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Annäherungen an die ideale Wohnform im Alter
Neue Zürcher Zeitung

ETH-Forschungsergebnisse im EWZ-Unterwerk Selnau in Zürich spielerisch in Szene gesetzt

Wer nach der passenden Wohnform im Alter sucht, kann sich im EWZ-Unterwerk Selnau einem Test unterziehen. Die Ausstellung «Ich wohne, bis ich 100 werde. Neues Wohnen 50+» setzt die Ergebnisse eines Forschungsprojektes des ETH-Wohnforums spielerisch in Szene.

5. April 2008 - Dorothee Vögeli
Dereinst in einem Altersheim landen zu müssen, ist gerade auch für die jüngeren Generationen eine Schreckensvision. Das Interesse an neuen Wohnformen wie Nachbarschafts-, Haus- und Wohngemeinschaften oder Wohnen mit Service hat deshalb in letzter Zeit stark zugenommen. Trotzdem sind alternative Alterswohnmodelle noch wenig verbreitet. Andreas Huber vom ETH-Wohnforum ist allerdings überzeugt, dass dieses Thema künftig für die Architektur und die Stadtplanung zentral sein wird. In seinem Forschungsprojekt «Neue Wohnmodelle für die zweite Lebenshälfte» hat der 44-Jährige 13 bestehende Modelle in der Schweiz und in Deutschland unter die Lupe genommen (siehe Kasten). Die Forschungsresultate bilden die Grundlage für die gestern eröffnete Ausstellung «Ich wohne, bis ich 100 werde. Neues Wohnen 50+» im EWZ-Unterwerk Selnau in Zürich.

Welcher Wohn-Typ bin ich?

Bewusst wurde der Ausdruck «Alter» umgangen. Denn die Ausstellung soll ein breites Publikum über Alternativen zu den klassischen Wahlmöglichkeiten – Wohnen wie bisher oder Alters- und Pflegeheim – informieren. Sie soll dazu ermuntern, in der sich verlängernden aktiven Lebensphase neue Wohnformen ins Auge zu fassen. Die Szenografen Miriam Zehnder und Richard Fulton haben einen spielerischen Zugang zum Thema gewählt. Mitten in der Industriehalle haben sie einen «3-D-Psychotest» aufgebaut, dank dem sich herausfinden lässt, was für ein Wohn-Typ man ist. Der Test bildet das Herzstück der Ausstellung und hat die Form einer neutral gehaltenen Modell-Alterswohnung im Originalmassstab. Mit ihren zweieinhalb Zimmern entspricht sie der Durchschnittswohnung einer älteren Person in der Schweiz.

Die Ausstellungsbesucher sind aufgefordert, diese begehbare Alterswohnung einzurichten. Die Richtschnur bilden zehn Kriterien wie Hindernisfreiheit, soziale Kontakte, Finanzen, Dienstleistungsangebot oder Sicherheit. Sie sind an zehn Stationen visualisiert oder mit konkreten Einrichtungsgegenständen materialisiert. Die Besucher können hier jeweils zwischen verschiedenen Möglichkeiten wählen. Zum Beispiel stehen bei der Frage nach allfälligen Unterstützungsangeboten Nachbarschaftshilfe, individuell abrufbare Dienstleistungen oder ein umfangreiches Dienstleistungsangebot, wie zum Beispiel in Seniorenresidenzen inbegriffen, zur Auswahl. Beim Thema Sicherheit kennzeichnen ein Telefon, ein Armband oder Sensoren im Badezimmer die verschiedenen Bedürfnisse, und unter dem Titel «Wie gut sind Sie gepolstert?» symbolisieren ein Schemel, ein Stuhl und ein Fauteuil das Spektrum der finanziellen Möglichkeiten. Die Besucher kennzeichnen auf einem Blatt – oder auch im Internet – ihre jeweilige Wahl und können so ihr bevorzugtes Wohnmodell eruieren. Dieses entspricht einer von vier Varianten, die im Rahmen des ETH-Forschungsprojektes untersucht worden sind: Selbstorganisierte Alterswohn- und Hausgemeinschaften, generationenübergreifendes Wohnen, Alterswohnungen mit individuell abrufbaren Dienstleistungen und Seniorenresidenzen. Anhand von jeweils zwei konkreten Fallbeispielen werden diese Wohnformen näher charakterisiert.
Altern ist individuell

Die sehr rudimentären Zuordnungen seien mit Vorsicht zu geniessen, sagt Andreas Huber. Und er betont, dass sie bloss eine idealtypische Annäherung an die Realität seien. Tatsächlich produziert etwa die gleiche Gewichtung der finanziellen Ressourcen und anderer Faktoren ein geschöntes Bild des Alters. So hängt die Wahl des Dienstleistungsangebotes in der Realität eben sehr stark vom Geldbeutel ab. – Wohltuend ist, dass die Ausstellung die schematisierten Kriterien des Wohnens im Alter relativiert und weitere Dimensionen thematisiert. Zum Ausdruck kommen sie etwa in den Gratulationen von Radio DRS 1 an die über 97-Jährigen in der Schweiz. Die Biografien und Befindlichkeiten zeigen, wie individuell die Altersphase erlebt und gestaltet wird.

Studie in Buchform

vö. Um neue Erkenntnisse über die Bandbreite und die Erfolgsbedingungen neuer Wohnformen im Alter zu gewinnen, hat ein Forschungsteam des ETH-Wohnforums zwischen 2006 und 2007 13 Fallbeispiele mit Innovationscharakter untersucht. In der ersten Phase ging es um die baulichen Merkmale, das Dienstleistungs- und Betreuungsangebot sowie das soziale Milieu. In der zweiten Phase wurden Bewohnerinnen und Bewohner von sieben Siedlungen zu den räumlichen und sozialen Qualitäten befragt. Die vergleichende Analyse der Angebote gibt laut Projektleiter Andreas Huber Hinweise darauf, inwiefern die Modelle den demografischen Veränderungen, dem Rückgang der familiären Netzwerke oder dem steigenden Bedarf an Hilfeleistungen bei knappen öffentlichen Ressourcen Rechnung tragen. Die Erkenntnisse des vom Bund mitfinanzierten Forschungsprojektes sollen Investoren und Anbietern Anregungen bei der konkreten Umsetzung von Alterswohnprojekten geben. Die wichtigsten Forschungsergebnisse sind im Buch «Neues Wohnen in der zweiten Lebenshälfte» nachzulesen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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