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Eine Pyramide für die Lichterstadt
Neue Zürcher Zeitung

Herzog & de Meuron beleben mit einem aufsehenerregenden Projekt die Hochhausdiskussion

Das Basler Architekturbüro Herzog & de Meuron will im Süden von Paris eine 200 Meter hohe Pyramide bauen. Das kommt einer Sensation gleich, denn auf dem Stadtgebiet ist der Hochhausbau seit den siebziger Jahren tabu.

3. Oktober 2008 - Marc Zitzmann
Der letzte Pariser Pyramidenbau, jener von Ieoh Ming Pei im Louvre, erhitzte nach seiner Ankündigung vor einem Vierteljahrhundert die Gemüter. Der geplante Bau eines stilisiert pyramidenförmigen Hochhauses am südwestlichen Stadtrand durch die Basler Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron dagegen wurde nach seiner Ankündigung letzte Woche mit verhaltenem bis verzücktem Wohlwollen aufgenommen. Das Emplacement ist gewiss nicht dasselbe: hier der geschichtsträchtige Königspalast im Herzen der Stadt, dort das gesichtslose Messegelände beim Boulevard périphérique, der Pariser Ringstrasse. Aber die Dimensionen sind auch nicht dieselben, wird doch das vierzigstöckige Hochhaus von Herzog & de Meuron mit seinen knapp 200 Metern Höhe fast von überall in der Stadt aus zu sehen sein.

Hochhaus für alle Pariser?

Freilich wird die Silhouette der «Tour Triangle» je nach Standort ganz verschieden aussehen. Das Gebäude mit trapezförmigem Grundriss ist 200 Meter lang, aber bloss 35 Meter breit. Es handelt sich also um eine Art verschlankter Pyramide, die, von den Längsseiten aus betrachtet, die charakteristische Dreiecksform besitzt, von den Schmalseiten aus aber fast das typische Profil eines herkömmlichen Wolkenkratzers aufweist. Zumindest von weitem – denn aus der Nähe soll der Bau, wie Jacques Herzog im Gespräch ausführt, mit seinen hier mehr glatten und dort mehr kristallinen Fassaden aus Glas und Stein Assoziationen an etwas Naturgewachsenes wecken.

Das Programm der «Tour Triangle» ist noch Gegenstand von Diskussionen. Die Gruppe Unibail-Rodamco, die die nicht bezifferten Baukosten in Gänze tragen soll, bevorzugt aus Rentabilitätsgründen Büros sowie ein grosses Vier-Sterne-Hotel. Die Architekten und die Gemeindeverwaltung dagegen wünschen sich mehr Einrichtungen, die für alle zugänglich sind. Fest steht laut Herzog, dass die «Tour Triangle» nicht auf einer Dalle, einer erhöhten Platte, stehen wird – wie etwa die zwanzig knapp 100 Meter hohen Türme des Front-de-Seine-Viertels. Vielmehr soll das Hochhaus im Pariser Boden wurzeln und im Erdgeschossbereich mit Cafés und Läden aufwarten. Auch eine Panoramaterrasse in rund 40 Metern Höhe sowie eine Aussichtsplattform weiter oben sollen für jedermann zugänglich sein.

Zur Diskussion stehen Equipements wie ein Schwimmbad, eine Bibliothek oder ein «Museum der Sprachen der Welt». «Aber vielleicht», so Herzog, «gibt es am Ende auch bloss Büros.» Das freilich wäre zu bedauern. Die «Tour Triangle» ist in vielerlei Hinsicht bestrebt, sich harmonisch in das Viertel einzufügen, ja dieses aufzuwerten. Wichtig sind Umweltverträglichkeit und ein Schattenwurf, der die Anwohner möglichst wenig stört. Auch ermöglicht die Placierung auf einer eher schmalen Grundfläche in der Verlängerung der 4,3 Kilometer langen Rue de Vaugirard nicht nur die Schaffung eines neuen Gartens, sondern vor allem die Durchbrechung der Blockade, die das Messeareal heute bildet. Wie ein riesiges Messer soll die «Tour Triangle» eine Schneise schneiden, um Paris mit der Vorstadt Issy-les-Moulineaux zu verbinden. Neben der Ende 2006 erfolgten Eröffnung der T3-Tramlinie und dem nächstjährigen Anschluss an die T2-Tramlinie wird die Bedeutung der Porte de Versailles als Verkehrsknotenpunkt so weiter aufgewertet.

Enthielte die «Tour Triangle» am Ende bloss Büros, verspielte sie damit einen Teil ihrer Chancen, die Sympathie der Pariser zu gewinnen. Das jedoch ist von Bedeutung, wirkt doch die Traumatisierung der Hauptstadtbewohner durch den Bau des unwirtlichen Front de Seine, des seelenlosen Olympiades-Viertels im Herzen der heutigen Chinatown und der monströsen Tour Montparnasse bis heute nach. Unter der Präsidentschaft von Valéry Giscard d'Estaing war der Hochhausbau praktisch gestoppt worden, und drei Jahrzehnte lang blieb das Sujet tabu.

Hochfliegende Projekte in der Banlieue

Seit seiner Wahl zum Bürgermeister 2001 hat Bertrand Delanoë nun immer wieder versucht, das Thema aufs Tapet zu bringen. Erste Vorstösse scheiterten an der Opposition der grünen Koalitionspartner, von Bürgervereinigungen und (laut Umfragen) auch von zwei Dritteln der Pariser. Vor zwei Jahren erstellten zehn Architekten eine Liste von siebzehn Standorten an den Stadträndern, an denen sie den Bau von bis zu 150 Meter hohen Türmen für möglich erachteten. Doch der 2006 verabschiedete lokale Bebauungsplan hält weiter an der 1977 festgelegten Maximalhöhe von 37 Metern fest. Letztes Jahr arbeiteten elf Büros Vorschläge für die Errichtung von bis zu 210 Meter hohen Türmen an drei peripheren Standorten aus. Unter diesen scheint heute das Masséna-Viertel südlich der neuen Nationalbibliothek am besten placiert zu sein, um ein Hochhaus zu empfangen – möglicherweise den neuen Pariser Justizpalast.

Doch einen Sinneswandel in Paris haben wohl erst die ambitiösen Projekte in mehreren Vorstädten bewirkt. In Boulogne-Billancourt baut Jean Nouvel zurzeit einen 88 Meter hohen Turm; auch in Aubervilliers, Clichy, Issy-les-Moulineaux und Levallois sind Hochhausprojekte im Gang. Die grössten und spannendsten Vorhaben finden sich jedoch im Geschäftsviertel La Défense westlich von Paris. Die Büros Nouvel, Morphosis (Thom Mayne) sowie Valode et Pistre wollen dort je einen rund 300 Meter hohen Wolkenkratzer errichten. Freilich: Schon 1989 hatte Nouvel am selben Ort seine 425 Meter hohe «Tour sans fin» sich in Luft auflösen sehen. Jetzt droht die Realisierung seiner rotglühenden «Tour Signal», die aus vier übereinander gestapelten Kuben bestehen soll, an der Opposition einer Bürgermeisterin zu scheitern. Und über allen drei Vorhaben hängt – wie auch über einem halben Dutzend weniger hochfliegender Projekte – das Damoklesschwert der Finanzkrise.

Es wäre naiv, hinter solchen Bauvorhaben nicht auch Prestige- und Machtstreben zu vermuten – La Défense ist die Spielwiese von Nicolas Sarkozy, Paris jene von Delanoë (dessen Ambitionen sich längst nicht mehr auf das Lokale beschränken). Doch letztlich zählt allein das gebaute Ergebnis. Paris wäre hier nun fehlgeleitet, sich mit London, Schanghai oder anderen Metropolen zu messen. Was dort recht ist, ist es nicht zwangsläufig auch hier: in einer «perfekten Stadt» (so Jacques Herzog), die mit ihren 2,14 Millionen Einwohnern auf bloss 105 Quadratkilometern sehr klein und sehr dicht besiedelt ist und ein durch keinen Krieg zerstörtes Bauerbe ihr eigen nennt. In diesem Kontext erscheint das Projekt der «Tour Triangle», das sich ingeniös in Haussmanns Urbanismus einschreibt und gleichsam ein neues topografisches (Wahr-)Zeichen in die Pariser Landschaft setzt, als ein Wurf, dessen Realisierung man nur wünschen kann. Angekündigt ist diese für 2012 – das Jahr der nächsten Präsidentschaftswahlen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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