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Eine Stadt nach Wunsch
Spectrum

Ein Investor denkt über einen neuen Stadtteil in Graz nach. Das Ziel: mehr Lebensqualität. Und die Stadtplanung hört wohlwollend zu. Ein neues Modell für Stadtentwicklung?

10. Februar 2008 - Karin Tschavgova
Graz im Februar 2008. Die Wahl ist geschlagen, die Karten werden neu gemischt. Unter einer neu konstituierten Stadtregierung eröffnet sich die Chance, Positionen und Ziele neu festzulegen und neue Schwerpunkte zu setzen. In keinem Ressort beginnt nach einer Wahl die Arbeit bei der Stunde Null. In der Grazer Stadtentwicklungsplanung vermisst man jedoch längerfristige Zielsetzungen und umfassende Konzepte. In mehreren Vorwahldiskussionen herrschte unter Kritikern Konsens: Die Stadtplanung agiere nicht offensiv, sondern nur reaktiv unter Anwendung bestehender Handlungsmuster. Im Spannungsfeld unterschiedlichster Interessen verlangen neue Herausforderungen der Stadtentwicklung jedoch nicht nur neue inhaltliche Perspektiven, sondern auch ein geändertes Rollenverständnis der öffentlichen Verwaltung und innovative Planungs- und Steuerungsinstrumente.

Ein Projekt, dessen Entwicklung nicht nur für die Stadt Graz modellhaften Charakter haben könnte, ist die Bebauung der Reininghausgründe – eines Areals im Westen der Stadt, 54 Hektar groß und nur eineinhalb Kilometer entfernt von der Innenstadt. Es ist im Besitz von Asset One, einem Immobilienentwickler, der sich von anderen der Branche schon durch die Gesamtgröße seiner Liegenschaften unterscheidet.

Asset One besitzt 1,2 Millionen Quadratmeter Grund an vier Standorten in Österreich, weitgehend unbebaute Flächen, die nach dem Verkauf der österreichischen BrauUnion an den Heineken-Konzern veräußert wurden. Mehr als Dreiviertel der Flächen sind Bauland, der Großteil davon in Graz. Seit 2005 ist das Unternehmen höchst aktiv. Es lässt nachdenken. Um herauszufinden, wie ein attraktiver, lebenswerter Stadtteil beschaffen sein soll, investiert das Unternehmen viel Geld und verordnet sich Zeit.

Als Output einer ersten prozesshaften Nachdenkphase liegt ein Buch vor: 32 Grazer und Grazerinnen wurden ersucht, eine Redaktion zu gründen und in vier Gruppen „Konzeptionen des Wünschenswerten“ zu erarbeiten. Leben, Arbeit, Bildung und Urbanität waren die Themen der Ressorts – vier europäische Städte das Ziel abschließender Erkundungen vor Ort.

Als Sukkurs dieses Prozesses wurde ein „Netzwerk an Wertebündeln“ herausgefiltert.Es ist ein Manifest in Schlagwörtern, das wieein subversiver Gegenentwurf zu neoliberalenTendenzen einer Gesellschaft gelesen werden kann, aber noch weit davon entfernt ist, einer Stadt der Zukunft Konturen zu geben. Spätestens hier stellt sich angesichts der Komplexität des Themas die Frage, wie es gelingen kann, daraus konkrete stadträumliche Qualitäten zu generieren und diese auf den Stadtteil Reininghaus zu übertragen.

Zwei bis vier Jahre sind für die Nachdenkphase noch eingeplant. Die Grazer Stadtplanung stand der Initiative des Unternehmens, das in die Hand nahm, was eigentlich Aufgabe ihrer Ressorts wäre, von Anfang an wohlwollend gegenüber. Schon in die Zukunftsgespräche waren der Stadtbaudirektor und der Leiter des Stadtplanungsamts involviert, doch nicht etwa in ihrer offiziellen Funktion, sondern als Privatpersonen und Bürger der Stadt. Ein kluger Schachzug des Unternehmens? Jedenfalls ein ungewöhnlicher Schritt wie alles, was bisher an Entwicklungsplanung geschah.

Seit geraumer Zeit ist der Kontakt zum Stadtplanungsamt offiziell, und es gibt regelmäßige Gespräche, in die ein Verkehrsplaner eingebunden ist. Auf die Position der Stadt angesprochen, gibt der zuständige amtierende Stadtrat an, dass man sich die Vorstellungen des Developers einmal anhöre und dass er keinen Sinn darin sehe, große Leitbilder für die Stadt zu entwickeln. Kooperative Gespräche sollen in einen Bebauungsplan münden. Gesetzt den Fall, es gelänge, das Gebiet durch gute Erschließung, optimale Anbindung an den öffentlichen Verkehr und einen ökonomisch attraktiven Bebauungsplan aufzuwerten und den neuen Stadtteil zum Hotspot für Bauträger und Unternehmen zu machen, so wäre ein Ziel, das hinter dem Investment von Asset One steht, erreicht: die Wertsteigerung der Liegenschaften und ein gewinnbringender Weiterverkauf.

Ein Bebauungsplan gibt nur einen groben Rahmen vor – die Garantie für eine „gute Stadt“ wäre damit noch nicht gegeben. Ihr Gelingen hängt von vielen Faktoren ab. Von der Verwertungslogik neu hinzugekommener Investoren und deren gutem Willen, auch Vorgaben ohne gesetzliche Bindung einzuhalten. Dazu zählen, um nur einige zu nennen, architektonische und Freiraum-Qualitäten, die Schaffung öffentlichen Raums, Bau- und Niedrig-Energiestandards oder die Bereitschaft zur Investition in infrastrukturelle Einrichtungen des täglichen Bedarfs.

Die Akzeptanz der Anrainer müsste erreicht werden. Innovative Modelle der Wohnbauförderung müssten erdacht werden und Anreize, auch Wohnraum für mittellose Menschen zu schaffen, damit Segregation verhindert werden kann. Aufgabe der Kommune wäre, für die soziale Infrastruktur dieser neuen Kleinstadt, für Kindergärten, Schulen, Büchereien, Kulturstätten, Begegnungsorte ohne Konsumzwang zu sorgen. Doch wie, wenn das Geld fehlt? Damit Investoren auch in das Gemeinwohl investieren, ist Fantasie vonnöten. Mit herkömmlichen Vorgangsweisen und Planungsinstrumenten kann dies kaum gelingen.

Doch Graz müsste gar nichts erfinden, denn Modelle innovativer Stadterneuerung werden anderswo längst erprobt. Barcelona, das benachteiligte Quartiere durch die Gestaltung von öffentlichen Plätzen gezielt aufgewertet hat, ist Geschichte. Die Planung für das Kabelwerk in Wien Meidling erfolgte nach dem Stakeholder-Konzept, einem Planungsprozess, der unterschiedlichste Interessen bündelt und vom gegenseitigen Nutzen für Unternehmen und Stakeholder (alle Anspruchsberechtigte) ausgeht. Auch ein Projekt für den Stadtteil Lehen in Salzburg wird seit 2004 in einem vielschichtigen, moderierten Verfahren auf Basis eines Masterplans entwickelt. Unkonventionelle Bonussysteme für Unternehmen, welche bereit sind, in Infrastruktur und öffentlichen Raum zu investieren, wurden erdacht. Möglichkeiten werden geprüft, diese in einem verbindlichen, gesetzlich abgesicherten Regelwerk zu verankern. Formen der Energieeinsparung und Einsatz erneuerbarer Energien, die Fördermittel aus EU-Töpfen sichern, wurden integriert. Die Stadt Salzburg untermauert ihr Bekenntnis zur gemeinsamen Anstrengung, Lehen zum Quartier mit hoher Lebensqualität aufzuwerten, durch Investitionen in öffentliche Einrichtungen.

In Graz wären die Voraussetzungen für einen ähnlichen Entwicklungsprozess günstig, denn Asset One zeigt größte Bereitschaft, zu kooperieren. Das Unternehmen erwartet zu erfahren, was sich die Stadt für diesen neuen Stadtteil vorstellt. Ein „Modell Reininghaus“ könnte dessen „zukunftsträchtige und nachhaltige Entwicklung, an deren erster Stelle die Suche nach Lebensqualität steht“, vorbildhaft erarbeiten. Und es könnte synergetisch zum Leitprojekt des „projektA“ werden, dessen Initiatoren Graz 2010 wieder zur Architekturhauptstadt machen wollen. Wenn nicht 2010, dann eben 2017, wenn auf den Reininghausgründen urbanes Leben pulsieren soll.

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