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Neue Zürcher Zeitung

Zum Tod des Schweizer Designers Hannes Wettstein

In der Nacht auf Samstag ist der international bekannte Designer Hannes Wettstein nach einer langwierigen Krankheit gestorben. Mit ihm verliert die Schweiz einen ihrer bedeutendsten Gestalter.

7. Juli 2008 - Andrea Eschbach
Der Starkult war seine Sache nicht. Der gefeierte Designer Hannes Wettstein arbeitete lieber im Hintergrund. Trotz seiner zurückhaltenden Art war er einer der wenigen Schweizer Gestalter, die weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt wurden. Während seiner mehr als zwanzig Jahre währenden Karriere arbeitete er für viele international tätige Möbel- und Produktehersteller – etwa die italienischen Marken Baleri, Cassina und Molteni. In der Nacht auf Samstag hat Hannes Wettstein im Alter von 50 Jahren in Zürich den Kampf gegen sein Krebsleiden verloren.

Die Essenz der Dinge

Zeitlebens ging es ihm um Archetypen: «Mich interessiert die Essenz der Dinge», sagte der gelernte Hochbauzeichner, der als Autodidakt zum Design kam. Wettstein suchte nach neuen Typologien für Stühle, Leuchten, Fahrräder, Küchen, Velos oder Uhren. Mit Erfolg. Seine vielfach preisgekrönten Produkte sind einfach im Gebrauch und formal schlicht, häufig offenbaren sie erst auf den zweiten Blick ihre funktionale Komplexität. Wettstein näherte sich seinen Schöpfungen stets auf dem Papier. «Ich habe immer gezeichnet», erklärte er. Stets hielt er einen Füller parat, um auf jeder verfügbaren Unterlage zu skizzieren.

Seine ersten Erfolge verbuchte der am 10. März 1958 in Ascona geborene Hannes Wettstein mit Niedervoltsystemen für den Hersteller Belux im Jahr 1982. Die auf Drahtseile gespannte Leuchte «Metro» wurde zum Klassiker und als solcher bald auch schon kopiert. Im Entstehungsjahr dieses Bestsellers machte sich Wettstein selbständig, und eine Dekade später gründete er im Zürcher Seefeld das Büro «Zed». Einige Meilensteine setzte Wettstein im Laufe seiner Karriere mit Leuchten – beispielsweise mit der 2007 für Belux entwickelten funktionalen Schreibtischlampe «Scope». Sie lässt sich ohne Gegengewichte und Drahtzüge mit nur einem Finger verstellen – dank einem neuartigen, ausgeklügelten Verstellmechanismus, der diskret im Leuchtenarm verborgen ist.

Eine klare Formensprache und hohe Funktionalität charakterisierten auch sein Möbeldesign. Für Baleri Italia etwa entwarf er eine ganze Reihe auf ihre Essenz reduzierte Möbel: Bereits das erste Projekt, der elegante Stapelstuhl «Juliette» (1987), machte Wettstein international bekannt. Es folgten Sitzmöbel wie der klassische Holzstuhl «Lyra» (2005) für die Manufaktur Horgen Glarus, aber auch modulare Sofasysteme wie «Delphi» (2007) für den dänischen Möbelhersteller Erik Jørgensen. Den leidenschaftlichen Tüftler reizten technische Innovationen, aber auch neue Produktionsverfahren und Materialien. Wie bei dem im Jahre 2000 für Molteni kreierten Stuhl «Alfa», einem radikalen Entwurf: Das Möbel entsteht aus der Rückenlehne, die in die Hinterbeine übergeht, und der Sitzfläche, die fliessend in die Vorderbeine überläuft. Der Stuhl hat nur eine einzige Materialstärke, die zugleich Konstruktion und Form bestimmt. «Manchmal befindet sich ein Entwurf auf der Suche nach der richtigen Technologie», lautete Wettsteins Überzeugung. Von der ersten Zeichnung bis zur Produktionsreife vergingen beim Stuhl «Alfa» fast sieben Jahre. Erst ein Ingenieur von Molteni, der zuvor bei Ferrari die leichten Monocoques für Formel-1-Rennwagen hergestellt hatte, vermittelte ein geeignetes Verfahren: Glasfaserverstärktes Polyesterharz aus der Automobilindustrie hiess die Lösung.

Reduktion

Stets versuchte Hannes Wettstein, «einen wiedererkennbaren formalen Stil zu vermeiden». Das methodische Herangehen an eine Aufgabe war ihm Pflicht: Er beobachtete, analysierte, hinterfragte, bezog alle Parameter ein, die auf einen Entwurf einwirken, im Produktedesign ebenso wie bei räumlichen Gestaltungen. Wettsteins kritischer Blick war auch im Interior Design gefragt. Das Büro Wettstein machte mit zahlreichen Innenraumgestaltungen für Bürogebäude, Hotels und Showrooms von sich reden. Häufig entstanden diese Projekte in Zusammenarbeit mit renommierten Architekten. So stattete Wettstein sämtliche Zimmer und Suiten des von Rafael Moneo entworfenen Berliner Luxushotels Grand Hyatt aus. Gemeinsam mit den Zürcher Architekten Gigon/Guyer gewann er den Wettbewerb für den «Prime Tower» auf dem Maag-Areal in Zürich-West. Zu seinen publikumswirksamsten Projekten gehörten Set-Designs für das Schweizer Fernsehen, unter anderem für die «Tagesschau», «10 vor 10» und das «Sportpanorama», die sich durch eine klare Linienführung und Formensprache sowie eine Reduktion auf wenige hochwertige Materialien auszeichnen. Wettstein gelang es, eine stimmige Corporate Identity zu schaffen und dennoch die Senderäume voneinander zu unterscheiden.

«Es gibt keine Funktion, die nicht in die passende Form gebracht werden könnte», kann man auf der Website seines Designbüros lesen. Vor kurzem noch hatte Wettstein die Struktur seiner Firma geändert und den Geschäftsleiter Stephan Hürlemann zum Partner und Teilhaber gemacht. An ihm wird es nun sein, zusammen mit dem 20-köpfigen Team Hannes Wettsteins Design-Philosophie weiterzutragen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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