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Der bezwingbare Betondschungel
Neue Zürcher Zeitung

Zum Blick der Rapper auf die Stadt – oder: das Glitzern der Unorte

Das Stadtbild der Hip-Hop-Kultur war lange Zeit geprägt von düsteren Landschaften und vom Heruntergekommenen im Allgemeinen. Seit geraumer Zeit fungiert dieses indes nur noch als propere Kulisse, ähnlich dem Industrie-Chic in der zeitgenössischen Architektur.

22. August 2008 - Matthias Daum
«Broken glass everywhere / People pissing on the stairs, you know they just don't care.» Grandmaster Flash and The Furious Five zeichnen im Rap-Klassiker «The Message» (1982) ein düsteres Bild ihrer gebauten Umgebung. Im wackligen Videoclip finden sich ein dreckiger Hinterhof und anonyme Backsteingebäude ebenso wie die vom Verkehr verstopfte Innenstadt oder deren schwindelerregende Häuserschluchten. «It's like a jungle sometimes, it makes me wonder / How I keep from going under.» Das Leben als täglicher Überlebenskampf – und der Erzähler, Rapper Melle Mel, mittendrin. Doch «The Message» kolportiert nicht allein den Hip-Hop-Mythos des Grossstadtindianers, sondern prägte auch das Stadtbild im Hip-Hop – zu vergleichen damit sind allenfalls noch die semidokumentarischen Spielfilmen «Wild Style!» (1983) und «Beat Street» (1984) sowie der für die europäische Szene wegweisende Spielfilm «La Haine» (1995). Der Clip zu «The Message» nährt bis heute die Vorstellung von Hip-Hop als Kind der Grossstadt, als Ausgeburt metropolitaner Skylines und düsterer Grosswohnsiedlungen.

Die Stadt als Bühne

«The Message», eine filmische Dokumentation der tatsächlichen Umgebung der Protagonisten, wurde zur Blaupause für den popkulturellen, globalen Siegeszug einer Ästhetik des Heruntergekommenen. Der vom gesamtökonomischen Wandel geformte, von Industriebrachen und angejahrten Wohnquartieren geprägte periphere Stadtraum wurde zum genretypischen Ideal emporstilisiert. Scheinbar alltägliche (Un-)Orte wie Parkdecks, Unterführungen, Hochbahntrassen, Autobahn-Fly-Overs, U-Bahn-Stationen wurden Teil der Rap-Ikonographie: «All jene transitorischen Zonen des Verkehrs also, die Le Corbusier überbauen oder ins Unterirdische verlegen wollte», wie der Kunstkritiker Jörg Heiser in der Zeitschrift «Archithese» schrieb. Die Kulturwissenschafter Gabriele Klein und Malte Friedrich sprechen in ihrem Buch «Is this real?» von einer «theatralen Überhöhung» der Stadt. Sie werde je nachdem zur Tanzfläche (Breakdance), zur Bühne (Rap/DJ-ing) oder zur Leinwand (Graffiti) umfunktioniert. Exemplarisch hierfür der Hip-Hop-Klassiker «Straight Outta Compton» (1988) von N. W. A., wo gar offene kalifornische Abwasserkanäle eine künstlerischer Urbarmachung erfahren. Im Gegensatz zur damaligen akademischen und politischen Abkehr vom euphorischen Urbanismus der Moderne, zelebrierte die Hip-Hop-Kultur das Rohe, Brutale, scheinbar Lebensfeindliche.

Der ihr eigenen Erfolgsästhetik verpflichtet, inszenieren sich die Videoclip-Protagonisten allerdings immer als der gebauten Beton-Unbill überlegene Stadtbewohner. Ausdruck findet diese temporäre Souveränität in der Stadt auch in den stereotypen Hochhauseinstellungen – zu sehen etwa im Clip «Laisse Pas Trainer Ton Fils» (1998) des französischen Super-Rap-Duos NTM. Von einer leicht erhöhten Warte aufgenommen, rappen Joey Starr und Kool Shen auf einem Wohnblock der Pariser Banlieue stehend, derweil im Hintergrund ein bläulich-grünes Häusermeer schimmert.

Das Bild des Hochhauses, «einer Art dystopischer Ruine des babylonischen Turms» (Heiser), ist indes ein ambivalentes: Einmal wird es als über den Rest der Stadt hinausragende Trutzburg gezeigt, ein andermal als Inbegriff der Mega-City. Dabei wird mit Vorliebe der Protagonist von unten gefilmt, so dass sich die Haus-Silhouette möglichst imposant gegen den Himmel reckt – zu sehen etwa in den Clips zu «Nas Is Like» (1999) von Nas oder in «99 Problems» (2003) von Jay-Z. Immer aber ist der Rapper ihm gewachsen – und er hegt eine geradezu liebevolle Beziehung zu ihm. Wie etwa auch der Berliner Rapper Sido in «Mein Block» (2004), einer Ode an die Huren, Dealer und Durchgeknallten in seiner Wohnstätte: «Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel, meine Gegend, meine Strasse, mein Zuhause, mein Block / meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt reicht vom ersten bis zum 16. Stock.» Heiser meint dazu leicht spöttisch: «Architekturkritik teilt mit Populärkultur ein seltsames Geniessen, manchmal geradezu eine unverhohlene Genugtuung am Konstatieren des einstmals utopisch befeuerter Siedlungsprojekte.»
Suche nach einer Prise Urbanität

Mit der zunehmenden Popularisierung des Rap verschob sich seine Bilderwelt immer mehr in die bürgerliche Stadtmitte – zunächst noch mit einer gewissen Distanz, schliesslich mit einem (auch ökonomischen) Partizipations-Anspruch. Im Clip zu «The World Is Yours» (1994) rappte der New Yorker Nas vor einer dunstigen Grossstadt-Silhouette. Vage ist im Nebel das Empire State Building erkennbar – Rap ist da noch jenseits des popkulturellen Mainstreams und der städtischen Zentren. Einige Jahre später, im Video zu «If I Ruled The World» (1996), liess sich derselbe Musiker auf einem Tieflader durch Manhattan fahren. Die glitzernden, farbig leuchtenden Reklametafeln bilden den Rahmen seiner Weltherrschaft-Imagination; die «Realität» bilden dabei die Rückblenden-artigen Alltagsszenen aus den Projects, den Sozialbauten.

Im Zuge der globalen Verbreitung des Rap und von dessen jeweiliger lokaler Adaption wurde auch die Bildsprache des Rap mit Lokalkolorit versehen. Einheimische Wahrzeichen ersetzen die US-amerikanischen: Im Fall des Clips «Unterschied» der Stuttgarter Combo Massive Töne trat an das Nas'sche Empire State Building ein sich drehender Leuchtreklame-Mercedes-Benz-Stern. Die neue Verortung in suburbanen oder ruralen Zonen schlug sich indessen nur teilweise in einer Erweiterung der Clip-Ästhetik nieder. In der Regel wurde allerorts fieberhaft nach einer Prise Urbanität gesucht. Eisenbahnunterführungen, Verkehrskreisel oder im Fall der Churer Rap-Combo Breitbild («Für 1 Hets Immer No Glangt», 2006) eine Ausfallstrasse in Richtung Bündner Oberland fungierten als Grossstadt-Referenz. Diese «visuellen Markierungen populärer Bildmedien im Hip-Hop» sollen neben einem Verweis zurück zur Ursprungserzählung eine «lokale Authentifizierung von Musik, Musikern und Hörern sicherstellen », schreiben Klein/Friedrich.

Die Standardisierung des Hip-Hop-Stadtbildes führte auch zu ironischer Brechung. Die Beastie Boys zeigen sich in «Intergalactic» (1998) als herumalbernde Hampelmänner in Industriearbeiteruniformen vor fernöstlicher Megapolis-Kulisse. Es dominiert das Futuristische, der düsterer Charakter der Hip-Hop-City weicht indes einem neonhell ausgeleuchteten, blitzblank geputzten Stadtraum. Und der Schweizer Kutti MC gab seinen «Kutti Funk» in einer Stadtkulisse aus Karton zum Besten, an deren «Backsteinwand» ein Pseudo-Graffiti prangt: «Yo!».
Das Polieren der Gosse

Am offensichtlichsten ist die Bühnenhaftigkeit der Stadt in neueren Clips, in welchen gestandene Rap-Granden zurück auf die «good old days» ihrer Karriereanfänge schauen. LL Cool J inszeniert seine Vergangenheit in «Hush: Close Captioned» (2004) als Leben in der polierten Gosse. Das Sitzen auf der Eingangstreppe, ein bis heute wiederkehrendes Stilelement in Rap-Videos, findet in einem herausgeputzten Setting statt, das drapierte BMX-Fahrrad und die Old-School-Boom-Box inklusive. Auch Rap-Mogul Jay-Z lieferte mit «Lost One» (2006) eine propere künstlerische Mystifizierung der Unorte – Heise schreibt dazu von «entleerten Zeichen von Rauheit und abstrakter Radikalität, wie Potemkinsche Ruinen der sozialen Kriegszone, so real sie im Leben der Leute einmal gewesen sein mögen». Vor Augen führt einem die Poliertheit der nunmehr medial transportierten Bilder des Heruntergekommenen jüngst Ridley Scotts Spielfilm «American Gangster». Dessen Darstellung der Projects als Sodom und Gomorra, wo gehaust und kaum gewohnt wird, entblösst die Romantik, welche diesem scheinbar bloss Referieren inne ist.

Jay-Z fährt derweil, auf der Suche nach den «Lost Ones», in der Maybach-Luxuskarosse unter die New Yorker Hochbahn-Brücken zum Würfelspiel; am selben Ort düste heuer Nas im mit Anleihen bei der Demonstrations-Ikonographie gespickten Clip zu «Hero» in einem weissen Audi-Coupé vorbei. Diese Autofahrten durch die ehemalige «Hood» (längst residieren die Protagonisten in den Villenvierteln der von ihnen be-rappten Städte, deren Ästhetik einer eigenen Analyse bedürfte) sind seit Mitte der neunziger Jahre zunehmend an die Stelle des Revier-Durchschreitens getreten, wie es noch N. W. A. zelebrierten.

Die Neudefinition des Stadtraums durch Okkupation scheint Geschichte, auch die Hip-Hopper ordnen sich der von den Planern intendierten Stadt unter. Im Video zum Song «Dilemma ft. Kelly Rowland» (2002) – gedreht wurde es notabene in den Kulissen der TV-Serie «Desperate Housewives» – verortete der US-Rapper Nelly seine Idealstadt «Nellyville» im biederen Suburbia: «Welcome to Nellyville, where all newborns get a half-a-mill' / Sons, get Sedan DeVilles, soon as they can reach the wheel», rappt Nelly im Titeltrack des entsprechenden Albums «Nellyville». Wobei der afroamerikanische Kleinbürger, wie das Video suggeriert, sein biederes Glück im vollkommen segregierten Idyll zu finden scheint; Weisse, Latinos oder Asiaten finden sich in «Nellyville» keine.

Gleichwohl mag Malte Friedrich berechtigterweise Hip-Hop-Videos mitgemeint haben, wenn er in einem Aufsatz auf die «prägende Kraft medialer Stadtdarstellungen für die Gestaltung von Städten» verweist. Schliesslich hat das Umfunktionieren alter Industrie- und Speicher-Orte zu touristischen Attraktionen oder die Aufwertung verkommener Stadtteile dasselbe Ziel wie das Wienern der «street» in den Hip-Hop-Videos: nämlich einstige Un-Orte zum Glitzern zu bringen – dabei aber einen Hauch des Heruntergekommenen zu belassen.

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