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Luxus Raum
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Hoch komplex und dennoch übersichtlich: der neue Bahnhof Wien Praterstern. Ein luxuriöses Raumkonzept von Albert Wimmer. Mit befreiender Wirkung.

8. März 2008 - Liesbeth Waechter-Böhm
Als Kathedralen einer mobilen Gesellschaft fasst heutzutage Bahnhöfe niemand mehr auf. Diese Rolle haben die Flughäfen übernommen. Sie stellen Inseln für sich dar, sie schaffen sich ihre eigenen (städtebaulichen) Gesetze. Das ist bei Bahnhöfen nicht so. Die liegen mitten im – womöglich großstädtischen – Verband, daher bedürfen sie auch einer sehr viel diffizileren Behandlung.

Das Prinzip „Bahnhofsvision“ ist jedenfalls in Vergessenheit geraten. Über Bahnhöfe denkt man nicht nach, man benutzt sie. Das muss eine der Einsichten gewesen sein, die Albert Wimmer bei seinem Bahnhof am Praterstern konzeptuell, verfolgt hat. Immerhin geht es um einen Bahnhof von beachtlicher Größe. Dabei ist er gar nicht „international“ angelegt. Hier geht es um den Nahverkehr, hier treffen die Wiener Linien (Straßenbahn, U1 und verlängerte U2) auf das S-Bahn-Netz der ÖBB, hier hasten Pendler zu den Zügen.

Nun ging es aber um Umbau, nicht um Neubau. Das merkt man dem Gebäude allerdings nur an, wenn man genau hinschaut.Vor allem konstruktiv wäre man bei einem kompletten Neubau sicher anders vorgegangen. So blieben Teile der alten Betonkonstruktion aus den Sechzigerjahren stehen. Nur das, was zwingend neu gemacht werdenmusste – etwa die Fassaden, die Einhausung der Bahnsteige im Obergeschoß –, ist jetzt „leicht“, das heißt aus Stahl und Glas.

Die Planung von Albert Wimmer lässt sich aber keinesfalls auf einen so simplen Nenner reduzieren. Konzeptuell war sie überaus komplex. Das hat vor allem mit den städtebaulichen, auch durch den Gleis- und Straßenverlauf bedingten Vorgaben zu tun – und mit der Funktion des Gebäudes als Hauptbestandteil eines der wichtigsten Verkehrsknoten Wiens. Die Alltagsfrequenz von 70.000 Personen ist enorm. Und bis 2010, so lauten die Prognosen, wird sie womöglich die 100.000er-Grenze überschreiten.

Wir werden uns bald nicht mehr daran erinnern, aber der Bahnhof Praterstern war tatsächlich schon seit Jahrzehnten einer der besonders verkommenen Orte von Wien. Sicher kann man sagen, dass Bahnhöfe grundsätzlich einen Anziehungspunkt für soziale Randgruppen darstellen. Doch mit architektonischen Mitteln lässt sich wirkungsvoll gegensteuern. Im Fall des Praterstern-Bahnhofes wurde das auf verschiedenen Ebenen versucht. Vor allem ist er jetzt sehr viel übersichtlicher organisiert. Die Wegführung kann jeder so ziemlich auf Anhieb lesen, Haupt- und Nebenzugänge sind klar definiert, es gibt keine räumlichen Nebensituationen oder toten Winkel mehr. Die sind aber in der Regel eine Voraussetzung für die Verslummung solcher Orte.

Dazu sollte es allein schon durch das Erschließungs- und Raumkonzept nicht mehr kommen. Es trägt aber auch die Materialisierung wesentlich dazu bei. Wimmer hat durchwegs auf Oberflächen gesetzt, die ziemlich nobel wirken und sehr resistent sind (und übrigens relativ gut und einfach gereinigt werden können).

Zu ebener Erde, in der Passage, wo es zahlreiche Geschäfte gibt, wo nicht nur Rolltreppen zu den Bahnsteigen hinaufführen, sondern auch die Lifte sehr gut sichtbar platziert sind, da liegt fast schwarzer, nur wenig gemaserter Tauerngranit auf dem Boden. Die Geschäfte haben natürlich eine Glasfront, die Deckenpaneele, hinter denen sich eine Unmenge an technischen Notwendigkeiten verbirgt – bis hin zu den Lautsprechern –, sind in schlichten Aluminium-Lochplatten ausgeführt, die eine wichtige zusätzliche Funktion erfüllen. Sie tragen zur akustischen Bewältigung des Raums bei. Und das ist bei einem so frequentierten Bahnhof von enormer Bedeutung.

Generell könnte man sagen, der neue Bahnhof präsentiert sich unbunt. Auch Glas hat zwar eine Farbe, und in diesem Fall schillert und glitzert es noch dazu im Sonnenlicht, weil die Gebäudehaut aus einer Zwei-Scheiben-Verglasung mit einer Streckmetall-Schicht dazwischen besteht (Sonnenschutz!). Und er ist unbunt, weil zum Glas und dem fast schwarzen Boden nur noch die Farben von Aluminium und Edelstahl beziehungsweise vor den massiven Bauteilen die anthrazitfarbene Rieder-Platten-Verkleidung kommen. Aber um die Buntheit braucht man sich hier wohl keine Sorgen zu machen. Die ist durch die individuellen Gestaltungsbedürfnisse der einzelnen Läden und gastronomischen Einrichtungen ohnehin nicht zu vermeiden, und im Übrigen bringt sie „das Leben“ in Form der bunten Menschenströme.

Wimmer hat die Fußgängerwege, auch die Ausblicke oben, auf den Bahnsteigen, nach den vorhandenen städtebaulichen Achsen ausgerichtet. Seine semitransparente Gebäudehaut hat daher auch mal ein Loch, das merkt man kaum, aber dadurch sieht man den Stephansdom.

Der wahre Luxus dieses Bahnhofs besteht aber in seinen räumlichen Qualitäten. Alles ist groß, breit, hoch. Vor allem oben auf den Bahnsteigen entfaltet dieses Konzept seine befreiende Wirkung. Bahnsteige mit 22 Meter Breite – wo gibt's denn das! Und die Raumhöhe der Einhausung – über neun Meter! Davon kann man als Architekt normalerweise nur träumen. Das hat teilweise mit den Vorgaben des Umbaus zu tun: Früher gab es viel mehr Gleise und viel schmälere Bahnsteige, das wurde durch die organisatorische Umrüstung der ÖBB reduziert; übrig blieb der Raum, der ja schon da war.

Das ist ziemlich großartig – die zeitgenössische Variante eines Bahnhofskonzepts aus dem 19. Jahrhundert. Damals hat man sich solche Räume geleistet. Heute funktioniert das in der Regel – das heißt im Neubau-Fall – nicht mehr. Dafür stehen die kommerziellen Interessen viel zu stark im Vordergrund. Beim Praterstern gab es ein gewisses Korsett, das durch den Bestand vorgegeben war. Und dieses Potenzial hat Wimmer ausgenutzt. Er konnte eine für heutige Verhältnisse völlig unübliche, sehr großzügige Raumsituation schaffen.

Wenn man sich das Gebäude sorgfältig anschaut, gibt es ein paar architektonische Finessen zu entdecken. Die wichtigste besteht wohl in der Verbindung von Bahnhofstrakt mit neuer U-Bahnstation. Die ist zwar schlicht angedockt, durch den Trassenverlauf konnte Wimmer aber den Zwischenraum zu einer schwungvoll verschwenkten Raumlösung mit Oberlicht uminterpretieren. Sicher wird man abwarten müssen, was die künftige Platzgestaltung dieses riesigen Areals bringt. Die stadtzugewandte Seite liegt in den Händen von Boris Podrecca, dahinter, Richtung Prater, schlägt die ARGE U-Bahn zu. Das wirklich unsägliche Polizeigebäude bleibt jedenfalls erhalten. Wunder finden eben selten statt.

Ein Letztes, das man Albert Wimmer zugute halten muss: Er hat nicht nur das nächtliche Erscheinungsbild seines Bahnhofs ins rechte (weiße) Licht gerückt, er hat auch das Motiv der Bahnhofsuhr in die zeitgenössische Architektur wieder eingeführt. Da prangt sie: rund, völlig normal, nicht digital, und zeigt die Zeit an. Was will man mehr.

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