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Bote göttlicher Harmonie
Neue Zürcher Zeitung

Vor fünfhundert Jahren wurde der italienische Renaissancearchitekt Andrea Palladio geboren

Vor 500 Jahren wurde Andrea Palladio in Padua geboren. Wie kein anderer der grossen Architekten wurde er zu einem Fixstern der italienischen Kunstgeschichte. Obwohl über ihn kaum biografische Angaben vorliegen, lebt seine ästhetische Auffassung im Palladianismus fort.

29. November 2008 - Axel Christoph Gampp
Der Name wurde ihm erst später zuteil. Getauft wurde Palladio am 30. November 1508 in Padua als Andrea di Pietro della Gondola. Zweierlei deutet das Epitheton Palladio an: zum einen ein humanistisches Umfeld, das den Fonds für das gesamte Wirken des Architekten bildete. Zum anderen die Tatsache, dass die Persönlichkeit des Meisters eigentlich nur über sein Werk zu fassen ist. Das scheint den Intentionen Palladios bis zu einem gewissen Masse entsprochen zu haben. Nicht einmal das Frontispiz seines 1570 erschienenen Architekturtraktates, der «Quattro Libri dell'Architettura», trägt sein Bildnis, sondern die Druckermarke des Verlegers, die aber trotzdem gut passt: Das Emblem von Domenico de Franceschi zeigt das Schifflein der Fortuna. Diese war Palladio in der Tat überaus hold, wie die nachhaltige Wirkung des Theoriewerks schlagend belegt.

humanistisches Umfeld

Den Namen Palladio erdachte sein grosser Förderer, Graf Giangiorgio Trissino (1478–1550). Dieser Patrizier aus Vicenza hatte am Hofe Papst Leos X. eine glänzende Karriere als Diplomat gemacht und sich in dem humanistischen Milieu auch als Dichter versucht. In ihm verkörperte sich die Antikensehnsucht der Renaissance mustergültig. Wer hätte besser geeignet sein können, den damals dreissigjährigen Steinmetzen unter seine Fittiche zu nehmen, der als Handwerker an der im Entstehen begriffenen Villa des Grafen bei Vicenza arbeitete? Offenbar erkannte Trissino das schlummernde Talent des aus Padua stammenden Mannes. Der zugedachte Übername ist dabei in gewisser Weise programmatisch, denn ein Palladio tritt in seinem epischen Werk «Italia liberata dai Goti» als architektonisch interessierter himmlischer Bote auf.

Wie dieser sollte der Architekt Palladio – in Trissinos Vorstellung – Italien vom Einfluss des schlechten nordalpinen Geschmackes befreien. Trissino gab Palladio zu lesen, was mit Architektur, Konstruktion, alter Topografie und Militärwesen zu tun hat. Neben die antiken Fachautoren trat bald auch ein zeitgenössischer, der sich bisweilen in Vicenza aufhielt: Sebastiano Serlio. Just Ende der 1530er Jahre erschienen Teile seines Architekturtraktates. Dessen eminenter Vorteil lag in einem Gleichgewicht von Abbildungen und Text, wie man es zuvor nur aus anatomischen Lehrbüchern kannte.

Für die damaligen Architekten stellte Serlio das Bindeglied zwischen Norditalien und Rom her, denn er tradierte architektonisches Wissen aus der römischen Hochrenaissance, etwa von Raphael und Baldassare Peruzzi. Vor allem bemühte er sich aber um eine Systematik der verschiedenen antiken Säulenordnungen (dorisch, ionisch, korinthisch) sowie von deren nachantiken Varianten toskanischer und kompositer Ausformung. Als 1540 von ihm eine Beschreibung der antiken Bauten Roms erschien, muss für Palladio der Anreiz gross geworden sein, die Zeugnisse vergangener Grösse selbst zu sehen. Unter der kundigen Führung Trissinos reiste er erstmals 1541 in die Ewige Stadt. Damit setzte eine wiederholte Reisetätigkeit ein, die ihn bis Neapel im Süden, bis nach Trient und Innsbruck im Norden und möglicherweise bis in die Provence im Westen führte. Auf diesen Reisen zeichnete und vermass er alles, was an antiken Ruinen sichtbar war und was an Renaissancebauten sein Auge reizte.

Die Architektur seiner unmittelbaren Vorgänger Raphael und Giulio Romano studierte er ebenso beflissen wie diejenige mancher Zeitgenossen, etwa des Venezianers Andrea Sansovino. Sie alle verband in gewisser Weise das Streben, es der antiken Baukunst gleichzutun und diese – wenn möglich – noch zu übertrumpfen. Die Frucht von Palladios Rom-Studien erschien 1554 unter dem Titel «Le antichità di Roma». Auf dieser Schrift basierend, reifte allmählich sein Hauptwerk heran, die 1570 erschienenen «Quattro Libri dell'Architettura». Einen Meilenstein auf dem Weg dorthin bildete auch seine Mitarbeit an der von Daniele Barbaro kommentierten und von ihm illustrierten Vitruv-Ausgabe von 1556, der bedeutendsten des 16. Jahrhunderts.

In Vicenza, wo er seinen Wohnsitz bis 1570 oder 1571 hatte, gehörte Palladio einer Vereinigung von Adeligen, Literaten und Künstlern an, der 1555 gegründeten Accademia Olimpica. Viele derartige gelehrte Gesellschaften entstanden in jenen Jahren, aber nicht überall vereinigten sich in ihnen gesellschaftliche Gruppen so ungezwungen wie in der Provinzstadt Vicenza. Für diese Accademia sollte Palladio gegen Ende seines Lebens eines seiner Hauptwerke bauen: das Teatro Olimpico – geplant für die Aufführung von Tragödien der Antike und von solchen, die in deren Geiste neu geschrieben wurden.

Streben nach Würde und Grösse

In diesem von Antikensehnsucht und humanistischem Gedankengut geprägten Milieu verhalf Palladio nicht zuletzt auch ein fruchtbarer Irrtum zu anhaltendem Ruhm. Immer wieder wurde Vitruv – gemessen am heutigen Stand archäologischer Kenntnisse – falsch interpretiert und durch diese Brille auch die antike Architektur entsprechend gedeutet. Für Palladio gehört dazu die Vorstellung, antike Villen seien durch einen tempelartigen Säulenportikus ausgezeichnet gewesen, wie er es in Barbaros Vitruv-Ausgabe auch dargestellt hatte. Er war der Erste, der die Tempelfront überall einsetzte, um sie bei Kirchen wie bei Villen in neuer Weise mit der Hauswand zu verbinden. Gerade dieser Irrtum hatte eine lange Nachwirkung im Schloss- und Villenbau bis über den Klassizismus hinaus. So hat Palladio dem Bild von Herrschaft über Jahrhunderte – wenn man so will bis hin zum Kühlergrill des Rolls-Royce – den gültigen architektonischen Ausdruck verliehen.

Ins gleiche Kapitel fällt der Versuch, im Konventsgebäude des Klosters von Santa Maria della Carità in Venedig (1560/61) ein antikes Stadthaus zu rekonstruieren. Dazu stellte sich Palladio ein Atrium mit einer korinthischen Kolossalordnung über zwei Stockwerke vor. Dem Atrium sollte ein Klosterhof mit Arkadenarchitektur folgen. Vom Hof ist nur einer von vier Flügeln erhalten, alles andere kennen wir nur von einer Abbildung seines Architekturtraktates.

Ein bauliches Element wurde zu Palladios Markenzeichen. In einem seiner frühesten Gebäude, der sogenannten Basilica in Vicenza, setzte Palladio erstmals eine Form der Wandöffnung ein, die fürderhin mit seinem Namen besonders verbunden bleiben sollte: Ein mittlerer, breiter Bogen wird durch Säulen von zwei seitlichen Öffnungen mit Gebälk getrennt. Bereits Sebastiano Serlio kannte diese Form, aber Palladio erhob sie zum Leitmotiv einer Fassade. Als «Palladio-Motiv» lebt sie denn auch bis heute fort.

Neben das Bemühen, mit Hilfe der Tempelfassade wie überhaupt durch die reiche Verwendung von Säulen am Aussen- wie am Innenbau der Architektur Würde und Grösse zu verleihen, traten in Palladios Denken auch Kriterien einer funktionalen Angemessenheit. Bequemlichkeit und Zweckmässigkeit sind Grundlagen seiner Profanarchitektur. Er selbst hat dazu immer wieder im Traktat Stellung bezogen. Die Aufgabe des Architekten bestand seiner Ansicht nach darin, dieser Funktionalität ein würdevolles und ansprechendes Aussehen zu verleihen. Insbesondere hatten alle Teile in harmonischer Weise miteinander zu korrespondieren. Das war nur möglich, wenn Grund- und Aufriss eng aufeinander abgestimmt wurden. Palladio entwickelte dazu recht eigentlich ein System, bei dem er gewissen Prinzipien überall Geltung verschaffte.

Eines der hervorstechendsten Prinzipien ist die Hierarchisierung der Gebäudeteile und die Orientierung von sekundären Teilen auf einen zentralen Kern hin. Für den Villenbau bedeutete das: Von einem zentralen Saal in der Mittelachse sind eine Reihe von Nebenräumen, kleinere Wohn- und Schlafzimmer, abhängig. Auf der Basis von einfachen, wohlproportionierten Modulen konnte eine grosse Bandbreite an Variationen durchgespielt werden. Von seinen gut zwei Dutzend Villen basieren eine Mehrzahl auf ähnlichen Grundriss-Schemata, ohne sich im Aufriss zu wiederholen. Das herrlichste Beispiel, die vollkommenste Ausformung ist zweifelsfrei die auf den Hügeln von Vicenza gelegene Villa Rotonda, jener auf allen vier Seiten gleichartig mit Tempelportiken versehene Zentralbau mit grossem Mittelsaal und angrenzenden Annexräumen.

Funktionalität und Harmonie

Im Zusammenhang mit Palladios Proportionssystem wurde immer wieder auf die gleichzeitige Musiktheorie und die Ableitung harmonischer Verhältnisse daraus verwiesen. Tatsächlich sind in Palladios Grundrissen Seitenlängen wie 1:3, 2:3 oder 3:5 anzutreffen, was auf einem Monochord einer grossen Sext, einer Quinte oder zwei Oktaven gleichkäme. Im intellektuellen Umfeld Palladios wurden hierzu mathematische Überlegungen angestellt, sie mögen von dort in sein Bewusstsein gedrungen sein. Auch das Verhältnis von Grund- und Aufriss liess sich über klare Proportionen harmonisch regeln. Bezüglich eines seiner Frühwerke, des Palazzo Iseppo Porto in Vicenza, weist er selbst in seinem Architekturtraktat nach, wie dem quadratischen Atrium mit einer Seitenlänge von 30 Fuss die das Gewölbe tragenden Säulen von 15 Fuss Höhe entsprechen.

Palladio konnte am Ende seines Lebens – er starb im August 1580 möglicherweise in Maser, wo er am Tempietto Barbaro arbeitete – auf ein Œuvre zurückblicken, das eine stattliche Anzahl von Villen, mehr als 20 Palastprojekte sowie 3 grosse Kirchen umfasste. Vielleicht bildete die Krönung seines Schaffens das bereits erwähnte Theater für die Olympische Akademie, das ebenfalls auf einem fruchtbaren Irrtum beruhte, nämlich der fälschlichen Annahme, eine antike Bühnenfront habe sich über drei perspektivisch verkürzte Gassen in den Kulissenraum hinein geöffnet. Sein gesamtes an der Antike geschultes Formenrepertoire mit Säulen und Pilastern, Statuennischen, Gebälk und eingelassenen Relief- und Schrifttafeln umspielt hier ein monumentales Palladio-Motiv, bestehend aus dem mittleren Bogen und den beiden seitlichen Durchgängen.

Der Lehrmeister der Architekten

Palladios Ruhm ist nur zu einem gewissen Masse an seine gebaute Architektur gebunden, auch wenn viele Reisende auf ihrem Grand Tour Palladios Bauten besuchten. Aber wichtiger als die gebaute Wirklichkeit war für die internationale Anerkennung sein Architekturtraktat. Dessen Systematik verlieh ihm Handbuchcharakter. Palladio beginnt mit allgemeinen Aussagen über Baumaterial und Baugrund. Darauf folgt – nach dem Vorbild anderer Architekturtraktate – eine Abhandlung über die Säulenordnung und deren Proportionen. Ihr schliesst das zweite Buch mit den «Exempla» an, jenen vorbildhaften, zumeist dem eigenen Werk entnommenen Beispielen, mit denen Palladio den Bau des idealen Privathauses innerhalb und ausserhalb der Stadt erläutert. Das dritte und das vierte Buch beschäftigen sich mit Städtebau (der Anlage von Strassen, Brücken, Plätzen usw.) und Tempelbauten. Hier sind die Beispiele grösstenteils der Antike entnommen, aber auch Bramantes Tempietto in Rom findet seinen Platz unter ihnen. Dabei konnte der Leser sich immer in der Gewissheit wähnen, letztlich antikes Gedankengut aufbereitet zu bekommen. Der Bezug zu Vitruv ist im Vorwort zum vierten Buch explizit erwähnt: «Und zweifellos werden die, die dieses Buch lesen und die die Zeichnungen sorgfältig betrachten, jene Stellen bei Vitruv verstehen, die als sehr schwer gelten.» Wer sich des Buches bediente, konnte von Palladios Ideen und von Vitruvs Geist profitieren.

Einer der ersten wirklichen Nachfolger Palladios war der englische Architekt Inigo Jones (1573–1652). Nicht nur versuchte er, dem Meister in zahlreichen seiner eigenen Bauten nachzueifern, er leitete auch den Palladianismus in England ein. Zur Blüte gelangte dieser ab den 1720er Jahren, als der Gentleman-Architekt Lord Burlington für dessen Verbreitung sorgte und selbst in seiner Villa in Chiswick die Villa Rotonda nachempfand. Von England aus schwappte die Palladio-Begeisterung in die Neue Welt über. Zahlreiche private und öffentliche Bauten bis hin zum Weissen Haus in Washington hätten ohne den Renaissancearchitekten nie zu ihrer Form gefunden. Palladio erwies sich als sicheres Rezept zur Realisierung ansprechender Herrschaftsbauten.

Der internationale Palladianismus machte seine Baukunst zu einer Art Markenzeichen, zu dem der französische Theoretiker Quatremère de Quincy im ausgehenden 18. Jahrhundert ohne weitere Erläuterungen bemerken konnte: «C'est du Palladio.» Bis in die Moderne hielt die Gültigkeit der Proportionsgesetze nach dem Vorbild Palladios an. Le Corbusier jedoch sah in der Baukunst des Meisters aus Vicenza noch mehr. Eine Abbildung der Villa Rotonda kommentierte er mit dem Satz: «Ce sera l'architecture qui est tout ce qui est au-delà du calcul», eine Architektur, die jenseits vom reinen Prinzip steht. Gemeint ist damit eine Architektur, die nicht auf sturen Regelwerken beruht, sondern eine beinahe emotionale Wirkung auf den Betrachter entfaltet. Das trifft vielleicht nicht des Pudels Kern – und doch ist auch das Palladio.

[ Dr. Axel Christoph Gampp ist Privatdozent für Allgemeine Kunstgeschichte an der Universität Basel. ]

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