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Der unbeugsame Wille zur Rekonstruktion
Neue Zürcher Zeitung

Manche weniger brave Lösung hätte es gegeben, doch das Berliner Stadtschloss soll wieder auferstehen. Ein Sammelband vergleicht es mit anderen Wiederaufbauten.

24. Dezember 2008 - Dieter Bartetzko
Es habe nichts gegen den Entwurf Franco Stellas zu sagen gegeben, merkte der Juryvorsitzende Vittorio Magnago-Lampugnani an, als kürzlich der Sieger im Wettbewerb um den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses präsentiert wurde. In seiner bekannten Diskretion könnte Lampugnani, selbst Architekt und Vertreter einer traditionsbewussten Moderne, damit auch angedeutet haben, dass man nichts Besseres gefunden habe als diesen braven Nachbau mit rationalistischen Einsprengseln.

Im Berliner Kronprinzenpalais (eine äußere Komplettrekonstruktion aus den sechziger Jahren der DDR) kann man derzeit sehen, wie viele Vorschläge es gab. Es finden sich darunter durchaus bedenkenswerte Lösungen. Die von Jan Kleihues etwa, der die rekonstruierten, fulminanten Barockschwünge Andreas Schlüters mit der sonoren Markanz seiner gut proportionierten Werkstein-Kuben kombiniert. Stephan Braunfels wagte es, die geschlossene Form des einstigen Schlosses – von dem vergessen ist, dass es die Berliner und auch so mancher Hohenzollern deswegen „die Kaserne“ titulierten – an der Ostflanke zu öffnen und damit überraschende neue Perspektiven zu gewinnen.

Ebenfalls an dieser vierten, kaum zu rekonstruierenden Seite, für die der Ausschreibungstext denn auch Neues gestattete, schlug das Bremer Büro Haslob Kruse & Partner eine Fassade als wehende Goldfolie vor, die an die Spiegeleffekte und kupferbedampften Glaswände des Palasts der Republik erinnert. Der Frankfurter Christoph Mäckler bot, selbstbewusst wie immer, an, die rekonstruierten Partien mit seinen markanten, immer etwas neoexpressionistisch anmutenden Großformen zu verbinden. Die wohl bestechendste Lösung legten die Berliner Kuehn Malvezzi vor, die, inspiriert vielleicht von Hans Döllgasts legendärem Wiederaufbau der Münchner Alten Pinakothek, den historischen Corpus und seine Fassaden unter Verzicht auf die Kuppel in „urpreußischem“ Backstein nachzeichnen wollten, der erst allmählich überdeckt würde mit Schlüterrepliken.

Doch selbst noch mutigere Lösungen hätten unter den derzeitigen Umständen keine Chance gehabt. Die Republik will wieder das Schloss, je getreuer dem Original, desto besser; je dezenter das Neue, desto lieber. Dass dem so ist, belegt Guido Hinterkeusers Band, der eine im April 2007 abgehaltene Tagung über beispielgebende Schlossrekonstruktionen dokumentiert. „Menschen, die einem Schloss entgegentreten“, so formuliert Wolfgang Wiese in seinem Beitrag über das Mannheimer Schloss das aktuelle Motto nicht nur für Rheinland-Pfalz, sondern für Berlin und die Republik, „erwarten nicht nur die äußere, sondern auch die innere Wirkung. Beeindruckt von einer prunkvollen Atmosphäre, sind sie weitaus eher bereit, sich auf das meist unnahbare Thema Geschichte einzulassen.“

Wolfgang Wiese erfindet denn auch gleich eine neue denkmalpflegerische Kategorie – die „strukturelle Rekonstruktion“. Was damit gemeint ist, zeigt Mannheim, wo sechzig Jahre nach der Zerstörung und einem modernen Wiederaufbau des Inneren eine Raumfolge in nachempfundenem Rokoko und Empire eingefügt wurde. Was Denkmalpfleger, aber auch viele Liebhaber historischer Baukunst vor etwa einem Jahrzehnt als „nicht Fisch noch Fleisch“ bezeichnet hätten, erhält nun das Lob der Experten.

Welcher Missbrauch mittlerweile mit dieser Sehnsucht betrieben wird und dass „prunkvolle Atmosphäre“ inzwischen oft den Gesetzen der Warenästhetik folgt, belegt Dankwart Guratzsch in seinem Beitrag über den (Teil-)Wiederaufbau des Braunschweiger Schlosses als prächtig atmosphärische und konsumstimulierende Fassade einer riesigen Mall. Alle übrigen Beiträge aber kreisen mehr oder weniger deutlich um das absolute Muss einer Berliner Schlossrekonstruktion: Noch einmal ist man gerührt und möchte sofort einen Aufruf zum Nachbau unterschreiben, wenn Saskia Hüneke aufweist, mit welcher Brutalität die DDR das standfeste Potsdamer Stadtschloss schliff und welche Fülle an wiederverwendbaren Statuen, Architekturteilen, Ziergittern und Reliefs bereitliegt. Erneut imponiert die Hartnäckigkeit, mit der Warschau das von den Deutschen gesprengte Schloss aus dem Nichts wiedererstehen, nachbauen oder bedeutungsgerecht interpretieren ließ. Ungläubig liest man vom derzeit stattfindenden Nachbau des Palasts der Großfürsten von Litauen in Vilnius, der vor dreihundert Jahren schon verschwand und dessen Auferstehung angeblich sogar die Unesco gutheißt.

Auch Hans Kollhoff – im Wettbewerb gescheitert – äußerte sich 2007 zur Berliner Rekonstruktion. Sein knappes Plädoyer für „Weiterbauen“, sprich: eine Kombination aus Rekonstruktion und interpretierendem Ergänzen, imponiert. Aber es ging beziehungsweise geht an der allgemeinen Stimmung vorbei: Deutschland will momentan auf Biegen oder Brechen die Rekonstruktion. Die Großherzigkeit, mit der man dabei auch im doppelten Wortsinn oberflächliche Imitate akzeptiert, bezeugt, dass wir einer Obsession verfallen sind. Sie gleicht unseren Träumen von Kindheit. So, wie fast jedermann – notfalls auch wider besseres Wissen – mit ihr Geborgenheit und Glück verbindet, verbindet die allgemeine Vorstellung mit der Wiederkehr des Schlosses unbewusst die Kontinuität der Kinderjahre. Dass dies eine Illusion ist, könnte der Blick in die Geschichte zeigen. Doch die ist, wie Wolfgang Wiese konstatierte, derzeit „unnahbar“.

[ Guido Hinterkeuser (Hrsg.): „ Wege für das Berliner Schloss/Humboldt-Forum“. Wiederaufbau und Rekonstruktion zerstörter Residenzschlösser in Deutschland und Europa (1945–2007). Verlag Schnell & Steiner, Regensburg 2008. 280 S., 184 Farb- u. S/W-Abb., Grundrisse, br., 44,90 €. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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