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Katalysator der Raumplanung
Neue Zürcher Zeitung

Die achte Ausgabe von ArchiLab in Orléans widmet sich dem Städtebau in Europa

Die Ausstellung ArchiLab in Orléans widmet sich Bauprojekten, die von der EU unterstützt werden. Das Thema ist spannend, doch seine Behandlung befriedigt nicht restlos.

5. Dezember 2008 - Marc Zitzmann
Für die meisten Durchschnittseuropäer ist die EU-Verwaltung ein abstraktes Ding, das allenfalls als Sujet für Stammtischgepolter etwas hergibt. Die achte Ausgabe von ArchiLab, der Biennale für zukunftsweisende Architektur und prospektiven Städtebau in Orléans, versucht zu zeigen, wie sich das Wirken der EU konkret im Bereich der Raumordnung auswirkt. Die Schau beginnt in der umgebauten Busgarage des Fonds régional d'art contemporain (FRAC) der Région Centre, der die Veranstaltung mitträgt, mit einer Auswahl von «Europavisionen» – von Gerardus Mercators Landkarte aus dem Jahr 1569 bis zu Rem Koolhaas' pfiffigem, aber leider nicht angenommenem Vorschlag, die blaue EU-Flagge mit ihrem Kreis aus zwölf gelben Sternen durch einen Strichcode aus den Farben aller Landesflaggen der Mitgliedstaaten zu ersetzen.

Der Hauptteil der Ausstellung findet sich in der Stiftskirche Saint-Pierre-le-Puellier. Ein Provisorium: In zwei Jahren zieht ArchiLab wieder in die Subsistances militaires zurück, ein ehemaliges Militärgebäude, das bis dahin renoviert und um einen spektakulären Neubau von Jakob & MacFarlane erweitert wird. Dort stehen dann 500 Quadratmeter für die auf Architektur spezialisierte Sammlung des ebenfalls umziehenden FRAC zur Verfügung und eine fast ebenso grosse Fläche für Wechselausstellungen. Demgegenüber wirkt die neuste Ausgabe von ArchiLab trotz der einfallsreichen Szenografie des Berliner Büros Chezweitz & Roseapple arg beengt.

Der diesjährige Kurator, Omar Akbar, Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau, hat 28 Projekte ausgewählt und diese in drei Kategorien eingeteilt. «Polymerisation» heisst die erste – gemeint ist die Schaffung von Netzwerken zwischen Städten oder Regionen, auch grenzübergreifend. Die EU unterstützt solche Initiativen namentlich im Rahmen der diversen Interreg-Programme. Ziel ist, Kräfte zu bündeln und Synergien zu schaffen. So etwa zwischen den Megalopolen London und Paris, die seit letztem Jahr nur noch zwei Bahnstunden auseinanderliegen. Der Bau des Channel Tunnel Rail Link, der Schnellfahrstrecke auf britischem Boden, wurde von der EU mitfinanziert. Um den neuen Eurostar-Bahnhof St. Pancras entsteht nach einem Masterplan von Norman Foster ein neues Viertel mit Wohntürmen, Büro- und Geschäftsgebäuden. Ein anderes solches Projekt ist der Bau einer 19 Kilometer langen Brücke über den Fehmarnbelt, die Hamburg ab 2018 mit Kopenhagen und von dort aus via die vor acht Jahren fertiggestellte Øresund-Brücke mit Malmö verbinden wird.

Die zweite Kategorie heisst «Implantation» und illustriert die Einführung von «Fremdkörpern» in bestehende Stadtgefüge. Spektakulärstes Beispiel ist hier Zaha Hadids Masterplan für die Metamorphose eines ehemaligen Industrieviertels im Südwesten von Istanbul. Auf 555 Hektaren soll hier ab nächstem Jahr ein funktional durchmischtes Viertel entstehen. Computerbilder zeigen eine futuristische Stadtlandschaft mit den für Hadid typischen fliessend-skulpturalen Formen. Bereits im Bau sind die «Hafen-City Hamburg» sowie die Viertel «Euroméditerranée» in Marseille und «Lyon Confluence».

Die dritte Kategorie endlich handelt von der «Reanimation» von Städten durch die Schaffung eines neuen Markenbilds. So will sich Danzig mit dem Bau eines «Europäischen Solidaritätszentrums für Kultur und Geschichte» und eines bernsteinfarbigen Sportstadions als «Stadt der Freiheit und des Bernsteins» positionieren. Das Städtchen Eisleben im deutschen Bundesstaat Sachsen-Anhalt sucht sich seinerseits mit einem von Museen, Kirchen und Installationen gesäumten «Lutherweg», der die Geschichte des im Ort geborenen und gestorbenen Reformators erzählt, als Lutherstadt zu profilieren.

Die Ausstellung hat ein reizvolles Thema und wartet mit sehr verschiedenartigen Projekten auf. Allerdings sind diese nicht immer so dokumentiert, dass ihr Interesse ins Auge sticht. Auch wirkt die Kategorisierung mitunter etwas beliebig: Namentlich zwischen den Sektionen «Implantation» und «Reanimation» verfliesst die Grenze öfters. Des Weiteren ist die Schau zwar auf die von der EU geförderte Raumordnung fokussiert, zeigt aber etliche Projekte, die nicht von der EU finanziert werden oder sogar – wie Herzog & de Meurons «Vision Dreispitz» in Basel – in Nichtmitgliedstaaten lokalisiert sind. Endlich hätte zumindest angedeutet werden können, dass viele Projekte nicht auf ungeteilte Zustimmung stossen. Die Informationstexte der Schau und des Katalogs wirken hier oft zu trocken-abstrakt – fast wie jene Technokratenprosa, die Durchschnittseuropäer gern mit der EU assoziieren.

[ Bis 23. Dezember. Katalog: ArchiLab Europe. Editions HYX, Orléans 2008. 184 S., € 40.–. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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