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Feindbild Hochhaus
Neue Zürcher Zeitung

Prinz Charles bekämpft die «Eiterbeulen» im Londoner Stadtbild

Das alte London, welches Künstler wie Canaletto und Monet inspirierte, kannte keine Hochhäuser. Diese Bilderbuch-Silhouette der Themse-Metropole wünscht sich Prinz Charles zurück. Jüngst holte er zu einem weiteren Angriff gegen neu geplante Glastürme aus.

3. März 2008 - Georges Waser
«Charles does it again», verkündete im Februar eine Schlagzeile der englischen Tageszeitung «The Guardian» – und gemeint war damit, dass sich der Kronprinz einmal mehr mit Schimpfwörtern zur modernen Architektur geäussert hatte. In einer Rede im St James's Palace, so vernahm man, warnte Charles vor einem der Londoner City, aber auch historischen Städten wie Edinburg und Bath drohenden «Überhandnehmen der Eiterbeulen». Anders gesagt: Ein Dorn im Auge sind Charles die Wolkenkratzer, zum Beispiel das 44-stöckige, 240 Meter hohe und bereits unter dem Übernamen «Käseraffel» bekannte Leadenhall Building, das in der City of London als Nachbar von Norman Fosters «Gurke» entstehen soll. Ausser Richard Rogers – von dem die Pläne für die «Käseraffel» stammen – dürfte insbesondere der Londoner Bürgermeister Ken Livingstone aufgehorcht haben, war er es doch, der dem Wolkenkratzer-Boom, welcher London mit mindestens zwölf weiteren markanten Türmen bereichern soll, den Segen erteilt hatte.

Londons langsame Verwandlung

Charles' Kreuzzug gegen die zeitgenössische Architektur begann 1984, als er den zur Erweiterung der englischen Nationalgalerie geplanten Neubau als «monströsen Karbunkel» abtat. Einige Jahre später brachte er es mit beleidigenden Worten zustande, dass das Arup-Projekt zur Umgestaltung des Paternoster Square verworfen wurde und sein Günstling John Simpson den Auftrag für neue Pläne bekam (die dann allerdings auch scheitern sollten). Später verglich der Kronprinz die neue British Library in London mit einem einzig der Geheimpolizei würdigen Domizil. Zudem erschien ihm Birminghams neue Zentralbibliothek mehr zur Verbrennung als zum Aufbewahren von Büchern geeignet. Und jetzt, nur zwei Wochen nach seinem Angriff auf die Wolkenkratzer, hat er einen fensterlosen Neubau auf dem Campus der University of Essex mit einem Abfalleimer verglichen! Kein Wunder, dass einmal mehr auch an ihm Kritik geübt wird. Eine Stimme im Internet nannte Charles einen alten Possenreisser, der in den Tagen des grossen Wren sogar dessen St Paul's Cathedral abgelehnt hätte, und im «Observer» wurde das nach des Prinzen Vision entstandene Modelldorf Poundbury als lebloser Pastiche, ja ungesundes Hirngespinst gegeisselt.

Fast dreihundert Jahre lang, seit dem Grossen Feuer von 1666, baute man in London bis in eine gewisse Höhe und nicht darüber hinaus. In der Silhouette, wie sie Canaletto malte, dominierten die Domkuppeln und Türme von Wren, Hawksmoor und Thomas Archer – und um so hoch bauen zu dürfen, musste ein Architekt ausnehmend gut und wohl auch eher mit Gott als dem Mammon im Bunde sein. Als 1999 an der Themse das 135 Meter hohe «London Eye» bereitstand, gewahrte man von diesem Riesenrad aus Cesar Pellis Turm in der fernen Canary Wharf in einsamer Grösse – das Nest von Hochhäusern, das ihn heute umgibt, war erst am Entstehen. Fosters «Gurke» wartete auf die Baubewilligung, und auch von der heute schief am südlichen Themseufer stehenden City Hall fehlte noch jede Spur. Für diese und andere inzwischen verwirklichte Bauten war das auch als Millennium Wheel bezeichnete Riesenrad eine Art Schrittmacher; erst geschmäht und dann ein Erfolg, schien es der Beweis, dass sich die Bevölkerung für radikale Strukturen im englischen Stadtbild zu erwärmen begann.

Sowohl in Liverpool, Manchester und Birmingham als auch in Glasgow, Newcastle und Leeds hat sich das Interesse an Wolkenkratzern geregt. In London aber ist unter Investoren und Stararchitekten der Traum von einer schönen neuen und vertikalen Welt am intensivsten. Zu dieser Welt sollen in der City sowohl Richard Rogers' «Käseraffel» als auch ein 64-stöckiger Bau von Kohn Pedersen Fox sowie auf der South Bank ein 52-stöckiger Turm von Ian Simpson gehören – und ebenfalls auf der South Bank der London Bridge Tower von Renzo Piano, der – nach Verzögerungen modifiziert – jetzt mit 72 Stockwerken «nur noch» 310 Meter hoch werden soll. Tatsächlich hat Charles allen Grund, sich über das Erscheinen dieser phallischen «Geld-ist-Macht-Türme» zu sorgen. Kommen zwei bei der Victoria Station geplante Hochhäuser zustande, könnten diese über den Garten des Buckingham Palace hinauswachsen und ihm die Sicht von Osten auf diesen verderben.

Meist neigt Prinz Charles, wenn es um Architektur geht, zu einem unglücklichen Vokabular. Indem er neuerdings aber darauf beharrt, dass Hochbauten in Gruppen dastehen und nicht einzeln dem «Alte-Welt-Bild» historischer Quartiere und Städte aufgepfropft werden sollten, ist er jetzt besser als auch schon angekommen. Dies nicht zuletzt, weil in der Londoner City mit ihrem Gewirr von Strassen, engen Lanes und Alleys die Wind und Schatten verursachenden Hochbauten seit je auf Gegner stiessen. Kommt zudem ein Wolkenkratzer wie der London Bridge Tower an einem Verkehrsknotenpunkt zu stehen, genügt dort die gegebene Infrastruktur nicht. Richtig war diesbezüglich in der «Financial Times» der Fingerzeig auf das sinnlose Gedränge aus Betonklötzen und Betonflächen, aus dem der Centrepoint bei der Tottenham Court Road Station emporragt. Geht es Prinz Charles vor allem um «menschliche Dimensionen», so verlangt der «Guardian» für London nach qualitativ besseren Hochbauten – und ähnlich auch ein anderes Blatt, laut welchem Übernamen wie «Helter Skelter», «Walkie-Talkie» und eben auch «Scherbe» sowie «Käseraffel» für geplante Wolkenkratzer von deren Mangel an intellektuellem Gehalt zeugen.

Bessere Standorte denkbar

Wenn aber nicht in der City: Wo denn in London sollen Wolkenkratzer wie die obigen gebaut werden? Nun, sogar für Fosters immerhin bereits zum Wahrzeichen avancierte «Gurke» wären bessere Standorte denkbar. Architekturkritiker, die sich Charles' Klage zum Anlass für eigene Äusserungen nahmen, deuten in Richtung Docklands, Whitechapel oder Bow – nach East London jedenfalls. Aber warum nicht noch ein klein wenig weiter östlich? Wer in der jüngst zum internationalen Bahnhof erhobenen St Pancras Station den Eurostar besteigt, sieht sich unterwegs nach Ebbsfleet schon nach wenigen Minuten von Ödland umgeben. Warum also nicht hier, an der schnellsten Bahnlinie des Landes, eine Wolkenkratzer-Stadt bauen? Aber wo immer Hochhäuser wie die «Käseraffel», die «Scherbe» oder das «Walkie-Talkie» in der Themse-Metropole schliesslich auch zu stehen kommen: Ebenso wie für andere historische Städte ist es auch für London wichtig, dass die Meinungen von Neuerern, aber auch von Traditionalisten wie dem Kronprinzen angehört und diskutiert werden.

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