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Herausgeputzt für den Frieden
Neue Zürcher Zeitung

Die Sanierung des städtebaulichen Kleinods Signagi

Der Krieg zerstörte in Georgien viele Hoffnungen – auch die auf eine Ankurbelung des Tourismus. Kürzlich erst war zu diesem Zweck das Städtchen Signagi als Vorzeigeprojekt saniert worden. Nun wird es wohl bis auf weiteres vergeblich auf Besucherströme warten.

8. September 2008 - Arnold Bartetzky
Georgien gehörte schon vor dem Ausbruch des Krieges um Südossetien zu jenen Staaten aus der Erbmasse der Sowjetunion, die ihre Unabhängigkeit mit enormen Folgekosten erkauft hatten. Bürgerkriegsähnliche Zustände, die anhaltenden Regionalkonflikte um Abchasien und Südossetien sowie die Destabilisierungspolitik Russlands hatten eine kontinuierliche Entwicklung verhindert. Saakaschwilis prowestliche Regierung setzte ihre Aufschwungshoffnungen in hohem Masse auf den Tourismus. Dabei war aber der bauliche Zustand der georgischen Städte ein Hindernis. Selbst in der Hauptstadt Tbilissi ist ein Grossteil der Altstadt kaum noch zu retten, auch wenn einige malerische Gassen saniert wurden. Dort richteten sich Strassencafés und Kunsthandwerksläden schon vor dem Krieg auf die nur spärlich eintreffenden Gäste aus dem Ausland ein, denn für Einheimische sind sie zu teuer. Ringsum regiert aber der Verfall: überall bröckelnde Fassaden mit breiten Rissen im Mauerwerk. Bei vielen Häusern wundert man sich, dass sie noch nicht zusammengefallen sind – und erschrickt darüber, dass in ihnen noch Menschen wohnen.

Aufgabe des öffentlichen Raums

Noch desolater sehen die Städte in der Provinz aus. Etwa in Kachetien, einer Weinbauregion im Nordosten des Landes, die wegen ihrer vielen Kunstschätze und landschaftlichen Reize als die Toskana Georgiens bezeichnet wird. Die alte Residenzstadt Telawi zum Beispiel lockt mit einer von persischer Architektur beeinflussten Festung und kostbaren, bis in die frühchristliche Zeit zurückreichenden Kreuzkuppelkirchen in der Umgebung. Das heutige Stadtbild aber löst Fluchtreflexe aus. Gähnend leere Strassen mit erodierendem Belag voller Fallgruben, triste Häuserreihen, rund um den Hauptplatz einige verfallende Bauten aus der Sowjetära. Weit und breit kein Café, noch nicht einmal ein Weinausschank, den man hier, am Anfang der Kachetinischen Weinstrasse, erwarten könnte. Aufgegeben wirkt der öffentliche Raum in Telawi, das städtische Leben scheint sich in die Privathäuser zurückgezogen zu haben.

Eine ähnliche drückende Stimmung lastet auch auf den übrigen Ortschaften Kachetiens. Von den Naturschönheiten der Region berauscht, von der Würde der einsamen Kirchen und Burgen beeindruckt und von der Gastfreundlichkeit der Menschen angerührt, stürzt man regelmässig in eine Depression, sobald man sich einer Siedlung nähert. Umso erstaunter ist man über das freundliche Bild, das die Kleinstadt Signagi bietet. Der auf einem Hochplateau mit atemberaubendem Blick auf das schneebedeckte Massiv des Grossen Kaukasus gelegene Ort zählt zu den reizvollsten in Georgien. Mit dem seit dem 18. Jahrhundert entstandenen Gewirr von verwinkelten Gassen und intimen Plätzen, der völlig erhaltenen, turmbewehrten Stadtmauer und den gepflegten steinernen Wohnhäusern mit kunstvoll geschnitzten Holzveranden und Balkonen entspricht Signagi geradezu idealtypisch dem touristischen Sehnsuchtsbild einer pittoresken, von Modernisierungsschüben verschonten Kleinstadt, in der die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Mediterrane Heiterkeit meint man an diesem Ort zu verspüren, den schon im 19. Jahrhundert Künstler und Bohémiens für sich entdeckten. Auf den Strassen sieht man Flaneure, Familien mit Kindern belagern die Parkbänke.

Warum ist Signagi so anders als die anderen Städte Georgiens? Die Selbstverständlichkeit, mit der dieser Ort von den Bewohnern angenommen wird, könnte fast darüber hinwegtäuschen, dass sich seine heutige Atmosphäre weniger gewachsenen Traditionen als einem erst kürzlich erfolgten Eingriff des Staates verdankt. In der Sowjetzeit notdürftig instand gehalten, erlebte Signagi in den vergangenen Jahren einen ebenso rapiden Niedergang wie die übrigen Kleinstädte des Landes. Allein durch die Schliessung der Textilfabrik gingen 800 Arbeitsplätze verloren. Wer dazu imstande war, wanderte nach Tbilissi oder ins Ausland ab. Die Einwohnerzahl halbierte sich beinahe – auf heute nur noch rund 2500 Menschen.

Bis vor kurzem lag Signagi baulich ebenso darnieder wie heute noch Telawi. Erst seit 2007 änderte sich die Situation – und zwar im Eiltempo. Denn die georgische Regierung hatte beschlossen, einige touristisch besonders attraktive Städte unter Einsatz staatlicher Mittel binnen kürzester Zeit so herzurichten, dass sie sich zu Besuchermagneten entwickeln können. Dabei bestimmte man Signagi zum Pilotprojekt. Seitdem wurden in Windeseile Strassen gepflastert, Plätze neu gestaltet, Fassaden restauriert, Dächer eingedeckt. Leider entstanden auch einige Neubauten, die nicht gerade als architektonischer Gewinn zu verbuchen sind, etwa das postpostmoderne Rathaus mit seinem barockisierenden Turmhelm und dem gläsernen Erker. Doch überwiegen die Vorteile dieser Kampagne, von der vor allem die Altbausubstanz profitierte. Die mehrheitlich aus dem 19. Jahrhundert stammenden Wohnhäuser wurden gesichert. Unter dem Putz kam oftmals das traditionelle kachetinische Mauerwerk aus alternierenden Ziegel- und Feldsteinlagen zum Vorschein. Die meist verarmten Eigentümer, denen die Sanierungsaktion eine Teilrenovation auf Staatskosten und zugleich eine Wertsteigerung der Häuser einbrachte, können ihr Glück kaum fassen. Sie schwärmen denn auch vom Engagement der georgischen Regierung, die andernorts schon vor dem Südossetien-Desaster sehr umstritten war.

Voll des Lobes sind auch Signagis Geschäftsleute, etwa der Manager eines kürzlich fertiggestellten Luxushotels am Rathausplatz. Nachdem sich Staatspräsident Saakaschwili höchstselbst zur Einweihungsfeier angekündigt hatte, arbeiteten die Bauleute wochenlang Tag und Nacht, um den Termin einzuhalten. Es ist nicht das einzige neu entstandene Hotel Signagis. Denn die konzentrierte staatliche Stadtsanierungskampagne hatte in kürzester Zeit die erhoffte Investitionswelle ausgelöst: Auf Schritt und Tritt entstanden neue Häuser, Geschäfte, Restaurants – und damit jene touristische Infrastruktur, die andernorts fehlt.

Tourismus als Allheilmittel?

Nach den jüngsten Ereignissen sieht es nun aber nicht danach aus, als würde diese Infrastruktur in absehbarer Zeit benötigt werden. Eine andere Frage ist, ob der Tourismus überhaupt ein Allheilmittel für die Stadtentwicklung sein könnte. Aus komfortabler westlicher Sicht lassen sich noch weitere Einwände vorbringen. Wirtschaftsliberale dürften im Signagi-Projekt ein Horrorbeispiel für staatlichen Dirigismus, Denkmalschützer einen krassen Fall einer von oben verordneten Denkmalpflege sehen. Zudem ist der Umgang mit dem Baubestand von den Idealen westlicher Restauratoren weit entfernt. So wurde im Eifer des Gefechts manch ein denkmalwürdiges Gebäude der Einfachheit halber abgebrochen und in historisierenden Formen nachgebaut, wenn auch unter Wiederverwendung von Originalmaterial. In der Konzentration auf das äussere Erscheinungsbild mag man ohnehin den berüchtigten «Fassadismus» erkennen, dem es mehr um eine touristengerechte Altstadtvision als um fachgerechten Denkmalerhalt geht.

Beim Anblick einiger Strassenzüge der Unterstadt, die erst in einer späteren Projektphase saniert werden sollen, relativiert sich aber jede Kritik. Hier ahnt man, wie die ganze Stadt bis vor kurzem ausgesehen hat. Und man erkennt, dass der dramatische Verfall weder für Marktmechanismen noch für elaborierte denkmalpflegerische Konzepte Zeit lässt. Infolge des Krieges wird er leider noch schwerer aufzuhalten sein als bisher.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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