrimoine» und «architecture», materialisiert durch die beiden unteren Galeries des moulages und die Galerie d'architecture moderne et contemporaine im Obergeschoss, gerät dem neuen Museum eher wackelig. Während Erstere ein zweidimensionales, auf dekorative Einzelelemente fokussiertes Architekturbild entwerfen, ist Letztere thematisch strukturiert und sieht Gebäude als ein Ganzes an.

Die romanische Abteilung in den Galeries des moulages ist geografisch unterteilt, die gotische chronologisch. Wiewohl die Einführungstexte zu jeder Sektion Grundcharakteristiken des jeweiligen Stils herauszuarbeiten versuchen, legen die Täfelchen zu jedem Einzelwerk den Akzent auf Ikonografisches. Zudem strotzen sie vor Fachbegriffen, was das breite Publikum vergrätzen könnte. Teile weltlicher Gebäude finden sich erst ganz am Ende der Parcours, dessen zunehmend lückenhafte und aleatorische Werkauswahl bis in die 1780er Jahre führt.

Völlig anders der Ansatz der Galerie d'architecture moderne et contemporaine. Hier dienen – fast ausschliesslich gebaute – Projekte der Illustration von elf Themenkreisen. Jedem Sujet ist ein 7 mal 4 Meter grosser Tisch zugeordnet, dessen Dimensionen jene der Galerie reflektieren. Dort finden sich jeweils ein dreisprachiger Einführungstext und rund zehn Exempel zum betreffenden Thema. Das Kapitel «Industrialisieren heisst Bauen» etwa illustrieren Eugène Beaudouins und Marcel Lods Cité de la Muette in Drancy und Jean Prouvés Maison du désert. In der Sektion «Kulturbauten» finden sich Henri Labroustes Bibliothèque Sainte-Geneviève und Dominique Perraults Mediathek in Vénissieux. Für Repräsentationsbauten stehen die Justizpaläste von Jean Nouvel, Christian de Portzamparc und Richard Roger in Nantes, Grasse und Bordeaux. Jedes Werk wird mit einem stupenden Modell, einem gut lesbaren Kurztext, einer Foto, einer Karte und oft auch mit Filmszenen sowie auf Bildschirmen abrufbaren Zeichnungen und Plänen dokumentiert – exemplarisch. Clou des Parcours ist ein in Originalgrösse nachgebautes Appartement aus Le Corbusiers Unité d'habitation in Marseille.

Lücken und Potenziale

Dass die Galerie sich ausschliesslich auf französische Architekten und auf die hiesigen Arbeiten einer Handvoll ausländischer Baumeister konzentriert, ist vertretbar – schliesslich trägt das Musée des monuments français die Beschränkung bereits im Namen und vermag so auch die Gefahr der Verzettelung zu bannen. Irritierender ist, dass im «grössten Architekturmuseum der Welt» nicht nur Namen wie Wright, van der Rohe und Aalto fehlen, sondern auch solche wie Delorme, Fontaine, Gabriel, Hittorff, Ledoux, Mansart, Percier, Soufflot und Le Vau. Das hängt mit der enormen Lücke zusammen, die in den Sammlungen zwischen Spätmittelalter und Neuzeit klafft und die auch Wechselausstellungen wie jene über Vauban ab November wohl nur behelfsmässig zu stopfen vermögen werden. Aber angesichts dessen wirkt es doch etwas befremdlich, dass im Westpavillon riesige Räumlichkeiten für die Zurschaustellung von zwischen 1937 und 1975 realisierten Kopien mittelalterlicher Wandmalereien bereitgestellt werden konnten. Diese wirken trotz akribischer Restauration bloss wie Kuriosa.

Bei aller Kritik im Einzelnen: Die Cité de l'architecture & du patrimoine ist eine ganz neuartige Institution mit enormem Potenzial. Wie sie dieses zu nutzen vermag, muss sich noch weisen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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