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Gotteshaus und Burg
Neue Zürcher Zeitung

Der Meisterarchitekt P. J. H. Cuypers in einer Doppelausstellung in Rotterdam und Maastricht

Rijksmuseum und Hauptbahnhof in Amsterdam sind die bekanntesten Werke von P. J. H. Cuypers. Eine grosse Doppelausstellung in Rotterdam und Maastricht gibt Einblick in das Schaffen des Neugotikers.

17. Oktober 2007 - Hubertus Adam
Gemeinhin gilt Hendrik Petrus Berlage, der Schöpfer der Börse in Amsterdam, als Ahnherr der modernen niederländischen Architektur. Berlage selbst aber wertete anders: Er sah in Petrus Josephus Hubertus Cuypers, dem Architekten des Hauptbahnhofs und des Rijksmuseum in Amsterdam, den eigentlichen Vorreiter. Das Leben von Cuypers, der als grösster niederländischer Architekt des 19. Jahrhunderts gilt, währte nahezu ein Jahrhundert – von 1827 bis 1921. In der Epoche des Klassizismus geboren, starb er zu einer Zeit, da der Rationalismus von De Stijl und der Expressionismus der Amsterdamer Schule die Architekturszene beherrschten. Cuypers' Nachlass im Archiv des Nederlands Architectuur Instituut (NAI) in Rotterdam ist in den vergangenen Jahren systematisch aufgearbeitet worden – nicht zuletzt, um das notwendige Material für die derzeitigen Sanierungs- und Restaurierungsarbeiten am Rijksmuseum und an der Centraal Station sowie dem Kasteel de Haar, Cuypers' grossem Spätwerk, bereitstellen zu können. Mit der jetzigen Ausstellung, «Cuypers – Architecture with a Mission», und einer gewichtigen Publikation findet das Inventarisierungsprojekt seinen Abschluss. Zum ersten Mal präsentiert das NAI eine Ausstellung zweigeteilt, nämlich am Hauptstandort in Rotterdam und in der im vergangenen Jahr bezogenen Dépendance in Maastricht.

Der äusserst umfangreiche Nachlass stellte die eigentliche Herausforderung für die Ausstellungsmacher dar. Sie haben sich dazu entschieden, keinen Gesamtüberblick über das Œuvre des Architekten zu geben. Stattdessen legen sie zwei synchrone Schnitte durch das Werk von Cuypers. Dem Jahr 1877 gilt die Ausstellung in Rotterdam, dem Jahr 1897 diejenige in Maastricht.
Bauen für die Kirche

Als Cuypers 1877 seinen 50. Geburtstag feierte, befand er sich auf dem ersten Höhepunkt seiner Karriere. Ähnlich wie William Morris hatte er mit kunsthandwerklichen Arbeiten begonnen und 1852 die Werkstätten für christliche Kunst in seinem Geburtsort Roermond in der Provinz Limburg gegründet. Im Zuge der Liberalisierung nach 1848 hatten auch Katholiken in den Niederlanden das Recht auf freie Religionsausübung erhalten; 1853 wurden die historischen Bistümer wiederhergestellt. Diese sollten zu Cuypers' wichtigsten Auftraggebern werden. Mit der Restaurierung und Neumöblierung von Kirchen begann seine Tätigkeit, doch bald folgten auch Neubauten. Dass er dabei auf die Neugotik zurückgriff, hat mit dem Interesse an diesem Stil zu tun, der seit Mitte des 18. Jahrhunderts Europa ergriffen hatte. Cuypers' wichtigste Inspirationsquellen waren Augustus Welby Pugin, der die englische Reformbewegung massgeblich beeinflussen sollte, vor allem aber Eugène Viollet-le-Duc.

Der Franzose hatte mit seinen Restaurierungen von Kathedralen und Burgen, mehr noch aber durch seine Schriften die zeitgenössische Sicht der französischen Gotik geprägt. Insbesondere die Vorstellung von einem «ehrlichen», also materialgerechten Baustil und die Betonung des Strukturellen waren erste Anzeichen für eine Überwindung des Eklektizismus. Unverkleidete Ziegelgewölbe, offengelegte Tragstrukturen und eine aus der Eigenfarbigkeit von Baumaterialien resultierende Polychromie kennzeichnen die Bauten Cuypers', der – wie an zahlreichen seiner insgesamt 67 neu errichteten Kirchen ersichtlich – eher als Nachfolger von Viollet-le-Duc denn als grosser Innovator verstanden werden muss.

Auf grossen, staffeleiähnlichen Displays werden Cuypers' riesige, vielfach kolorierte Entwürfe gezeigt; dazu treten Zeichnungen für die Details, die beweisen, dass das Atelier von Cuypers auch die gesamte Innenausstattung bis hin zu den liturgischen Gegenständen konzipierte. Ebenfalls zu sehen sind die Entwürfe für die wichtigsten Profanbauten. Dazu zählen die Stadtvillen, die Cuypers auf dem 1865 von ihm selbst erworbenen Terrain am Amsterdamer Vondelpark errichtet hatte, vor allem aber das Rijksmuseum und die Centraal Station. Gerade das Museum erhitzte die Gemüter. Auch wenn der Architekt Varianten in der Sprache von Gotik und Renaissance vorgelegt hatte, sahen manche Kritiker den katholischen Geist am Werk – und damit etwas für das reformierte Amsterdam völlig Inadäquates.

Burgenromantik

Im Jahre 1897 – das Rijksmuseum war 1885, die Centraal Station 1889 fertig gestellt worden – gehörten die Kontroversen der Vergangenheit an. Cuypers, auch als Rijksbouwmeester zu Einfluss gelangt, befand sich im Zenit seines Ruhmes. Die dem Neuen gegenüber aufgeschlossene Architekturzeitschrift «Architectura et Amicitia» widmete ihm ein Sonderheft, und gerade von einer jüngeren Architektengeneration wurde der Siebzigjährige verehrt, etwa von K. P. C de Bazel oder Lauweriks. Dies weniger seiner Bauten wegen als vielmehr aufgrund einer Haltung, die ihn als Protagonisten der Reformarchitektur erscheinen liess. Mit dem Katholizismus hatten die Jungen, die der Theosophie oder sozialistischen Idealen anhingen, weniger Mühe. Tempelvisionen imaginierte auch Berlage noch um 1920.

Im Zentrum der Maastrichter Schau steht der Wiederaufbau des Kasteel de Haar in Haarzuilens bei Utrecht. Der Auftrag wurde Cuypers durch seinen Freund Victor van de Stuerts vermittelt, den Leiter der Abteilung Kunst und Wissenschaften im niederländischen Innenministerium. 1890 hatte Baron Etienne van Zuylen van Nijevelt, durch die Heirat mit Hélène de Rothschild zu Vermögen gelangt, die ruinöse Burganlage seiner Vorfahren geerbt. Im Jahr darauf beauftragte er Cuypers mit dem Wiederaufbau, der nicht eine Rekonstruktion werden sollte, sondern eine gebaute Phantasmagorie des Mittelalters aus romantischem Geist, als bizarres Gesamtkunstwerk seltsam verspätet und quer in der Zeit stehend, dabei selbstverständlich mit allem Komfort der Zeit ausgestattet. Weil der Baron die umliegenden Häuser nicht von seinem Wohnsitz aus sehen wollte, liess er in neoabsolutistischem Gestus abseits ein ganzes Dorf samt Wirts- und Gemeindehaus neu errichten. Die Pläne dazu stammen von Jos Cuypers, der in das Büro seines Vaters eingetreten war und dieses auch nach dessen Tod weiterführte.

Im 20 Jahre dauernden Projekt in Haarzuilens fand der niederländische Historismus zu einem späten Höhepunkt. Nach Jahren der Vernachlässigung wird das Kasteel bis 2010 restauriert. Schlechter erging es einer Reihe von Cuypers' Kirchen, die vorwiegend in den sechziger Jahren abgerissen wurden. Und die romanische Basilika Sint Servaas in Maastricht, mit deren Restaurierung sich der Architekt ein halbes Jahrhundert auseinandersetzte, zeigt nach den jüngsten Umgestaltungen kaum noch Spuren von Cuypers' Wirken.

[ Bis 6. Januar 2008 im NAI Rotterdam und Maastricht, Katalog: P. J. H. Cuypers (1827–1921). The Complete Works. Hrsg. Hetty Berens. NAI Publishers, Rotterdam 2007. 400 S., € 49,50. ]

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