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Der aufsässige Poet
Neue Zürcher Zeitung

Zum Tod des grossen italienischen Designers Ettore Sottsass

3. Januar 2008 - Andrea Eschbach
Er sei, sagte Ettore Sottsass, ebenso wenig Missionar wie Vorreiter. «In meiner Vorstellung von Design gibt es keine philosophischen oder belehrenden Elemente.» Das klingt bescheiden, zurückhaltend beinahe. Doch Sottsass' Werke haben viel Staub aufgewirbelt. Keiner hat das Berufsbild des Designers so umfassend erweitert wie der italienische Architekt, Gestalter und Künstler. Der Doyen des italienischen Designs hat nahezu alles gestaltet, was sich gestalten lässt – und damit stets polarisiert. Übervater und Altmeister, Guru und Innovator – der Etiketten für Sottsass existieren viele. Sein Werk ist vielschichtig, die Umbrüche und Neuanfänge haben Designgeschichte geschrieben. Der Blick zurück verleitet zur Legendenbildung. Die häufig vorgenommene Zweiteilung in Sottsass, den Industriedesigner aus Olivetti-Tagen, und Sottsass, den künstlerischen Rebellen der achtziger Jahre, greift allerdings zu kurz. Die Wahrheit liegt vielmehr in der ständigen Durchdringung von experimenteller und professioneller Arbeit, dem Nebeneinander von Auftragsprojekten im Industriedesign und visionären, freieren Entwürfen. Die Grenzen zwischen Kunst und Design waren bei Sottsass stets fliessend: Sein reiches Œuvre umfasst Architektur, Möbel-, Grafik- und Industriedesign, Keramik, Zeichnung, Photographie und grundlegende Essays. Als «homo universalis des elektronischen Zeitalters» würdigte ihn der Münchner Verleger Abrecht Bangert 1994 in einer Laudatio.

Industriedesign und Memphis-Möbel

Die Architektur bildet gleichsam die Klammer in Leben und Werk: Am 14. September 1917 in Innsbruck als Sohn des rationalistischen Architekten Ettore Sottsass sen. geboren, hatte der junge Sottsass zunächst Arbeiterwohnhäuser in Norditalien und auf Sardinien entworfen. Nebenbei experimentierte er – nicht ohne Erfolg – als Maler und Keramiker. Noch war nicht zu ahnen, dass er im Alter den Rationalismus rigoros hinterfragen und schliesslich damit brechen sollte. Sein Aufstieg zum international gefeierten Designer war verbunden mit dem Büromaschinenunternehmen Olivetti: 1958 bot ihm – «wie durch ein Wunder», erinnerte sich Sottsass – Adriano Olivetti an, seine elektronischen Geräte zu gestalten. Für das Design der ersten stationären Grosscomputer suchte das Unternehmen keinen Praktiker, sondern einen von industriellen Zwängen unbelasteten Gestalter. Die Wahl fiel auf den damals 41-jährigen Aussenseiter Sottsass, der weder von seiner Ausbildung noch von seiner Erfahrung her das Zeug zum Industriedesigner zu haben schien. Rund drei Jahrzehnte lang dauerte die fruchtbare Zusammenarbeit, Sottsass avancierte zum Chef des System-Designs bei Olivetti. Zum fulminanten Einstieg geriet ihm 1959 der Grossrechner «Elea 9003», entworfen in knapp zwei Wochen und im gleichen Jahr mit dem begehrten «Compasso d'oro» ausgezeichnet. Ihm folgten Generationen preisgekrönter Büromaschinen wie etwa die Reiseschreibmaschine «Valentine» von 1969. In diesem leuchtend roten Objekt, das weit entfernt vom gewohnten grauen Gebrauchsgegenstand war, verdichtete Sottsass – gemeinsam mit Perry A. King – das Lebensgefühl der Pop-Art.

Bei allem Erfolg hatte Sottsass schon Anfang der sechziger Jahre den immergleichen Kreislauf von Produktion und Konsum industrieller Produkte hinterfragt. «Sind wir Diener der Industrie oder sind wir Designer?», hielt er provokativ fest. Sich der Verantwortung zu entziehen, war seine Sache nicht. Mit Gestaltung könne man «Stellung gegen die Barbarei der modernen Industriegesellschaft beziehen und ihr etwas entgegensetzen, das mehr Würde hat und sich des Wertes der menschlichen Existenz besser bewusst ist.» Die Haltung machte ihn schnell zum Impulsgeber und Promoter eines neuartigen Verständnisses von Gestaltung. Und während er noch zeichenhafte Büromaschinen entwarf, legte er bereits den Grundstein für ein subjektiveres, experimentierfreudiges Design. Immer stärker distanzierte er sich vom Funktionalismus, beeinflusst von der amerikanischen Popkultur und Literaten der Beat-Generation wie Allen Ginsberg. «Die betört mich nicht», verkündete er freimütig. Sottsass' Inspiration war die Poesie: 1970 entstanden die ersten mit Laminat beschichteten «Mobili Grigi», neongrelle Fiberglasbetten und -spiegel für Poltronova. Die Welle des «Radical Design» erfasste Italien. Sottsass, der nie an einer Schule gelehrt hatte, wurde zur wichtigsten Leitfigur der Radikalen, aber auch zum «Begründer einer Bewegung gegen seinen Willen», wie ihn seine langjährige Lebensgefährtin Barbara Radice charakterisierte. Die Hoffnung der jungen Rebellen, durch Design und Architektur die Welt verändern zu können, erfüllte sich aber nicht, die Bewegung ebbte ab.

Sottsass führte seine Revolte jedoch fort. Während er weiterhin Olivetti als Berater eng verbunden blieb, gehörte er 1973 zu den Gründern von «Global Tools», einer Vereinigung von radikalen Architekten und Intellektuellen, wenig später schloss er sich dem Mailänder Studio «Alchimia» um Alessandro Mendini an. Das von Mendini propagierte «neue Handwerk» lag Sottsass jedoch fern. 1980 gründete er im Alter von 63 Jahren «Sottsass Associati» – als Primus inter Pares einer Gruppe junger Gestalter und Architekten. Ein Jahr später versetzte er mit der Design-Gruppe «Memphis» die Welt der Gestaltung in Aufruhr. «Wir haben gewissermassen ein Fenster geöffnet», blickte Sottsass zurück. «Vor uns tat sich eine neue Landschaft auf, und wir sahen, dass es auch dort Flüsse, Wälder, Felsen gab.» Und diese Design-Landschaft war bunt, multifunktional und uneindeutig: Mit der Vorstellung der schönen, nützlichen und funktionalen Gestaltung hatten die frechen Möbel und Leuchten der Mailänder Gruppe wenig zu tun. «Form follows fun», lautete das Motto, das ein Jahrzehnt prägen sollte. Die bunten oder pastellfarbenen Möbel und Leuchten in exzentrischen Formen schienen aus einer Traumwelt zu stammen, sie waren poetisch, sinnlich, bizarr. Respektlos mixten Sottsass und seine Mitstreiter Holz, Kunststofflaminat und Metall, zitierten historische Elemente und verwandten üppige Ornamente.

Zurück zur Architektur

Aber was als Revolution begonnen hatte, verkam schnell zur modischen Attitüde: Schon bald überschwemmten unzählige Kopien «im Stil von Memphis» den Markt. Die Protagonisten zogen sich zurück, Ende der achtziger Jahre löste sich die Gruppe auf. Sottsass hatte genug vom Industriedesign. Statt an «einer zweifelhaften technokratischen Entwicklung» teilzunehmen, wollte er künftig nur noch Design schaffen, das alle Sinne anspricht. Sinnlicher als Design erschien ihm jedoch zunehmend das Gebaute. In den letzten Lebensjahren verlagerte sich der Akzent in Sottsass' Schaffen zusehends in Richtung Architektur. Mit seinen Mailänder Partnern Marco Zanini, Johanna Grawunder, Mike Ryan und James Irvine hat Sottsass zahlreiche Bauwerke realisiert: darunter in den frühen achtziger Jahren die mit farbigen Säulen und bunten Teppichböden ausgestatteten Showrooms für die Bekleidungsfirma Esprit. Ihnen folgten Bauten wie das Haus Wolf in Colorado (1987–89), ein wie von Kinderhand zusammengewürfelter Bau aus bunten, kubischen Elementen, ein Wohnhaus für den Zürcher Galeristen Bruno Bischofberger (1991–98) sowie der Innenausbau des Flughafens Malpensa bei Mailand (1994–98).

Sottsass' grösster Antrieb war seine rastlose Neugier. «Sein Leben scheint einer zentrifugalen Kraftlinie entlang zu verlaufen, die ihn dazu treibt, sich unaufhörlich in einem Strudel von Unsicherheiten, Pannen, Umschichtungen, Ambiguitäten und Spannungen selbst neu zu erfinden», schrieb Barbara Radice 1993 in ihrer Sottsass-Biographie. Kurz nach der Eröffnung einer bis zum 6. März dauernden Retrospektive im Salone degli Incanti in Triest ist der Unermüdliche, der so viel Angst vor dem Stillstand hatte, am 31. Dezember im Alter von 90 Jahren in seiner Mailänder Wohnung gestorben.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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