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Neue Leuchttürme an der Adria
Der Standard

Das Mittelmeer, wie es sein sollte: Unter dieser Devise wollen kroatische Vordenker mit lokalen und internationalen Partnern Natur, Tradition, Architektur und Tourismus umweltverträglich unter einen Hut bringen.

10. Juni 2008 - Stjepan Milcic
„Tito gehört uns, wir gehören Tito!“, skandierten zehntausend großteils ältere Männer und Frauen Ende Mai in Kumrovec, dem Geburtsort des 1980 verstorbenen jugoslawischen Präsidenten Josip Broz Tito, einem Dorf von nur 350 Einwohnern an der kroatisch-slowenischen Schengengrenze. Sie waren gekommen, um vor dem Heimathaus ihres Idols an dessen Geburtstag der „guten alten Zeit mit ihm“ zu gedenken.

In jugoslawischen Zeiten „hatten wir jährlich bis zu 1,5 Millionen Besucher“, erinnert sich Branka Sprem Lovrc, die Leiterin des ethnologischen Freilichtmuseums „Staro selo“ (das alte Dorf) in Kumrovec, in dessen Mittelpunkt Titos Geburtshaus steht. „In den 1990er-Jahren hatten wir nicht mehr als 10.000 Besucher im Jahr. Jetzt geht es wieder aufwärts, und letztes Jahr konnten wir schon über 60.000 Besucher verzeichnen.“ Interesse für Tito zeigten nicht nur Ex-Jugoslawen, sondern zunehmend auch Bürger aus den postkommunistischen Staaten Mittel- und Osteuropas sowie aus Österreich.

Ob Tito ein ähnlicher Magnet, wenn auch unter gegenteiligem Vorzeichen, in einem anderen Projekt werden könnte, ist eine Frage, die sich auch Sasa Randic, Architekt aus Rijeka und bis vor kurzem Präsident des kroatischen Architektenverbandes, stellt. In Zusammenarbeit des bekannten Berlage-Instituts aus Rotterdam mit dem kroatischen Architektenverband und unter Mitwirkung der lokalen Gemeinden wurden an der kroatischen Adriaküste sieben Pilotprojekte entwickelt. Ihr Slogan: „Das Mittelmeer, wie es sein sollte“.

Es geht dabei um tragbare Entwicklung unter Berücksichtung von Tradition, moderner Architektur und Tourismus. Eines der interessantesten Projekte ist „Goli otok“ (die kahle Insel). Ein Teil dieser ehemaligen Schreckensinsel zwischen Krk und Rab soll mit kulturellen und historischen Inhalten „gefüllt“ werden. Goli otok war von 1949 bis 1988 ein berüchtigtes Isolationsgefängnis, hauptsächlich für Titos politische Gegner. Seit der Schließung des Gefängnisses leben dort Schafhirten, Touristen kommen zu Tagesausflügen.

Die konventionelle touristische Entwicklung der Insel soll nicht verhindert werden, sagt Randic, aber ein Teil der Insel soll zu einer Art Gedenkstätte mit historischem Anschauungsunterricht für Interessierte werden. Die lokalen Behörden und der Verband der ehemaligen politischen Häftlinge seien voll einverstanden.

Perle des Wissens

Weitere Projekte: Ein noch aktiver Steinbruch in Omisalj auf Krk wird zur Sportstätte. Und rund um das ehemalige alte Krankenhaus in Dubrovnik soll ein Campus entstehen, wo Studenten und Professoren aus aller Welt an diversen Programmen teilnehmen können. Denn Dubrovnik will nicht nur als „Perle der Adria“, sondern auch als eine Stadt des Wissens gelten.

Hauptziel dieser Projekte ist ein verantwortungsvoller Umgang mit der Natur und dem Raum an der Küste und auf den Inseln, der zugleich den Bedürfnissen moderner Touristen entgegenkommt und die lokalen Gemeinden zufriedenstellt. Das bedeutet, die Küste nicht zuzubetonieren, aber auch die touristische Entwicklung der Küstenorte nicht zu behindern, sagt Randic. Die Projekte sollen, wie sich ihre Träger selbst nennen, Leuchttürme der zeitgenössische Architektur an der Adria werden. Damit wäre auch die Frage Massen- oder Elitetourismus hinfällig, denn es gehe um „zielgerichteten Tourismus und tragbare Entwicklung“.

Trotz weitgehend positiver Aufnahme stoßen die Projekte nicht überall auf Zustimmung. Denn der kroatische Tourismus expandiert weiter. 2007 gab es knapp zehn Millionen Besucher aus dem Ausland. In den ersten neun Monaten des Jahres brachten die Touristen 6,2 Milliarden Euro nach Kroatien - 22 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Auch heuer wird eine weitere Steigerung erwartet. „Warum soll man sich dann auf irgendwelche Experimente einlassen?“, fragen die Traditionalisten.

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Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

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