Artikel

Das endlose Haus
Spectrum

Künstler, Architekt, Designer, getrieben von Visionen und Innovationskraft: Friedrich Kiesler. Die Stiftung, die seinen Namen trägt, feiert ihren zehn-ten Geburtstag und präsentiert ihren jüngsten Zuwachs.

1. Dezember 2007 - Franziska Leeb
Correalistisches Instrument“ und „Rocker“ heißen zwei multifunktionale, amöbenförmige Möbel aus der Produktion der Wittmann Möbelwerkstätten. Sie wirken topaktuell, formal dem heutigen Zeitgeist verhaftet, und doch sind es Entwürfe aus den frühen 40er-Jahren. Friedrich Kiesler (1890 bis 1965) hat sie als Mobiliar für Peggy Guggenheims „Art of this Century Gallery“ entworfen, der niederösterreichische Produzent hat sie in Kooperation mit der Kiesler-Stiftung vor fünf Jahren als Re-Edition wiederbelebt. Das „Objekt ohne Anfang und Ende“, wie Kiesler es selbst bezeichnete, ein in unterschiedlichen Positionen aufstellbares Sitz- und Präsentationsmöbel, das bis zu 18 verschiedene Funktionen zu erfüllen imstande ist, antizipiert modische Trends und inhaltliche Fragestellungen, die das Möbeldesign der Gegenwart bestimmen. Anhand dieser Möbel lässt sich sowohl die von Kiesler geprägte Theorie des Correalismus eindrücklich nachvollziehen als auch die Aktualität dieses von visionären Ideen und Innovationskraft getriebenen Künstlers, Architekten und Designers darstellen. Und sie sind zudem ein Zeugnis für die rege und vielfältige Tätigkeit der in Fachkreisen höchst angesehenen „Österreichischen Friedrich und Lillian Kiesler Privatstiftung“, die derzeit ihr zehnjähriges Bestehen feiert.

Friedrich Kiesler realisierte zuerst in Wien und ab 1926 vor allem in den Vereinigten Staaten progressive Bühnenarchitekturen, Ausstellungsgestaltungen und Möbeldesigns und widmete sich später zusehends der bildenden Kunst. Sein einziges realisiertes Gebäude blieb der in Zusammenarbeit mit seinem früheren Schüler Armand Bartos (1910 bis 2005) geplante „Shrine of the Books in Jerusalem“. Als „Wissenschaft von der Behausung des Menschen“ entwickelt er den Correalismus – eine Wortschöpfung aus „coordinated correlation“ und „realism“. Die sehr praxis- und realitätsbezogenen Überlegungen gehen davon aus, dass die Realität nicht in der Form eines Körpers, sondern in der Wechselwirkung zwischen Objekt und Betrachter begründet ist. Hand in Hand mit dieser Auffassung des Menschen und seiner gestalteten Umwelt als vielschichtiges System von Wechselbeziehungen geht seine Forderung nach einer Aufhebung der Grenzen der Kunstgattungen. Ein Ding, dessen Grundfunktionen hinsichtlich dieser Korrelationen gründlich überlegt und in ihrem innersten Kern stark und spannend sind, ist im Zusammenspiel mit seinem Umfelds imstande, neue Funktionen zu generieren, lautet, simpel ausgedrückt, die Botschaft.

Diese Designhaltung hat also nichts mit jenen bunten Klumpen – im Szenejargon „blobs“ – aus Kunst- oder Schaumstoffen zu tun, die in den Wohn- und Kinderzimmern der Design-affinen Society als Blickfang, zum Darin-Lümmeln und zu sonst nichts dienen. Dass mehrere seiner Möbelentwürfe nun wieder auf dem Markt sind, belegt die Qualität und Aktualität der Konzepte Kieslers. Seine Theorien und Konzepte inspirieren die Architektur- und Kunstproduktion bis heute.

„Kiesler in den zeitgenössischen Diskurs einzubringen“ sei eines der wesentlichen Ziele, so die Direktorin der Kiesler-Stiftung, Monika Pessler. Deshalb ist sie auch froh darüber, dass die Institution seit zwei Jahren über Räumlichkeiten verfügt, die der Pflege dieses multidisziplinären und internationalen Austausches einen adäquaten Rahmen bietet. Zum zehnjährigen Jubiläum folgten deshalb nicht nur Kapazitäten unter den Kulturschaffenden wie Olafur Eliasson, Hani Rashid oder Ben Van Berkel der Einladung zum Symposium „Modelling Space“ (gestern im Architekturzentrum Wien), um zu von Kiesler aufgeworfenen und heute topaktuellen Fragen neuer Entwurfspraktiken und zeitgemäßer Umweltgestaltung Position zu beziehen. Die Stiftung präsentiert zudem noch bis Jänner einige Kleinode aus Kieslers Schaffen in ihrem Ausstellungsraum. Die Zeichnungen, Fotografien und Pläne zu wesentlichen Kiesler-Entwürfen wie „Raumstadt“, „Space House“ oder „Vision Machine“ und ein Modell vom wohl berühmtesten Projekt Kieslers, dem „Endless House“, sind eine Schenkung des Sammlerpaars Gertraud und Dieter Bogner und zugleich der größte Zuwachs zum Sammlungsbestand seit der Gründung.

Der Kunsthistoriker, Sammler und Museumsfachmann Dieter Bogner ist nicht nur seit Anbeginn Präsident der Kiesler-Stiftung,sondern auch ihr Initiator und Vordenker. Ihm und dem Galeristen John Sailer gelang es – unterstützt von einem prominent besetzten Personenkomitee – die Republik Österreich, die Stadt Wien und etliche private Stifter davon zu überzeugen, Kieslers Nachlass von seiner Witwe zu erwerben.

Lilian Kiesler verzichtete auf ein Drittel des Kaufpreises unter der Bedingung, dass Republik Österreich und Stadt Wien alternierend alle zwei Jahre den mit 55.000 Euro (damals 750.000 Schilling) dotierten Kiesler-Preis für Architektur und Kunst verleihen, und initiiert somit einen der bestausgestatteten und international renommiertesten Kulturpreise überhaupt.

Im Mai 1997 trifft Kieslers Nachlass in Wien ein. Seine Heimstatt war bis vor zwei Jahren das Haus der Wienfluss-Aufsicht in Wien-Hütteldorf. Seitdem die Stiftung in derMariahilfer Straße gegenüber dem Museumsquartier mit Räumlichkeiten ausgestattet ist, die administrative Basis, Archiv und Ausstellungsort zugleich sind, ist sie besser in der Stadt verortet. Über 18.000 Archivalien– Modelle, Skizzen, Pläne, Fotos, Texte, Briefe – dokumentieren hier Kieslers Kunstauffassung und werden besonders von jungen Künstlern und Architekten aus aller Welt zur Recherche und zum Studium herangezogen.

In der Kiesler-Stiftung wird seriöse Archiv- und Forschungsarbeit geleistet. Von Betulichkeit ist dennoch keine Spur, denn die Aktivitäten des Hauses sind mannigfaltig. Ausstellungsprojekte mit Jan Kaplický und Olafur Eliasson sowie eine Ausstellung über das zeichnerische Werk im New Yorker Drawing Center sind nur die Highlights des an den Schnittstellen von Design, Architektur und Kunst angesiedelten Programms.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: