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Profil

Studium der Architektur an der TU Wien und University of Michigan, USA.
Diplom 1991, Dissertationsstudium 2007–2010.
Architektin, Architekturpublizistin, Kuratorin. Regelmäßige Tätigkeit als Kritikerin für Fachzeitschriften und Die Presse, spectrum zu den Themen Architektur und Städtebau, Kulturgeschichte und Design. Zahlreiche Textbeiträge, Ausstellungen und Publikationen. Fulbright Guest lecturer 2015/16, University of Minnesota, USA.

Lehrtätigkeit

2001 – 2003 Lehrauftrag an der TU-Graz, Institut für Raumgestaltung, Vorlesung und Übung.
2015 – 2016 Fulbright Gastprofessur an der Universität Minnesota
Thema: „Comparative Urban Planning in Central Europe and in the United States. The Transfer of Cultural Knowledge through Different Urban Structures.“ Basierend auf den Forschungen für das Buch: „Lernen vom Raster – Strasshof an der Nordbahn und seine verborgenen Pläne“, Hg. Judith Eiblmayr, Neuer Wissenschaftlicher Verlag, Wien 2013.

Mitgliedschaften

1997 – 2003 Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Architektur - ÖGFA.
2001 – 2003 Vorstandsvorsitzende der ÖGFA.
Mitgliedschaft bei ÖGFA und Zentralvereinigung der Architekten.

Publikationen

Bücher:

Elizabeth Scheu Close – Amerikanische Architektin mit Wiener Wurzeln
Judith Eiblmayr
Verlag Anton Pustet, 2025

Bad Gastein ab I an Iaufgebaut
Hg. Judith Eiblmayr, Philipp Balga
J&J edition, 2021, '22

Styria Media Center
Hg. ArchitekturConsult
Autorin: Judith Eiblmayr
erschienen im Juni 2015
Birkhäuser Verlag
ISBN 978-3-0356-0551-8

Tour de Palais
Hg. Iris Meder, Judith Eiblmayr
Grafische Gestaltung: grafisches Büro Wien
Günter Eder
erschienen im Mai 2015
ISBN 978-3-200-04141-7

Baukulturführer 79 - Musiktheater Linz
Hg. Nicolette Baumeister, München / Berlin
Autorin: Judith Eiblmayr
Büro Wilhelm. Verlag, Amberg, 2014
ISBN 978-3-943242-32-4

Lernen vom Raster – Strasshof an der Nordbahn und seine verborgenen Pläne
Hg. Judith Eiblmayr, mit Beiträgen von Erich Bernard, Günter Dinhobl, Judith Eiblmayr, heri & salli, Caroline Jäger-Klein, Franziska Leeb, Johanna Rainer, Manfred Russo und Fotografien: Philipp Balga
Grafische Gestaltung: Katharina Erich, www.katharinaerich.at
Titelidee: Katharina Erich und Judith Eiblmayr, Tribute to Robert Venturi und Denise Scott-Brown, „Learning from Las Vegas“, Cambridge 1972
erschienen im Oktober 2013
NWV - Neuer Wissenschaftlicher Verlag - Architektur
ISBN 9 783708 309439

Opera House. Musiktheater Linz
Terry Pawson & ArchitekturConsult / archinauten
Text Judith Eiblmayr
Idee, Konzept und Grafik: Katharina Erich, www.katharinaerich.at
Hg. ArchitekturConsult, erschienen im Mai 2013 bei Callwey
ISBN 978-3-7667-2050-4

HAUS HOCH – Das Hochhaus Herrengasse und seine berühmten Bewohner
Hg. von Judith Eiblmayr und Iris Meder
2. erweiterte Auflage erschienen 2013 bei Metroverlag
ISBN 978-3-902517-92-0

Der Donaukanal – Die Entdeckung einer Wiener Stadtlandschaft
Judith Eiblmayr / Peter Payer
erscheint im Mai 2011 bei Metroverlag
ISBN 978-3-99300-031-8

Die Österreichische Nationalbank und ihre Architekten
Dissertation am Institut für Kunstgeschichte, Bauforschung und Denkmalpflege, Technische Universität Wien
März 2010

Der Teufel steckt im Detail – Architekturkritik und Stadtbetrachtung
Texte von Judith Eiblmayr, mit einem Essay von Daniela Strigl
erschienen im Februar 2010 bei Metroverlag
ISBN 978-3-99300-011-0

HAUS HOCH – Das Hochhaus Herrengasse und seine berühmten Bewohner
Hg. von Judith Eiblmayr und Iris Meder
erschienen im September 2009 bei Metroverlag
ISBN 978-3-902517-92-0

Der Attersee – Die Kultur der Sommerfrische
Hg. von Judith Eiblmayr, Erich Bernard,
Barbara Rosenegger-Bernard, Elisabeth Zimmermann
erschienen im Juli 2008 bei Christian Brandstätter Verlag
ISBN 978-3-85033-022-0

Moderat Modern – Erich Boltenstern und die Baukultur nach 1945
Katalog zur Ausstellung im Wien Museum
Herausgegeben von Judith Eiblmayr und Iris Meder
Farb- und Schwarzweißabbildungen
Broschierte und gebundene Ausgabe, 248 Seiten
erschienen im Verlag Anton Pustet, Salzburg 2005,
ISBN 3-7025-0512-1

Anna-Lülja Praun – Möbel in Balance
Katalog zur Werk- und Lebensschau zum 95. Geburtstag im Haus Wittgenstein
Herausgegeben von Judith Eiblmayr und Lisa Fischer
Farb- und Schwarzweißabbildungen
broschierte Ausgabe, 85 Seiten
erschienen im Verlag Anton Pustet, Salzburg 2001,
ISBN 3-7025-0435-4

Schulbau 2000 – Schulbau in Wien
Unterrichtsbehelf für Bildnerische Erziehung und Werkerziehung
Hg. BM für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten, Medienservice
Konzeption und Texte: Judith Eiblmayr
Eigenverlag BMUK, Wien 1999

Architektur des Geldes
Die Baugeschichte der Oesterreichischen Nationalbank
Hg. Oesterreichische Nationalbank,
Konzeption und Texte: Judith Eiblmayr
Coverfoto: Rupert Steiner
Eigenverlag OeNB, Wien 1999

TEXTBEITRÄGE für BÜCHER, KATALOGE und WEBSITES:

Architektur und Psychodynamik
in „ARCHITEKTUR TRANSDISZIPLINÄR“, S. 39 ff
Hg. Mariela Dittrich, Andrea Rieger-Jandl
Autor:innen: Judith Eiblmayr gem. mit K. Paulitsch
IVA Verlag, Wien 2016

• Das Juridicum
• Studienräume
beide in „Stätten des Wissens. Die Universität Wien entlang ihrer Bauten 1365–2015“, S. 311 und S. 321
Hg. Julia Rüdiger, Dieter Schweizer
Autor:innen: Judith Eiblmayr et al.
Böhlau Verlag, Wien/Köln/Weimar 2015

Heri & Salli
in „Time Space Existence. Made in Europe“, S. 106
Hg. GlobalArtAffairs Foundation
Autor:innen: Judith Eiblmayr et al.
2014
ISBN 9789490784157

Die Sichtbarmachung des Gesehenen – Zur Entwicklung der Architekturfotografie in Österreich
Dossier „Architekturfotografie“ zum Thema „Architektur & Fotografie“ auf nextroom.
• Ateliers und Interieurs / Studios and Interiors
• Zur Sichtbarmachung des Gesehenen – Architektur als Objekt vor dem Objektiv / On the Visualization of the Seen: Architecture as the Object in Front of the Photographic Objective
in „pez hejduk. vor ort_on site“
Hg. Pez Hejduk, mit Beiträgen von Ruth Horak, Judith Eiblmayr, Elke Krasny und Helmut Weber.
Metroverlag, Wien, November 2012

So nahe bei Wien und eine solche menschenleere Fläche!
in „Strasshof an der Nordbahn. Die NS-Geschichte eines Ortes und ihre Aufarbeitung“, S. 89 ff
Hg. Irene Suchy
Metroverlag, Wien, April 2012

Ungekünstelte Kunst. Ein Dach für das Passionstheater Oberammergau
Autor:innen: Judith Eiblmayr, Martin Zigon, Michael Seidel, Matthias Pfeifer
Hg. Karlheinz Wagner, Waldhör Verlag, Wien, Juni 2010

• Architektur nobler Zurückhaltung – Erich Boltenstern (1896 – 1991)
• Poesie durch Präzision – Wilhelm Holzbauer
beide in „Kunst Kunst Kunst – Der Große Österreichische Staatspreis“,
Katalog zur Ausstellung, S. 62 f und S. 94 f
Hg. John Sailer, Verlag Jung & Jung, Wien 2003

Dienst an der Kremser Bau(amts)kultur
Die Architektur österreichischer Amtshäuser zeichnet sich seit Generationen durch einen speziellen Charme aus, der „das Ungemütliche“ schlechthin repräsentierte. Das Wiener Architektenteam BEHF beweist, dass durch gezielten „Rückbau“ das Gegenteil möglich ist.
Krems, Stadt im Aufbruch, Architektur und Städtebau. Eine Bilanz, 2003

Schönbrunnerstraße 74 – BEHF mit BÜRO X
Broschüre making it 2, Hg. Marc Gilbert, Wolfgang Niederwieser, Wien 2000
Vorwort zur Architektur Wilhelm Holzbauers

in „Wilhelm Holzbauer – Arbeiten aus den letzten fünf Jahren des vergangenen Jahrhunderts“, Katalog zur Ausstellung, S. 6 f
Hg. Universität für angewandte Kunst
Eigenverlag Univ. f. angewandte Kunst, Wien 2000
Ernst Linsberger
Doppelwohnhaus in Krems an der Donau 1991 – 94
in „Meisterschule Roland Rainer“, S. 48 ff
Springer Verlag Wien New York, Wien 1998

• Analyse der Ursachen für den Bruch in der österreichischen Designidentität
• Lösungsmöglichkeiten für eine Zustandsverbesserung
beide in „Design in Österreich – Studie und Datenbank des MAK“, Österreichisches Museum für angewandte Kunst,
Wien 1992

ARTIKEL:
siehe http://www.eiblmayr.at/publikationen/index.htm

Veranstaltungen

Ausstellungen:

Moderat modern – Erich Boltenstern und die Baukultur nach 1945
Ausstellung im Wien Museum Karlsplatz von 20.10.2005 – 29.1.2006

Anna-Lülja Praun
Werk und Lebensschau der Architektin zum 95. Geburtstag
im Haus Wittgenstein von 11. – 24.5.2001

Herbert Eichholzer – Architektur und Widerstand
Ausstellung im Haus Wittgenstein von 12.11. – 4.12.1998

Anna-Lülja Praun – Werkschau der Architektin
bei Minerva Buchhandlung von 19.6. – 13.7.1997'

Architektur als Unterhaltung – Über ein neues Rollenverständnis der Architektur
Veranstaltungsreihe der Österreichischen Gesellschaft für Architektur
von 4.4.2001 – 22.2.2002

coming up: Elizabeth Scheu Close - American Architect with Viennese Roots.

VORTRÄGE:

Open Office versus Private Corner - Großraumbüro und das Recht auf Intimsphäre
Miba Forum Laakirchen, 20. 7. 2019
Blaha office Seminar, 3.3.2020

Dem Schach Raum geben
„ARCHITEKTUR HÖREN“ – Special: Rösselsprünge bei Loos
Gespräch mit Michael Ehn, Schachhistoriker
Bridge Club Wien, 16.2.2018

Anna Lülja Praun - Pionierin als Architektin in Österreich
für TU Graz und Ortwein-Schule,
Prenning bei Graz, 29.9.2018

Sprechen über Architektur
Werkvortrag von Judith Eiblmayr
ZV Architekt:innen Österreich, Wien, 11.1.2018

My Home Is My Castle - Das schwere Erbe von Suburbia
ÖGFA (IG Architektur), Wien, 10.5.2019
Soroptimistinnen Club Traunsee, Gmunden, 15.11.2018
Ausschuss der Ziviltechnikerinnen, Wien, 15.11.2017
HDA, Graz, 19.4.2017
Kamingespräch, Wien, 6.3.2017
Werkschau, Salzburg, 10.11.2016
Fulbright Womens Roundtable, Wien, 23.5.2016

Architektur als kreative Dienstleistung
Mödling, 18.7.2017

Die Stadt als Bühne - Von der Hochstraße zur Herrengasse, 200 Jahre Leben in Wien
mit Iris Meder
HG+ Infopoint, Wien, 9.6.2016

A planned Ideal City and the Legacy of its Plot
University of Minnesota, 11.12.2015

Is there a Perfect Town? The Rational Grid andthe Medieval Maze -
Two Systems of Urbanization
University of Minnesota, 19.11.2015

Margarete Schütte-Lihotzky - Talk and a Tour on the
Frankfurt Kitchen
MIA - Minneapolis Institute of Art, 17.11.2015

Vater, Großvater, Übervater. Zwei Generationen Holzmeister-Schüler.
Hannes (1905–1971) und Hansjörg Eiblmayr (1936–2013)
Internationale Fachtagung „Gibt es eine Holzmeister-Schule?“
Innsbruck, 16. - 18.10.2014

Was bewegt? Zur Situation von Architektinnen im
österreichischen Baugeschehen
Initiative Architektur Salzburg, 27.11.2013

Venus oder Eisenguss? Gendermainstreaming in der Architektur
Institut f. Architekturtheorie, TU Wien, 14.5.2013

ArchitektIn als DienstleisterIn?
frauwt - Netzwerk Wirtschaftstreuhänderinnen, 23.11.2010

Wettbewerbe

2006 Arbeiterkammer Wien Innenraumgestaltung, mit Irmgard Frank (Umsetzung 2006 – 2008)

Karte

Bauwerke

Artikel

19. Dezember 2009 Spectrum

Starrer Rahmen, bewegter Blick

Während Wien Tagestouristen planlos und busweise in die Stadt lockt, führt St. Pölten seine Besucher mit einem durchdachten Leitsystem durch die Kulturgeschichte.

In der Vorweihnachtszeit präsentiert sich Wien als Metropole des Städtetourismus mit der Hauptattraktion „Shopping in der City“ als ostentative Konkurrenz zu „Shopping in der Shopping City Süd“. „Autobusse willkommen...“, wirbt eine offizielle Wiener Internetseite, und unter dieser Devise werden im „Advent 2009“ einkaufswillige Stadtbesucher vorwiegend aus Österreichs nordöstlichen Nachbarländern busweise in die Stadt gekarrt und bei den „Aus- und Einstiegsmöglichkeiten“ ins Innenstadtgetümmel entlassen. Während die Tagestouristen auf den Trampelpfaden durch die Stadt strömen und ganz ohne Leitsystem den Pfad finden – vom Schwedenplatz zur Mariahilfer Straße und via Christkindlmarkt zurück –, drehen leere Busse ihre Tour um den Ring. Ab 18 Uhr wälzt sich die träge Menschenmasse zum Beispiel durch die für den Autoverkehr gesperrte Rotenturmstraße und wartet in Gruppen am Schwedenplatz, um in den jeweils richtigen von Hunderten Bussen hineinzufinden. Ein unglaubliches Spektakel, wo man als beobachtender Wienbewohner sich wundert, denn wirbt Wien nicht eigentlich mit Kunst, Hochkultur und einer immer größer werdenden Anzahl an Vier-Sterne-Hotelbetten? Alles zu seiner Zeit und für jede Zielgruppe das spezifische Angebot: Was dem städtischen Kulturtouristen im Herbst das Belvedere, der Demel und der Naschmarkt sind, seien dem ein- und abgeladenen Shoppingtouristen in der Adventzeit das Gerngross-City-Center, der Maronibrater und der Punschstand.

Während Wien den Massenansturm an Shop-Hoppern bewusst evoziert, können kleinere Städte wie zum Beispiel Sankt Pölten, das nächstes Jahr sein 25-jähriges Bestehen als niederösterreichische Landeshauptstadt feiern wird, ihre Touristenkonzepte mit Weitsicht planen und gezielt entwickeln. Noch muss sich St. Pölten nicht mit hochfrequentem Bustourismus auseinandersetzen – auch nicht zur Weihnachtszeit –, da die Stadt derzeit über eine zu geringe Hotelbettenkapazität verfügt. Als explizites Touristenziel für einen längeren Aufenthalt hat es sich noch nicht bewähren können, und so beschränkt man sich auf Messebesucher, Kongressteilnehmerinnen und Tagestouristen.

Sankt Pölten hat mit seinen 50.000 Einwohnern eine ideale Größe um von Kulturinteressierten an einem Tag zu Fuß erforscht zu werden, und genau diese Qualität hat die Stadtgemeinde, respektive Bürgermeister Matthias Stadler, aufgegriffen, um dies maßstabsgerecht zu kommunizieren. Vor zwei Jahren veranstaltete der Magistrat von Sankt Pölten einen geladenen Wettbewerb für Grafik-Designer in verpflichtender Kooperation mit Architekten zur Planung eines „Kultur-Touristischen Leit- und Informationssystems“, das einerseits Stadtbesucher von auswärts, andrerseits die ortsansässige Bevölkerung in ihrem Interesse „abholen“ und zu den Sehenswürdigkeiten der Landeshauptstadt führen sollte. Gleichzeitig wusste man um die Notwendigkeit, die Besucher des historischen Stadtzentrums auch an das in den 1990er-Jahren errichtete Regierungsviertel mit seinen architektonisch anspruchsvollen Kulturbauten wie Landesbibliothek, Festspielhaus und Landesmuseum außerhalb des Ringes um die Altstadt heranzuführen. Man wollte ein standfestes Leitsystem, das sich ohne Sponsoren-Logo behaupten kann und dessen Einzelelemente an verschiedenen Standpunkten im Stadtraum die Wege weisen. Man wollte keine Audioguides, die man sich bei der Tourismusinformation abholen und wieder abgeben muss und auch keine übers Touchscreen-Handy abrufbaren Multimediashows.

Die Grafikerin Gabriele Lenz und die Architektin Anja Mönkemöller konnten den Wettbewerb unter sechs Teams für sich entscheiden, mit einem Konzept, das durch funktionalistische Präzision beeindruckt, sowohl wasdie architektonische Durchbildung der Info-Stelenfamilie, als auch den typografischen Auftritt der eigentlichen Informationen in applizierter Text- und Planform betrifft.

Die formal einheitlich in anthrazitgrau gehaltenen, pulverbeschichteten Stahlelemente mit einem gelbgrünen Signalstreifen an den Schmalseiten, die seit wenigen Wochen in Sankt Pölten aufgestellt sind und durch perfekte Materialbearbeitung im Detail beeindrucken, gibt es in drei aufeinander bezogenen Modellen: Wegweiser-Stelen, Gebäudetafeln an Hausmauern und Platz-Stelen. Die 220 Zentimeter hohen Wegweiser, auf denen ein Orientierungsplan und die angeführten Zielobjekte Aufschluss über den Weg zu diesen geben, funktionieren als konventionelle Hinweistafeln an den Gehwegen im städtischen Gefüge. An den bezeichneten Orten angekommen, findet sich nun entweder eine an der Hausmauer montierte Gebäudetafel oder eine den Ort beschreibende großformatige Platz-Stele. In einer zweiten Ausbaustufe 2010 werden in formal gleicher Art je ein Info-Pavillon beim Bahnhof und in der Mariazeller Straße realisiert werden.

Das Besondere an der Gestaltung von Lenz und Mönkemöller ist, dass die Stelen nicht selbstreferenzielle City-Lights oder wie üblich passive Trägerplattformen für Texte sind, sondern zu einem Stück „sprechender Architektur“ werden und die Informationskonsumenten zur Aktivität auffordern: Die kleinen wie die großen Tafeln haben – unmittelbar neben der Schrift – rechteckige Ausschnitte, wodurch der touristische Blick gerahmt und somit auf das Wesentliche gelenkt wird. Herkömmliche Tafeln wie jene des Denkmalamtes an einem geschützten Gebäude werden als reine Textinformation, mit Fähnchen geschmückt, der Fassade vorgeblendet. Die sich nobel abhebenden, leicht gekippten Sankt Pöltner Objekt-Tafeln hingegen geben dem Betrachter, noch während er die Infos liest, eine subtile Hintergrundinformation, indem ein Fassadendetail im Rahmen fokussiert wird.

Bei den Platz-Stelen wird dieses Prinzip um noch eine – kreative – Dimension erweitert: Der Flaneur, die Flaneuse können sich, wie beim Fotografieren ein eigenes Stadtbild gestalten! Durch die Distanz zwischen der Rahmung und einem „Schaustück“ am oder rund um den Platz können Blickwinkel und Bildausschnitt selbst bestimmt und ein Objekt eigener Wahl in den Rahmen gerückt werden – sei es ein Gebäude, ein Baum oder auch eine Person. Der bewegte Blick durch den starren Rahmen erzeugt eine Spannung, die dem touristisch noch unverdorbenen Sankt Pölten zugute kommen wird. Und vielleicht wird es stadtflüchtige Wiener geben, die, bevor auch dort „Busse willkommen“ sind, der niederösterreichischen Landeshauptstadt mit der Bahn eine Tagesvisite abstatten und sich direkt vom Bahnhof weg von einem intelligenten System mit starker Bodenhaftung durch die Kulturgeschichte der Stadt leiten lassen.

19. Juni 2009 mit Klaus Paulitsch
Spectrum

Von Mies zum Messie

Das Haus – ein Symbol für das Ich? Das Traumhaus als Indika- tor für unbewusste Wünsche? Wie Architektur mit der Psyche eines Bewohners korrespon- diert. Und was passiert, wenn Architekten das ignorieren.

Wenn sich eine Person an einen Architekten oder eine Architektin wendet, um ihr Haus planen zu lassen, so geben deren Wünsche und Vorstellungen bald zu erkennen, dass es meist um mehr geht, als eine solide, funktionale oder ästhetisch nachhaltige Bleibe zu erhalten. Freud meinte, dass die einzige typische, das heißt regelmäßige Darstellung der menschlichen Person als Ganzes die als Haus sei, das Haus steht symbolisch für das „Ich“ oder kann als Metapher für die eigene Person gesehen werden. Wünsche, Vorlieben, Abwehrhaltungen, Sehnsüchte oder Ängste werden oft bildlich in einHaus oder in eine Wohnung projiziert. „Traumhäuser“, die den Planern präsentiert werden, lassen meist Rückschlüsse auf unbewusste Kräfte zu, die die spezifischen Vorstellungen der Bauherrn von Geborgenheit, Autonomie- oder Schutzbedürfnis bestimmen. An der Errichtung des eigenen Hauseshängt also viel dran – nicht nur finanziell. Je sesshafter eine Gesellschaft und je weniger austauschbar das Haus ist, umso gewichtiger wird die Identifikation der Eigenheimbesitzer mit selbigem, und umso genauer sollten die Architektin, der Architekt auf den Entwurf eines passenden Hauses achten.

Aber auch umgekehrt müssen Architekten gewahr sein, dass sie Gefahr laufen können, eigene Projektionen und Wünsche ans Wohnen in ein Konzept zu verpacken, und so am Bedürfnis des Auftraggebers völlig vorbeiplanen – ohne deshalb „schlechte“ Architektur zu machen! Ein Beispiel dafür gibt die Geschichte einer Ikone der modernen Architektur, des Farnsworth House von Ludwig Mies van der Rohe, geplant und erbaut 1945–1950 in der Nähe von Chicago. Die Wiener Architektin und Architekturtheoretikerin Sabine Pollak hat in ihrer Publikation „Leere Räume – Weiblichkeit und Wohnen in der Moderne“ (2004) jene Details der Entstehungsgeschichte erzählt, die in den meisten Mies-Architekturabhandlungen bislang nicht erzählt wurden: Es war die beruflich erfolgreiche, alleinstehende Ärztin Edith Farnsworth, die Mies beauftragt hatte, ein Wochenendhaus mitten in der Natur im Ufergebiet eines Flusses für sie zu konzipieren. Mies van der Rohe plante einen eckigen gläsernen Pavillon, der von acht weiß gestrichenen Stahlsäulen getragen wird und – auchaus Gründen des Hochwasserschutzes – zirkaeineinhalb Meter über Bodenniveau auf einerPlattform ruht. Den Kern des Hauses bildet die Nasszelle, der restliche Raum mit all den determinierten Funktionen des Wohnens im Wochenendhaus wie Herumlungern, Schlafen, Kochen, Essen, Lesen und vieles mehr erlaubte keinen Rückzug.

All diese Details des häuslichen Lebens waren von der Umgebung – die Landstraße ist relativ nahe – lediglich durch eine Glasschicht getrennt und wurden damit automatisch exponiert, so lange, bis die Hausbesitzerin die seidenen Vorhänge zuzog. Bei Dunkelheit wohl rundherum, und nun saß sie zwar nicht mehr in einem Glashaus, aber dafür in einem hermetischen Raum mit Zeltcharakter. Vielleicht hatte Edith Farnsworth im Planungsstadium bereits Bedenken angemeldet, realisiert hat sie es aber zweifellos erst beim Bewohnen, dass in der architektonischen Konzeption ihres Hauses kein Platz für persönliche Befindlichkeiten war. Ganz im Gegenteil: Der Architekt hat wie schon in Barcelona 1929 einen von der Weltöffentlichkeit bewunderten Ausstellungspavillon errichtet und seine Auftraggeberin wie auf dem Präsentierteller hineingesetzt, um nichtzu sagen: bloßgestellt. Die Ärztin konnte sichnach einer anstrengenden Arbeitswoche zwar in die Natur zurückziehen, stand dort aber dann theoretisch unter permanenter Beobachtung von Spaziergängern und ungebetenen Gästen. Wie ein weiteres luxuriöses Möbel von Mies, mit denen das Haus bestücktwar, wurde die Hausherrin in die Auslage gestellt, gesetzt oder gelegt, je nachdem.

Man unterstellt dem Architekten hierbei keine böse Absicht, aber doch die Projektiondes eigenen Wunsches nach selbstbewusst männlicher Kontemplation bei der Naturbetrachtung im Lehnstuhl – während ein weibliches Wesen einen Whisky serviert und den Aschenbecher für die Zigarre zum Couchtisch bringt. Edith Farnsworth wurde in diesem Haus, das, weltberühmt, nach wie vor ihren Namen trägt, nicht glücklich. Nachdemsie 20 Jahre lang versucht hatte, sich, ihrer Lebensweise entsprechend, dort einzurichten, verkaufte sie den Glaspavillon an einen Mann, der später, so Pollak, von einem männlichen Architekturkritiker als der „ideale Besitzer“ tituliert wurde. Mies van der Rohe meinte 1959: „The Farnsworth House is a house for a single person; that made the job easier.“ Er machte es sich insofern leicht, als er ein Meisterstück „männlicher“ Architekturkreierte, ohne darüber nachzudenken, dass er für eine Frau hätte bauen sollen.

Bauherrn wie Architekten sollten sich von vornherein der psychodynamischen Prozesse zwischen den einzelnen Personen beim Planen bewusst sein, um auf beiden Seiten keine Enttäuschungen zu erleben. Dazu gehört nicht nur, sich auf das Gegenüber einzulassen, sondern auch Charaktertypen richtig einschätzen zu können und dadurch die Projektabwicklung günstig zu beeinflussen. Der Begriff „Persönlichkeit“ umfasst allgemeine und zeitlich stabile Charaktereigenschaften wie Temperament, persönliche Werte oder Einstellungen eines Menschen, die für den Einzelnen einzigartig und unverwechselbar sind, und Aspekte des Fühlens, Denkens, Wahrnehmens und der Gestaltung sozialer Beziehungen beinhalten. In der Psychologie wurden schon 1923 systematische Typologien beschrieben: Häufige Persönlichkeitszüge sind zwanghaftes, ängstliches, chaotisches, theatralisches oder gewissenloses Verhalten. Beim Bauen für eine bestimmte Person oder auch Personengruppe, wie eine Familie, sind diese Charakterphänomene jedenfalls von Relevanz. Ein auf Extrovertiertheit ausgerichtetes architektonisches Ordnungsprinzip intendiert am ehesten einen theatralischen Raumutzer, denn für die Selbstinszenierung eines Bauherrn ist der Auftritt auf dem Mies'schen Podium zweifellos perfekt. Am anderen Ende der „Strukturiertheitsskala“ findet sich der Chaotiker, der Schwierigkeiten hat, die Dinge des täglichen Lebens in Ordnung zu halten, in der pathologischen Ausformung pejorativ „Messie“ genannt. Hätte Mies womöglich auch den Messie in seinem Bauherrn nicht erkannt und ihn detto in ein Glashaus gesetzt? Vielleicht absichtlich – als Verhaltenstherapie –, um durch die Kontrolle von außen den Bewohner zur Ordnung zu zwingen? Zweifellos wäre er nicht erfreut gewesen, wenn seine „reine“ Architektur von innen her zugemüllt worden wäre. Irgendwann,wenn das Haus dann unbewohnbar geworden wäre, hätte es als Mahnmal herhalten können, für eine klar ersichtliche, gescheiterte Architekten-Bauherrn-Beziehung.

7. März 2009 Spectrum

Villa mit Landschaft

Ein Glücksfall von einem Grundstück, ein Blick über halb Wien und ein Architektenteam mit mondänem Sinn für den Bauplatz. Das Ergebnis: eine Villa am Schafberg.

Es ist eine der zentralen Fragen beim Bauen im privaten Bereich mit professioneller Planung: Wie kommen eigentlich die Bauherren zur passenden Person, die den Wünschen, Vorstellungen oder Träumen des eigenen Bauprojekts – aus deren Sicht – adäquat Gestalt gibt? Entweder man spricht einen Architekten an, den man selbst kennt oder empfohlen bekommt und von dem man in Kenntnis seiner Persönlichkeit und seines Werkes annimmt, dass die Basis für eine Zusammenarbeit gegeben ist. Oder man lässt sich ansprechen, von Architekturbeispielen in Publikationen und auf Homepages, und nähert sich rein über die Qualität des Formalen dem Planer, der Planerin an. Aber selbst dann wird sich erst in der Arbeitsbeziehung zeigen, ob man zusammenpasst, ob ein Konzept bauherrnseitig als stimmig angenommen und nicht als aufoktroyiert verstanden wird. Zwischen dem Planer und dem Nutzer von Architektur muss „die Chemie stimmen“, und es muss gegenseitiges Vertrauen herrschen, um den Hausbau als gemeinsames Projekt zu verstehen.

Beim Haus G. am Stadtrand von Wien haben die Bauherren im zweiten Anlauf das Architektenteam gefunden, dem sie sich wirklich anvertrauen wollten, nämlich Elena Theodorou-Neururer & Alois Neururer aus Wien. Wo sich im Entwurf des zuerst beauftragten Architekten als oberer Abschluss des konventionellen Haustypus im französischen Landhausstil ein vier Meter hohes Zeltdach mit kleinformatigen Gaupen im wahrsten Sinne des Wortes breitmachte, wird das realisierte Projekt nun von einem wie eine Laterne aufgesetzten Atelierraum „gekrönt“, der einen unverstellten Blick über halb Wien bietet. Dieser auf Offenheit gegenüber den Gegebenheiten am Bauplatz bedachte Ansatz, der sich durch das ganze Planungskonzept zog, hatte die Auftraggeber überzeugt und den Architekten die Möglichkeit geboten, eine repräsentative Villa zu bauen, die mit einem mondänen Selbstverständnis die Landschaft in die Architektur mit einbezieht.

Das Haus von Neururer & Neururer liegt weit oben auf einem der Wiener Hausberge, nordwestlich der Stadt, an einem leicht geneigten Südhang, der talseitig steiler wird und über die Dächer der unterhalb liegenden Bebauung hinweg die überwältigende Sicht über die Stadt bietet. Ein Glücksfall von einem Grundstück, das als schwierig zu bebauen galt, da die zulässige Traufenhöhe mit sechs Metern beschränkt ist. Mit der Lage der Zufahrtsstraße und der Erschließung an der Nordseite des Hauses bot sich jedoch die Gelegenheit, das räumliche Konzept den Hang hinab und der Sonne entgegen zu entwickeln. Die Bebauungsbestimmungen wurden, was die bebaute Fläche und die Kubatur betrifft, bis auf das Äußerste ausgereizt, um die mit zirka 600 Quadratmeter Nutzfläche sehr große Villa stimmig ins Gelände zu modellieren.

Von der Straße her ist der Baukörper dezent, einerseits durch das in Stützen- und Glaskonstruktion aufgelöste Obergeschoß, andrerseits durch einen rundum laufenden, einen Meter tiefen Dachüberstand mit geringer Aufbauhöhe, der als horizontaler Sonnenschutz fungiert, und durch die vorgeschriebene Höhe markant linear nachzeichnet. Der Zugang zum Haus ist klassisch achsial angelegt, und sobald sich die Eingangstüre geöffnet hat, kann der Blick ungehindert durch das großzügige Entrée, über den zwei Stufen abgesenkten Essplatz und die vorgelagerte Terrasse hinweg auf Baumwipfel, Dachlandschaft, bis auf die weit entfernt liegenden Hochhäuser am Wienerberg schweifen. Der großzügig dimensionierte Innenraum des Erdgeschoßes, wo Bibliothek, Wohnbereich mit Kamin, Essplatz und Küche ohne räumliche Trennungen einander ergänzen, wird von einigen wenigen edlen Materialien geprägt: persischer Kalkstein, der mit seinem samtigen Graubraun fast wie Leder anmutet, Cabreuva-Parkett, das den passenden Farbton zur Bibliothek und den Parapetverbauten aus Teakholz bietet, weiße Wände und Glasflächen, die, ebenfalls in Teakholzprofilen gehalten, in große Felder unterteilt werden. Von Osten bis Südwesten kann so das Schauspiel wechselnder Wetterstimmungen draußen verfolgt werden – die beschriebene Materialität drinnen bildet den stilvollen Rahmen dafür.

Die ebenfalls in den Wohnraum eingebundene Treppe liegt westseitig, ist durch eine Satinato-Verglasung von der Nachmittagssonne hinterleuchtet und bildet nicht nur die konstruktive, sondern auch die formale Verbindung der vier Geschoße, die alle in der gleichen Art gestaltet sind. Diese qualitativ hochwertige Grundstimmung macht das Haus per se gemütlich, lässt jedoch den einzelnen Familienmitgliedern genug Freiraum, die Räume ihrem Geschmack entsprechend einzurichten. „Moden werden abgewohnt“, sagt die Hausbesitzerin, wohl wissend, dass die formale Qualität ihres Hauses eine individuelle, vielleicht modische Möblierung zulässt. Im Obergeschoß liegen die Schlafräume der Familie, jeweils mit eigenem Bad und eigenem Blick, teilweise mit Terrasse.

Das Untergeschoß ist nur zur Hälfte ein herkömmlicher Keller, denn auf dem Niveau des Gartens liegend, gibt es nicht nur den direkten Zugang zum Garten mit Swimmingpool, sondern einen zusätzlichen, voll belichteten großen Raum, der als zweites Wohnzimmer genutzt wird.

Gelungen ist diese Vielschichtigkeit beim Raumprogramm durch die Terrassierung des Baukörpers. Neururer & Neururer haben so die Ausnutzung des Baugrundes optimiert und den Bauherren ein breites Spektrum an Wohnqualität geboten: von der Poolparty im Gartengeschoß über Familienalltag in den Wohngeschoßen bis zum kontemplativen Rückzug ins Dachatelier kann der Wohnort im engeren Sinne belebt und im weiteren Sinne erlebt werden. Dies muss die Intention von ernst gemeinter Architektur sein – und nicht die Perpetuierung starrer, eklektizistischer Hausmodelle aus dem vorletzten Jahrhundert, wie an diesem Bauplatz ja auch – siehe oben – vorgeschlagen worden war.

Wenn die Nutzerin dieses Hauses sagt: „Ich sehe es als Privileg an, in diesen Räumen zu wohnen“, dann bezeichnet sie nicht nur das Privileg, ein solches Haus in dieser Lage – den Wienerwald im Rücken und die Stadt zu Füßen – überhaupt errichten zu können, sondern es ist auch als Anerkennung an das Architektenteam gerichtet. Gemeinsame Intentionen wurden umgesetzt, die Vorstellungen der Bauherren von den Raumoptionen aber offensichtlich noch übertroffen und dafür wird den Architekten nachhaltig Respekt gezollt.

1. November 2008 Spectrum

Wenn die Ziegel bröckeln

Eine Kirche, die bald nach ihrer Einweihung, 1898, zu zerfallen begann. Und die bis heute vor sich hin bröselt: die Pfarrkirche zum heiligen Laurentius in Wien-Breitensee. Eine Sanierung ist überfällig, Eile geboten.

Vor ziemlich genau 110 Jahren, am 12. November 1898, wurde die Wiener Secession eröffnet. In der Gestalt des Ausstellungsgebäudes von Joseph Maria Olbrich, das auch der Sitz jener avantgardistischen Gruppe um Gustav Klimt war, die sich vom Künstlerhaus abgespaltet hatte, manifestierte sich die moderne Haltung der „Jungen“. Sie lehnten den Historismus ab, und der Bau vermittelte glaubwürdig die Suche nach dem Neuen, dem Jugendstil.

Zeitgleich, am 8. Oktober 1898, wurde in Wien Breitensee – heute im 14. Bezirk – im Beisein von Kaiser Franz Josef die katholische Pfarrkirche zum heiligen Laurentius geweiht. Es war dies eine von 25 Kirchen, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den neuen Arbeiterquartieren von Wien in Ziegelbauweise errichtet wurden. Die Backsteinkirchen galten als Standardtypus des historistischen Wien, von Floridsdorf bis Favoriten wurden sie, vorwiegend im Stil der Neogotik gehalten, den neuen Stadtteilen implantiert.

Während sich also die „jungen Wilden“ in der Stadt gegenüber dem Konservativismus des Habsburger Reiches abzugrenzen begannen und die Moderne proklamierten, wurde über die Vororte in bewährter gründerzeitlicher Manier ein Raster gelegt, um möglichst effizient und gewinnbringend Wohnbauten zu errichten. Die Wiener Ziegelindustrie florierte, und Arbeitskräfte, die die Ziegel im Verband verlegten, waren billig zu haben, daher war es logisch, dass man nicht nur beim Bau der „Zinskasernen“ auf diese Bauart setzte. Auch die Kirchen mit kathedralähnlichen Dimensionen konnten in kürzester Zeit errichtet werden, schließlich wusste das christlich-soziale Wien unter Karl Lueger genau, was es seinen vorwiegend katholischen Zuwanderern aus den Kronländern, die die Industrialisierung in Wien erst möglich gemacht hatten,vordergründig schuldig war, um Identifikation mit der neuen Heimat herzustellen. Das Plädoyer für die „Moderne im Kirchenbau“, das Otto Wagner ebenfalls 1898 in einer Studie formulierte, wurde (noch) nicht erhört – die Kirche am Steinhof wurde erst 1907 fertig gestellt –, und so gerieten die neogotischen Kirchtürme zu spitz herausragenden Markierungspunkten in der neu geformten Dachlandschaft der Wiener Außenbezirke.

„Es bedarf wohl auch keines besonderen Hinweises, dass nicht nur religiöse, sondern auch sozial-politische Erwägungen die Errichtung der Kirche in Breitensee notwendig erscheinen lassen“, stand im ersten Ansuchen des Kirchenbauvereins von 1894 an die Statthalterei. Der Wiener Vorort Breitensee hatte zwischen 1835 und 1890, der Zeit der Eingemeindung, eine wahre Bevölkerungsexplosion erfahren. Nicht nur, dass die vorhandene barocke Kapelle für den Andrang an Gläubigen bald zu klein wurde, der Zuzug schaffte soziale Probleme, mit denen die vormals kleinen bürgerlichen Dorfgemeinden seitens der neu entstandenen Weltstadt allein gelassen wurden. Im Zeitalter noch fehlender sozialer Maßnahmen der öffentlichen Hand hing es vom Engagement der Ortsansässigen ab, den sozialen Nöten des Industrieproletariats beizukommen. Man organisierte private Fürsorge über Wohltätigkeitsvereine, wobei den kirchennahen Einrichtungen eine wesentliche Rolle zufiel. Im Falle von Breitensee wurde bereits im Jahr 1882 der „Verein der Kinderfreunde“ gegründet, um die Betreuung der nicht schulpflichtigen Kinder zu organisieren. Diesist insofern erwähnenswert, als diese Implementierung eines sozialen Zentrums der Errichtung des identitätsstiftenden Gebäudes, nämlich der Kirche, voranging.

Nachdem ein erster Entwurf vom Architekten Gustav Matthies eher modern angelegt gewesen sein dürfte – es wird erwähnt, dass er dieMittelpfeiler der Hallenkirche in Gussbeton herstellen wollte – und von den Behörden abgelehntworden war, kam der „Lokalmatador“ Ludwig Zatzka zum Zug, Architekt, Stadtbaumeister und Gemeinderat aus Breitensee. Zatzka saß ab 1895 für die christlichsoziale Partei im Wiener Gemeinderat, just jenem Jahr, in dem er den Zuschlag für Planung und Errichtung der Kirche in Breitensee erhielt. 1898 wurde er Stadtrat für Bauangelegenheiten und krönte sein Lebenswerk mit der Dr.-Karl-Lueger-Gedächtniskirche am Zentralfriedhof, die er nach einemEntwurf von Max Hegele baulich umsetzte.

Obwohl die Finanzierung des Neubaus in keiner Weise gesichert war, setzten sich Ludwig Zatzka und seine Familie vehement für die Errichtung der Kirche ein. Zatzkas Eltern spendeten den Glockenstuhl und die Glocken, sein Bruder, der Maler Hans Zatzka, entwarf die Glasmalereien im Chor, und der Baumeister selbst spendete Baumaterial. In nur zwei Jahren wurde die Kirche mit ihrem 62 Meter hohen Turm errichtet, aber kaum, dass die Darlehen abbezahlt waren, traten 1929 die ersten Mängel am Gebäude auf, die man in der Pfarrchronik „mit den Worten bitterster Entrüstung“ auf das „schlechte, weiche Steinmaterial“ schob. Unter anderem dürfte sich die Sachspende vom Architekten als Danaer-Geschenk erwiesen haben, denn das Problem, das mit schweren Steinbrocken begann, die „mit unglaublicher Regelmäßigkeit auf den Gehsteig herabfielen“, ist bis zum heutigen Tag nicht gelöst.

Die Qualität der Ziegel und des Mörtels war originär so schlecht, dass die Fassade im Laufe der Zeit weiter zu bröckeln begann, bis Ende 2004 wegen Gefahr im Verzug sogar der Turmhelm mit dem Kreuz abgetragen werden musste. Seither sind der gestutzte Kirchturm und die den Eingang flankierenden Kapellen eingerüstet, was dem Bauwerk zwar auf Distanz eine akkurate, modernistische Extravaganz verleiht, dem Gotteshaus jedoch die feierliche Würde nimmt. Die Erzdiözese als für die Erhaltung der Kirche Verantwortliche hat mehrere Gutachten erstellen lassen, ein schlüssiges Lösungskonzept gibt es allerdings noch nicht. Zu vielfältig sind die Mängel, darüber hinaus sind die Kosten für eine Sanierung seriös nicht bezifferbar. Der historische Ortskern von Breitensee rund um den Laurentiusplatz, der mit Kirche, Volksschule und Pfarrheim mit Kindergarten – und nicht zu vergessen: den Breitenseer Lichtspielen, einem der ältesten Kinos der Welt – nach wie vor als soziales Zentrum funktioniert, steht als Ensemble unter Denkmalschutz, denn schützenswert ist auch das Stück Stadtgeschichte, das an diesem Ort erzählt wird. Aber welchem Sponsor ist das etwas wert, denn mit Spenden aus dem Klingelbeutel wird es wohl nicht getan sein. Es muss rasch gehandelt werden, sei es im Sinne einer Schadensbegrenzung oder einer Form der „Moderne im Kirchenbau“.

Um an den Anfang und zu den Avantgardisten zurückzukehren: Beide Seiteneingänge der Breitenseer Kirche werden von einem Mosaik nach einem Entwurf von Alfred Roller geschmückt. Roller war Gründungsmitglied der Wiener Secession. Könnte Synthese von alt und jung ein Lösungsansatz sein, wo man sich neuer Technologien bedient, um die alten Gemäuer zu retten?

8. August 2008 Spectrum

Wenn die Wurscht System hat

Mangelhafte Raumplanung, gefällte Bäume, unzureichende Ersatzpflanzung und eine erbärmliche Hundezone: wie der Wiener Manès-Sperber-Park auf dem Dach einer Garage neu gestaltet wurde.

Wiens Parks und Grünflächen“ wie sie publizierterweise dargestellt werden, können sich wahrlich sehen lassen. Wie im Gemeinde-Wien-nahen Perspektiven-Heft vom Juni 2007 nachzulesen und durch herrliche Fotos dokumentiert ist, scheint Wien vom „Erholungsgebiet Steinhof – Dehnepark“ bis zum „Wasser-Kristall-Energiegarten“ in Hirschstetten eine Grünraum-Metropole zu sein. Das „Leitbild zur Parkgestaltung des Wiener Stadtgartenamtes“ versucht „Gender Mainstreaming“ genauso zu integrieren wie „Sicherheit“ oder „ökologische Gesichtspunkte“. In den meist in Stadtrandlage oder gar direkt am Rande des Wienerwalds befindlichen Parks scheint dies mehr als erfüllt, die überdurchschnittliche Größe lässt den Park als „Multifunktionsanlage“ zur Erholung, Ort der Begegnung und Kommunikation wunderbar funktionieren.

Je näher man allerdings dem Stadtzentrum kommt, umso problematischer scheint die Hege und Pflege der Grünräume. Abgesehen von den prestigeträchtigen Anlagen an der Ringstraße wird es in den sogenannten „Beserlparks“ eng, und das Engagement von Bezirksvorstehern und Stadtgartenamt hält sich ostentativ in Grenzen. Zwar ist im zweiten Bezirk, in der Lilienbrunngasse, vor zwei Jahren ein neuer Park entstanden – neu deshalb, weil der gewachsene Park, der über einen ansehnlichen Baumbestand verfügte, einem heiß umstrittenen, von den Anrainern mehrheitlich abgelehnten Tiefgaragenprojekt weichen sollte.

Dazu musste zuerst abgeholzt werden, wobei der älteste, größte und schönste Baum, eine zirka 50 Jahre alte Linde, beim Fällen vor lauter Widerstand in die falsche Richtung und bis ins Stiegenhaus eines – Ironie des Schicksals – Gemeindebaus gekracht ist. Natürlich ist das Fällen von kerngesunden Bäumen mitten im verbauten Gebiet keine attraktive Aktion. Als Zuckerl wurde der besagte neue, schöne Park auf dem Garagendach statt des alten, „schiachen“ versprochen. „Für die Kinder!“, tönte es aus der Gebietsbetreuung. „Von den Kindern!“, hieß es, wenn Kritik an der Ausgestaltung laut wurde. Die Kinder hätten, demokratischlegitimiert, den Park genau so haben wollen. Da darf man natürlich nichts mehr sagen, weil herziger geht es gar nicht. Dass im Park spielende Kinder per se Planungskompetenzfür Stadtgestaltung übernehmen können, ist praktisch, denn so könnte das eine oder andere Studium an der Universität für Bodenkultur eingespart werden. Diese für Wien eher untypische Kinderfreundlichkeit hat wahrscheinlich mit dem Namenspatron des alten wie auch neuen Parks, Manès Sperber, zu tun, denn der Schriftsteller und Philosophhatte sich bis 1927, solange er in Wien gelebt hatte, der sozialpsychologischen Betreuung schwieriger Jugendlicher gewidmet.

Nach zwei Jahren Bauzeit war der Raum fürs Parken geschaffen, und man wartete gespannt auf den Grünraum als Park; immerhinwar abgesehen von der Kindertruppe auch ein Landschaftsplanungsbüro betraut worden, und man durfte annehmen, dass Profis die städtebauliche Chance, die sich durch eine völlige Neugestaltung eines Stücks öffentlichen Raumes bot, ergreifen würden.

Die verräterische Definition der „Oberflächengestaltung beim Garagenbau“ hätte einem schon im Vorfeld zu denken geben müssen. Nicht nur dass 30 Prozent der Fläche pflegeleicht versiegelt wurden und damitlediglich der Straßenraum eine Verbreiterungerfuhr: Man erkennt zwar das Bemühen, auf engstem Raum eine Funktionsgliederung zu erreichen, hat aber nicht mehr erreicht als eine additive Zonierung, die keinerlei zusammenhängendes Raumgebilde erzeugt.

Noch sind die Nachpflanzungen nicht groß genug, um Raum erzeugend zu wirken, denn die Bäumchen auf dem Garagendach sind jung und zart, werden aber hoffentlich noch wachsen. Erstaunt stellt man fest, dass die Anzahl der neuen Bäume nicht korrekt ist: Statt vormals 15 sind es deren nur mehr elf, abgesehen von einem alten, während derBauarbeiten geschützten Baum, der kurz vorBauende von der Baufirma doch noch umgesägt wurde, weil er einem Kanalrohr im Weg war. Dieser Baum mit einer stattlichen Krone hatte vis à vis vom Dianabad einer Plastik von Fritz Wotruba städtebaulichen Rückhalt geboten und einen kleinen Platz definiert. Haftung, Ersatzpflanzung? Kein Thema, der Bezirk hat nämlich kein Geld. Der Baum sollte übrigens auch als Schattenspender für Sitzbänke für „Passanten und Senioren“ dienen. Jetzt sind die Bänke der prallen Sonne ausgesetzt, mit oder ohne Senioren. Und damit der Wotruba-Guss nicht so verloren am Gehsteig herumsteht, hat man ihm drei Mülltonnen zur Seite gestellt – das nennt man aufmerksame Stadtgestaltung.

Auf Anfrage beim Stadtgartenamt, wo die restlichen vier neuen Bäume geblieben seien, erhält der erstaunte Anrainer die Antwort, dass die sowieso gepflanzt wurden. Auf Nachfrage, wo denn, heißt es stolz: in der Oberen Augartenstraße! Die Ersatzpflanzung darf nämlich innerhalb des Bezirks im Umkreis von einem Kilometer des gefällten Baumes vorgenommen werden. Da fühlt man sich dann doch „gepflanzt“, wenn Bäume aus dem dicht verbauten Gebiet an den Rand des Augartens verpflanzt werden. Aber Zynismen ist man schon gewohnt, und es kommt noch dicker – vor allem was die Luft betrifft. An der städtebaulich attraktivsten Stelle, an der Kreuzung zur Gredlerstraße mit Blick auf den Stephansdom, wo früher die Parkbänke standen, hat man eine mit 250 Quadratmetern extrem kleine Hundezone platziert. Dies sei ein dezidierter Wunsch des Bezirksvorstehers Gerhard Kubik gewesen, sagen sowohl die MA 42 wie auch die Landschaftsplaner. Das ist ein löbliches Lobbying für eine offensichtlich wichtige Wählergruppe, das bewirkt, dass ein weiteres Stück Grünland für die Bevölkerung geopfert wird. Denn die Wiese ist großteils niedergetreten, die vollgekoteten Büsche wurden entfernt, und die Efeupflänzchen, die die Wand der Garagenabfahrt hätten bewachsen sollen, sind ausgebuddelt und natürlich nicht nachgepflanzt. Und zur großen Verwunderung aller zuständigen Stellen bleibt häufig das Gackerl als kompaktes Packerl liegen und weht jedem Passanten unverhofft ein Geruchsfähnchen ins Gesicht. Somit verkommt die Hundezone zum trostlosen Hundeklo, und das können dann auch die Hunde nicht mehr riechen. „Die Hygienediskussion im Bezug auf Hundekot entspricht genau jener vor zirka 100 Jahren, als das Urinieren im öffentlichen Raum geächtet wurde“, sagt der Stadtforscher Peter Payer. Hygienische Zustände wie vor 100 Jahren und kein Handlungsbedarf: Ist der Bezirk darauf stolz? Die Segmentierung des öffentlichen Raumes funktioniert vielleicht auf dem Plan, aber Gestank überschreitet gnadenlos die Abzäunungen der „Zone“, und die Fliegen finden den Weg vom Hauferl schnell ins nächste geöffnete Küchenfenster.

Aber die „Wurschtigkeit“ hat offensichtlich System: Die Hinweistafel des Stadtgartenamtes auf Manès Sperber beließ man an ihrem Platz wie im alten Park, und nun steht sie mitten in der Hundezone. Praktischerweise auf zwei Stehern montiert, die den vierbeinigen Freunden eine der wenigen vertikalen Gelegenheiten bieten, naturgemäß das Haxerl zu heben. Manès Sperbers Ansehen wird vielleicht ans Bein gepinkelt, aber so werden wenigstens die drei verbliebenen Bäume geschont!

6. April 2008 Spectrum

Stadtleben auf dem Land

Sommervillen und schmucke Bootshäuser: der Attersee. Seit 150 Jahren ein Hort für Sommerfrische und kulturelle Aufgeschlossenheit. Erkennbar an seiner Baukultur.

Als sich Anfang des 19. Jahrhunderts in Österreich die Sommerfrische zu etablieren begann, wurde das Salzkammergut, das aus wirtschaftlichen Gründen sehr früh einen Eisenbahnanschluss erhalten hatte, ein beliebtes Ziel des Wiener Adels. Bad Ischl wurde nicht nur durch die Gunst des Kaiserhauses berühmt, es sprach sich auch die heilende Wirkung der seit 1823 dort etablierten Solebäder herum. Gleichzeitig wurde das Salzkammergut als Bildmotiv der Maler des Klassizismus und der Romantik verwendet und dadurch populär gemacht. Die Künstler hatten in der unberührten Natur das Transzendente entdeckt und wussten die Stimmungen durch ihre Darstellung zu vermitteln. Es waren dies Bilder, die der Fotografie der späteren Tourismusindustrie zur Ehre gereichen würden: „Das Höllengebirge bei Ischl“ (1834) oder „Die Rettenbachwildnis bei Ischl“ (1832) waren die Landschaftsmotive, von denen etwa der österreichische Maler Ferdinand Georg Waldmüller ein gestochen scharfes, naturalistisches Abbild herstellte.

Die Unternehmungslust der Kurgäste war somit angestachelt, die Natur wollte – von der Kutsche aus – betrachtet werden. Während Traun- und Wolfgangsee bequem zu erreichen waren und rasch für den aufkeimenden Tourismus erschlossen wurden, blieb der Attersee als größter Binnensee in Österreich und trotz seiner landschaftlichen Schönheit vorerst ausgeblendet und wurde nur punktuell von Tagesausflüglern aus Bad Ischl besucht. Das „Oberösterreichische Meer“, wie in zeitgenössischen Werbeschriften zu lesen ist, erfüllte den Wunsch der Städter nach einem wahrhaftigen Naturschauspiel: Eingeengt zwischen den Felsformationen von Schafberg und Höllengebirge, weitet sich das türkisblaue Wasser aus, vis-`a-vis bis nach Unterach und nach Norden hin bis an den Horizont reichend. Noch ließ man passiv die Imposanz des Farbenspiels und der unterschiedlichen Wetterstimmungen am See auf sich wirken, aber bereits ein paar Jahre später wollten die Neugierigeren unter den Tagestouristen die Natur nicht nur betrachten, sondern auch hautnah erleben und wurden alsbald von findigen Einheimischen in Plätten nach Unterach gebracht.

Durch diese sogenannten „Wiener Fuhr’l“ wurde Unterach bekannt und konnte sich rasch als erster Sommerfrischeort amSee etablieren. Nachdem die Attersee-Schifffahrt 1869 ihren Betrieb aufgenommen hatte, begann sich die touristische Erschließung des Sees auch zu den nördlichen Ufern hin auszubreiten. Ab dann wurde der Attersee vom liberal orientierten, städtischen Bildungsbürgertum als Urlaubsort entdeckt; Intellektuelle, Künstler und Künstlerinnen, Architekten, Schriftsteller, Wissenschaftler, Geschäftsleute sowie Politiker kamen aus Linz und Wien, aber auch aus anderen größeren Städten der Monarchie an den Attersee, zuerst als Pensions- oder Hausgäste, später als Grundstücks- und Hausbesitzer. Die „sauren Wiesen“ am Seeufer waren billig zu haben, und so ist bis nach der Jahrhundertwende eine Reihe von ansehnlichen Sommervillen mit schmucken Bootshäusern errichtet worden. Die Sommerfrischler fühlten sich ihrer Wahlheimat verpflichtet und investierten in öffentliche Bauprojekte wie die Errichtung von Wasserleitungen oder Uferpromenaden.

Von Seewalchen aus setzte die schleichende „Privatisierung“ der Atterseeufer ein, der die einigen wenigen bekannten Hotels kaum etwas entgegensetzen konnten, dafür war die Saison wahrscheinlich zu kurz und – wie jeder Attersee-Kenner bestätigen kann – oft auch noch verregnet. Nach dem Ersten Weltkrieg, als viele Industrielle ihren Besitz aus den ehemaligen Kronländern nach Österreich verlegten, wurde ein Haus am Attersee für einige Familien zum Zweitwohnsitz. Und: An den Attersee kam man nicht nur, um Ruhe und Erholung zu finden, sondern auch um am regen gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Im Sommer wurden Bekanntschaften aus dem Berufs- und Geschäftsleben aus allen Winkeln des bestehenden und früheren Österreich vertieft. Diese Art von Geschäftsbeziehungen, aber auch persönliche Freundschaften, die sich über Jahrzehnte entwickelten und über Generationen weitergegeben wurden, stellen einNetzwerk dar, das sicherlich dazu beigetragen hat, rund um den Attersee im Laufe der letzen 150 Jahre ein vitales kulturelles Klima zu etablieren, das als wesentlich weniger konservativ als in den klassischen, durch die Aristokratie geprägten Gebieten des Salzkammerguts galt. In diesem Sinne war der Attersee sehr früh ein Ort, an dem sich eine aufgeschlossene Gesellschaft mit moderner Gesinnung – sei es in der Musik, in der Malerei, in der Architektur oder einfach in ihrer urbanistischen Lebenshaltung – aufs Land hinaus begab.

Das Rahmenprogramm für das Stadtleben auf dem Land ist bis heute perfekt inszeniert. Waren es in anderen attraktiven „ersten“ Urlaubsgegenden wie Südtirol die Berge, so steht hier der See im Mittelpunkt, wobei der Wassersport einen programmatischen Bestandteil einer aufgeschlossenen Geisteshaltung darstellte. Die Städter waren Ende des 19. Jahrhunderts durchaus auch aus sportlichen Motiven gekommen, hatten ihre schnittigen Sport-Ruderboote und Segelyachten gebracht, sie hatten aber auch das Schwimmen im offenen See modern gemacht. Schon 1886 wurde am Attersee mit der Gründung des Union Yacht Club Attersee zeitgleich mit dem Union Yachtclub Neusiedlersee – lange vor anderen Segelvereinigungen – erstmals in Österreich der Segelsport auf breiter Basis etabliert. Bis heute ist der Yachtclub mit seinen Veranstaltungen verbindendes Element und Treffpunkt für die Sommergesellschaft. Selbst Gustav Klimt, eine jener Künstlerpersönlichkeiten, die den Attersee weltbekannt machten, kam nicht nur aus gesellschaftlichen und künstlerischen Motiven an den Attersee, sondern auch um Rudersport zu betreiben.

Die Baukultur um den Attersee kann als Indikator für das kulturelle Bewusstsein der Gesellschaft gesehen werden, ist es doch gerade die Architektur, in der sich ein spezifisches Kulturverständnis dauerhaft manifestiert. Die Architektur wurde inmanchen Fällen gezielt eingesetzt, wenn sich ein Unternehmer in seiner Rolle als Bauherr besonders fortschrittlich zeigen wollte. Gerade hier, in der freien Landschaft, konnte man sich durch ein außergewöhnliches Haus mehr Aufmerksamkeit verschaffen als im urbanen Umfeld. So wurden Architekten aus der Stadt wie Max Fabiani, Ernst A. Plischke, Max Fellerer, Clemens Holzmeister, Roland Rainer oder Johannes Spalt „mitgebracht“, um die Sommerhäuser zu planen. Gustav Mahler hingegen wollte in der Sommerfrische nicht mit Gebautem repräsentieren, sondern benötigte einen abgeschiedenen Arbeitsraum, den er sich denkbar schlicht von einem Baumeister aus Schörfling errichten ließ. Trotzdem erlangte das „Komponierhäuschen“ als Mahlers Wirkungsstätte am Attersee Berühmtheit.

Auch die originäre regionale Geschichte am Attersee zeugt von einer modernen Baukultur; bereits im frühen 18. Jahrhundert wurde im Weißenbachtal ein technisch raffinierter Holzlift nach dem Seilbahnprinzip errichtet, der 150 Jahre lang das Hallholz aus dem Attergau zum Weißenbacher Sattel transportierte, von wo es zur Saline in Ebensee geschwemmt wurde. Es sind spannende Geschichten, die über den kulturellen Kontext eines nie aus der Mode gekommenen Sommerfrischegebietes erzählt werden können. Die Metapher des Meeres birgt jene geistige Weite, die den Attersee als etwas Besonderes definiert und seine Anwohner und „Sommerresidenzler“ immer auch nach anderen Ufern streben ließ.

30. Dezember 2007 Spectrum

Ein Palais kommt zu sich

Modern, mondän, klassizistisch: Das Palais Palffy, bisher eher ein versteckter grauer Block in der Wiener Innenstadt, wurde restauriert und umgebaut.

Die Wallnerstraße in der Wiener City ist prototypisch für eine Gasse „in der zweiten Reihe“: Sie ist zwar ums Eck vom Kohlmarkt, aber trotzdem nicht die Nobelkaufmeile selbst. Die Luxusboutiquen und Juwelenhändler schaffen es gerade noch 50 Meter weit in die Nebengasse, dann gibt man es schon billiger, und die Auswahl der Geschäfte normalisiert sich. Auch historisch betrachtet, war man mit einem Familiensitz in der Wallnerstraße dem kaiserlichen Hofe zwar schon sehr nahe, aber doch an der Hinterfront jener Palais, die in die „Straße des Adels“, die Herrengasse, orientiert waren. Aus jener Zeit erhalten sind drei Herrschaftshäuser in der Wallnerstraße: das Palais Caprara-Geymüller von 1698, das ebenfalls barocke Palais des Fürsten Paul I. Esterházy aus dem Jahre 1695 und dazwischen das klassizistische Palais des Grafen Janos Palffy von Erdöd. Während das Palais Esterházy durch seine halböffentliche Nutzung mit dem zugänglichen Innenhof schon länger als ins städtische Gefüge integriert gilt, wurde das Palais Palffy eher als unzugänglicher, grauer Block und seit gut zehn Jahren als Baustelle wahrgenommen.

Dieser Eindruck täuschte nicht: Bereits 1993 wurde bei Herbert Ablinger vom Architekturbüro Ablinger, Vedral & Partner eine Studie in Auftrag gegeben, die die Basis für eine Neunutzung der zuletzt für das Allgemeine Verwaltungsarchiv des Bundes und die Verwaltungsakademie verwendeten Räumlichkeiten als Bundespressezentrum untersuchen sollte. Die Architekten kamen auch planerisch zum Zug, und ab 1996 wurde mit den Umbauarbeiten begonnen. Vorerst wurden jene Einbauten, die den großen Hof des Palais „verfüllt“ hatten, entfernt. Die Umnutzung des Hofes hatte bereits 1922 Leopold Bauer vorgenommen, als er für die Britisch-Österreichische Bank, die damals das Gebäude erworben hatte, einen der seiner Meinung nach „praktischsten Bankbauten Wiens“ geplant hatte. Dabei war der Hof ab dem ersten Stock – ebenerdig lag der Haupttresor – zu einem zweigeschoßigen Kassensaal mit einem gläsernen Giebeldach umfunktioniert worden, in den hinter einer Säulenreihe offene Büroarbeitsplätze hin orientiert waren. 1948 wurden im Zuge des Wiederaufbaus in die Halle eine Zwischendecke eingezogen, zwei weitere Geschoße wurden draufgesetzt, um die Räume als Speicher für das staatliche Archiv nutzen zu können.

Im Jahr 2000 nach der Nationalratswahl war die Idee des Pressezentrums nicht mehr opportun, man verfügte einen Baustopp und prüfte neue Nutzungsvarianten. Erst 2003 fand sich eine zukunftsweisende Lösung, die auf einen sinnvollen Abschluss des Projektes hoffen ließ. Die OSCE – Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa – wählte für ihren neuen Amtssitz in Wien das Palais Palffy, das dem Anspruch, ein hochmodernes Verwaltungszentrum mit repräsentativen Räumlichkeiten zu verbinden, in idealer Weise gerecht werden konnte. Ab dann wussten die Architekten Herbert Ablinger, Renate Vedral und ihr Team, dass die jahrelange Vorarbeit sich gelohnt hatte: Es galt im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit einerseits ein umfassendes Raumprogramm unter Beachtung höchster Sicherheitsaspekteumzusetzen, andrerseits unter der Fachaufsicht von Ewald Schedivy vom Bundesdenkmalamt die Restaurierung eines der bedeutendsten klassizistischen Stadtpalais in Wien voranzutreiben.

Man einigte sich darauf, den großteils unverfälscht erhaltenen Straßentrakt mit seinerteilweise in echtem Marmor, teilweise in Stuccolustro gehaltenen Prunkstiege, mit den Prunkräumen mit ihren Seidentapisserien und einzigartigen Parkettböden in „3D-Optik“, die eine Raumerweiterung nach unten suggerieren, möglichst authentisch instand zu setzen, für die rückwärtigen Trakte mit den neuen Räumen jedoch eine zeitgemäße Sprache in Materialität und Raumqualität zu finden. Die Architektur von Charles de Moreau, der das Palais Palffy 1809 bis 1813 unter Einbeziehung vorhandener Bausubstanz geplant hatte, wie auch die erwähnte Innenraumgestaltung, die Raphael von Rigelzugeschrieben wird, kamen dieser Intention sehr entgegen. Moreau, der 1794 von Nikolaus II. Fürst Esterházy nach Österreich geholt worden war, um dessen Schloss in Eisenstadt umzubauen, gilt in der Kunstgeschichteals „moderner“ als seine Zeitgenossen, da er aus seiner Pariser Zeit von den Lehren der Revolutionsklassizisten geprägt war.

Gerade die glatte Putzfassade des Palais Palffy mit der horizontalen Gliederung ohne Pilaster oder Lisenen, den rein additiv gesetzten Fensteröffnungen ohne Risalite und dem leichten Knick in der Fassade, der eine perspektivische Spannung evoziert, zeugt von einer Modernität, auf die sich Architekten heutzutage anstandslos beziehen können. Während die Straßenseite unverändert blieb, wurde der frei geräumte Hof an drei Seiten mit einer Glasfassade mit feiner Alu-Profilierung umschlossen, um die dahinterliegenden Büros möglichst gut zu belichten. Der Hof mit seinem gekiesten Boden, einer Holzterrasse, einem Wasserbecken und Bambusstauden wird so seiner historischen Aufgabe als Patio des Stadtpalais gerecht: Reduziertgestaltet, dient er als ruhiger (Außen-)Raum zur auch visuellen Kommunikation.

Auch beim Dachgeschoßausbau fanden das Bundesdenkmalamt und die Architektenzu einer produktiven Lösung: Die Dachfläche zur Wallnerstraße hin blieb unberührt, dafür durften hofseitig große Fensteröffnungen eingebracht werden, was eine ausreichende Belichtung der Räume gewährleistete.

Am 22. November 2007 waren dann auch alle zufrieden: Die Architekten, die Kosten und Termine punktgenau eingehalten hatten, das BDA, das das Palais Palffy stolz zum „Denkmal des Monats“ kürte, und König Juan Carlos, der für Spanien, das den Vorsitz der OSCE im Jahr 2007 leitet, die Eröffnung des neuen Hauses vornahm. Und die Wallnerstraße selbst kann sich – wenn auch in der zweiten Reihe – wieder ein Stückchen mondäner präsentieren.

14. April 2007 Spectrum

Ein Außen ohne Pathos

Architekt, Bühnenraum-, Ausstellungs- und Möbelgestalter, genialer Zeichner, Kulturkritiker, Humanist: Oskar Strnad. Eine Erinnerung.

Das Werk Oskar Strnads ist von einer Diversivität geprägt, die dem geläufigen Architektenbild des frühen zwanzigsten Jahrhunderts als Universaldenker entsprach, jedoch selten von einer einzigen Person in dieser Form geleistet werden konnte: Er war Architekt, Bühnenraum-, Ausstellungs- und Möbelgestalter, genialer Handzeichner, Kulturkritiker und großer Humanist und nicht zuletzt dadurch ein bewunderter Lehrer. Im Spannungsfeld zwischen Kunstgewerbeschule, Theaterhäusern und Museen geriet er zu einer der wichtigsten Persönlichkeiten der Wiener Kunstszene vor und nach dem Ersten Weltkrieg. Das Arbeiten sei für ihn innere Forderung, Freude und Leidenschaft, meinte er, eine schöpferische Haltung, die wohl seine legendäre Ausstrahlung bewirkte.

Oskar Strnad wurde 1879 in Wien als eines von sieben Kindern jüdischer Eltern geboren. Da sein Vater Gutsverwalter war, verbrachte er seine Kindheit auf dem Land und kam erst als Jugendlicher in die Stadt zurück. Bereits als kleines Kind war er durch eine hohe Auffassungsgabe und ein außerordentliches Zeichentalent aufgefallen; er liebte das Lebendige und die Landschaft, was er dann auch in Naturstudien festhalten konnte. Er studierte Architektur an der Technischen Hochschule in Wien bei Carl König, Max von Ferstel und Karl Mayreder, schloss mit einem Doktorat ab und fand sich bald im Kreis von genauso begeisterungsfähigen Kollegen wieder.

Zwischen 1908 und 1918 entwickelte er gemeinsam mit Josef Frank und Oskar Wlach eine gegen das repräsentative Pathos des Historismus gerichtete neue Herangehensweise bei der Innenraumgestaltung, die die Grundlage für eine eigenständige Wiener Wohnkultur in den Zwanzigerjahren bildete. Während sich andere Vertreter der Wiener Werkstätte, wie Josef Hoffmann bei ihren als Gesamtkunstwerk in der Ornamentik des Jugendstils angelegten Interieurs abmühten, hielt Strnad 1914 in einem Vortrag ein Plädoyer für weiß gekalkte Wände und eine lockere Möblierung im Sinne einer weniger streng determinierten Nutzung der Wohnräume. Er versuchte den Wohnräumen das Statische zu nehmen und über ein „leichtfüßiges“ Mobiliar und die Möglichkeit der Raumteilung durch Vorhänge Dynamik und Flexibilität im Raum zu erzeugen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits seine zwei architektonischen Hauptwerke, in Kooperation mit Oskar Wlach, errichtet: 1912 das Haus Hock und 1914 das Haus Wassermann, beide in Wien Döbling. Die Fertigstellung des Hauses Hock war fast zeitgleich mit Adolf Loos' Haus am Michaelerplatz von einem ähnlichen, allerdings nicht öffentlichen Skandal begleitet: Die Behörde wollte aus ästhetischen Gründen den Bauherrn die Benützungsbewilligung verweigern und konnte erst durch Androhung von Schadensersatzansprüchen umgestimmt werden. Oskar Strnad redete einer emotionalen Architekturauffassung das Wort, die vor allem im Inneren der Häuser ausgespielt werden sollte, von außen präsentieren sich beide schlicht mit subtil platzierten klassizistischen Elementen und von zeitloser Eleganz.

Seine wichtigste Rolle für die österreichische Architekturgeschichte kam ihm zweifellos als Lehrer an der Kunstgewerbeschule in Wien zu. Ab 1909 unterrichtete er das Fach Allgemeine Formenlehre, sein Charisma und sein didaktisches Talent begründeten rasch die Strnad-Schule, durch die viele österreichische Architekten gegangen sind. Nicht nur Männer, auch eine der ersten österreichischen Architektinnen, Grete Schütte-Lihotzky wurde durch Oskar Strnad, der bei der Formfindung die Studenten soziales und analytisches Denken lehrte, stark geprägt. Bis an ihr Lebensende schwärmte sie von seinem sozialen Anspruch an die Architektur, seinem Humor und der künstlerischen Sensibilität. Auch Erich Boltenstern, sein langjähriger Assistent, bezeichnete die Zeit bei Strnad als eine der reichsten Perioden seines Lebens.

Nach dem Krieg, als es schwierig war, weitere Bauaufträge zu erhalten, folgte Strnad einer Einladung ans Volkstheater und arbeitete fortan regelmäßig für Theater- und Operninszenierungen. Sein Temperament hatte ihn quasi zum Theater getrieben, das ein Ventil für seine überschäumende Fantasie bot. Sein komplexes räumliches Denken schuf Szenarien, die jeden Winkel des Bühnenraumes „mitspielen“ ließen und vom Publikum begeistert aufgenommen wurden. Schnell wurde er an die Oper und über Max Reinhardt ab Mitte der Zwanzigerjahre auch zu den Salzburger Festspielen geholt. Aber Oskar Strnad entwarf nicht nur Bühnenräume, deren Kurzlebigkeit im Vergleich zur Architektur ihn frustrierte, sondern auch experimentelle Konzepte für Theaterbauten. Der Entwurf eines Ringtheaters, wo sich die Bühne um die Zuschauer dreht, beschäftigte ihn mehrere Jahre lang, wurde 1920 umfassend publiziert, die Realisierung aber leider nie in Aussicht gestellt.

Strnads Schaffensdrang zeigt sich in den vielen Beiträgen für Wettbewerbe, an denen er neben seiner Theaterarbeit bis in die Dreißigerjahre teilnahm. Sein Doppelhaus in der Wiener Werkbundsiedlung von 1932 bleibt eines der letzten vor seinem Tod fertiggestellten, jedoch nicht erhaltenen Bauwerke. Oskar Strnad starb 1935, ein Jahr, nachdem sein Weggefährte Josef Frank nach Schweden emigriert war und mit den Ideen der gemeinsam erarbeiteten Wiener Wohnkultur einen wesentlichen Einfluss auf das skandinavische Möbeldesign ausübte. Aber er starb früh genug, um den Niedergang seiner humanistischen Werte in Wien nicht mehr erleben zu müssen.

10. Februar 2007 Spectrum

Ein Platz lebt auf

Wenn man sich Innsbruck mit dem Zug von Osten her nähert, zeigt sich die Stadt von ihrer plakativ großstädtischen Seite. In einiger Entfernung ziehen die Hochhäuser des Olympischen Dorfes vorbei und liefern Zeugnis ihrer Entstehungszeit: Anlässlich der Olympischen Spiele 1964 wurde der neue Stadtteil begonnen und 1976, als Innsbruck zum zweiten Mal Austragungsort der Winterspiele war, in einer zweiten Bauetappe erweitert. Im Wissen um den Mangel an leistbaren Wohnungen in Innsbruck entschied man 1960, auf der „grünen Wiese“ in Neu-Arzl möglichst dicht zu bauen. Die ursprüngliche Idee, den Olympioniken am Hang der Nordkette ein echtes Tiroler Dorf aufzustellen, war aus finanziellen und logistischen Gründen nicht umzusetzen gewesen und so hatte man sich doch für Wohnblöcke unten im Inntal entschieden. Nach über vierzig Jahren hat der Stadtteil mit cirka 8000 EinwohnerInnen soweit einen eigenständigen Charakter entwickelt, dass Probleme vor Ort von der Stadtverwaltung ernst genommen und spezifische Lösungen gesucht werden.

Die Stadt Innsbruck hat – gemessen an der Bauleistung im letzten Jahrzehnt – eine beachtenswerte Entwicklung genommen. Das Architekturgeschehen der Stadt ist geprägt von prestigeträchtigen Projekten, die jedoch nicht wie in vielen anderen Städten zu selbstreferentiellen Investorenbauten geraten, sondern auch einen Mehrwert für die Stadt und ihre 135.000 EinwohnerInnen bedeuten. In Tirol ist generell das Wissen um die Wertigkeit von qualitätvoller Architektur bei öffentlichen wie privaten Bauherren sehr hoch, aber in Innsbruck wird speziell darauf geachtet, dass stadtstrukturelle Verbesserungen nicht nur für die Tourismuszonen, sondern auch für die Randlagen der Stadt erzielt werden, wie am Beispiel des Olympischen Dorfes zu sehen ist.

Um eine Lösung für eine identitätsstiftende Zentrumsbildung zu finden, wurde das „O-Dorf“ 1996 als „Europan“-Wettbewerb – europaweit für unter 40-jährige ArchitektInnen – ausgeschrieben, aus dem die in Wien tätigen Architekten Willi Frötscher und Christian Lichtenwagner als Sieger hervor gingen. Nachdem das Projekt mehrere Jahre auf Eis gelegt war, erhielten die Architekten schließlich 2001 den Zuschlag und man wandte sich gemeinsam mit der Stadtplanung umso engagierter dem Diskurs und der Realisierung zu. Denn das geplante Bauvolumen war in Form und Programmatik gewaltig: Um ein unmittelbar belebtes Ortszentrum zu schaffen, sollte am neuen „Hauptplatz“ neben den öffentlichen Nutzungen wie Veranstaltungshalle, Kindertagesheim, Jugendzentrum und betreutes Wohnen für Pensionisten die urbane Dichte durch 100 zusätzliche Wohnungen gesteigert werden. In Analogie zur bestehenden Bebauung des Olympischen Dorfes wurde ein Hochhaus implementiert und dem L-förmigen, flachen Riegelbau beigestellt. Somit wird nicht nur das Zentrum durch einen Turm markiert, sondern auch der Platz stadträumlich gefasst und durch die entsprechende Fußgängerfrequenz der Hausbewohner automatisch belebt.

Die Dichte war also da, die sozialen Einrichtungen ebenso, aber wo bleibt die Urbanität? Wie gelingt es, den Platz so anzureichern, dass die Menschen auch verweilen wollen und ihn dadurch mit Leben erfüllen? Frötscher und Lichtenwagner gingen dieses Problem planerisch und praxisorientiert an: Sie suchten den Kontakt zur Firma M-Preis, Tirols größter Supermarktkette, die konzeptionell immer auch ein kleines Café an ihre Märkte angekoppelt hat. Somit war genau jene infrastrukturelle Basis geschaffen, um einen Platz als „Marktplatz“ zu definieren: die Menschen werden nah versorgt, nicht nur mit Lebensmitteln, sondern auch mit Kaffee und Kuchen und mit Klatsch und Tratsch aus dem Quartier.

Die Gestaltung des Platzes selbst sollte nicht die gewachsene historische Stadt stilisieren, sondern nimmt Bezug auf seine Funktion als Verteiler und als sozialer Treffpunkt. Ein Bereich ist durch eine Pergola zur Beschattung gedeckt und mit darunter stehenden Parkbänken bestückt, sonst wird eine Zonierung für Altersgruppen oder Zuweisung bei der Nutzung vermieden. Natürlich wird so auch potentiellen Konflikten Raum gegeben, zwischen den Generationen oder ethnischen Gruppen, wie sie in jedem Stadtteil mit vorwiegend sozialem Wohnbau europaweit zu finden sind. Aber die mögliche soziale Kontrolle trotz Weitläufigkeit funktioniert seit der Fertigstellung im Mai angeblich gut – was auch mitten im Jänner schön zu beobachten ist: Zu Mittag strömen die Kinder der nahen Hauptschule zum Platz, kaufen sich etwas zum Essen, gehen ins Café oder lungern auf den raupenähnlichen „Bankbändern“ herum. Manche schlendern in Richtung Hort, eine Gruppe legt sich die Schultaschen als Torbegrenzungen auf und spielt Fußball. Die Pensionisten gehen auf den Rollator gestützt eine Runde spazieren und kleine Kinder nutzen die Bänke zum Klettern und Rutschen. Und beim Supermarkt herrscht sowieso ein ständiges Kommen und Gehen.

Begrünt wurde am Platz nur sparsam, da sich unter dem Platz die Tiefgarage für das Quartier befindet. Die Landschaftsarchitektin Alice Größinger von „Idealice“ entwarf zarte, grün gestrichene Rankgerüste, ähnlich den „Heumandln“ – jenen Holzgestellen auf den Bauernwiesen, auf die das Heu zum Trocknen getürmt wird. Sonst wird nur der Boden gestalterisch akzentuiert, indem weiße Streifen am Asphalt eine Gehrichtung zeichnen. Sie weisen den Weg – durch einen Durchgang hindurch – in den südöstlichen Teil des O-Dorfes, aber auch zum Mehrzwecksaal, der aufwändig gestaltet wurde, um ihn für „auswärtige“ Nutzungen attraktiv zu machen. Neben möglicher Hochkultur (Theater und Konzerte) finden hier Grätzelkultur und Vereinsleben, wie Chor, Musikkapelle oder private Feiern statt.

Das Besondere am Projekt Centrum O-Dorf ist, dass die Architekten von der städtebaulichen Konfiguration bis zu den Details der einzelnen Bereiche wie Kindergarten, Wohnungsgrundrisse und Supermarkt planen konnten. Noch dazu konnten sich Frötscher und Lichtenwagner diesen Aufgaben ohne unnötigen Zeitdruck widmen, und diese Sorgfalt sieht man dem Projekt in seiner Gesamtheit auch an. Ein gelungenes Beispiel einer integralen und hoffentlich auch integrativen Planung durch Architekten, Bauträger und eine um Nachhaltigkeit bemühte Stadtplanung.

21. Oktober 2006 Spectrum

Wohnbau, rational reduziert

Nach postmodernen Erkern und Balkönchen sind wieder Klarheit und Rationalität in den Wohnbau zurückgekehrt. Patricia Zaceks Wohnhaus in Wien-Favoriten: ein Bauwerk der aufgeklärten Planung.

Der Wohnbau in Wien ist eine Bau aufgabe, der sich Architekten und Architektinnen regelmäßig stellen können, denn nach wie vor werden kontinuierlich neue Wohnbauten errichtet, sei es in Stadterneuerungsgebieten oder in Baulücken. Man verdient hierbei zwar keine Häuser, aber man baut Häuser, und das ist immerhin schon etwas. Gleichzeitig wurde durch die rege Wohnbautätigkeit die Dichte an ansprechender Architektur stetig erhöht, zum Wohle der Betrachter und vor allem der Bewohner und Bewohnerinnen. Die Wiener Architektin Patricia Zacek hatte nach einer im Jahre 2003 erfolgreich abgewickelten Planung und Errichtung eines Wohnhauses in Favoriten von der Wohnbaugenossenschaft „Neues Leben“ einen Folgeauftrag erhalten, der, diesen Sommer fertig gestellt, eine weitere Bereicherung des Wiener Baugeschehens darstellt.

Wie schon der Bau in der Siccardsburggasse zeichnet sich auch der neue in der Schenkendorfgasse in Floridsdorf durch eine Präzision in der Planung aus, die gerade im Wohnbau nur selten zu finden ist. Wo reduzieren gerade im sozialen Wohnbau oft genug „kaputt sparen“ bedeutet und sich - im doppelten Sinne - in billigen Lösungen äußert, zeigt sich die Reduktion bei dieser Art von Architektur in der Fokussierung auf deren strukturelle Qualität und Detailgenauigkeit bei Materialwahl und -ausführung.

Patricia Zacek schließt mit ihren Wohnbauten an eine Entwicklung an, die in Wien seit den frühen Neunzigerjahren zu beobachten war, und zwar die Wiederentdeckung der Moderne in der Architektur. Nach den gesichtslosen Plattenbauten der Sechziger- und Siebzigerjahre sollte der freundliche Zierrat der Achtzigerjahre, mit seinen Giebelchen, Erkern und gerundeten Balkönchen die Rückbesinnung auf einen menschlicheren Maßstab in der Architektur signalisieren, was in der Apotheose des postmodernen Manierismus, im sogenannten Hundertwasserhaus, gipfelte.

Nach einigen wenigen innovativen Projekten aus dieser Zeit wie Helmut Richters Bau in der Brunner Straße, wo die Fassaden bereits wieder in großflächige Verglasungen und Paneelplatten „zerlegt“ wurden, fand die Architektursprache mancher Planer zurück zu einem Rationalismus mediterraner Ausprägung. Kubische Baukörper mit vorgelagerten Loggien und Schiebeelementen aus Lamellen zur Beschattung sollten für die Bewohner wieder mehr Bezug zwischen Innen- und Außenraum schaffen und somit im Geschoßwohnbau strukturell eine höhere Wohnqualität bringen.

Das Eckgrundstück im Raster zwischen Leopoldauer- und Donaufelderstraße, einer reinen Wohngegend, wurde mit einem rationalistischen Quader bebaut, der jedoch räumlich (durch)lässig Aus- und Einblicke gewährt. Die mit grauem Blech verkleidete Südostfassade weist durchgängige Loggien auf. Durch Glasfelder in den Brüstungen werden für die dahinterliegenden Wohnräume Sichtfelder ausgeschnitten, gleichzeitig lockern die unregelmäßige Anordnung dieser Ausschnitte und das Orange der Rückwände der Loggien die „Schale“ des Hauses zur Schenkendorfgasse hin auf. Die Südwestseite hingegen ist verputzt, wird jedoch formal von einer großen gläsernen Haut bestimmt, die vor die Laubengänge mit den Wohnungstüren und Küchenfenstern gespannt ist. In jedem zweiten Geschoß steckt eine außen schwarze und innen orange Box in der Glasfassade, die als Veranda für je ein dahinterliegendes Zimmer dient. Hofseitig sind die Maisonette-Wohnungen in den großen grünen Innenbereich des ganzen Häuserblocks orientiert, und von der vorgelagerten Loggia oder den Mietergärten kann die Gartenatmosphäre genossen werden. Es war der Architektin programmatisch wichtig, dass sich durch das „Durchstecken“ der Wohnungen über die ganze Tiefe des Gebäudes für die Bewohner unterschiedliche Raumbezüge zwischen drinnen und draußen, zur Straße und zum Hof hin ergeben.

Wichtig ist ihr aber auch, dass auf die Schwellenbereiche zwischen öffentlichem und privatem Raum besonderes Augenmerk gelegt wird, da Patricia Zacek die Aneignung des vorhandenen Stadtraums durch einen Neubau immer auch als Verpflichtung ansieht, der Allgemeinheit architektonisch etwas zurückzugeben. Bei diesem Gebäude ist es der Eingangsbereich, der als offene Ecke im geschlossenen Straßenraum einen fließenden Übergang von der Gasse ins Haus hinein gewährleistet: Einen Meter hinter die Gebäudekante zurückspringend, ist das hellgelb gestrichene - ob seiner Eleganz als solches zu bezeichnende - Foyer nur durch eine Glaswand, drei orange Säulen und durch einen Niveauanstieg vom Gehsteig getrennt.

Die Passantenblicke müssen also nicht „um die Ecke“ Ecke erfolgen, und der Ambiguität des Transparenzbegriffs entsprechend wird auch der Einblick bis ins Innere des Wohnhauses gewährt. Da es in dieser Gegend wenige Geschäftslokale gibt, ist es wichtig, ebenerdig die Häuser zu öffnen, um so, vor Wind und Wetter geschützt, Zonen der Begegnung zu schaffen.

Von diesem zentralen Platz im dörflichen Sinne aus gelangt man über ein offenes Stiegenhaus zu den privaten Bereichen oder direkt in den zum Haus gehörigen, ebenfalls von Patricia Zacek gestalteten Gartenhof. Genauso großzügig wie das Foyer, das bei einer funktionierenden Hausgemeinschaft auch als Hobbyraum vorstellbar wäre, ist das Stiegenhaus dimensioniert und belichtet. Ein Luftraum ermöglicht Kommunikation bis ins oberste Geschoß, durch Verglasung an zwei Seiten wird es hell, und es ist wiederum der Durchblick von der Gasse bis in den Hof gegeben.

Auch in den Gängen herrscht bei Wänden und Brüstungen ein warmer Grauton vor, Boden und Türen sind in Anthrazit gehalten. Das planerische Engagement der Architektin um Nachhaltigkeit erstreckt sich dabei bis in die Laibungen der Wohnungstüren, die mit pulverbeschichtetem Stahlblech belegt und so natürlich um einiges widerstandsfähiger sind als mit einem standardmäßigen Acrylanstrich versehen.

Im Vitruvschen Sinn, dass die Architektur eine vernunftmäßig erfassbare Wissenschaft sei, repräsentiert Patricia Zaceks Wohnbau ein Bauwerk von wohltuender Klarheit beziehungsweise aufgeklärter Planung und formuliert ohne Zierrat die Ziele des Sozialengagements der Moderne: schöner Wohnen für jedermann.

12. August 2006 Spectrum

Mit dem Blick einer Ente

Türkis schimmernd ist es am Franz-Josefs-Kai vor Anker gegangen: das „Badeschiff Wien“. Der erfrischende Versuch, das Leben einer Stadt im Fluss zu halten.

Im Juli herrschte Hitze in der Großstadt. Was wir längst ver mutet hatten, wurde Ende des Monats Gewissheit: Der Juli 2006 war der heißeste, seit es klimatische Dokumentationen gibt. Ein Rekord, der uns nicht kalt lässt, denn die Bewältigung des Alltags im innerstädtischen Wien bei diesen Temperaturen kann als schleppend bezeichnet werden.

Wem die Ufer des Entlastungsgerinnes der Donau zu weit und die Lokale an dessen Strandmeile „Copa Cagrana“ zu voll sind, kann sich bereits seit einigen Jahren bei der „Summerstage“ an der Rossauer Lände unter Pappeln und Weiden ans grüne Ufer des Donaukanals setzen. Ein wenig flussabwärts wurde das Angebot an Lokalen am Wasser um zwei Attraktionen erweitert: Am sogenannten Stadtstrand „Adria Wien“ bei der Salztorbrücke und bei „Hermanns Strandbar“ an der Wienflussmündung lässt es sich im Liegestuhl am aufgeschütteten Sand mit kühlen Getränken und leichten Speisen gut entspannen. Was zur Entstehung eines „echten“ Strandgefühls allerdings bislang fehlte, war die Möglichkeit, im Gewässer selbst Abkühlung zu finden. Das ist jetzt anders: Wenn man von der Aspernbrücke hinabschaut, strahlt einem neuerdings im Braungrün des Donaukanals eine pooltürkise Wasserfläche entgegen, die eindeutig zum Schwimmen auffordert. Am Franz-Josefs-Kai ist das „Badeschiff Wien“ vor Anker gegangen, das wie ein Rettungsboot für die in der Innenstadt arbeitende und wohnende Bevölkerung wirkt.

Vier Jahre lang haben die Betreiber der „Expedit-Betriebsges.m.b.H“, die bereits mit dem Speisenangebot ihres Innenstadtlokals und der „Adria-Wien“-Initiative versuchten, mediterrane Stimmung in der Binnenstadt Wien zu verbreiten, benötigt, um die Idee eines Wasserzugangs für die Gäste der „Stadtstrände“ in Form eines Badeschiffes zu realisieren. Die Vorbilder hierfür fanden sich dabei nicht nur in Berlin, wo seit zwei Jahren ein Badeschiff an der Spree vertäut ist und sich großer Beliebtheit erfreut, sondern natürlich in Wien selbst, wo seit dem späten 18. Jahrhundert in das kalte Flusswasser der noch unregulierten Donau Badeflöße mit eingelassenen korbähnlichen Gitterkästen gesetzt wurden. Vom Wiener Arzt Pascal Joseph von Ferro 1781 aus Hygienegründen und zur Krankheitsprophylaxe entwickelt, wurde diese Form der Badeschiffe im frühen 19. Jahrhundert als „Armenbäder“ staatlich institutionalisiert und deren kostenlose Nutzung der Bevölkerung empfohlen. Nach der Donauregulierung wurden die Badeschiffe in das neue Donaubett übersiedelt und um Liegeflächen am Ufer ausgeweitet, da das Baden immer mehr zum Freizeitvergnügen geriet.

Höhepunkt dieser Entwicklung war der endgültige Schritt vom Schiff an Land durch die Etablierung des Gänsehäufls im Altarm der Donau. Die Schwimmkörbe waren nicht mehr notwendig, und anstatt sich stehend vom strömenden Wasser umspülen zu lassen, begannen die Badegäste, dem Geist der Moderne folgend, schwimmend das stehende Gewässer zu durchqueren. Auch im Donaukanal waren nach dem Bau des Hauptsammelkanals um 1900 Strombadeschiffe gelegt worden, die „von den Anhängern des Vereins ,Verkühle dich täglich' wegen der wohltuenden Eigenschaft dieser Badegattung gerne besucht wurden“, wie in einer Zeitschrift aus den 30er-Jahren zu lesen ist. Zu diesem Zeitpunkt waren noch zwei Badeschiffe in Betrieb - eines übrigens in unmittelbarer Nähe des jetzigen Standortes -, die jedoch bald außer Mode gerieten und schließlich aus den Flussläufen verschwanden.

Moderne Schwimmbadtechnik und eine Stadtpolitik, die zwar wenig konzeptuelle Planung anbietet, jedoch gegenüber privaten Investoren, die das Stadtleben bereichern, aufgeschlossen ist, machen es möglich, dass man nun wieder in der Stadt baden kann. Die „Expeditoren“ kümmerten sich um Planung, Finanzierung und Schiffsbau dieses PPP-Projektes (Public Private Partnership), während gemeindeseits in Person des Donaukanalkoordinators versucht wurde, die reibungslose Installierung inklusive aller notwendigen Genehmigungen und Infrastrukturmaßnahmen wie Wasser- und Kanalanschluss zu gewährleisten. Schiffe sind keine Bauwerke und unterliegen daher nicht den strengen Wiener Bauvorschriften, und so konnte im Schatten der gläsernen „Leuchttürme“ von Stararchitekten am Schlagbrückenufer des Donaukanals ein Stück unprätentiöser Stadtmöblierung entstehen, das in seiner zweckorientierten Einfachheit einen sympathischen Kontrapunkt bietet. Das Badeschiff, das unter Federführung des Designers Retus Wetter von den Betreibern selbst „im Kollektiv“ geplant und in der Nähe von Berlin gefertigt wurde, besteht aus zwei ausgedienten Schubleichtern aus schwarzem Stahl, die über einen Steg miteinander verbunden und mit Rohrstangen an der Kaimauer befestigt sind. Das Schwimmbecken ist in einen der Schiffsrümpfe eingelassen, wobei lediglich ein rundum laufendes Geländer und ein Meter Höhenunterschied das klare Pool- vom trüben Kanalwasser trennen. Das angedockte Versorgungsschiff, das man vom Rotenturmufer her über eine Gangway betritt, ist ein Mittelding zwischen Containerschiff und Hausboot: Eine uferseits mit Blech verkleidete Holzkonstruktion unterteilt in ein Oberdeck mit Gastronomie, Garderoben und Zugang zum Pool und in ein Sonnendeck mit Liegestühlen, teilweise beschattet mit orangen Sonnenschirmen.

Das „Salondeck“ ist im Bauch des ganzjährig am Franz-Josefs-Kai liegenden Schiffes untergebracht und wird in der kalten Jahreszeit als Lokal dienen, wenn die Gäste nicht im Badegewand, sondern eher im Ölzeug an Bord gehen (der Verein „Verkühle dich täglich“ existiert ja leider nicht mehr!).

Aber noch ist Sommer, und ab acht Uhr in der Früh kann um 2,50 Euro im 30 Meter langen Becken geschwommen werden. Geöffnet ist bis 24 Uhr, ein „Badeschluss“, von dem man im städtischen Bad nur träumen kann. Es ist ein spezielles urbanes Erlebnis, wenn man nächtens mitten in der Stadt ins Wasser hüpfen und neben dem Schnellboot nach Pressburg herschwimmen kann. Durch die tiefe Lage im Kanalbecken nimmt man die vorbeiführenden Durchzugsstraßen nicht wahr, sondern entdeckt die Stadt aus der Entenperspektive: Man schaut auf die sprudelnde Heckwasserströmung, sieht unter der Aspernbrücke hindurch auf den Pavillon des Hermannstrandes mit den Lichtern des Wurstelpraters im Hintergrund und über der Brücke auf die Urania rechts und auf die Fassaden-Lichtspiele des Uniqatowers links. Das versöhnt mit 30 Grad heißen Abenden und unbarmherzig aufgeheizten Wohnungen.

Es sind vergleichsweise kleine Maßnahmen wie ein Badesschiff, die eine Stadt lebenswert machen und die Abwanderung der Wohnbevölkerung in den „Speckgürtel“ verhindern können, und die Stadtverwaltung tut gut daran, solche Initiativen zu unterstützen. Urbanität heißt nicht, eine möglichst hohe PKW-Frequenz zu erzeugen, um die Schanigärten der Innenstadt zu füllen, denn dieses Bad ist auch ohne Stellplatznachweis voll. Urbanität heißt, die Stadt im Fluss zu halten und dafür ist das Badeschiff Wien eine gelungene konkrete Metapher.

9. April 2006 Spectrum

Wem nutzt der Nutzbau?

Was bedeutet Nutzen? Effizienz, Verwertbarkeit? Oder doch eher Genuss, Kreativität, Lebensqualität? Eine Ausstellung zum städtischen Nutzbau im Wiener Künstlerhaus gibt Antworten.

„Service Bauten Wien“ lautet der Titel einer Ausstellung, die zurzeit im Künstlerhaus in Wien gezeigt wird und sich mit exemplarischen Objekten des städtischen Nutzbaus befasst, die die Gemeinde Wien als Bauherr in den letzten zehn Jahren errichten ließ. „Vom Nutzen der Architektur“ lautet etwas subtiler der Titel des begleitenden Katalogs der beiden Kuratorinnen Barbara Feller und Maria Welzig, woran rasch die eigentliche Intention dieser Ausstellung kenntlich wird: Es geht um die Präsentation von qualitätsvoller Architektur, die auf Bestreben der Magis-tratsabteilung 19, zuständig für Architektur und Stadtgestaltung, und im Auftrag diverser Wiener „MAs“ seit 1995 entstanden ist.

Aber wem nutzt nun diese Architektur, fragt sich der interessierte Laie, und was bedeutet Nutzbau an sich?

Von Nutzen ist das, was gebraucht wird, wobei jedoch dem Nutzen etymologisch bereits ein Mehrwert anhaftet, hat doch der Genuss denselben Wortstamm. Nutznießer sind demnach jene, die das in Gebrauch Befindliche auch wertschätzen können.

Die Variationen der Begrifflichkeit sind anhand der 170-jährigen Geschichte des kommunalen Zweckbaus in Wien gut nachvollziehbar. In der ersten Phase der Errichtung expliziter Nutzbauten wurde, dem Diktat der „Gründerzeit“ folgend, all das in kommunale Hand genommen, was der Gründung eines großstädtischen Gefüges nutzt und dazu dient, dass die Stadt an sich funktioniert.

Um das rasche Wachstum derselben zu strukturieren, wurden nicht nur Bauten für die verkehrstechnische Infrastruktur mit Stationsgebäuden, Bahnhöfen und Remisen sowie Bauten für die Energieversorgung wie die Gasometer geschaffen, sondern vor allem auch Bauwerke, die die hygienischen Bedingungen für die Bevölkerung verbesserten wie Sammelkanäle, die erste Wiener Hochquellwasserleitung, Spitäler oder die neuen an den Stadträndern liegenden Friedhofsanlagen. Markthallen, Schulen und Verwaltungsbauten verbesserten die Versorgung der Stadtbewohner direkt in den Wohnquartieren, die Wohnbauten selbst überließ man allerdings noch dem freien Spekulantentum.

Erst in den 1920er-Jahren wurde durch das „Rote Wien“ auch der Wohnbau als eine in kommunaler Verantwortung liegende Bauaufgabe erkannt. Die großen Gemeindebauanlagen wurden neben den Wohnungen um zentrale Versorgungseinrichtungen wie Wäschereien, Kindergärten oder auch Büchereien programmatisch angereichert, und so entstanden Bauten zum direkten Nutzen der einkommensschwachen Bevölkerung.

Der eigentliche Nutzbau der öffentlichen Hand entwickelte sich tendenziell ein wenig in Richtung „Genussbau“, wenn nebst Gesundheits- und Sozialeinrichtungen auch Schwimm- und Kinderfreibäder gebaut und somit für die arbeitende Bevölkerung auch Bauten zur gesundheitsfördernden Freizeitgestaltung errichtet wurden.

Nachdem die Bautätigkeit der Gemeinde Wien in der Nachkriegszeit logischerweise von Pragmatismus geprägt und das Gemeinwohl darin gelegen war, den Organismus Stadt wieder funktionstüchtig zu machen, wurden in den 1970er-Jahren innovative Großprojekte in Angriff genommen: der Bau der U-Bahn und die Schaffung der Donauinsel. Obwohl das Entlastungsgerinne primär dem Hochwasserschutz diente, kamen potenziell alle Wiener und Wienerinnen in den Genuss dieses Nutz(tief)baus, da sich die Donauinsel zum intensiv genutzten Freizeitgelände entwickelte.

Erst in den 1990er-Jahren wurde die Architektur im Nutzbau thematisiert, indem der Wiener Planungsstadtrat Hannes Svoboda beim Schulbauprogramm 2000 nur Architekten planerisch zum Zug kommen ließ. Diese Etablierung von Architektur als „Label“ für die Kommune bewirkte bis heute einen Qualitätsanspruch beim Bauen, den die MA 19, als verantwortliche Stelle für die Wiener Stadtgestaltung, nun bei möglichst vielen Bauten verwirklicht sehen möchte.

Die Ausstellung im Künstlerhaus zeigt Kommunalarchitektur aus dem letzten Jahrzehnt, einen repräsentativen Querschnitt von Nutzbauten mit identitätsstiftendem, urbanem Mehrwert. Die Bauaufgaben sind vielfältig: vom Tiefspeicher in einem Hof des Rathauses über eine Autobus-Großgarage bis zum Feuerwehrmuseum, von der Gärtnerunterkunft über Marktstandeln bis zur Hauptbücherei. Selbst bei kleinen baulichen Eingriffen sollte ein architektonisches Statement gesetzt werden, wie beim Umbau des Amtshauses am Schottenring durch die Architektin Patricia Zacek.

Interessant auch die Nutzungs-Metamorphose eines historischen Zweckbaus: Das legendäre autonome Kulturzentrum „Arena“, das vor 30 Jahren nach Besetzung leerstehender Gebäude am Areal des Schlachthofes in St. Marx entstand, später von der Gemeinde Wien übernommen und institutionalisiert wurde, ist nun durch eine Intervention des Architektenteams Rataplan als vollwertiges Veranstaltungszentrum mit Halle und Open-Air-Bühne etabliert.

Einhergehend mit dem prinzipiellen Bekenntnis der MA 19, mit Bauten der öffentlichen Hand die Dichte an guter Architektur in Wien zu heben zu wollen, wird die Qualität des Stadtraumes kontinuierlich gesteigert, wovon letztendlich jeder Stadtbewohner - sei es als Nutzer oder Genießer (Betrachter) - profitiert. Dass gleichzeitig in anderen Magistratsabteilungen Entscheidungen getroffen werden, die in erster Linie die Dichte an Kubatur und damit die Verwertung von Baugrund und Parkboden bewirken wollen, steht auf einem anderen (Amts-)Blatt. Auch wenn der Nutzwert einer Immobilie immer wichtiger wird: Der Nutzen der Architektur liegt auch darin, Wien als attraktive Stadt mit nachhaltig hoher Lebensqualität zu erhalten. Das Kreativpotenzial freischaffender Architekten und Architektinnen kann hierbei nur dienlich sein. [*]

[ Die Ausstellung „Service Bauten Wien“ ist noch bis 23. April im Künstlerhaus Wien, Karlsplatz 5, zu sehen. ]

28. Januar 2006 Spectrum

Oval, sakral, konkav

Kirchenbau: eine Herausforderung für ambitionierte zeitgemässe Architektur? Durchaus. Die Kirche im oberösterreichischen Gallspach von Ernst Beneder und Anja Fischer.

Wen kümmert Kirchenbau über haupt noch, um ihn zum Gegenstand der Betrachtung zu machen", steht in der Broschüre zum Bauherrenpreis 2005 für Oberösterreich und Salzburg. Eine rhetorische Frage, hat doch die Architektenkammer selbst diesen Preis im vergangenen September an die Diözese Linz vergeben, um deren engagierte Rolle als Auftraggeber zahlreicher Bauaufgaben an Architekten zu würdigen. Die katholische (Landes-)Kirche hat es sich zur Aufgabe gemacht, bei Um- und Zubauten von Kirchen oder Pfarrhäusern geladene Wettbewerbe durchzuführen. Die Beauftragung des Siegers ist dabei laut dem Baureferenten, Architekt Wolfgang Schaffer, „obligatorisch, um eine Nachhaltigkeit in der baulichen Qualität zu erreichen“.

Geprägt durch einen der wichtigsten Kirchenbauten der Moderne in Österreich, die Linzer Theresienkirche von Rudolf Schwarz von 1961, kümmerte die Diözese Linz der Kirchenbau sogar so sehr, dass sie im Jahr 2004 eine Publikation mit dem Titel „Sakralraum im Umbruch“ herausbrachte. Und sie ist auch gegenüber dem Neubau und der damit einhergehenden zeitgemäßen Interpretation von Gotteshäusern sehr aufgeschlossen: Das vorerst letzte Werk im Bauprogramm, die neue Kirche im westlich von Wels gelegenen Kurort Gallspach, wurde am 11. Dezember geweiht und der Öffentlichkeit übergeben.

Die Wiener Architekten Ernst Beneder und Anja Fischer (in Kooperation mit dem Zivilingenieurbüro Pörner & Partner), die über viel Erfahrung beim Bauen in und mit historischer Bausubstanz verfügen, gewannen den Wettbewerb mit einem Konzept, das nicht nur die Kirche als zentrale Örtlichkeit der Pfarrgemeinde neu definieren, sondern gleichzeitig der Ortschaft Galls- pach städtebaulich ein neues Zentrum bringen sollte. Die (zu) kleine Pfarrkirche „zur heiligen Katharina“ war zwar mitten im Ort situiert, jedoch an einer steilen Gasse von der vorbeiführenden Hauptstraße abgerückt. Die auf spätgotischen Grundmauern stehende, mehrmals umgebaute Bausubstanz durfte laut Denkmalamt teilweise abgerissen werden - der Kirchturm und die Apsis mussten erhalten werden -, um den seit 20 Jahren von den Gallspachern gewünschten Neubau zu ermöglichen und die Kirche bequemer zugänglich zu machen.

Beneder und Fischer brachten all die Wünsche der Bauherrschaft nicht nur metaphorisch gesprochen unter einen - wenn auch ovalen - Hut.

Sie entwarfen einen im Grundriss elliptischen reifförmigen Baukörper, wo sich über einer massiven Sockelzone eine Holzrahmenkonstruktion erhebt, die, wie aufgefaltet wirkend, unterschiedliche Raumqualitäten entwickelt: Geschlossen und verglast einerseits, bildet sie den eigentlichen Kirchenraum unten an der Straße, als überdachter, aber offener Umgang andererseits schafft sie gleichzeitig die Anbindung an die historische Bausubstanz am oberen Niveau und schließt diese schwungvoll mit ein.

Die Dachfläche dieser „Reifarchitektur“ weist die annähernd gleiche Neigung wie der Hang auf, wodurch die dynamische Höhenentwicklung am Baukörper sehr gut ablesbar wird. An der tiefsten Stelle am nordseitigen Hauptscheitel der Ellipse weicht die geschwungene Außenhaut konkav zurück, um einem Baumriesen genügend Platz zu lassen. Gleich daneben liegt der überdachte Zugang zum ovalen Kirchenareal, und nun hat der Besucher die Wahl, ob er rechts über die gedeckte Treppenanlage bergan zum Innenhof beziehungsweise zur „alten Kirche“ schreiten möchte, die, teilweise erhalten, jetzt als Aufbahrungshalle für den nahen Ortsfriedhof dient oder links den eigentlichen Kirchenraum betritt.

Der gerundeten Form des mit Sonnenlicht durchfluteten Kirchenschiffes folgend, stehen die Sitzbankreihen, die auf den mittig liegenden Altar ausgerichtet sind. Die Mauern im Sockelbereich sind mit Platten aus offenporigem Konglomeratgestein verkleidet, darüber erheben sich die schlanken, glatten Holz-Leimbinder. Zwischen den einzelnen Rahmen ist vollflächig verglast, wodurch es zu einer hellen, freundlichen Atmosphäre in der Halle kommt.

Hinter dem Altar befindet sich die Werktagskapelle, die durch Schiebeelemente aus Satinatoglas abgetrennt ist und bei Bedarf dem großen Raum zugeschaltet werden kann. Über der Kapelle und dem Altar erhebt sich ein zylindrischer Turm, der das Zentrum der ganzen Anlage markiert und durch Fensteröffnungen in diesen innersten Teil der Kirche, auf Altar und Ambo (das Lesepult) Sonnenlicht bringt. Der Turm hat zwar keine Kuppel, und die Laterne sitzt nicht mittig, sondern findet in einem schräg eingeschnittenen Teil des Daches seine Entsprechung, die Architekten Beneder und Fischer haben es jedoch bei dieser Kirche geschafft, in gewisser Weise den Zentralkirchenbau der Renaissance zu zitieren.

Die zeitgemäße Interpretation besteht nun - abgesehen von einer weniger strengen Grundrisskonzeption und einer Baudauer von nur acht Monaten und eingehaltener Baukosten - darin, dass die Gläubigen sich nicht mehr unter einer enorm hohen Kuppel ducken müssen, sondern das Dach der Kirche betreten dürfen.

Dies ist nämlich die Ebene jenes Hofes, der neben dem Turm-Zylinder das erwähnte städtebauliche Zentrum bildet: Ein halböffentlicher Außenraum mit Baumbestand und steinernen Sitzbänken, der von dem hölzernen Reif umschlossen in besonders geschützter Atmosphäre zum Verweilen einlädt, sei es als Treffpunkt für die Ortsbewohner oder für eine Messe im Freien. Erschlossen wird er von der gedeckten Treppenanlage, die somit nicht nur zum elliptischen Kreuzgang wird, sondern selbst auch noch als Kreuzweg angelegt ist. Am Fuße der Treppe beginnend, führen die letzten Stationen wieder in den Kirchenraum hinein, ein „oberer“ Eingang vom Innenhof aus ermöglicht, dass sich der Kreis des Leidensweges versöhnlich schließt.

Dieser Fortschritt in der räumlichen Erschließung, die einer Raumbühne gleichkommt, ermöglicht das Fortschreiten der Gläubigen, die Prozession innerhalb des Gotteshauses, aber auch Inszenierungen der Liturgie, denen die katholische Kirche ja nicht abgeneigt ist. Die neue Kirche von Gallspach von Beneder und Fischer ist somit nicht nur Gegenstand der Betrachtung, sondern Gegenstand der Programmatik selbst.

2. Dezember 2005 Spectrum

Damit der Stiefel steht

Susanne Thomaneks „Airmici“ oder: Wie macht man eine gute Design-Idee auch wirtschaftlich flügge? Neues aus den heimischen „Creative Industries“.

Weihnachten naht, und die all jährlich gleiche Frage drängt sich auf: Was soll ich schenken? Die guten Vorsätze - entweder rechtzeitige Absprache („Heuer schenken wir uns nichts!“) oder Besorgung alles Nötigen bereits im Oktober - sind längst vergessen, und so bleibt nur die Flucht nach vorne, nämlich ein möglichst originelles Geschenk zu finden. Heutzutage wird man diesbezüglich gut bedient, gibt es doch abseits der Einkaufsstraßen die traditionellen Christkindlmärkte, wo man - nebst Punschtrinken - dem reinen Kitsch frönen kann, die alternativen Adventmärkte, wo man - nebst Punschtrinken - im Selbstgebastelten gustieren kann, aber auch jene Design-Weihnachtsmärkte, wo professionelle Kreativarbeiter ihre schicke Ware feilbieten und man sich gemeinsam „mit allen Interessierten auf die Weihnachtszeit einstimmen will“ - natürlich unter anderem auch in diesem Fall durch Punschtrinken.

Hier stehen die Chancen gut, dass man ein Objekt findet, das auch jenen gefällt, die im Prinzip schon alles haben; eine witzige Idee, gekonnt umgesetzt und durch eine selbstbewusste Preisgestaltung als wertig definiert, zeugt vom kreativen Potenzial der - übrigens vorwiegend weiblichen - Ich-AGs und deren Professionalität bei der Selbstvermarktung. Neben den bereits institutionalisierten Bazars schließen sich Designer und Designerinnen kurz und besetzen neue Orte, zum Beispiel leer stehende Geschäftslokale wie in der Gumpendorfer Straße 11, wo unter dem Namen „Vitamin Design“ ein Weihnachtsgeschäft für die Adventwochenenden implementiert wurde. Man kann nicht nur unter originellen Einzelstücken wählen aus den Sparten Textil, Schmuck, Keramik und anderen, sondern es wird zum Beispiel auch ein Produkt des klassischen Industrial Design angeboten, das sich in seiner Funktion nicht jedem Kunden unmittelbar erschließt. „Ist das eine Nackenstütze?“ fragt eine interessierte Kundin, und man muss zugeben, dass es das durchaus auch sein könnte.

„Airmici“ heißen die luftigen Freunde, sind aufblasbare Stiefelstrecker und das Endprodukt einer zielgerichteten Überlegung, wie man sie anderen Vertretern der „Creative Industries“ in Österreich nur wünschen kann. Die Architektin Susanne Thomanek begann sich nach langjähriger Tätigkeit für ein Architekturbüro, wo sie bei der Shop-Planung für eine österreichische Schuhhandelskette Routine erlangte, zunehmend für Schuhe per se zu interessieren. Sie hatte die zündende Idee, wie Stiefel intelligent „geschient“ werden könnten, damit diese beim Aufstellen im Geschäft oder beim Abstellen im Schuhschrank zu Hause nicht einknicken. Das aufblasbare „Schuhflügerl“ war schnell gezeichnet, wurde als Prototyp in Wien gebaut, in Pressbaum bedruckt, umgehend patentrechtlich geschützt und verlieh vor allem Thomaneks Berufswunsch als selbstständige Unternehmerin - sei es als Architektin oder als Designerin - Flügel. Nachdem ein führendes Unternehmen der österreichischen Schuhhandelsbranche als Kunde gewonnen war, begann sie, ihr Projekt ernsthaft zu verfolgen. Das strukturierte Denken des Architektenberufs war dabei natürlich sehr hilfreich und gewährleistete eine professionelle Projektplanung bei der Aufbauarbeit.

Der Finanzprofi Jürgen Schnabl wurde ins Team geholt, und weil man daran dachte, die Ware eventuell im Fernen Osten produzieren zu lassen, stieg der Asienexperte Wolfgang Reithofer ein, der Kenntnis der mitunter eigenen Gesetze des chinesischen Marktes einbringen konnte. Nachdem das Produkt bei der Präsentation auf der größten europäischen Fachmesse in Düsseldorf auch international auf reges Interesse gestoßen und die Entscheidung für eine Produktion in großer Stückzahl gefallen war, leistete Reithofer monatelang in China Aufbauarbeit, die, um erfolgreich sein zu können, ganz wesentlich von persönlichen Kontakten abhängig ist. Schließlich geht es nicht nur darum, einen Betrieb zu finden, der produzieren will und kann, sondern auch zu kontrollieren, ob alles so funktioniert wie geplant. Es ist natürlich ratsam, fehlerhafte Ware direkt in der Sprache und Tonart der Betreiber zu reklamieren und wieder „einstampfen“ zu lassen, bevor sie aus einem Container in Europa entladen wird. Eine entgrenzte Baustelle nennt Thomanek das Projekt, und da ist sozusagen eine örtliche Bauaufsicht absolut notwendig - gerade wenn der Ort in China liegt.

Nach einem Jahr, in dem ohne finanzielle Förderungen in Kreation und Produktion investiert wurde, folgt jetzt die Distribution, und auch diese ist wieder stark von persönlichem Einsatz geprägt: von Island, Skandinavien und Estland über Italien bis Zypern meldeten sich Interessenten und sollten womöglich von der Chefin selbst besucht werden um die Vorzüge des Produkts in überzeugender Weise vermitteln zu können.

Außerdem müssen halbjährliche Messeauftritte in Deutschland und Italien absolviert werden, um auf dem internationalen Schuhmarkt präsent zu bleiben. Denn solange Geschäfte nicht en gros abgeschlossen wurden, verdient man nichts - auch wenn die Idee noch so gut ist.

Das nächste unternehmerisch anzustrebende Ziel ist, möglichst viele große Schuherzeuger davon zu überzeugen, den Stiefeln im Karton individuell bedruckte „Airmici“ beizulegen - als „Marketingartikel mit Hirn“ und mit dem Mehrwert der intelligenten Kundenbindung.

Neben dem internationalen Umsatz mit der Massenware möchte Thomanek aber auch auf die Produktion von „limited editions“ setzen, um den speziellen Anforderungen von kleineren, exklusiven Schuhhandelsfirmen gerecht zu werden. Um schnell und flexibel auf Modetrends reagieren zu können, soll eine eigene „Airmici“-Produktionseinheit in Österreich installiert werden.

Bei der Designmesse „Blickfang“ im Wiener Museum für angewandte Kunst erhielten die „Airmici“ im vergangenen Oktober den „MAK Design Shop Award 2005“, eine Auszeichnung, die nicht nur das Objekt selbst, sondern eben das Konzept an sich, seinen Innovationsgehalt und die Marktchancen bewertet. Wenn die Designerin in Personalunion auch die Firmengründerin ist, haben die Creative Industries und das Industrial Design in höchst produktiver Weise zueinander gefunden. Jetzt bleibt nur zu wünschen, dass das Projekt auch wirtschaftlich abhebt, denn nur vom Detailverkauf auf dem Weihnachtsmarkt wird so ein Produkt nicht flügge werden.

15. Oktober 2005 mit Iris Meder
Spectrum

Die moderate Moderne

Oft als banal verfemt, in der Forschung kaum beachtet: das Werk Erich Boltensterns. Dabei hat er das erste echte Hochhaus Wiens gebaut. Und den Wiederaufbau der Stadt entscheidend geprägt.

Lässt man den Blick über die Hausberge von Wien schweifen und sieht den flachen Riegel des Kahlenberg-Restaurants, das im Dezember 1935, also vor genau 70 Jahren, eröffnet wurde, so schaut man auf Erich Boltensterns ersten großen Wiener Bau. Nach einem gemeinsam mit dem Architekten Leopold Ponzen gewonnenen Wettbewerb realisierte Boltenstern 1935 den elegant in die Topografie geschmiegten Komplex, der, als Krönung der Höhenstraße, zu einem neuen Wahrzeichen Wiens wurde. Im Sonnenlicht oder in nächtlicher Festbeleuchtung zierte er Schulbuchumschläge, Filmplakate und unzählige Ansichtskarten.

Boltensterns Werk ist mehr Wienern bekannt, als ihnen bewusst ist. Schon in der Innenstadt hat man mehrere seiner wichtigsten Bauten im Blickfeld, die alle an der Ringstraße oder in ihrer Nähe liegen: die Staatsoper, deren Innenräume unter Boltensterns Leitung von ihren Kriegswunden geheilt und gestalterisch erneuert wurden, das „Felderhaus“ - ein Bürogebäude der Wiener Städtischen Versicherung neben dem Rathaus -, die umgebaute Universitätsbibliothek, zwei Gebäude für die Nationalbank am Otto-Wagner-Platz, die nach einem Brand wiederaufgebaute Börse, den Gartenbau-Komplex vis-à-vis dem Stadtpark und als markanten Eckpfeiler - nicht nur der Ringstraße, sondern auch seines Werkes - den Ringturm.

Zwei dieser Bauten feiern im Gedenkjahr 2005 ihr 50-jähriges Jubiläum: Staatsoper und Ringturm. Die Oper wurde am 5. November 1955 nach fast zehnjähriger Bauzeit wiedereröffnet - ein für die Identifikation der Zweiten Republik ganz wesentlicher Akt. Es war wohl der größte Erfolg in Boltensterns Karriere, als er 1948 den Wettbewerb zum Wiederaufbau des Zuschauerraums gewann. Es sei seine schwierigste Arbeit gewesen, urteilte er später. Gleichzeitig schien sich für ihn mit diesem Projekt ein biografischer Kreis zu schließen: Der ausgebildete Sänger und Sohn einer Opernsängerin, der sich nicht für die Bühnenkarriere, sondern für die Architektur entschieden hatte, konnte Musikern wieder ein würdiges Ambiente planen. Für Boltenstern war die Theaterwelt von zentraler Bedeutung. Er hatte in den Zwanzigerjahren eine Dissertation zum Thema Theaterbau begonnen und war Assistent beim Architekten Oskar Strnad gewesen, der auch Bühnenbilder für große Inszenierungen der Theater-Avantgarde entworfen hatte. Nach Abschluss der Arbeiten an der Wiener Staatsoper weihte Boltenstern (inoffiziell) den Raum selbst ein, indem er vor seinen Mitarbeitern eine Arie vortrug.

Der Ringturm hingegen, das erste echte Hochhaus Wiens, galt als Symbol für die Modernisierung der Stadt. Die Idee dazu stammte vom Direktor der Wiener Städtischen Versicherung, Norbert Liebermann, der aus dem Exil in den USA zurückgeholt wurde und den eher zögerlichen Boltenstern, der bereits seit einiger Zeit für die Wiener Städtische tätig war, sozusagen dazu verpflichtete, sich mit der Bauaufgabe Hochhaus auseinander zu setzen. Der 1955 eröffnete Ringturm wurde schnell zum Symbol eines aus Ruinen erstandenen neuen Wien. So wie 20 Jahre zuvor das Kahlenberg-Restaurant zierte nun der Ringturm Fremdenverkehrs- und Wahlplakate, und Boltensterns anfängliche Bedenken gegen die Bauaufgabe Hochhaus zerstreuten sich in der allgemeinen Bewunderung für das zeitgemäß schlanke neue Wahrzeichen am Schottenring.

Als einer der wenigen modernen Wiener Architekten, die nicht emigriert waren und sich dennoch in der Zeit des Nationalsozialismus nicht kompromittiert hatten, führte Boltenstern die Vorkriegstradition der Wiener Moderne und internationale Strömungen der Gegenwart (vor allem aus Schweden und der Schweiz) zu einer Synthese, die das offizielle Österreich des Wiederaufbaus adäquat repräsentierte. - Was Erich Boltenstern trotz seines hohen Ansehens in Österreich verwehrt blieb, waren internationale Reputation und Aufträge im Ausland. Die meisten seiner Bauten entstanden in Wien und Umgebung; Ausnahmen waren das Grazer Krematorium von 1930 und der umfassende Umbau des Tiroler Landestheaters in Innsbruck (1964 bis 1967). Häufig nahm er an internationalen Wettbewerben teil - besonders dann, wenn es sich um Opern und Theater handelte, etwa für die Opernhäuser in Hamburg, La Valletta, Sydney und Belgrad.

Wesentlich für seinen Karriereverlauf wäre wahrscheinlich in den späten Fünfzigerjahren die Errichtung von fünf Rundfunkhäusern in der Türkei gewesen; der Auftrag wurde jedoch von den Errichtern nach Vertragsunterzeichnung wieder zurückgezogen. Hier hätte ihm vielleicht - auf den Spuren Clemens Holzmeisters - der internationale Durchbruch gelingen können. Aber Boltenstern drängte es nicht zur Expansion. In seiner bescheidenen Grundhaltung war er offensichtlich zufrieden mit dem, was er erreicht hatte - und das war nicht wenig.

Ohne konservativ zu sein, wollte er ein „Diener seiner Zeit“ sein und hat den Wiederaufbau Wiens entscheidend geprägt. Der Architekturtheoretiker Georg Schöllhammer schrieb in einem Nachruf anlässlich des Todes von Erich Boltenstern am 2. Juni 1991, dass dessen „ästhetischer Reduktionismus, der dank seiner noblen Detailkultur nie ins Ärmliche umkippt, nichts von den wahren Zeitverhältnissen verschweigt.“

Seine uneitle, konsensorientierte Haltung in schwierigen Zeiten brachte dem vielbeschäftigten Architekten und Professor zahlreiche Sympathien, wenngleich sich die junge Architektengeneration charismatischere Idole suchen musste, um Neues entstehen lassen zu können. Boltenstern war sich seiner Stellung in der Architekturszene bewusst; dennoch ist seine Herangehensweise als wesentlicher Beitrag einer „moderaten Moderne“ in die österreichische Baugeschichte eingegangen. „Wir sollten nobel und zurückhaltend bauen, nicht brutal aufdringlich und nach dem Nachbarn schielend, ob wir ihn übertrumpfen. Der Architekt ist Diener der Allgemeinheit“, schrieb Boltenstern in einem Artikel zur Architektenausbildung.

Diese unaufgeregte Architektur wird oft als banal abqualifiziert und fand auch in der Forschung bislang wenig Beachtung. Viele Gebäude wurden in ihrem Erscheinungsbild stark verändert oder überhaupt abgerissen und durch Neubauten ersetzt. Wahrscheinlich brauchte es ein halbes Jahrhundert Abstand, um im Wertekanon der österreichischen Architekturgeschichte die spezifischen Qualitäten dieser Bauten zu erkennen und diese auch zu publizieren. Im Zuge der jüngsten Querelen um das vom Abriss bedrohte Kahlenberg-Restaurant, das in letzter Minute gerettet werden konnte, traten weitverbreitete Meinungen zutage, die auf eine völlige Negierung jeglicher Qualitäten sowohl dieses Baus wie auch des Ringturms hinausliefen.

[ Judith Eiblmayr und Iris Meder sind Kuratorinnen der Ausstellung „Moderat Modern - Erich Boltenstern und die Baukultur nach 1945“, die ab 22. Oktober im Wien Museum am Karlsplatz zu sehen ist. ]

23. April 2005 Spectrum

Krümel, Splitter, Ich-AG

Man stelle sich vor: Ein Berufsstand hat Hochkonjunktur, genießt einen exzellenten Ruf - und wird gleichzeitig marginalisiert. Österreichs Architektur im Zeitalter der „Creative Industries“: eine Bestandsaufnahme.

Kreativarbeit ist eine Sparte, die von Außenstehenden meist romantisch verklärt wird. Der Maler, die Fotografin, der Filmemacher, die Architektin - sie gelten nach wie vor als die Glücklichen, die sich durch künstlerische Tätigkeit ihr Brot verdienen dürfen. Dass dies meist kein Rosinen-Striezel ist, dürfte durchaus bekannt sein, aber immer noch haftet Künstlern und Künstlerinnen das Prädikat privilegiert an, weil die Vorstellung von der wahren Lebenserfüllung der Menschen wohl im Hinterlassen individueller Kreationen liegen dürfte. Von einem diesbezüglichen Kompensationsbedürfnis der „Nicht-Künstler“ zeugen der Hang zum kunsthandwerklichen Hobby oder die Lust am Häuselbauen.

Als Arbeitsstätte der Künstler gilt das Atelier, im Ambiente ärmlich, jedoch charmant, wo man sich nach erfolgter Eingebung tatkräftig ans Werk macht - nicht ohne in und am Raum Spuren zu hinterlassen, wie der Wandel der Bedeutung des Wortes „Atelier“ deutlich macht: Was ursprünglich einen „Haufen von Splittern“ beschrieb, galt später als „Arbeitsraum eines Zimmermanns“, bis es schließlich den „Arbeitsraum eines Künstlers“ bezeichnete.

Aber auch Architekten, die sich als Baukünstler fühlten, stellten ihren Arbeitstisch lieber in einem Atelier als in einem konventionellen Büro auf und konnten mit einigen wenigen technischen Hilfsmitteln wie Reißschienen, Tuschestiften und Tischbeserln saubere Planungen bewerkstelligen, ein Telefon, eine Schreib- und Lichtpausmaschine genügten, um einen seriösen Betrieb aufrechtzuerhalten. Vor ungefähr 15 Jahren setzte allerdings eine Entwicklung ein, die den Charme des weißen Arbeitsmantels und der Radierkrümel auf dem Atelierboden rasch verblassen ließ. Die Computertechnologie hielt Einzug in den kreativen Berufen, und unter der Verheißung von Rationalisierung und völlig neuer Qualitäten im grafischen Bereich wollte keiner den Anschluss verpassen, investierte in ein adäquates Equipment und in die Erlernung von Zeichenprogrammen. Planrollen wurden durch Disketten ersetzt, wo vorher ein Planschrank war, steht nun ein Computerserver.

Die bislang sparsame Büroorganisation begann sich zu verselbstständigen; abgesehen davon, dass das Büro nun clean and proper zu halten war, da Staub das denkbar Schlechteste für die sensiblen elektronischen Geräte ist, musste immer mehr Arbeitszeit dazu verwendet werden, Support-Hotlines, Computerspezialisten und Softwarevertreter zu kontaktieren, welche auch umgehend teuer bezahlt werden wollten. Um diese Kosten wieder hereinzubringen, musste man mehr arbeiten und gleichzeitig die empfohlenen marktstrategischen Maßnahmen setzen, etwa eine Homepage installieren, um überhaupt konkurrenzfähig zu bleiben. Die Kleinunternehmer wurden der neoliberalen Nomenklatur entsprechend in „Ich-AGs“ umbenannt, damit zumindest ein virtuelles Zusammengehörigkeitsgefühl mit den Segnungen des boomenden Kapitalmarktes aufkommt.

Schließlich war die wachsende Zahl an Kreativarbeitern damit beschäftigt, ihr hart verdientes Geld an die Technologiekonzerne weiterzureichen, deren Aktienwerte in schwindelnde Höhen kletterten. Die Aktien der einzelnen Ich-AGs gingen dabei steil nach unten, denn die Kreativleistung wurde immer billiger, wenn nicht sogar gratis angeboten, um bei der enormen Konkurrenz im Geschäft zu bleiben. Und plötzlich war ein neuer Begriff da, der die Masse der zwar hoch motivierten, aber doch unzufriedenen Freischaffenden neu definieren sollte: Creative Industries war das Zauberwort, in dem das Wesen des Schaffens (lateinisch „creare“) und des Fleißes, der Betriebsamkeit („industria“) subsumiert wurde. Interessanterweise wurde der Begriff Ende der Neunzigerjahre in Großbritannien, dem Land der historischen Industrialisierung, geprägt, als man erkannte, dass in der Umsetzung von guten Ideen ein ungeheures Wirtschaftspotenzial steckt und dass diese Kreativität eher von Kunsthochschul- als von Wirtschaftsuni-Absolventen zu erwarten ist. Pragmatisch gedacht, sollte die Industrialisierung der kreativen Denkarbeit der Wirtschaft in schlechten Zeiten auf die (Umsatz-)Sprünge helfen und die handelnden Personen zu „Kreativarbeitern“ werden lassen.

Mittlerweile ist auch in Österreich der Begriff der Creative Industries etabliert. In einer groß angelegten Studie von Österreichischer Kulturdokumentation, Institut für Wirtschaftsforschung und Mediacult wurde für den Wirtschaftsraum Wien eine Bestandserhebung durchgeführt, die die Arbeitsbedingungen der einzelnen Sektoren wie Architektur, Film, Bildende Kunst, über Grafik, Mode, Design bis zu Musikwirtschaft, Literatur, Multimedia und Werbung erhoben hat und in deren Folge wirtschaftliche Förderprogramme für die Creative Industries etabliert wurden.

Laut Veronika Ratzenböck, einer der Studienautorinnen, ist für die Architektur eine paradoxe Situation ablesbar: Es herrscht Hochkonjunktur zeitgenössisch engagierter Architektur mit ausgezeichnetem internationalem Ruf bei gleichzeitiger Marginalisierung des Berufsstandes. Durch ein rigides Wettbewerbssystem kommen einige wenige etablierte Büros zu lukrativen Bauaufträgen, während die vielen kleinen Büros, um sich zu profilieren, am Rande der Selbstausbeutung operieren und trotzdem wenig Chancen erhalten, den Sprung in die Oberliga zu schaffen. Logische Folge ist, dass viele klassische, idyllische Ateliers „zersplittern“, denn wer seine Tätigkeit von der Finanz nicht länger als Liebhaberei bezeichnet haben, aber trotzdem bauen will, versucht Anschluss an größere Büros zu finden - Büros, wo Computerterminals bereits im Akkord besetzt werden und wo von 8 bis 22 Uhr oft auch am Wochenende gearbeitet wird. Und so schließt sich der Kreis: Die hochqualifizierten Ich-AGs lassen sich - gerne! - als neue Selbstständige übernehmen, um am Baugeschäft, wo viel Geld umgesetzt wird, überhaupt noch teilhaben zu können.

Aber wie meinte schon Andy Warhol, selbst „Kunstarbeiter“ und „Industrieller“ in Personalunion: „Geld verdienen ist Kunst, und Arbeiten ist Kunst, und ein gutes Geschäft ist die beste Kunst.“

Informationen zu Förderungen unter: www.creativeindustries.at

23. Januar 2005 Spectrum

Mythos, Schiene, Rendite

Ist er denkmalwürdig? Abrissreif? Der Modernisierung im Weg? Ein Gutachten jagt das andere. Bauprojekt Bahnhof Salzburg: Seit fünf Jahren herrscht nur noch Stillstand. Eine offensive Entscheidung ist mehr als überfällig.

Mythos Salzburg" heißt ein Buch des Historikers Robert Hoffmann, das die Entwicklung von Salzburg als Residenzstadt des Heiligen Römischen Reiches zum weltbekannten Tourismusziel beschreibt. Die Verklärung des Stadtbildes reicht bis ins frühe 19. Jahrhundert zurück, als die Literaten und Maler der Romantik den Reiz von Salzburg erkannten und in die Welt hinaustrugen. Durch diese Werbung angeregt, strömten bereits im Biedermeier Sommertouristen nach Salzburg und gaben sich dem pittoresken Flair von Architektur hin, eingebettet in Natur und damals schon angereichert mit Mozart-Merchandising. Bei Salzburg wurden historische Bauten und umgebende Landschaft, Klerus und Kultur, Musik und Leitfigur, Society und Süßigkeiten zur mythischen „Schönen Stadt“ aufgemischt.

Der Aufschwung für den echten Massentourismus setzte mit dem Bau der Eisenbahn ein. 1860 wurde Salzburg an das Schienennetz angebunden und der Bahnhof in Anwesenheit von Kaiser Franz Josef und König Maximilian II. von Bayern eröffnet. Die jetzige Westbahn hieß ursprünglich Kaiserin-Elisabeth-Bahn, zu Ehren der in Bayern geborenen Sisi, die gleichzeitig als guter Werbeträger für das neue Verkehrsmittel fungierte. Durch diese Ost-West-, aber auch die Südverbindung Richtung Südtirol und Italien wurde Salzburg als wichtiger Verkehrsknotenpunkt definiert. Das Spezielle am Salzburger Personenbahnhof war seine Funktion als Grenzbahnhof, was durch den Umbau 1907 bis 1909 durch den Architekten Ladislaus Friedrich von Diószeghy evident wurde. Die wichtigsten Neuerungen waren die Errichtung eines Zentralperrons mit überspannender Bahnhofshalle in Stahlkonstruktion. Auf dem 25 Meter breiten Inselperron, der an den Längsseiten von den Gleisen der Fernzüge flankiert wird, an dessen Schmalseiten je zwei Gleise wie in einem Kopfbahnhof enden und der vom Aufnahmegebäude her unterirdisch erschlossen wird, befanden sich jene für den Fernverkehr an einem Grenzübergang notwendigen Räumlichkeiten: die beiden Zollhäuschen, das Restaurationsgebäude mit zwei großen Speise- und zwei kleineren Wartesälen, WCs, Kiosk, Kassen und so weiter. Die Grundrissplanung von 1906 zeugt von hohem logistischem Verständnis bei der Entflechtung von Fahrgastströmen, die durch die Planung eines „Abfahrts- und Ankunftsvestibüls“ mit jeweils eigenen „Personentunnels“ und Stiegen oder separaten „Gepäcks-“ und „Wirtschaftstunnels“ mit der Organisation eines Flughafengebäudes vergleichbar ist, wobei die Funktion des Inselperrons dem Transitbereich entsprechen würde.

Im Zweiten Weltkrieg wurde der Bahnhof schwer beschädigt. Neben den nötigen Wiederaufbauarbeiten etwa an der Hallenkonstruktion wurde die Neugestaltung des Bahnhofsrestaurants am Zentralperron vorgenommen, der mit aufwendigen Wandtäfelungen aus Adneter Muschelkalk versehen und als „Marmorsaal“ bezeichnet wurde.

So viel zur Historie, nun zur Gegenwart: 1998 wurde der baulich ziemlich heruntergekommene Bahnhof unter Denkmalschutz gestellt, weil es sich laut Denkmalamt um „die letzte erhaltene Eisenbahn-Hallenkonstruktion dieser Art in Österreich“ handelt, „von besonders repräsentativer und benutzerfreundlicher Ausprägung, die auch ästhetisch-architektonische Bedeutung besitzt“. 1999 wurde von den ÖBB ein Wettbewerb für den Neubau des Bahnhofs ausgeschrieben, der diesen Bescheid negierte und Marmorsaal und Überdachung zum planerischen Abriss freigab. Das siegreiche Projekt des Architekten Klaus Kada punktete jedoch mit der Beibehaltung von Zentralperron und Versatzstücken der bestehenden Hallenkonstruktion; Kada erkannte wohl die städtebauliche Qualität dieser Bahnhofsanlage und erweiterte den unterirdischen Zugang zu einem „urbanen Teppich“, der als Geschäftspassage unter dem Bahnhofsgelände den Stadtteil Schallmoos an Bahnhof und Südtiroler Platz anbinden sollte.

Der Blick des Architekten und der Jury, die das Projekt prämierte, hätte den Bauherrn ÖBB animieren können, eine Synthese aus Alt und Neu zu überdenken. Jedoch weit gefehlt, man bemühte sich nun erst recht, durch ein entsprechendes Gutachten des Denkmalbeirates ein Verfahren zur Aufhebung des Denkmalschutzes einzuleiten. Spätestens jetzt waren die sprichwörtlichen schlafenden Hunde in der Salzburger Bevölkerung hellwach und begannen als Bürgerinitiative für die Erhaltung des Bahnhofs, insbesondere des Marmorsaales, der sich in den letzten Jahren als Veranstaltungsort etabliert hatte, zu kämpfen. Nun herrschte Pattstellung: Es wurden Gutachten und Gegengutachten für die Denkmalwürdigkeit eingeholt, die Akte Salzburger Bahnhof wurde zur Chefsache im Bundesdenkmalamt, das Büro Kada entwickelte unzählige Planungsvarianten, und die ÖBB hatten es plötzlich überhaupt nicht mehr eilig, den Bahnhof zu bauen. Seit fünf Jahren ist nichts weitergegangen, mittlerweile ist ein Baubeginn für das Jahr 2009 avisiert.

Zur Verteidigung der ÖBB sei erwähnt, dass der Bahnhof nur ein Teilbereich des Investitionsprojektes im Land Salzburg ist, wo zurzeit an einem modernen Regionalbahnnetz gebaut wird, das in Salzburg Stadt zusammenlaufen wird. Vielleicht kam da eine Grundsatzdiskussion gar nicht so ungelegen, um beim Prestigeprojekt eines ehemaligen ÖBB-Generaldirektors, Helmut Draxlers Bahnhofsoffensive, ein wenig die finanzielle Notbremse zu ziehen. Jedenfalls gibt es keine triftigen Gründe seitens der ÖBB, warum das vorhandene Ambiente weg müsse, kein Fachgutachten, das etwa besagt, dass neue, superschnelle ICE-Züge die Stahlkonstruktion gefährden könnten. Eine seriöse Diskussion, die das Abwägen der öffentlichen Interessen - moderne Infrastruktur für ein perfektes Kundenservice versus Bewahrung von Baukultur - ermöglichen würde, könnte schnell zu einer konstruktiven Lösung führen. Aber so hegt man den Verdacht, dass ein bebauter Mittelperron den ÖBB einfach „nichts bringt“ beziehungsweise seine Schleifung durch die hier eingesparte Breite am Rand des ÖBB-Grundstückes durch Verbauung eine Rendite abwerfen könnte - fernab eines argumentierbaren öffentlichen Interesses.

Dass Salzburg kein Grenzbahnhof mehr ist und die Bausubstanz bahntechnisch überholt, mag stimmen. Dass ein Baudenkmal aber die Funktion hat, auf vergangene Aspekte unserer Kultur zu verweisen und einen Ort als historisch interessant zu definieren, sollte Grund genug sein, es nicht leichtfertig abzureißen. Nichts gegen ein nagelneues, EU-konformes Stück qualitätsvoller Bahnhofsarchitektur, aber vielleicht könnte ja der alte Bahnhof mit seiner ungewöhnlichen Strukturierung Zeugnis davon ablegen, dass beim Verkauf des Mythos Salzburg seit je gezielt nachgeholfen wurde und den Touristen ein besonderes Erlebnis bei An- und Abreise geboten werden sollte. Jedenfalls stünde der „Schönen Stadt“ eine offensive Entscheidungsfindung für einen schönen Bahnhof zu. Bevölkerung, Touristen und der Architekt hoffen, dass dieser Zug nicht endgültig abgefahren ist!

20. November 2004 Spectrum

Facelifting mit Ratio

Die Fassade, die Ortner & Ortner dem Neuen Institutsgebäude in Wien jüngst verpasst haben, verleiht der Wissenschaft einen würdigen Rahmen. Das wirkliche Problem, das Innere des Gebäudes, bleibt indes ungelöst.

Seit dem neuen Studienjahr finden sich die österreichischen Universitäten oft in den Medien, jedoch durchwegs mit Negativschlagzeilen. So hat sich Bildungsministerin Elisabeth Gehrer die Reaktion auf ihr „Bekenntnis zu einem differenzierten Bildungssystem, das die Jugendlichen zu kritischen, mündigen, verantwortungsvollen Bürgern erzieht“, wohl nicht vorgestellt, richtet sich die juvenile Kritikfähigkeit doch in erster Linie gegen sie selbst. Die Proteste der mündigen Studierenden und verantwortungsvollen Lehrpersonen gegen die Autonomisierung der Universitäten halten an, ihrem Dafürhalten nach scheint der zuständigen Ministerin, deren berufliche Praxis im Bildungsbereich sich auf fünf Jahre Lehrtätigkeit in Landvolksschulen beschränkt, das Verständnis für die Komplexität des universitären Betriebs zu fehlen. Gehrer proklamiert zwar Weltklasseniveau für die österreichischen Universitäten, stellt jedoch der Lehre die notwendigen finanziellen Mittel nicht zur Verfügung, um einen effizienten Studienbetrieb aufrechterhalten zu können.

In diesem Artikel allerdings soll die Uni Wien nicht als Subjekt, sondern als Objekt beschrieben werden, und zwar mit dem Neuen Institutsgebäude, vulgo NIG, das sich durch eine frische Fassade plötzlich mit einem neuen Selbstverständnis im Stadtbild präsentiert.

Eine der wenigen Agenden, um die sich die Universitäten beziehungsweise das zuständige Ministerium nicht mehr selber kümmern müssen, ist die Verwaltung ihrer Gebäude. Die Auslagerung der Verwaltung aller Bundesgebäude in die Bundesimmobiliengesellschaft 1992 machte die Fakultäten zu Mietern und entließ sie aus der Verantwortung für die Erhaltung der Bausubstanz. Ein diesbezüglicher Problemfall war das in den frühen Sechzigerjahren errichtete Neue Institutsgebäude in der Universitätsstraße, das nicht nur durch jahrelange offensichtliche Baufälligkeit und zunehmende Verslumung im Eingangsbereich, sondern durch eine originär schlechte Architektur einen speziellen Ostblock-Charme verbreitete.

Im ursprünglichen Wettbewerbsentwurf aus dem Jahr 1951 der Wiener Architekten Alfred Dreier und Otto Nobis als neue Universitätsbibliothek geplant, war ein differenzierter, für Wiener Verhältnisse durchaus moderner Gestus nachvollziehbar, mit der seinerzeit auf Druck der Philosophischen Fakultät ebenfalls durch Dreier und Nobis vorgenommenen Umplanung auf ein Institutsgebäude blieb jedoch von den gestalterischen Ansätzen des Bibliotheksbaus wenig übrig. Realisiert wurde 1960 bis 1962 schließlich ein vom Gedanken maximaler Kubaturausnutzung getragener Bürobau, der jeglichen räumlichen Repräsentationsanspruch, der einem Universitätsgebäude durchaus zugestanden wäre, vermissen ließ.

Nachdem im Laufe der Jahre einerseits die Parapetverkleidungen zu bröckeln begannen und andrerseits eine thermische Instandsetzung notwendig wurde, um Energie zu sparen, entschloss sich die Bundesimmobiliengesellschaft im Jahr 2001 zu einer Generalsanierung der Fassade. Die Auffrischung des Gebäudeinneren war wohl kein Thema, denn während sich die äußere Hülle mittlerweile zeitgemäß und nobel präsentiert, blieb gleich hinter dem Windfang alles beim Alten, die Assoziation, dass dies der Ort des geisteswissenschaftlichen Zentrums Österreichs sei, fällt schwer.

Aber zumindest in der äußeren Form hat es das international tätige österreichische Architekturbüro von Laurids und Manfred Ortner mit seinem Entwurf geschafft, dem Gebäude eine entsprechende Würde zu verleihen, indem die Fassade in jeder Hinsicht rational zurechtgerückt wurde. Ortner & Ortner beschränkten sich nicht darauf, neues Steinmaterial, neue Fenster und technische Aufbauten zur Wärmedämmung zu versetzen, sondern versuchten auch die Proportion des ganzen Baukörpers über die Fassadenzeichnung zu verändern, um den Block mit seinem geglätteten Äußeren wieder als solchen erkennbar zu machen und in den städtebaulichen Kontext des umgebenden Rasters der Ringstraßenbebauung zu integrieren.

Ganz wichtig dabei ist, dass nun eine zweigeschoßige Sockelzone ablesbar ist, indem die Loggia beim Haupteingang einerseits durch stärkere Stützen gewichtiger wurde und - wie auch die hohen Fensteröffnungen an den Seitenfronten - mit den darüber liegenden Fenstern im Querformat zusammengezogen wurden. Die restlichen fünf Geschoße sind je Seite in einem unaufgeregt gestalteten Feld aus Stein- und Fensterflächen zusammengefasst. Der Architekturkritiker Friedrich Achleitner hat in einem Artikel über das NIG im Jahr 1961 gegen die „mächtigen Stein- (richtiger: Schein-)Gewände“ gewettert, die in Form von 40 Zentimeter tiefen Hohlprofilen aus Kunststein als mächtige Lisenen über die ganze Fassade gezogen wurden und, so Achleitner, „keine andere Funktion hatten, als dem Gebäude jene würdige Vertikalgliederung zu geben, die seit Hitler und Stalin auf das Volk erhebend wirkt“.

All dieser „modernistische“ Zierrat ist nun weg und einer rationalistischen Architektur gewichen, die sich als hellbeige, poröse und dadurch weich wirkende Schale aus Riolit, einem Tuffgestein, präsentiert und durch dunkelgraue Fensterprofile konterkariert wird. Die Fenster sind übereinander in der Achse unregelmäßig versetzt, was der Fassade die Strenge nimmt, auch die Loggienverglasungen, die nach einem Entwurf der Künstlerin Eva Schlegl bedruckt sind, schaffen eine spielerische vertikale Gliederung des kubischen Baukörpers. Innerhalb der Tuffschale liegt, metaphorisch betont, der harte Kern, indem die Innenseite der Eingangsarkade und der Windfang mit schwarzem Glas verkleidet wurden.

Die gestalterisch wirklich „harte Nuss“ ist allerdings das Innere des Gebäudes selbst; Das Verslumungsproblem wurde laut einer NIG-Nutzerin eher internalisiert als gelöst - die Sandler liegen jetzt halt drinnen und nicht mehr vor der Tür -, Hörsäle, Institutsräumlichkeiten und Toiletten sind in höchst sanierungsbedürftigem Zustand, und die Fassade zum Innenhof könnte ebenfalls 20 Zentimeter Wärmedämmung vertragen. Das „Facelifting“, das die Architekten Ortner & Ortner dem Neuen Institutsgebäude verpasst haben, bildet für die Geisteswissenschaften einen würdigen rationalistischen Rahmen - zumindest nach außen hin. Die Ratio sagt einem aber auch, dass Wissenschaftler eine würdige Struktur benötigen, um Großes leisten zu können, nämlich ausreichend Geld und adäquate Arbeitsräume. Lässt sich vielleicht auch der architektonische Erfolg an der Außenseite internalisieren?

4. September 2004 Spectrum

Garteln, wandeln, blicken

Eine Gebühr für Parkbesucher? Undenkbar. Und Events wird sie nur zulassen, wenn sie den Gärten gut tun. Wider den Verwertungswahn bei öffentlichem Gut: Brigitte Mang, Direktorin der österreichischen Bundesgärten.

Gartengestaltung ist zu einem Begriff geworden, der mittlerweile für die Menschen einen genauso hohen Identifikationswert wie Haus-Bauen bietet. Sei es, dass man professionell durch Gärtner gestalten und pflegen lässt oder dass man selbst zu Gartenschere und spitzem Schauferl greift, ein gepflegter Garten bereitet seiner Besitzerin mindestens so viel Freude, wie ein schönes Haus den Hausherrn stolz sein lässt.

Dass das Bedürfnis nach dem „Garteln“ ähnlich groß sein dürfte wie die Bastelleidenschaft, zeigt sich an der Peripherie, wo die Gartenabteilung bald den eigentlichen Baumarkt überwuchert haben wird und wo spezielle Pflanzen-Supermärkte - um bei der metaphorischen Sprache zu bleiben - wie die Schwammerl aus dem Boden schießen. Hier ist ein neuer, prinzipiell sympathischer Markt entstanden, denn letztendlich kommt es uns allen zugute, wenn durch eine vielfältige Bepflanzung unsere Atemluft angereichert und Lebensraum in der Natur kultiviert wird. Zumal die Versuchung der kommerziellen Verwertung des als Fläche gewidmeten Grüns, das, wenn schon nicht verbaut, so wenigstens unterbaut werden soll, immer größer wird. Die Gemeinde Wien hat bekanntlich diesbezüglich keinen „Genierer“ und räumt die Grünräume zusehends ab, um Garagenraum zu schaffen.

Auch der Staat Österreich nennt einige große Gartenanlagen sein Eigen und betreibt die Hege und Pflege derselben in augenscheinlich vorbildlicher Weise. Es sind dies durchwegs historische Gärten, die in einem imperialen architektonischen Kontext errichtet wurden und spätestens seit 1918 zur Nutzung geöffnet sind, in Wien der Schönbrunner Schlosspark, Augarten, Burggarten und Volksgarten und der Schlossgarten Belvedere, in Innsbruck der Hofgarten und der Park bei Schloss Ambras.

Seit März dieses Jahres werden die sieben österreichischen Bundesgärten von einer Direktorin verwaltet, die durch ihre Ausbildung und ihren beruflichen Werdegang als Idealkandidatin bezeichnet werden kann. Brigitte Mang ist Landschaftsarchitektin mit Spezialisierung auf Gartendenkmalpflege und hat bereits seit 14 Jahren die laufende Sanierung und Erneuerung des Schlossparks Schönbrunn betreut.

Für die Tochter des bekannten Wiener Architektenpaares Eva und Karl Mang war das Architekturstudium an der Technischen Universität in Wien nahe liegend, aber im Laufe des Studiums erkannte sie, dass ihr Interesse eher dem gewachsenen Außenraum als dem umbauten Innenraum galt. Der Grünraum kann aus der Starre, die allem Gebauten anhaftet, gelöst werden, durch Wind und Wetter und den Farb- und Stimmungswechsel im Laufe der Jahreszeiten. Das Thema ihrer Diplomarbeit war ein gartenspezifisches, was sie für die Lehrtätigkeit als Assistentin in Wien am Institut für Landschaftsplanung und Gartenkunst qualifizierte. Gleichzeitig führte sie ein eigenes Büro als Landschaftsarchitektin, wo sie sowohl planerisch wie auch theoretisch arbeitete, wobei ihr der Auftrag für die parkpflegerische Betreuung von Schönbrunn die Möglichkeit zur Profilierung bot.

Als die Nachbesetzung des Direktorpostens der Bundesgärten ausgeschrieben wurde, bot sich ihr eine spannende berufliche Perspektive. Brigitte Mang erhielt den Posten als erste Frau nach 22 Männern - nicht, weil sie eine Spezialistin für Gartenarbeit und Botanik ist, sondern weil sie als Architektin über die räumlichen Strukturen historischer Parks und deren mögliche Bespielung Bescheid weiß. Die strenge Regelmäßigkeit barocker Gärten war per se ein Thema der Architektur, diente sie doch primär dazu, den Umraum eines Schlosses weithin abzustecken und den Bau selbst in seiner Pracht optisch aufzuwerten. In diesen „architektonischen“ Gartenanlagen wurden gewachsene Einzelelemente, also Bäume und Hecken, nur gepflanzt und getrimmt, um den Lustwandlern den Weg zu weisen und eindrucksvolle Blickoptionen auf das Gebäude des Herrschers zu gewähren.

Während sich etwa die Prunkräume im Schloss Schönbrunn dem Betrachter meist additiv erschließen, ist der Schlosspark räumlich zentralistisch organisiert: Übergeordnet bildet in dieser rein absolutistischen Anlage das Schloss den Mittelpunkt, sekundär gibt es jedoch eine Reihe von „Subzentren“, die in romantisierender Weise ikonografische Hinweise auf den bis in die Antike zurückreichenden Machtanspruch der Habsburger geben sollten. Inmitten der konzentrisch zusammenführenden Wege wurden Brunnen gesetzt; durch verschiedene gebaute Objekte wie die Kaskade, einen Obelisken, die Römische Ruine oder die Gloriette versuchte man spannende räumliche Szenerien zu schaffen. Die Bäume und Sträucher selbst wurden nicht nur als raumbildende, sondern gezielt als plastische Elemente eingesetzt, indem sie, auf die Form von Kegeln, Zylindern oder Kugeln zurechtgestutzt, auf Freiflächen gesetzt wurden. Interessante Details dieser Frühform von Erlebnisarchitektur sind der Irrgarten, der den irrationalen Kontrapunkt im sonst so klar abgezirkelten barocken Park bilden sollte, aber auch die Menagerie und der Botanische Garten, die im Sinne eines Bildungsauftrags bereits im 18. Jahrhundert kostenlos zugänglich gemacht wurden.

Der Augarten wird ebenfalls von massiv Gebautem dominiert, aber weniger vom fürstlichen Barock des Palais, mit dem der Park nur indirekt in Zusammenhang steht, als vom äußerlich zerbröselnden Stahlbeton der zwei Flaktürme aus dem Zweiten Weltkrieg. Selbst unsprengbar, sprengen sie den eigentlichen Maßstab des barocken Lustgartens, sind aber andrerseits nicht „wegdenkbar“ und daher als integraler Bestandteil des Augartens akzeptiert.

Brigitte Mang möchte die historischen Gärten im denkmalpflegerischen Sinn erhalten, Bereiche jedoch, wo kein Altbestand vorhanden ist, sollen von Fachleuten neu gestaltet werden. Ebenso sollen sanierungsbedürftige Einbauten wie Pavillons neu errichtet werden und als zeitgemäße Ergänzung aus der Hand erfahrener Architekten auch klar erkennbar sein. Eine Absage erteilt sie dem Verwertungswahn beim öffentlichen Gut. Events wird sie nur zulassen, wo sie den Gärten gut tun, ebenso undenkbar ist eine Gebühr für Parkbesucher. Der Augarten, den sie mit seinen momentan bunt gemischten Blumenparterren als ihr Lieblingsbeispiel für ein gelungenes Ambiente in einem barocken Park anführt, hat Josef II. bereits 1775 für die Allgemeinheit zugänglich gemacht. Diesem kommunalen Auftrag fühlt sie sich verpflichtet und freut sich, wenn „ihre“ Gärtner und Gärtnerinnen den Park für die Stadtmenschen gestalten und mit blühendem Leben erfüllen.

24. April 2004 Spectrum

Stadt der kurzen Wege

Zwölf Bauträger und 19 Architekten sind dabei, nach einem Masterplan von Roland Rainer eine Umweltmusterstadt südöstlich von Linz zu errichten. Die erste Ausbaustufe der „Solar City“: hohe Qualität ohne ostentativen Öko-Touch.

Die Geschichte der „Solar City“ in Linz-Pichling reicht bis Anfang der Neunzigerjahre zurück, als die Linzer Stadtregierung den Entschluss zu einem ehrgeizigen Stadterweiterungsprojekt fasste, um sich 1200 Wohnungsuchender konzeptionell anzunehmen. Linz hatte sich in diesen Jahren zu einem der größten Wirtschaftsräume Österreichs entwickelt, und bei 120.000 Arbeitsplätzen im städtischen Großraum war und ist der Zuzug beträchtlich.

Als Zielgebiet der Stadterweiterung für bis zu 20.000 Einwohner stand eine Gegend im Südosten der Stadt zur Disposition, in relativer Nähe zu den großen Industriebetrieben. Da die Gründe entsprechend billig gewesen waren, hatten sich zwischen den Ortschaften Ebelsberg und Pichling eher unzusammenhängend Einfamilienhäuser aneinander gereiht, und das restliche Grünland konnte von der Stadt zu günstigen Konditionen erworben werden. Ein infrastruktureller Vorteil des Gebiets war, dass eine Straßenbahnlinie leicht dorthin verlängert werden konnte und dass mit den Traun- und
Donauauen und mit zwei Badeseen ein unmittelbarer Erholungsbereich vorhanden war. Um die negativen Konnotationen von Linz als Industriestadt endgültig abzuschütteln, entschloss man sich, ein auf Nachhaltigkeit ausgerichtetes Konzept zu propagieren und „Linz neu“ als Umweltmusterstadt zu positionieren.

Die Linzer Stadtgemeinde beauftragte den kürzlich verstorbenen Roland Rainer mit der Erstellung eines städtebaulichen Konzepts, das im Sinne des Bandstadtgedankens den „Seenbezirk Pichling“ generierte, einen neuen Stadtbezirk mit umfassender Infrastruktur, der sich entlang der verlängerten Straßenbahnlinie in mehrere Teilbereiche beziehungsweise Bauabschnitte gliederte. Um die Fehler einer monokulturellen Bebauung als „Schlafstadt“ zu vermeiden, war in Rainers Konzept neben allen notwendigen Dienstleistungssektoren auch ein Gewerbegebiet integriert, die Wohnhäuser selbst waren wieder in einer Gartenstadtstruktur angelegt. Allerdings sollte das neue Zentrum sowohl infrastrukturell als auch sozial die Urbanisierung der ganzen Gegend bewirken; dazu bedurfte es eines verstärkt städtischen Charakters.

Da auch die Nachhaltigkeit beim Bauen tiefer gehend verdeutlicht werden sollte, bewarb man sich um eine EU-Förderung durch den APAS-Fonds für erneuerbare Energie und stellte über Thomas Herzog den Kontakt zur READ-Gruppe her: Norman Foster, Richard Rogers, Renzo Piano und Herzog selbst hatten unter Beiziehung des Energietechnikplaners Norbert Kaiser das Team für „Renewable Energies in Architecture and Design - READ“ gegründet, um einen hohen architektonischen Anspruch bei Niedrigenergiebauweise umzusetzen. Die Brüsseler Forschungsgelder wurden bewilligt, und die READ-Gruppe machte sich an die Arbeit. Das Konzept für Pichling sah eine Gliederung des ersten Bauabschnitts in Geschoßwohnbauten vor, wobei auf die Minimierung des Heizenergiebedarfs durch den Einsatz entsprechender Baustoffe, aber vor allem auf die aktive und passive Nutzung von Solarenergie gesetzt werden sollte. Diese ersten 750 Wohnungen wurden auf Basis von Rainers Masterplan in Zeilenform um ein Ortszentrum (Auer, Weber & Partner) gruppiert, wo alle wichtigen Geschäfte, sozialen Einrichtungen und die Straßenbahn-Haltestelle zusammengefasst wurden.

Um dieses Kerngebiet wurde in einer zweiten Bauphase mit weiteren 750 Wohnungen nach dem städtebaulichen Konzept des Wiener Architekten Martin Treberspurg konzentrisch weitergeplant. Es sollte eine begrünte, weithin autofreie „Stadt der kurzen Wege“ werden, die gerne zu Fuß oder mit dem Rad durchquert wird und somit urbanes Leben entstehen lässt. Der publicityträchtige Name „Solar City“ sollte durchaus den Modellcharakter des Projekts für den gesamten EU-Raum unterstreichen.

Die bauliche Umsetzung, eingebettet in ein separat beauftragtes Freiraumkonzept (Atelier Dreiseitl), das den ungezwungenen Übergang in die umgebende Natur schafft, ist den zwölf Bauträgern und ihren 19 Architekten ohne Zweifel gut gelungen und hat eine sehr hohe Architekturqualität ohne ostentativen Öko-Touch gebracht. Ein Teil von Treberspurgs Wohnungen wurde als die erste Passivhausanlage mit kontrollierter Be- und Entlüftung im genossenschaftlichen Wohnbau in Österreich realisiert, bei einem anderen Bauteil mit zirka 100 Wohnungen und der Schule versuchte man bei der Abwasserbeseitigung neue, ökologische Wege zu gehen. Offensichtlich bedeutete der Begriff Solararchitektur einen großen Interpretationsspielraum für die Errichter, und es gab kein ideologisches Ökokonzept. Vielmehr schien das Thema Sonne ein ideal marketingkompatibles zu sein: Es stellte zwar eine gewisse Herausforderung für die Wohnbaugenossenschaften dar und zeigte Richtlinien in erster Linie für wärmedämmendes Bauen auf, tat aber letztendlich niemandem wirklich weh.

Die Fokussierung der öffentlichen Hand auf eine perfekte Infrastruktur im Zentrum des neuen Stadtteils war sicher der wichtigste Aspekt, um die Tauglichkeit des Konzepts zu gewährleisten, denn das „Versorgtsein“ am Wohnort - von Lebensmitteln über Eltern-Kind-Beratung und Arztpraxis bis zur wilden Naturlandschaft in der benachbarten Au - schafft Identifikation und ist Garant dafür, dass die Anrainer ihr Umfeld beleben und auch darauf schauen - im doppelten Sinn des Wortes. Nur unter diesem Gesichtspunkt ergibt jene Passage in der Presseaussendung Sinn, die die „Aussicht auf besonnte Flächen“ und das „Sonnenbaden“ als spezielle Pluspunkte der „Solar City“ auflistet. Der Liegestuhl auf dem eigenen Balkon hat seit der Moderne als Qualitätsfaktor beim Wohnen durchaus seine Berechtigung, ob man dies allerdings als „Nutzung von Solarenergie“ beim Bauen durchgehen lassen kann, sei dahingestellt. Die durchschnittliche Anzahl von Sonnentagen pro Jahr im Raum Linz erfährt man übrigens leider nicht.

Der Einsatz, den die Stadt Linz - auch finanzieller Natur - bei diesem Projekt leistete, ist durchaus beachtlich, und man fragt sich nun - siehe oben -, kurz vor Fertigstellung der ersten Ausbaustufe, ob nicht viele der hehren Wünsche aus den Werbe- und Informationstexten mehr der Imagebildung dienten, als sie in die Realität umgesetzt werden konnten.

Diesen Vorbehalten könnte sehr leicht begegnet werden, wenn das Projekt auf verschiedenen Ebenen wissenschaftlich begleitet würde: von Analysen bezüglich Schadstoffgehalt in Luft und Boden - südöstlich der VOEST - über den wahren Energieverbrauch bis zur tatsächlichen - konzeptionell erwünschten - Durchmischung der Bevölkerungsstruktur. Und es müsste beobachtet werden, ob der Umgang der Bewohner mit der Natur sensibler ist als bei einer Vergleichsgruppe in einer herkömmlichen Siedlung. Wenn dies in fünf oder zehn Jahren bewiesen ist, dann wäre aus dem Musterprojekt „Solar City“ eine Erfolgsgeschichte geworden, die Vorbildcharakter für den dicht besiedelten europäischen Raum hätte. Diese Evaluierung sollte man nicht scheuen, um die versprochene Nachhaltigkeit auch beweisen zu können.

14. Februar 2004 Spectrum

Venus oder Eisenguss

Museen verstehen sich als Spiegel der Kultur. Die virtuelle Schausammlung „muSIEum“ neigt diesen Spiegel so weit, dass er auch die toten Winkel der Kulturhistorie erfasst und eine Reflexion aus weiblicher Sicht ermöglicht.

Will man sich einen Überblick über die aktuelle Kultur des Landes in Politik, Gesellschaft und Kunst verschaffen, so bedient man sich heutzutage praktischerweise der Massenmedien. Man kann wählen zwischen Radio- und Fernsehprogrammen, Tageszeitungen und Wochenmagazinen, online-Diensten am Computer oder Info-screens im öffentlichen Raum. Davon halten sich im persönlichen Archiv außer manchmal bleibenden Eindrücken für Auge oder Ohr ein paar Videoaufzeichnungen, Ausdrucke von Downloads und einzelne Artikel bzw. gesammelte Ausgaben von Zeitschriften. Somit meint man sich einen Querschnitt des Alltagsgeschehens verschafft zu haben, der später der Retrospektive dienlich sein könnte, immerhin sind historische Zeitungsartikel ein wichtiger Bestandteil der Grundlagenforschung.

Beschäftigt man sich allerdings eingehender mit der Semantik und der Bildsprache zum Beispiel von Printmedien und überprüft diese auf ihren Realitätsbezug und effektive Nachhaltigkeit, gelangt man zu interessanten An- und Einsichten. Man geht davon aus, dass es in der Berichterstattung des „unabhängigen Nachrichtenmagazins Österreichs“ (Eigendefinition) um eine breite Fächerung der Themen und um die Bestandsaufnahme und kritische Reflexion der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse gehen soll. Bei genauerer Betrachtung wird klar, dass das Magazin, das einmal als Medium des investigativen Journalismus gegolten hat, politisch auf Regierungslinie ist, dass Luxus ein angesagtes Thema ist und in einer als Extrabeilage getarnten Werbebroschüre präsentiert wird und, dass sich die Rubrik Gesellschaft weniger einem soziologischen Ansatz verpflichtet fühlt, als eher jenem, der die Bedeutung des Begriffs als geselliges Beisammensein bzw. Verbreitung von Klatsch und Tratsch auslegt.

Wenn nun also in zwanzig Jahren eine dann 20-jährige Person dieses Heft („profil“ 48/03, „Jagd auf die Raucher“ ) in einem Archiv finden wird, um einen ersten „unabhängigen“ Eindruck vom jahr 2003 zu erhalten, wird sie sich denken, so schlecht können die Zeiten nicht gewesen sein; Die Regierung und deren vertraute Generaldirektoren und Topmanager saßen offensichtlich fest im Sattel, die Opposition hatte nichts zu melden, da sie im Heft nicht vorkommt und „Geiz war geisteskrank“ und jeder selber schuld, der sich keinen Porsche kaufte. Rauchen war sexy, wie das Cover-Girl suggeriert und à propos geisteskrank: Die junge Frau wird feststellen, dass unter den Gesellschaftsredakteuren Geschmacklosigkeit verbreitet gewesen sein dürfte, wenn unter dem Titel „Top Ten - Stichwort Herbstdepression“ ein unkommentiertes Ranking der Selbstmordraten in Europa gebracht wurde.

Und dann wir sie auch noch feststellen, dass in dieser profilierten Darstellung der österreichischen Gesellschaft Frauen nicht viel zu melden hatten, obwohl sie weiß, dass die meisten Frauen der Müttergeneration gute Ausbildungen abgeschlossen hatten und genauso in qualifizierten Berufen tätig waren wie die gleichaltrigen Männer. Komisch. Die thematisierten Geschichten handeln fast ausschließlich von Männern und von 300 Fotos sind 235 mal Männer abgebildet und nur 65 mal Frauen. Das entspricht einem Prozentsatz von 22% an Darstellungsraum, der Frauen in einem österreichischen Nachrichtenmagazin am Beginn des 21. Jahrhunderts zur Verfügung gestellt wurde. Nachdem das Blatt als seriös galt, ja sogar einmal den Ruf als Organ des investigativen Journalismus innegehabt hatte und eine erklärte Feministin als Redakteurin beschäftigt, wird es wohl so sein, dass es damals einfach nicht genug Frauen gab oder diese eben nicht gut genug waren, um repräsentiert zu werden. Die Bilderauswertung liefert den suggestiven Beweis.

An diesem Beispiel ist ablesbar, wie nach wie vor ein am männlichen Blick orientiertes kulturgeschichtliches Bild konstruiert wird, indem das was Frauen tun oder sagen als weniger darstellungswürdig erachtet wird – selbst wenn sie dasselbe tun wie ihre männlichen Kollegen. Bildung und berufliche Qualifikation garantieren Frauen noch lange nicht das Recht auf Abbildung in öffentlichkeitswirksamen Medien.

Dieses Phänomen der einseitig gelagerten Geschichtsschreibung versucht nun eine Ausstellung zu thematisieren, indem Museumsgut, das ja gemeinhin als unser kulturelles Erbe angesehen wird, auf seine gesamtgesellschaftliche Relevanz hin untersucht wird. Im Auftrag des Wiener Frauenbüros versuchen Elke Krasny, Kulturtheoretikerin und Ausstellungskuratorin, und Nike Glaser-Wieninger, medienkonzeptionistin mit Schwerpunkt Medienstrategien für Ausstellungen, mit dem Projekt „muSIEum – displaying: gender“ vorhandene Exponate aus einem neuen Blickwinkel heraus zu betrachten und einen anderen begleitenden „Kon-Text“ zu liefern. Sie haben in vier Wiener kulturhistorisch orientierten Institutionen nach Artefakten und Bildern geforscht, die eine neue Lesart zuließen und über welche Zusatzinformationen möglich oder notwendig waren. Das Wien Museum, das Jüdische Museum der Stadt Wien, das Technische Museum und das Österreichische Museum für Volkskunde dienten als Betätigungsfelder um zu ausgewählten Objekten Geschichten zu erzählen, die dem männlichen Blick verborgen geblieben sind. Der Spiegel der Kultur, als den sich Museen in ihrer Programmatik verstehen, sollte soweit geneigt werden, dass er auch die bislang toten Winkel der Kulturhistorie erfasst und eine Reflexion aus weiblicher Sicht möglich macht.

Bei einem Ölgemälde von Angelika Kauffmann beispielsweise, das im Wien Museum hängt und „Josef Johann Graf Fries“ (1787) zeigt, wird der Abgebildete im Begleittext als kunstsinniger Adeliger beschrieben, über die Künstlerin selbst erfahren interessierte Museumsbesucher und -besucherinnen nichts. Da es durchaus üblich ist, Informationen über den Werdegang der Künstler zu liefern, ist es in diesem Fall speziell wichtig die Bedeutung einer der ganz wenigen Künstlerinnen im 18. Jahrhundert zu würdigen. Krasny und Glaser-Wieninger holen dies unter dem Titel „Die Kosmopolitin“ nach und man erfährt unter anderem, dass Angelika Kauffmann (1741-1807) im Jahre1768 Gründungsmitglied der Royal Academy in London war.

Venus ist als die Göttin der Schönheit wahrscheinlich einem Großteil der Museumsbesucher ein Begriff, trotzdem mutet es eigenartig an, wenn sich am Sockel einer Venus-Plastik von 1839 lediglich die Inschrift „Kunsteisenguss“ findet. Zugegeben, diese Venus steht – gleich neben Apoll – im Technischen Museum, Bereich Schwerindustrie, dient lediglich als Demonstrationsobjekt des benannten Herstellungsverfahrens und man hätte genausogut eine Straßenlaterne hinstellen können. Genau das ist aber die spannende Frage, nämlich warum Venus und nicht Laterne, wo es doch vordergründig nur um nüchterne Materialität geht? Aus der Beschreibung im muSIEum lernen wir, dass es dafür – abgesehen von der ansprechenderen Figuralität – eine metaphorische Begründung gibt: die römische Venus war angelehnt an die Gestalt der griechischen Göttin Aphrodite, die wiederum die Frau des Hephaistos war, des Gottes des Feuers, der Schmiede und der Handwerker. Diese kleine Geschichte ist wohl um einiges lehrreicher als der Anblick von nacktem Metall.

Ähnlich interessant sind die Objekte, die der Veranschaulichung der Kunststoffgruppe Polyvinylchlorid dienen: Nachdem wir dem Lexikon entnehmen, dass dieses Material zur Herstellung von Folien, Rohren, Schläuchen, Kabelmassen, Kunstleder oder Bodenbelägen verwendet wird, können wir uns im Technischen Museum hingegen an etwas Ansehnlicherem, nämlich an 14 Barbiepuppen, ergötzen, die schnöde mit „PVC“ betitelt sind. Man sieht also die außergewöhnliche Puppe – der begriff darf ruhig zweideutig verstanden werden -, die nur aufrecht stehen kann, wenn sie sich auf ihre Stöckelschuhe oder auf Kens starke Schulter stützt, weiß nun, dass sie aus PVC (übrigens unter Zusatz großer Mengen an Weichmachern) gefertigt ist – die Geschichte dieses Kult- und Hassobjekts amerikanischer Nachkriegskultur erschließt sich allerdings erst im „muSIEum“.
Das Spezielle am „muSIEum“ ist, dass es via internet begehbar ist, das Ticket www.muSIEum.at verschafft einem direkt am Computer Eintritt, das Displaying erfolgt am Bildschirm. Es ist ein ganz neuer medialer Zugang zur Institution Museum, wenn real existierende Objekte in den virtuellen Raum geholt, visualisiert und neu kontextualisiert werden. Grafisch um eine mittiges Auge gruppiert, sind dreizehn Stichworte als Übersicht angelegt. Per Mausklick eröffnet sich jeweils ein wiederum kreisförmiger Themenraum, der bequem durchwandert werden kann, da das Verweilen vor den Kunstwerken und das Lesen der Bildtexte entspannt am Sessel sitzend erfolgt. Da der Weg durch die Ausstellung keinem linearen Wegenetz folgen muss, kann einem individuellen Assoziationsmuster entsprechend wie in einem Katalog zwischen den Objekten hin und her geblättert werden, weiterführende Texte wie über die Mechanismen der Verfügungsmacht über museale Repräsentation oder Audiofiles bieten theoretische Sekundärinformation. Gleichzeitig bedeutet das Durchschreiten von „Wissensräumen“ (Krasny) im Internet keine Konkurrenz für die Museen, da es eher die Neugier anregt, die realen Räume aufzusuchen, die Objekte in natura zu betrachten und die Begleittexte zu vergleichen.

Es geht den Kuratorinnen bei ihrem konzeptionellen Ansatz nicht um die Darstellung einer „besseren“ Frauenwelt, um ein Ausspielen von „boys toys“ gegen „girls pearls“, sondern um eine dem „gender mainstreaming“ entsprechende differenzierte Zusatzinformationen anhand ein und desselben Objektes, um ein in Summe runderes Geschichtsbild zu liefern. Nachdem der Kulturbegriff im Bewusstsein der Bevölkerung in Wandlung begriffen ist und die Grenzen zwischen Hoch-, Pop- und Eventkultur längst verwischt sind, wird es spannend sein zu beobachten, ob nicht auch männliches Kulturgut sich zusehends unbemerkt mit weiblichem vermischt und inwiefern sich dieses Phänomen auf die Sammlungspolitik der Museen auswirkt.
Im Wissen, dass Zeitgeschichte von der Alltagskultur geprägt wird, ist die Repräsentation von breit gefächerten gesellschaftlichen Gegebenheiten von wissenschaftlichen Erkenntnissen von Sammlungskuratorinnen und Museumsdirektoren eher zu erwarten als von Chefredakteuren zeitgeistiger Magazine. Projekte wie das „muSIEum“ – über das Massenmedium Internet verbreitet und somit über einen langen zeitraum für alle Interessierten abrufbar – sind jedenfalls wichtige Beiträge eine Sensibilisierung für diese Themen herbeizuführen.

17. Januar 2004 Spectrum

Sehfelder, gerahmt

„Ein gutes Detail bleibt auch dann gut, wenn das Material schon abgenutzt ist. Ein schlechtes Detail wird auch mit den Jahren nicht besser.“ Patricia Zacek über Innen- und Außenraum, Bewegungsräume, räumliche Pausen und ihr Wohnhaus in Wien-Favoriten.

Patricia Zacek, Jahrgang 1962, hat an der TU Wien 1991 über „Die ästhetische Komponente des Wiener Wohnbaus der 80er Jahre“ dissertiert. Sie arbeitet als Architekturkritikerin und Architektin, seit 1995 führt sie ihr eigenes Architekturbüro in Wien. Über Innenraumgestaltungen wie das Foyer des Palais Harrach und Wettbewerbsprojekte führt ihre „Denkspur“ zu einem im letzten Jahr fertig gestellten Wohnbau in Wien-Favoriten.

JE: Patricia Zacek, Sie haben kürzlich einen Wohnbau in Wien-Favoriten im Auftrag der Genossenschaft „Neues Leben“ fertig gestellt, der meiner Meinung nach zum Besten zählt, was in Wien in den letzten Jahren im sozialen Wohnungsbau errichtet wurde. Das Eckgebäude an Siccardsburg- und Hardtmuthgasse fügt sich rein baulich durch seine hohe strukturelle und ästhetische Qualität wie selbstverständlich in die schlichte Bebauung der Umgebung ein. Wie steht es um die Akzeptanz durch die Bewohner und Bewohnerinnen im Grätzel?

PZ: Das Gebäude kommt sehr gut an, es gibt viel positives Echo in der Nachbarschaft. Es handelt sich hier um ein sehr heterogenes Gefüge, sowohl baulich als auch sozial: Es findet sich niedrige Bebauung mit gewerblich genutzten Hinterhöfen neben Gründerzeithäusern und sozialem Wohnbau.
Ich versuche mit meiner Architektur nicht nur ein auf das jeweilige Grundstück beschränktes Konzept umzusetzen, sondern dem Quartier einen adäquaten Baustein hinzuzufügen, der eine Aufwertung für die ganze Gegend bedeutet.

JE: Sie sprechen in diesem Zusammenhang von der „Rückgabe an den Stadtraum“.

PZ: Ja, der Bebauungsplan definiert fiktive Bauvolumina, die stadtbildend wirksam werden. Wenn ich mir mit einem Neubau einen Teil des Stadtraumes aneigne, dann verstehe ich das gleichzeitig als Verpflichtung, architektonisch etwas zurückzugeben. Das versuche ich über die strukturelle Konzeption eines Bauwerks. In der Siccardsburggasse gibt es zum Beispiel den großen Einschnitt bei Stiege 1, wo der Stadtraum förmlich ins Haus einfließen kann, wie durch ein geöffnetes Tor wird die Durchsicht bis zum Gartenhof gewährt. Diese Zwischenzonen sind wichtig, die Bereiche zwischen draußen und drinnen oder, anders gesagt, zwischen Öffentlichkeit, Halböffentlichkeit und Privatheit. Die kann man natürlich architektonisch gut herausarbeiten. Dort spielt sich Leben und Begegnung ab.

JE: Diese Betonung des Schwellenbereichs setzt sich ja im Inneren fort, das Foyer an sich ist Ihnen ein wichtiges Thema, nicht nur im Wohnbau.

PZ: Wichtig ist, dass man sich nicht erst ab der eigenen Wohnungstüre mit seinem Zuhause identifiziert. Dazu gehören schon die Vorbereiche. Ich bezeichne das Foyer als die räumliche Pause vor dem Nachhausekommen oder vor dem Arbeitsbeginn. Da muss genug Raum vorhanden sein. Ich spreche bei diesen Zonen auch gerne von Bewegungsräumen, weil sie ja meistens einen Übergang darstellen. Hier kann man nicht nur mit den anderen Hausbewohnern plaudern, sondern auch beobachten, was auf der Straße passiert. Auch bei meinem nächsten Wohnbauprojekt in der Schenkendorfgasse in Floridsdorf ist der Eingangsbereich zur Straße hin komplett verglast und auf leicht erhöhtem Niveau. Das bewirkt, dass man einen guten Überblick bekommt und eben auch die Kommunikation nach außen hin möglich ist. Bei der Gestaltung des Foyers des Gesundheitsamtes der Stadt Wien wollte ich ebenfalls den Bezug zum Außenraum herstellen. Der sechseinhalb Meter hohe Raum in einem Bau von Theophil Hansen liegt ebenerdig direkt am Schottenring. Eine tolle Aufgabe, wenn man mit diesen Dimensionen arbeiten darf. Die muss man natürlich auch erhalten und für das Neue interpretieren.
Ich habe die zwei raumhohen Torbögen in der Fassade vollflächig verglast und durch ein einziges begrenztes Feld auf Augenhöhe horizontal gegliedert. Somit ist ein Sichtbereich definiert, wenn jemand zum Warten in der Nische Platz nimmt und aus dem Fenster schaut. Mit diesem gerahmten Sehfeld habe ich versucht das menschliche Maß einzubringen. Gleichzeitig ergibt sich von der Ringstraße aus ein fast ungehinderter Einblick bis auf das Informationspult.

JE: Sie gewähren gerne Aus- und Einblick durch große Glasflächen – wo beginnt für Sie die Privatheit für die Nutzer?

PZ: Da spielt das Planen mit Licht eine große Rolle. Wenn die Wohnungen schon klein sind, dann sollen sie hell sein, und zwar auch die in den unteren Geschossen.
Beim Gebäude in Favoriten liegen die kleineren Wohnungen südseitig und verfügen über eine verglaste Außenwand. Sicherlich für manche ein bisschen gewagt, aber vom Lichteinfall her unvergleichlich. Vor die Glasfassade ist eine Aluminium-Rahmenkonstruktion gesetzt, darin ist der Sonnenschutz integriert. Man kann quasi das ganze Haus verhüllen.
Jeder Einzelne kann seine Fenster außen mit diesen Sonnensegeln schließen, oder innen die Vorhänge zuziehen und ist uneingesehen. Diese Schichtung in Stores, Schiebeelemente aus Glas und Vorhang erlaubt die individuelle Aneignung durch die Nutzer, also Privatheit, und bietet obendrein ein schönes architektonisches Fassadenspiel. Ich hoffe natürlich auch, dass die Leute nicht so sehr ans Abschotten denken, sondern eher den freien Blick, die Helligkeit und Großzügigkeit genießen.

JE: Sie gehen an ein Projekt bereits in einem frühen Planungsstadium detailgenau heran, inwiefern lohnt sich dieser Mehraufwand?

PZ: Wesentlich ist erst einmal eine Gesamtidee und die muss immer wieder hinterfragt und einjustiert werden. Und darauf aufbauend kommt die Detailarbeit. Sich als Architekt bei der Arbeit selbst auszureizen und zu einem frühen Zeitpunkt im Detail zu planen, lohnt sich! Vorerst ganz pragmatisch, da man die Arbeiten bereits sehr genau ausschreiben kann, das wird dann Vertragsbedingung für den Ausführenden. Dennoch ist es leider so, dass man um jedes Detail bis zum Schluss kämpfen muss. Generell ist zu sagen: Alles was ich damit an Mehrwert schaffe, bringt etwas – dem Bauherrn, den Nutzern, selbst den Bewohnern in der Umgebung. Aber ganz allgemein impliziert für mich das Planen im Großen das Nachdenken im Kleinen, die Detailarbeit ist von Anfang an wesentlicher Bestandteil der Denkarbeit auch bei einem großen Projekt. Ein gutes Detail bleibt auch dann gut, wenn das Material schon ein bisschen abgenutzt ist. Ein schlechtes Detail wird auch mit den Jahren nicht besser. Ich bevorzuge ein klar strukturiertes Konzept, das dann auch in der Detailausführung, beim Zusammenfügen von einzelnen Bauteilen und unterschiedlichen Materialien halten muss.

JE: Da Sie ja auch Architekturkritikerin sind, hat die Sprache sicherlich einen besonderen Stellenwert.

PZ: Es gilt nun einmal, die Bilder, die wir als Architekten im Kopf haben, in jedem Planungsstadium so weiterzugeben, dass es alle verstehen und am gleichen Bild arbeiten. Man glaubt gar nicht, wie die Vorstellungen auseinander driften. Da muss man zuhören und gut argumentieren, um alle wieder auf eine Linie zu bringen.
Für mich gibt es begleitend zur Planung immer auch die gedankliche Beschäftigung mit der Architektur, dazu war und ist das Schreiben über Architektur eine wesentliche Bereicherung; so wie ich Handskizzen mache, bearbeite ich begleitende Themen in Form von Notizen und architektonischen Ideenbüchern. Es ist aber immer wieder ein schöner Moment, die Arbeit dann wirklich gebaut zu sehen und die architektonischen Gedanken somit ins Leben zu schicken.

31. Oktober 2003 Spectrum

Ganz ohne Palmen

Es spielt alle Stückeln und zeichnet sich zudem durch rare Großzügigkeit im Umgang mit Raum und Materialien aus: das neue Vöcklabrucker Hallenbad von Christoph Gärtner und Dietmar Neururer.

Es ist erst ein paar Tage her, dass, kalenderbezogen, der Sommer Teil unseres Alltags war, wobei auch die ausgedehnte Sommerzeit nicht darüber hinwegtäuschen konnte, dass die warme Jahreszeit für heuer längst vorüber war. Eine der Konnotationen zum Sommer ist „Badesaison“, und je größer die Hitze, umso stärker wird der Zug der Menschen zum Wasser, an Strände und Flussufer, in Schwimmbäder oder unter die kalte Dusche. Allein der Gedanke an eine abendliche Abkühlung in nahen Gewässern lässt einen den sommerlichen Arbeitstag ertragen, und bei Temperaturen wie den heurigen ist schwimmen sicherlich eine der Lieblingsbeschäftigungen von Jung und Alt.

Kaum wird es so kalt wie jetzt, ist der Gedanke ans Schwimmen ebenso wohltuend; der Wunsch nach Erwärmung ersetzt jenen nach Abkühlung, statt auf ausgedörrte Wiesen begibt man sich in dampfige Hallen, der Erholungseffekt bleibt jedoch ähnlich hoch, wird gar noch um den Aspekt des Kurens erweitert. Das heißt, eigentlich ist seit Mitte des 19. Jahrhunderts, als die ersten beheizbaren Schwimmhallen errichtet wurden, das ganze Jahr über Badesaison, wenn man ein schönes Hallenbad in seiner Nähe weiß.

Nach den Geschmacksverwirrungen in den letzten Jahren, als so mancher mittlerweile insolvente Betreiber dachte, dass man Kunststoffpalmen neben seichten Planschbecken als teuer zu bezahlendes Erlebnis verkaufen könne, wird beim Neubau von Bädern offensichtlich wieder verstärktes Augenmerk auf eine klassische Schwimmhalle gelegt, die allen Altersgruppen das Schwimmen zur Entspannung, zum Spaß oder als sportliche Betätigung zu adäquaten Preisen ermöglichen soll.

Vöcklabruck ist eines jener Positivbeispiele, wo eine Stadtgemeinde sich nicht durch „Outsourcing“ der teuren Verpflichtung zu einer kommunalen Einrichtung entledigen wollte, sondern sich der sozialen Komponente eines städtischen Bades bewusst war. Bei der Ausschreibung des Architektenwettbewerbs für ein neues Hallenbad wurde ein bewährtes Muster klar formuliert: Es sollte auch für Schwimmunterricht und Schwimmwettbewerbe geeignet sein und einen Wellnessbereich mit Sauna und Dampfbad bieten. Die Vöcklabrucker Architekten Christoph Gärtner und Dietmar Neururer konnten das Bewerbungsverfahren mit einer ebenso klaren gestalterischen Antwort für sich entscheiden und planten mit einer Großzügigkeit im Umgang mit Raum und Materialien, die nicht nur den Badegästen zugute kommt, sondern auch für die Stadt ein wichtiges Stück moderner Architektur bedeutet.

Der Standort - wo bereits das abgetragene Bad aus den Siebzigerjahren situiert war - ist für die Planer ein Glücksfall: in Zentrumsnähe, am nördlichen Rand des Stadtparks und im Uferbereich der Vöckla gelegen. Da in dieser Freizeitanlage auch das Freibad liegt, ist dem Hallenbad eine große Liegewiese vorgelagert, die zum Fluss hin durch Baumbestand begrenzt wird. Dieser gewachsene Grünraum musste nur mehr an die Schwimmhalle angedockt werden, und schon war das entspannende Ambiente perfekt. Die Architekten bewerkstelligten dies mit der Methodik der klassischen Moderne, indem sie die nach Süden und Westen orientierten Fronten über die gesamte Höhe verglasten und somit den Blick in die Natur aus der Schwimmerperspektive ermöglichten. Der Ausblick an der Breitseite der Halle ist speziell reizvoll, da hier relativ nahe der Bahndamm der Westbahnstrecke vorbeiführt und man hinter den Baumkronen von Zeit zu Zeit die lautlos vorbeigleitenden Züge beobachten kann, während man in der eigenen Bahn Zug um Zug schwimmt.

Neben dem Sportbecken gestatten zwei weitere differenzierten Badespaß: Ein Kinderbecken mit Rutsche, Bodensprudler und kleinem Wasserfall und - durch eine geschwungene beheizte Bank getrennt - ein flaches, im Grundriss schneckenförmiges Baby-Planschbecken schaffen gut überschaubare, geschützte Bereiche. Unterschiedliche Fliesen in unterschiedlichen Farbtönen und eine knallgelb gestrichene Wand, die den Zugang zu den Duschen und Garderoben signalisiert, unterstreichen die lebendige Atmosphäre, die in einem öffentlichen Bad herrscht. An der geschlossenen nordseitigen, eben teilweise gelben Wand der aus Stahlbetonstützen und Holzfachwerksbindern konstruierten zweigeschoßigen Halle verläuft eine Galerie, die als Rückzugsbereich mit Liegen dient und die Verbindung zum ebenfalls im Obergeschoß gelegenen Saunabereich herstellt. Dieser liegt als lang gestreckter, mit Eternit verkleideter Riegel über Eingang und Foyer und dem - auch unabhängig vom Bad bewirtschafteten - Restaurant und schließt das Bauwerk nach Osten hin ab.

Man spürt die Intention der Architekten, dass nicht nur das körperliche Wohlbefinden der Saunagäste durch die angebotenen Wellness-Einrichtungen gestärkt werden sollte, sondern dass ein gestalterisches Konzept umgesetzt wurde, das auch dem Auge gut tut. Dies gilt für Materialwahl und Farbgebung, aber ebenso - wie schon in der Schwimmhalle - für gerichtete „Schaubilder“. Wie von der Kommandobrücke aus erhält man Einblick in das bunte Treiben in der Halle oder Ausblick auf Baumwipfel und Himmel. Nebst den dampfenden Steinen auf dem Saunaofen soll es auch brennende Hölzer in einem offenen Kamin geben, dies wäre dann die Blickoption bei erhöhtem Kontemplationsbedürfnis.

Auch der Frischluftbereich bietet mehr als üblich: Über die vorgelagerte Terrasse und eine außen liegende Treppe gelangt man auf einen blickgeschützten Teil der Liegewiese, wo sich einerseits ein Tauchbecken, andrerseits ein schlichter Holzpavillon mit zwei weiteren Saunakammern befindet. Man kann sich also wechselweise im wohligen Ambiente der im Haus befindlichen Saunalandschaft erholen oder in die Landschaft mit Sauna hinaustreten, um das exponierte Sein zwischen natürlicher Kühle und künstlicher Hitze zu erproben.

An dieser planerischen Idee der Architekten zeigt sich, wie ein intelligentes Konzept mit dem Thema Erlebnisbad spielt: Einerseits gilt es, die Natur räumlich erlebbar zu machen, indem sie gerahmt und hinter Glas gestellt wird und somit für den Innenraum erweiternd wirkt, andrerseits werden die Badegäste, wenn sie dieses Erlebnis wünschen, einfach vor die Tür geschickt, um sie die Natur in Form von Wind und Wetter spüren zu lassen.

Übrigens bietet die Schwimmhalle ebenso den direkten Ausgang auf eine Sonnen-terrasse ins Freie beziehungsweise einen vorgelagerten Ruheraum. Und auch hier gehen Kunststoffpalmen niemandem ab, wenn man in einem Glaskobel unter einer echten Föhre sitzen kann, genauso sind die Kinder ohne Wasserrutsche glücklich, wenn sie von einem Startblock ins Wasser hupfen dürfen und Sprungvarianten erproben können.

Die Architektur des neuen Vöcklabrucker Hallenbades von Christoph Gärtner und Dietmar Neururer mit ihrer klaren Baukörperstruktur wie der Vielzahl von Details bietet einen gestalterischen Rahmen auf höchstem Niveau. In der Gestaltung des Badeerlebnisses selbst kann jedoch jeder Badegast seine eigene Kreativität entfalten - ein wohltuend moderner Ansatz.

12. Juli 2003 Spectrum

Einblick, Ausblick, Überblick

Von einem Dienstleister der Branche „Sehen und Gesehenwerden“ kann man erwarten, dass er auch auf sein eigenes Aussehen achtet. Ein niederösterreichischer Optiker erfüllt diesen Anspruch: Er lässt seine Filialen von Architekten planen.

Als gut Sehender hat man keine Vorstellung davon, was es heißt, ein eingeschränktes Sehfeld zu haben, die Umgebung in Unschärfe verschwimmen zu sehen oder Bekannte auf der Straße nicht zu erkennen. Wer nicht bereits in jungen Jahren myop oder astigmatisch ist, muss sich spätestens ab einem Alter von 50 Jahren nach passendem Gerät umschauen, um das Sehdefizit ausgleichen und das Kleingedruckte im Vertrag oder die Speisekarte im Restaurant wieder lesen zu können. Somit ist die Brille zu einem der wichtigsten Alltagsbegleiter des Menschen geworden, und seit in Form und Material experimentiert werden kann, ist sie vor allem unverzichtbares Mode-accessoire.

Auf das Geschäft mit der sicheren Zielgruppe der Brillenträger haben zuletzt Billiganbieter gesetzt, die ihre Kundschaft weniger durch eingehende Stilberatung als durch niedrige Preise vom Kauf der Ware überzeugen konnten.

Aber Gläser anpassen und Brillenfassungen aussuchen, die dem Gesicht und Typ des Trägers entsprechen, ist eine diffizile Angelegenheit, die man als Kunde - und vor allem als Kundin - gerne von in der Optik Kundigen erledigt wissen möchte. Diesem hohen Anspruch der Klientel ans Sehen und Gesehenwerden fühlt sich ein niederösterreichischer Optikerbetrieb insofern verpflichtet, als er auch auf sein eigenes Aussehen achtet: Forster Optik mit Hauptsitz in Melk überlässt die Planung seiner sechs Filialen nicht einer Ladenbaufirma, die ihm das Geschäftslokal mit möglichst vielen Laufmetern eines gängigen Regalsystems ausstattet, sondern setzt lieber auf Lösungen aus Architektinnenhand.

Für die Gestaltung der Firmensitzes in Melk wurde ein geladener Wettbewerb ausgeschrieben, den die jungen Wiener Architektinnen Sabine Bartscherer und Paula Cochola in Kooperation mit Christof Schlegl gewannen. Die Zusammenarbeit zwischen Unternehmer und Kreativen führte nicht nur zu einem gelungenen Umbau in Melk, sondern auch dazu, eine umfassende Gestaltungskonzeption für das Filialnetz zu entwickeln: Durch ein Grafikkonzept von „Bohatsch Visual Communication“ wurde eine neue Linie in der Corporate Identity von Forster Optik geschaffen, die einzelnen Filialen sollten hingegen individuell von unterschiedlichen Architekten gestaltet werden.

Irmgard Frank und Finn Erschen, eine Architektengemeinschaft und ebenfalls aus Wien, wurden mit der Planung des neuen Geschäftslokals in der 4500-Einwohner-Gemeinde Scheibbs beauftragt. Die 350 Quadratmeter Nutzfläche in einem der ältesten Häuser im Ortszentrum scheinen für einen Verkaufsraum so kleiner Objekte wie Brillen extrem groß dimensioniert zu sein, aber genau das ist das diesbezügliche kaufmännische Erfolgsrezept: Je kleinteiliger und differenzierter die Ware, umso mehr muss davon ausgestellt sein, damit sich die Kunden selbst einen Überblick verschaffen können. Man möchte nicht unbedingt darauf an-gewiesen sein, dass der Verkäufer nach einem musternden Blick drei Modelle aus der Lade zieht und meint, das sei genau das Richtige.

Einblick, Überblick, Ausblick sind auch die Stichworte, an denen die Architektur von Frank und Erschen offensichtlich festgemacht ist: Bereits in der als Arkaden ausgebildeten Eingangssituation ist die Auslage des Geschäftslokals so angelegt, dass sie nicht nur als Blickfang auf die ausgestellten Stücke dient, sondern durch das streng horizontal-lineare Regal mit einer großen Spannweite hindurch den Blick in den Innenraum ermöglicht.

Diese Transparenz hat zur Folge, dass die Hemmschwelle, das Geschäft zu betreten, wegfällt und Passanten einfach „hereinschauen“, weil sie drinnen Bekannte entdeckt haben. Erst einmal drinnen, ist man auch schon potenzieller Kunde, denn eine schicke neue Sonnenbrille mit hellblauen, rosafarbenen oder violetten Gläsern kann man immer brauchen.

Das Lokal selbst ist in einzelne Zonen gegliedert: Normal auf den Eingangsbereich mit Arkaden und Verkaufstresen liegen entlang eines mittigen Blocks aus tragenden Mauern und Schrankwänden zwei Bereiche, die man als Schauraum und Sehraum bezeichnen könnte. Während in Ersterem über die gesamte Trakttiefe des Hauses hinweg möglichst viele Brillenmodelle präsentiert und somit angeschaut und probiert werden können, sind entlang der Fensterfront die Dienstleistungsräume angeordnet, wo nicht nur mit den Augen der Kunden (Sehtest, Kontaktlinsenanpassung), sondern auch vor diesen (offene Werkstatt) die Optikerarbeit verrichtet wird. Diese Funktionsteilung hat sich bereits in der Praxis bewährt, da die Wege von Service und Verkauf entflochten und lediglich an der Kassa zusammengeführt werden.

Das Besondere an der Planung von Frank und Erschen ist der differenzierte Einsatz von Materialien und künstlichem Licht, der den jeweiligen Funktionsbereich in seiner Raumgestalt prägt. Den unregelmäßigen Wänden des Schauraums, der mit seinen 31 Metern Länge und zirka 4 Metern Breite extrem schwierig zu „bespielen“ war, wurden hinterleuchtete Screens vorgespannt, die auf türkisfarbenem Grund, dem reduzierten grafischen Konzept entsprechend, mit Linien, Kreisen und Logos bedruckt sind.

Mittig in der Höhe, sozusagen im Fokus dieser 45 Meter langen „Projektionswand“, ist ein eigens entwickeltes Regalsystem eingelassen, wo auf mehreren Ebenen aus satiniertem Acrylglas und ebenfalls hinterleuchtet die Brillenmodelle aufgelegt sind. Diese starke Horizontale wird durch vertikale, leicht schräg gestellte Spiegel gegliedert und die Länge des schmalen Raumes entschärft, indem mit den vorgesetzten Folien eine starke Perspektivwirkung erzeugt wird.

Man fühlt sich unmittelbar aufgefordert - wie am laufenden Band -, Brillen auszuwählen, zu prüfen, zurückzulegen und die Wand entlang weiterzuschlendern. Im hinteren Teil führen ein paar Stufen zum Kinderbereich, wo sowohl Brillen probiert werden können als auch gespielt werden kann.

Der Dienstleistungsbereich ist ganz anders gestaltet: Zwar sind der Boden in Akazienholz und das Mobiliar in Ahornfurnier gleich, die Mauern in Kanariengelb unterstreichen hingegen die notwendige Licht-hygiene, die man bei der Optikerarbeit benötigt. Grüngelbe Glastafeln an manchen Wänden betonen das medizinisch-technische Element, der warme Farbton in den hellen Räumlichkeiten sticht - um bei der adäquaten Metaphorik zu bleiben - in angenehmer Weise ins Auge.

„Architektur entsteht dort, wo sich zwischen dem physisch erfassbaren Raum in seiner baulichen Materialität und dem sinnlich erlebtem Raum ein Spannungsfeld aufbaut“, schreibt Irmgard Frank, Ordinaria am Institut für Raumgestaltung an der Technischen Universität in Graz. Genau diese „sinnliche Funktionalität“ unterscheidet ein von Architekten geplantes Geschäftslokal von einer Nullachtfünfzehn-Ladenbau-Filiale, ein Umstand, der nicht städtisch elitär ist, sondern auch zwischen Scheibbs und Nebraska den Blick schärft und verstanden wird.

1. März 2003 Spectrum

Leseturm, liegend

Ein selbstbewusstes städtebauliches Statement, ein großzügig dimensioniertes, modernes Medienzentrum: das neue Haupthaus der Wiener Städtischen Büchereien von Ernst Mayr.

Der Gürtel ist unserem Stadtverständnis nach weder als Trenn linie noch als Kante zu (re-)formulieren, sondern steht vielmehr für Naht, Klammer, für die räumliche und funktionelle Integration, für städtische Vielfalt. Wir glauben, dass diese Bruchstückhaftigkeit, das ,Nicht-Vollendbare', als Wesensmerkmal des Gürtels besteht und als Qualität immer neu zu formulieren ist", schrieben Adolf Krischanitz und Leopold Redl 1985 in ihrem Beitrag einer Arbeitsgruppe zur Formulierung eines neuen städtebaulichen Leitbildes für den Wiener Gürtel. Man hatte erkannt, dass es nicht genügt, den Gürtel als übergeordnetes Verkehrsband dem Individualverkehr preiszugeben, sondern dass dieser auch als wesentlicher Stadtraum wahrnehmbar und belebt werden muss, um eine Aufwertung der angrenzenden problematischen Wohngebiete zu erreichen.

„Städtische Vielfalt“ sollte mehr bedeuten als Peepshow-Etablissements und Auto-lackierereien, durch die Etablierung einer „anderen“ Lokalkultur unter den Stadtbahn- bögen und durch gezielte, mit EU-Geldern finanzierte städtebauliche Maßnahmen konnte der Gürtel in Teilbereichen als urbaner Raum für die nicht motorisierte Bevölkerung zurückgewonnen werden. Offensichtlich war den politisch Verantwortlichen auch bewusst, dass die perfekte Infrastruktur, die der Gürtel per se darstellt, für ein größeres Bauwerk genutzt werden sollte. Krischanitz' Projekt „Wolkenspange“, das Richard Lugner als Zubringer für sein Einkaufszentrum umgesetzt sehen wollte, wurde nicht realisiert, da weitere Funktionen für das Brückenbauwerk zwischen 7. und 15. Bezirk nicht zufriedenstellend zu definieren waren. Das Wichtige an dieser Idee war allerdings, dass der Bereich des Neubaugürtels zwischen Burggasse und Urban-Loritz-Platz als Ort mit hohem urbanem Entwicklungspotential erstmals konkretisiert wurde und als Standort für die neue Hauptbibliothek erwogen wurde.

Ein Bauplatz an einer der stärksten Verkehrsachsen von Wien - zwischen den Fahrbahnen, direkt über der U-Bahn und an der Straßenbahn - ist ideal für ein öffentliches Gebäude, eine Bibliothek an dieser Stelle übernimmt noch dazu die für die Gürtelzone erwünschte Restrukturierungsfunktion, da die hohe Fahrgastfrequenz der öffentlichen Verkehrsmittel eine hohe Besucherfrequenz aus allen sozialen Schichten erwarten lässt. Nachdem das alte Gebäude in der Skodagasse längst zu klein geworden war, sollte das neue Haupthaus der Wiener Büchereien - nebenbei gibt es 52 Zweigstellen über die Stadt verteilt - dem internationalen Standard entsprechend als großzügig dimensioniertes, offenes und modernes Medienzentrum konzipiert sein, das der interessierten Öffentlichkeit nicht nur im Freihandbereich und zur Entlehnung Zeitschriften und Bücher, CDs, DVDs und Videos bietet, sondern auch Internetterminals zur Verfügung stellt.

Den international ausgeschriebenen Wett- bewerb für die neue Hauptbibliothek gewann der Wiener Architekt Ernst Mayr, der bereits Großbauten wie das Biozentrum der Universität Frankfurt (gemeinsam mit Wilhelm Holzbauer) realisieren konnte. Durch den seitens der Flächenwidmung ausdifferenzierten Bebauungsplan waren klare Richtlinien für die Kubatur des über der U-Bahn-Station zu errichtenden Bauwerks vorgegeben, die Mayr in einem prägnanten Entwurfskonzept umsetzte. Er entwickelte einen 150 Meter langen, an den Längsseiten mit einer vorgehängten Klinkerfassade versehenen, geschlossen wirkenden Quader, der teilweise aufgestelzt über der U-BahnStation zu liegen kommt und zum Urban-Loritz-Platz hin schräg abfällt. Diese geneigte Fassade ist als riesige Freitreppe ausgebildet, die praktisch wie metaphorisch auf die Begehbarkeit des Gebäudes für die Öffentlichkeit verweist: Über die Treppenanlage gelangt man - wenn man sich nicht schon vorher auf ihr niederlässt, um das städtische Treiben auf dem Platz zu beobachten - auf das Flachdach des Gebäudes, wo sich ein Café befindet und von wo aus sich neue, wunderbare Perspektiven beim Rundblick über Wien ergeben.

Durch einen mittigen Einschnitt im Stiegenlauf gelangt man in eine Halle unter der (Re-)Präsentationstreppe, von wo aus der Zugang zur Bibliothek über Rolltreppen und Lifts erfolgt, die gleichzeitig als Auffang-gebäude der U-Bahn-Station dient. Eine für Wien einzigartig intelligente Kombination bildungspolitischer Provenienz: Man zweigt praktisch noch trockenen Fußes die potentielle Zielgruppe in eine öffentliche Bildungseinrichtung ab, und das ohne ökonomische Hintergedanken!

Die Haltung, dass an diesem Ort ausnahmsweise nicht der Kunde, sondern der Wissbegierige König ist und die Wissens-aneignung gratis geschehen darf, setzt Ernst Mayr mit seiner Architektur auch im Inneren beispielhaft fort. Die Räumlichkeiten der Bibliothek erstrecken sich über zwei Geschoße und eröffnen sich den Besuchern als weitläufig und - was die äußere Geschlossenheit nicht vermuten lassen würde - lichtdurchflutet: durch ein geschickt angelegtes System aus mittig in Längsrichtung liegenden Lichthöfen, Lichtschächten vom Dach her und der voll verglasten Nordseite des Gebäudes. Die Längsorientierung wird im Inneren durch drei Querachsen gebrochen, die den Großraum strukturieren und in einzelne Fachbereiche mit den jeweiligen Informationstheken übersichtlich organisieren. Die Quertrakte enden in Erkern, die in den Straßenraum des Gürtels hinein-ragen, deren Stirnwände zwar geschlossen sind, die seitlich jedoch den Blick auf die Fahrbahnen freigeben.

Aus diesem Spiel von in sich ruhendem Raum und gerichteten Blicken auf den unten vorbeiströmenden Verkehr - lautlos, weil der Schallschutz absolut gegeben ist - entsteht ein spannendes Moment zwischen Kontemplation und Integration, wo man sich in der individuellen Zurückgezogenheit beim Lesen oder Studieren gleichzeitig als Teil des städtischen Gefüges erleben kann. Besonders stark ist diese Raumstimmung, die einen über das hektische Großstadtleben erhebt und zum Verweilen einlädt, im nördlichen Trakt der Bibliothek: An einem Arbeitsplatz oder in einer Couch sitzend, kann man den Blick über die Dächer der Stadt bis zu den Wiener Hausbergen schweifen lassen. Oder man schaut hinunter, sieht auf die dahingleitenden U-Bahn-Züge und Autoschlangen und fühlt sich wie auf einem sicheren Schiff hoch über dem Verkehrsstrom.

Zurück zur Treppenanlage, mit der dem Architekten ein selbstbewusstes städtebauliches Statement gelungen ist. Er zitiert damit die Casa Malaparte. 1938 bis 1942 vom Schriftsteller und Journalisten Curzio Malaparte an der Felsküste Capris erbaut und für ihre fassadenbildende Treppenanlage berühmt, galt sie als Ort des Austauschs und der Förderung von Literatur und Kunst. Somit setzt Mayr seine Gestaltung des Zweckbaus Bibliothek quasi als liegenden Leseturm in einen adäquaten literarischen Kontext.

Der Gürtel wird „bruchstückhaft“ bleiben, aber Bauten wie die neue Hauptbibliothek sind die besten „Nahtstellen“, um das mittlerweile grüne Bildungsbürgertum des Bezirkes Neubau mit dem Arbeiter- und Zuwandererbezirk Fünfhaus zusammenzubringen.

Publikationen

2025

Elizabeth Scheu Close
Amerikanische Architektin mit Wiener Wurzeln

Elizabeth Scheu Close, 1912 in Wien geboren und 2011 in Amerika gestorben, wuchs in einem von Adolf Loos geplanten Haus auf. Ihre Eltern waren neuen Ideen sehr aufgeschlossen: Die Mutter, Helene Scheu-Riesz, war Autorin und Verlegerin von Kinderbüchern, der Vater ein Rechtsanwalt und politisch engagierter
Autor: Judith Eiblmayr
Verlag: Verlag Anton Pustet

2013

Lernen vom Raster
Strasshof und seine verborgenen Pläne

Wenn es nach den Vorstellungen seiner Erfinder gegangen wäre, könnte Strasshof an der Nordbahn heute „die größte und schönste Stadt Niederösterreichs“ sein, geplant auf einem orthogonalen Straßenraster nach US-amerikanischen Vorbild. Eine „Garten- und Industriestadt“, die 1908 nach der Errichtung des
Hrsg: Judith Eiblmayr
Verlag: NWV Verlag GmbH

2010

Der Teufel steckt im Detail
Architekturkritik und Stadtbetrachtung

Seit fast zwei Jahrzehnten ist Judith Eiblmayr als Architektin tätig, parallel dazu verfasst sie Architekturkritik für Fachzeitschriften und Zeitungen. Die Themen sind dabei vielfältig wie die Architektur selbst: von der Revitalisierung des Palais Palffy bis zum Neubau der Hauptbücherei, von der Containerarchitektur
Autor: Judith Eiblmayr
Verlag: Metroverlag

2005

Moderat Modern
Erich Boltenstein und die Baukultur nach 1945

Erich Boltenstern (1896-1991) war eine der zentralen Figuren der Wiener Architektur im 20. Jahrhundert. Einer der Schule von Oskar Strnad entstammenden spezifisch wienerischen Moderne verpflichtet, profilierte er sich erstmals 1930 mit dem Grazer Krematorium für den „Wiener Verein“, dessen Geschichte
Autor: Judith Eiblmayr, Iris Meder
Verlag: Verlag Anton Pustet

2001

Anna-Lülja Praun
Möbel in Balance

Anna-Lülja Praun zählt zu den wichtigen Persönlichkeiten der österreichischen Architektur des 20. Jahrhunderts. Sie wurde 1906 in St. Petersburg geboren, verbrachte aber ihre Kindheit und Jugend in Sofia. 1924 begann sie als eine der ersten Frauen in Graz ein Architekturstudium. Im Atelier von Clemens
Autor: Judith Eiblmayr, Lisa Fischer
Verlag: Verlag Anton Pustet