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Jeder Raum mit Sonne
Der Standard

Bauten zum Nachvollziehen: Heinz Emigholz' „Schindlers Häuser“

25. Oktober 2007 - Dietmar Kammerer
Gleich zu Beginn räumt Heinz Emigholz im einzigen Kommentar seines Films ein, dass es in der anonymen, chaotischen, kollektiven Realität, in der Architekten nun einmal ihre Entwürfe verwirklichen müssen, im Grunde genommen ein Verbrechen sei, einen Film über einen bestimmten Gestalter zu machen und dessen Namen im Titel vor alles andere zu stellen.

Wenn Schindlers Häuser demnach ein Verbrechen ist, dann gibt es wohl keines, das in größerer Klarheit begangen wurde. In knapp hundert Minuten werden vierzig Gebäude vorgestellt, chronologisch nach dem Datum ihrer Entstehung geordnet. Jedes Haus wird in einer Hand voll unbewegter Einstellungen porträtiert, jeweils von der Dauer eines ruhigen Atemzugs. Es gibt weder Kameraschwenks noch repräsentative Aufnahmen im Weitwinkel noch eingesprochene Erläuterungen zu den einzelnen Bauten. Zwischentitel vermerken lediglich Namen, Baujahr, Adresse und Datum der Aufnahme.

In dieser Einfachheit mutet der Film dennoch alles andere als karg an. Nicht Verzicht oder Beschränkung lautet sein Prinzip, sondern Offenheit, in die eine ganze Welt hineinpasst. Emigholz will nicht wortreich vermitteln, er spricht eine Einladung aus, einem Werk zu begegnen, der Summe eines Architektenlebens.

Mischung der Baustile

Rudolph M. Schindler, Schüler von Adolf Loos in Wien, übersiedelt 1914 erst nach Chicago, dann nach Kalifornien. Während seine Kollegen in Europa den International Style propagieren, eine Hand voll Prinzipien, die überall zur Anwendung gebracht werden sollen, entwickelt der Emigrant Schindler an der Pazifikküste individuelle und lokale Lösungen für Häuser und ihre Bewohner, in einem Baustil, der amerikanischen Pragmatismus mit modernistischer europäischer Abstraktion verbindet. Dass Schindler Architektur als „Raumkunst“ verstand, kommt dem Gefilmtwerden seiner Entwürfe entgegen. In ihnen definieren Licht, Oberfläche und Textur der zumeist offen liegenden Materialien die Räumlichkeiten. Das umbaute Volumen öffnet sich auf seine Umgebung und lässt diese herein; Innen- und Außenraum gehen ineinander über; jeder Raum wird mit der Helligkeit der kalifornischen Sonne versorgt.

In Schindlers Häuser wird die Idee ebenso sichtbar wie ihre aktuelle Wirklichkeit; manche Bauten sind heute noch liebevoll gepflegt von ihren Bewohnern, andere stehen leer und scheinen Verfall und Witterung überlassen. Die Offenheit der Architektur ist unmittelbar akustisch zu erfahren, in allen Räumen ist der Wind in den Bäumen, sind die Geräusche der Umgebung hörbar. Emigholzs Einstellungen sind beinahe unmerklich in die Schräge gekippt, keine Linie ruht in der Horizontalen.

So wird der Bilderfluss von Schindlers Häuser durchzogen von einer Gleichmäßigkeit und einer Gespanntheit, die uns zwingt, jedes Haus und jede Perspektive darauf nicht einfach zu betrachten, sondern nachzuvollziehen. Ein schöneres Kompliment kann ein Filmemacher einem Architekten nicht machen.

26. 10. Urania 16.00
27. 10. Künstlerhaus 21.00

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