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Auf Wiedersehen am Heimplatz
Neue Zürcher Zeitung

Vor 50 Jahren wurde der Grosse Ausstellungssaal im Kunsthaus Zürich eröffnet

Im Juni 1958 erhielt das Kunsthaus Zürich mit dem Bührle-Saal seinen bis heute markantesten Erweiterungsbau. Als neutrale Raumhülle für Wechselausstellungen bildet er ein Erfolgsmodell. Die Entstehungsgeschichte des von Hans und Kurt Pfister entworfenen Gebäudes war von jahrelangen Auseinandersetzungen um die architektonische und städtebauliche Gestaltung begleitet.

4. Juli 2008 - Sonja Hildebrand
Das Kunsthaus steht von jeher in einem städtebaulichen Brennpunkt von Zürich. Es markiert den südwestlichen Ausgang der Altstadt; vor allem aber war und ist es das wichtigste und repräsentativste öffentliche Gebäude am Heimplatz. Mit dem Kunsthaus und dem Schauspielhaus am West- und Südrand sowie dem Konservatorium, der Kantonsschule, der Universität und der ETH in der näheren Umgebung war der Platz für Alfred Roth «das eigentliche kulturelle Zentrum der Stadt». Heute bildet er einen Hauptabschnitt der «Bildungs- und Kulturmeile» entlang der Rämistrasse, dem derzeit wichtigsten kulturellen Ausbauprojekt in Zürich.

Riegel- oder Torbau?

Als Karl Moser ab 1904 das Kunsthaus Zürich plante, musste er sich mit einem vergleichsweise eng begrenzten Bauplatz begnügen. Der 1910 eröffnete Museumsbau bestand aus dem dreistöckigen Kubus des Sammlungsgebäudes mit dem Haupteingang und dem in Richtung Rämistrasse anschliessenden zweigeschossigen Ausstellungstrakt. Eine weitere Ausdehnung in Richtung Norden und Niederdorf war nicht möglich, da Moser auf die geplante Verlängerung der Kantonsschulstrasse Rücksicht nehmen musste. Das Teilstück sollte etwa auf der Höhe des Bührle-Saals verlaufen und den Heimplatz mit dem südlichen Abschnitt des Hirschengrabens verbinden. Erst Anfang der vierziger Jahre konnte der damalige Kunsthausdirektor Wilhelm Wartmann endlich die «Kunstinsel» ausrufen. Nun stand das gesamte Areal zwischen Rämistrasse und Hirschengraben zur Verfügung. Damit war der Weg für die Erweiterung frei; es war aber auch der Beginn eines Streits, der die lange Planungs- und Baugeschichte des Grossen Ausstellungssaals prägte.

Kernpunkt der Auseinandersetzungen war die städtebauliche Funktion des Kunsthaus-Komplexes in Bezug auf das historische Zentrum. Für Karl Moser, der seit 1919 Erweiterungsprojekte entworfen hatte, war das Museum Teil eines Tores zur Altstadt. Anders sah es Hans Hofmann, der 1942 im Auftrag der Zürcher Kunstgesellschaft den Perimeter des Erweiterungsprojekts klärte. Er ignorierte in seiner städtebaulichen Studie eine mögliche Torsituation und liess den Bauplatz winkelförmig bis zum Heimplatz vorstossen. Eine solche Lösung entsprach durchaus den Wünschen seiner Auftraggeberin, nicht zuletzt mit Blick auf den im Eck zwischen Alt- und Erweiterungsbau entstehenden Museums-Vorplatz. Als «gänzlich unerwünschte Abriegelung» zwischen Heimplatz und Altstadt wurde das Projekt dagegen sofort in der NZZ und andernorts abgelehnt. Diese Kritik verstummte so schnell nicht mehr und zog unter anderem eine «Kunsthausmotion» und so harsche Proteste aus Architektenkreisen nach sich, dass am Ende sogar eine Schlichtungsaktion des Bundes Schweizer Architekten nötig war.

Der Bau der Brüder Pfister

Im Fokus der jahrelangen Auseinandersetzungen standen die jungen Brüder Hans und Kurt Pfister. Sie waren die Gewinner des 1943/44 veranstalteten Wettbewerbs für den Erweiterungsbau und hatten tatsächlich den von manchen befürchteten massiven Riegel entworfen. Am Ende der sich über 14 Jahre erstreckenden Planungs- und Bauzeit war das ursprüngliche Projekt mehrfach umgearbeitet. Die letzten Korrekturen nahmen die Architekten noch während der Ausführung des im Herbst 1954 begonnenen Baus vor.

Das Ergebnis war ein formal, funktional und städtebaulich erheblich – und durchaus vorteilhaft – verändertes Gebäude. Indem die Gebrüder Pfister das Gebäude auf mächtige Stützen stellten und unter diesen zwei gläserne Kuben mit dem Kunsthausrestaurant und dem Vortragssaal schoben, wurde der Erweiterungsbau optisch durchlässig. Eine Fussgängerpassage führt unter ihm hindurch, in Fortsetzung der von der Altstadt herkommenden Krautgartengasse. Am Heimplatz bildet der schwebende Balken eine gelungene Zäsur des vorbeiführenden Strassenzugs. Ein Gewinn für das urbane Leben ist der Aussenraum vor dem Bührle-Saal, der seine Fortsetzung in dem offenen Skulpturenhof zwischen den beiden Verbindungstrakten zum Moser-Bau findet.

Die gravierendste Umplanung in funktionaler Hinsicht erfuhr der Erweiterungsbau im Obergeschoss. War dort zunächst zusätzlicher Platz für die hauseigene Sammlung verlangt, erkannte man Anfang der fünfziger Jahre einen neuen Trend. «Wechselausstellungen haben in letzter Zeit ungeahnten Aufschwung genommen», heisst es in der Abstimmungsbroschüre von 1954. Und auf öffentlichkeitswirksame Wechselausstellungen setzte nun auch das Kunsthaus, diesen Teil seiner seit je doppelten Funktion als Museum und als Kunsthalle betonend. Die ursprünglich geplante Saal- und Kabinettfolge wurde zugunsten des Novums eines einzigen, 18 Meter breiten und 70 Meter langen, flexibel unterteilbaren Oberlichtsaals aufgegeben. Auch stilistisch ging man mit der Zeit. Der aufgeständerte Saalbau mit seiner Verkleidung aus gerippten Betonplatten, mit Bandfenstern an den Langseiten und dem zurückgesetzten Glasdach zeigt nur noch eine entfernte Verwandtschaft zu dem optisch viel kompakteren und schwereren Wettbewerbsprojekt.

Ein privater Donator

Die Türen zur Finanzierung des Grossen Ausstellungssaals hatte Emil G. Bührle aufgestossen. Seit 1936 Alleininhaber der Maschinen- und Rüstungsfabrik Oerlikon-Bührle, prominentes Mitglied der Zürcher Kunstgesellschaft und passionierter Sammler insbesondere von Werken des französischen Impressionismus und der klassischen Moderne, hatte er gleich zu Beginn der Planung die entscheidende Unterstützung zugesagt. Am Ende übernahm er die gesamten Baukosten von 7,5 Millionen Franken, 2 Millionen mehr als noch 1953 nach einer Redimensionierung des Projekts angenommen. Dementsprechend hoch gelobt wurde der «private Donator». Als «nachsichtig und konsequent» charakterisierte ihn rückblickend Zürichs Stadtpräsident Emil Landolt anlässlich der Einweihung des Grossen Ausstellungssaals, der im allgemeinen Sprachgebrauch den Namen seines Stifters trägt. Bührle selbst war schon 1956 verstorben und erlebte die Einweihung und die Eröffnungsausstellung, die einen Überblick über seine Sammlung bot, nicht mehr.

In der Ausstellungspraxis hat sich der Bührle-Saal mit seinen nahezu raumhohen, verschiebbaren Wandelementen, den Benedikt Huber 1959 in der Architekturzeitschrift «Werk» als architektonischen Un-Raum kritisiert hatte, offenbar bestens bewährt. Das Wettbewerbsprogramm für den derzeit geplanten Erweiterungsbau des Kunsthauses auf dem Kantonsschulareal beschreibt den dort geforderten zusätzlichen Raum für Wechselausstellungen als «kleinere Ausgabe» des Bührle-Saals. Mit diesem Erweiterungsbau soll zudem nun auch die Sammlung Bührles an das Kunsthaus gebunden werden: Für die 1960 in eine Stiftung übergeführten Teile ist ein eigener grosser Bereich vorgesehen. Der Abschiedsgruss von Emil Bührle nach seinem Vortrag über das «Werden meiner Sammlung» von 1954 gilt also wieder neu: «Auf Wiedersehen am Heimplatz».

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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