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Faschismus aus Marmor
Neue Zürcher Zeitung

Zwei Beiträge zur Architekturpolitik Mussolinis

3. Juli 2008 - Rolf Wörsdörfer
Grasende Ochsen vor dem Kapitol – die um 1890 entstandene Aufnahme steht in einem deutlichen Gegensatz zur Realität des heutigen, vom Strassenverkehr umtosten Hügels mitten in Rom. Mindestens ebenso scharf ist der Kontrast zu Fotos aus den 1930er Jahren, auf denen die von Monumenten gesäumte, für Massenaufmärsche hergerichtete «Strasse des Imperiums» zwischen der Piazza Venezia und dem Kolosseum zu sehen ist. In kaum einem Land der Welt wurde in den zwanziger und dreissiger Jahren so viel gebaut wie in Italien. Rathäuser und Postämter, Bahnhöfe und Parteibüros, Schulen und Sitze der Korporationen – bis heute prägen sie, meist in ihrer ursprünglichen Funktion belassen, mitunter aber auch einem neuen Zweck zugeführt, die Zentren der italienischen Städte. Entlang der Fronten des Ersten Weltkriegs errichtete das Regime Beinhäuser und monumentale Friedhöfe; den öffentlichen Raum bevölkerte es mit Reiterstatuen, Krieger- und Heldendenkmälern. Daneben entstanden moderne Alleen, Strassen und Plätze, manchmal auch ganze Stadtteile oder urbane Landschaften – vom römischen EUR bis zu den Provinzstädten in den trockengelegten Pontinischen Sümpfen südöstlich von Rom.

Römische Vorbilder

Der junge Mussolini hatte sich, damals noch Sozialist und Arbeitsmigrant in der Schweiz, auf diversen Baustellen als Hilfsarbeiter verdingt. Angesichts seiner späteren Bekenntnisse zur Baukunst als – neben der Musik – höchster aller Künste war es verwunderlich, dass in Renzo De Felices vielbändiger Mussolini-Biografie aus den sechziger und siebziger Jahren das Wort «Architektur» nicht ein einziges Mal auftauchte. Umso intensiver ist seit geraumer Zeit die Auseinandersetzung mit der Baupolitik des Faschismus, nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung Italiens seit Mitte der neunziger Jahre.

Um die Überreste der Antike voll zur Geltung zu bringen, liess Mussolini Teile des mittelalterlichen Roms rücksichtslos niederreissen und Tausende von Menschen aus ihren Häusern vertreiben. Die Zusammenarbeit zwischen dem Diktator und den italienischen Architekten kannte einige Höhepunkte: Dazu zählte die Planung und partielle Errichtung des EUR-Viertels bei Rom, das die für 1942 vorgesehene und dann wegen des Krieges ausgefallene Weltausstellung beherbergen sollte. Paolo Nicoloso hebt in seiner Monografie «Mussolini architetto» hervor, dass der Abessinien-Krieg eine Wende für die Architekturpolitik bedeutete: War zuvor ein beträchtlicher Pluralismus und Eklektizismus gefragt, so baute das faschistische Italien nach der Umwandlung des Königreichs in ein «Imperium» zwar immer noch modern, nahm aber eindeutiger werdende Anleihen bei der klassischen Antike. Die Idee für die leuchtend weissen Bauten von EUR kam Mussolini bei einem Besuch der römischen Ruinen von Leptis Magna und Sabratha in Nordafrika. Überlegungen, er könne sich auf dem Höhepunkt seiner Macht aus der Politik zurückziehen und die Früchte seiner Siege geniessen, setzte Mussolini, auch unter dem Einfluss der eigenen Gefolgsleute, nicht in die Tat um. Stattdessen zog er die Zügel der Diktatur noch straffer an und beschleunigte das «totalitäre Experiment», wie Emilio Gentile in seinem «Fascismo di pietra» aufzeigt, auch auf dem Feld der Architekturpolitik.

Überfordertes Land

Es ist unmöglich, hier das ganze Themenspektrum der beiden nützlichen, mit instruktivem Bildmaterial überreich ausgestatteten Bände von Gentile und Nicoloso ausführlich zu würdigen. Gentile konzentriert sich auf die faschistische Architektur der Hauptstadt und richtet nur selten den Blick über die Grenzen des Landes. Nicoloso verfolgt die immer atemloser werdenden Reisen Mussolinis durch die Provinzen ebenso wie das Auf und Ab seiner Beziehungen zu einzelnen Baumeistern und Schulen. Er vergleicht die Architekturpolitik des Faschismus mit derjenigen Albert Speers und arbeitet heraus, wo Italien dem deutschen Beispiel folgte und wo es sich davon absetzte.

Gentile, der über weite Strecken systemimmanent-kulturhistorisch argumentiert, konfrontiert am Ende den megalomanen, in seinem Arbeitszimmer über der Piazza Venezia vor sich hinbrütenden Mussolini mit der sozialen Realität eines immer noch bitterarmen Landes, das von den pompösen Projekten und den kriegerischen Abenteuern des Regimes längst überfordert war. Er zeigt, warum die von Mussolini beschworene «Wiederkehr des Imperiums auf die schicksalsträchtigen Hügel Roms» nicht von Dauer sein konnte. Angesichts der verbreiteten Armut und der ersten Niederlagen im Krieg hätten sich die Italienerinnen und Italiener nicht dauerhaft vom Faschismus beeindrucken lassen.

Nicoloso ist pessimistischer, weil er die Zeit nach 1945 in seine Betrachtung einbezieht: Im Verhältnis der Bewohner zu den faschistisch inspirierten Städtelandschaften sieht er einen der wenigen, wenn auch postum errungenen Siege Mussolinis. Dem Begründer des Faschismus sei nicht verborgen geblieben, dass sich ihm die Gelegenheit bot, das Land und seine Bevölkerung mit Hilfe der Baukunst auf lange Sicht zu beeinflussen.

[ Emilio Gentile: Fascismo di pietra. Editori Laterza, Rom und Bari 2007. 273 S., € 16.–. Paolo Nicoloso: Mussolini architetto. Propaganda e paesaggio urbano nell'Italia fascista. Giulio Einaudi editore, Turin 2008. 315 S., € 32.–. ]

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